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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Globales
Porträt der Liebesbeziehung zwischen Jasmin (Israel) und Ossama (Palästina)
„Leben wollen wir!“ Teil 2
Von Philipp Holtmann

Jasmin und Ossama schmusen und küssen sich auf dem Sofa. Eigentlich sind sie müde. Müde vom Anstehen, Fragen, Abgewiesen- und Hingehaltenwerden auf deutschen Ämtern. Müde davon, weit entfernt von der Heimat ihr Leben zu fristen, müde von den Reaktionen der Menschen auf ihre Heirat, müde von den immer gleichen Fragen geschichtenhungriger Journalisten. Hier der zweite Teil des Porträts der beiden Liebenden und der widrigen Umstände. Die Redaktion.

Der Behördenkrieg ging weiter. Jasmin erhielt nach monatelangem Kampf von der israelischen Armee eine befristete Erlaubnis, mit Ossama in Ramallah leben zu dürfen. Für sie begann eine surrealistische Zeit. Ihr Leben in der palästinensischen Stadt verlief anfänglich normal. Sie fühlte sich von den Menschen in Ramallah akzeptiert. Aber als Israelin erlebte sie über vier Monate lang den Nerven aufreibenden Tagesablauf im Westjordanland. Jeden Tag fuhr sie von dort ins nahe Jerusalem zur Arbeit. Israelische Soldaten konnten zuerst nicht glauben, bei den Buskontrollen eine Jüdin anzutreffen. Sie erlebte Willkür und Beleidigungen.

Offduty Israeli soldier Foto: Justin Mc Intosh
„Pausierender“ israelischer Soldat an „Grenzposten“ | Foto: Justin Mc Intosh

„Bei all der ‚Verhältnismäßigkeit’ verlierst du deine Menschlichkeit“

Jasmin erzählt: „Du sitzt im Taxi und siehst, wie der Fahrer verbal erniedrigt wird, einfach nur, um ihm Zeit zu stehlen. Und du fragst dich, ob du was sagst oder nicht. Wo ist die Grenze des Leids erreicht? Wenn einer schreit? Oder schlägt? Oder schießt? Ich wuchs mit dem Ideal auf, dass du Unrecht nicht ignorieren darfst, wenn du es siehst. Vier Monate in den Besetzten Gebieten brachten mich an meine psychischen Grenzen. Es ist ein absurdes Leben, es gibt kein Richtig und kein Falsch mehr, alles ist ‚verhältnismäßig’. Und bei all der ‚Verhältnismäßigkeit’ verlierst du deine Menschlichkeit. Das war einer der Gründe, warum ich dort nicht mehr leben konnte. Ich sagte mir, entweder ich komme hier raus oder ich gehe ins Irrenhaus.“

Irgendwann begann Jasmin, sich durch den israelischen Sicherheitsapparates bedroht zu fühlen. Eines Nachts traten Soldaten ihre Wohnungstür in Ramallah ein und forderten Ossama auf, am nächsten Tag beim israelischen Inlandsgeheimdienst zum Verhör zu kommen. Jasmins Anwesenheit hinderte die Soldaten daran, rüdere Methoden anzuwenden. „Ein grundsätzliches Problem“, sagt Jasmin, „war die Tatsache, dass immer mehr israelische Soldaten mich an den Checkpoints wahrnahmen und begriffen, dass ich als Israelin in Ramallah lebte, ohne einer Meute blutrünstiger Palästinenser zum Opfer zu fallen.“

Arrafats Gedenkstätte in Ramallah Foto: Effi Schweizer
Arafats Gedenkstätte in Ramallah | Foto: Effi Schweizer

Sie lacht bei diesem Satz. „Das brachte in den Köpfen junger Soldaten den Konsens von der Bedrohung Israels durch die Palästinenser durcheinander und missfiel den Vorgesetzten.“ Auch von Seiten der PLO waren willkürliche Aktionen zu befürchten. Ossama wurde fast jeden Tag von Leuten der Palästinensischen Autonomiebehörde angehalten und belästigt – auch geschlagen.

In dem Wirrwarr der Besatzungspolitik verschoben sich die vertrauten Freund- und Feindbilder für Jasmin: „An einem Freitag winkte mich ein israelischer Oberst am Checkpoint heraus und sagte „Ich möchte dich nicht hier an irgendeinem Baum aufgehängt sehen“, und ich sah, dass es genau das war, was er wollte. Als ich seine Dienstnummer verlangte, um mich später über ihn zu beschweren, sprang er in seinen Jeep und fuhr davon. Er ist einfach geflohen! Ein Oberst! Und in der Armee sagten sie uns doch immer: Die erste Sache, die du deinem Feind oder einem Zivilisten gibst, ist dein Name und deine Dienstnummer.“

„Ich wollte keine Jeanne d'Arc sein“

Tali Fahima auf einem Sticker Ronen Ei
Tali Fahima auf einem Sticker
Grafik: Ronen Eidelman
Die Todesangst bewog Jasmin und Ossama schließlich zur Ausreise: „Entweder hätten sie mich zu einer zweiten Tali Fahima [1] gemacht und mich damit in meiner öffentlichen Legitimität vernichtet, oder sie hätten mich einen „traurigen Unfall“ genannt. Es gibt genügend verzweifelte Palästinenser, die mich für 1.000 Schekel umgebracht hätten. Was tut es zur Sache? Kennen sie mich? Bin ich ihre Schwester? Egal, noch eine Israelin! Und ich kann das verstehen, wenn du in Armut lebst und nicht weißt, wie du deine Kinder ernähren sollst. Was ist da das Leben von so einer Israelin wert? Es musste also etwas passieren. Unsere Partnerschaft konnten wir nicht in Palästina weiterbestehen. Sie hatte das herrschende System zu sehr erschüttert. Dabei bin ich keine politische Aktivistin. Ich will einfach frei leben. Und genau das, dieses Bild der normalen, europäischstämmigen Jüdin, der netten Schwiegertochter, die mit den Palästinensern lebt, ist für viele so gefährlich.“

Jasmin will keine Heldin sein, keine Märtyrerin der Liebe. „Wäre ich in den Besetzten Gebieten geblieben, wäre ich wohl wie Jeanne d'Arc: gestorben: für die Sache. Aber ich denke nicht, dass es eine wahrhafte Lebenseinstellung ist, für eine Ideologie zu sterben. Ich muss nicht für die Liebe sterben, ich muss leben für die Liebe! In dem Moment, als ich verstand, dass das die Richtung ist, die es nimmt, habe ich nein gesagt. Ich wähle das Leben, nicht die Ideologie...“

Als Jasmin mit ihrer Mutter Miriam zu Besuch in Deutschland war, sagte Ossama ihr am Telefon: „Bleib gleich da, ich komme nach“. Vor anderthalb Jahren schafften es die beiden schließlich, als Sprachstudenten in Deutschland Fuß zu fassen. Jasmin beantragte die deutsche Staatsbürgerschaft, die ihr mütterlicherseits zusteht. Schnell fand sie Arbeit an der Deutschen Oper in Berlin und als Tanzlehrerin in Brandenburg – eine Freelancer-Existenz. Doch der Behördenkampf ging in Deutschland weiter.

„Hier habe ich zu hassen gelernt...“

„Der Führer“ Skulptur Ossama
„Der Führer“, Skulptur von Ossama Satar         
Davon zeugen Ossamas Skulpturen. Er ist kein Mann der vielen Worte, sondern bringt vielmehr seine Kunstwerke zum Sprechen. Ossama verbindet Gebrauchsgegenstände und technische Geräte, Draht, Holz, Eisen zu Skulpturen einer düsteren Periode seines Lebens. So ist s ein „Bürger“ eine aus Federn, Uhren und Schraubschlüsseln zusammengesetzte Figur, die mechanisch wirkt, wie eingefroren, in einer ständigen, nicht mehr selbstkontrollierten Arbeits- und Demutspose. Die Skulptu r „Führer“ ist eine aus Wagenheber und Holzkopf bestehende Parodie der Macht, die statt eines Gehirns einen Ratsstuhl und Amtssitz im Schädel trägt.

Doch am eindrücklichsten is t der „Beamte“: ein Kop f, der aus einer Schreibmaschine herauswächst, deren Buchstabenleisten sich zu einem engen Korsett um seinen Hals schließen. Die Münder, Ohren und Augen anderer Kopfplastiken sind durch Schlüssel verschlossen und stehen für die Kritik des Künstlers an Nationalismus, Tradition und Missbrauch des Intellekts: sozialkritische Kunst also. „Das ist momentan in Berlin nicht gefragt“, bemerkt Ossama.

Der Beamte Skulptur Ossama Satar
„Der Beamte“ von Ossama Satar – im Hintergrund: FormulareFormulare FormulareFormulareFormulare...

In Berlin ist Ossama nie richtig angekommen. Nur einmal wurden seine Arbeiten bisher ausgestellt. Noc h keine Skulptur hat er in der ganzen Zeit wirklich fertiggestellt. Im Gegensatz zu Jasmin spricht er kein Deutsch, hat ein Künstlervisum, aber keine Arbeitserlaubnis. „Ich hasse mich, weil ich so verärgert bin“, sagt Ossama. „Ich hasse mich dafür, dass ich hier bin. Hätte ich doch bloß ein gutes Bild von Deutschland, dann liebte ich das Deutsche sehr. Aber hier habe ich zu hassen gelernt. Jasmin sagte mir, dass die Deutschen aus dem Krieg gelernt hätten: Damals zum Beispiel durften Arier keine Juden heiraten – heute gibt es Rechte für Paare. Als ich hierher kam, habe ich das nicht gesehen. Ich habe eben nicht den richtigen Stempel.
Eintrittstempel nach Israel

Vom Staat Israel wie vom Deutschen Staat möchte ich wissen: Was ist bei mir das Problem? Bei der Ausländerbehörde haben sie mir ins Gesicht gesagt, dass sie mich hier nicht wollen. Gleich bei meinem ersten Besuch auf der Behörde öffnete die Sachbearbeiterin meinen Pass und las meinen Namen ‚Ossama... bin Laden.’ Bei einem anderen Mal sagte sie mir: ‚Du bist nicht erwünscht hier, du bist hier wegen deiner Frau. Das ist alles, wir haben keine Wahl. Deine Frau ist ein Spezialfall. Aber du bist Palästinenser.’ Die Sachbearbeiterin machte ein abfälliges Zeichen mit der Hand, als ob sie mich wegwischen wollte. Symbolischer als das geht es nicht!“

Die rechtliche Absurdität ihrer Ehe führte für die beiden auch in Deutschland zu Problemen. Jasmin: „Es gibt einen seltsamen Sexismus im deutschen Recht für Migrantenpaare. Die Frau ist rechtlich immer dem Mann untergeordnet. Ich habe also die Rechte oder vielmehr die Nicht-Rechte von Ossama bekommen.“ Wieder Monate des Behördenhickhacks, wieder rettet die Unterstützung der Eltern, gerade auch die finanzielle, das Paar. „Ich bekomme bis zum Jahresende einen deutschen Pass“, erzählt Jasmin, „Für Ossama ist es schwerer. Europa will keine Muslime. Sie wollen uns ermüden. Aber nach vier Jahren haben wir Durchhaltevermögen. Wir bekommen, was wir verdienen.“

Das Kapitel Berlin will das Paar nun jedoch schrittweise beenden, es stattdessen in Wien versuchen. Wenn alles gut geht, werden sie im Oktober in die österreichische Hauptstadt gezogen sein, aber vorerst die kleine Wohnung in Neukölln behalten. Ossama hat Kontakte zur Wiener Künstlerszene. Die beiden erhoffen sich dort einen besseren Start, mehr Möglichkeiten durch den deutschen Pass. Eine Rückkehr nach Israel und in die Besetzten Gebiete kommt für sie derzeit nicht in Frage.

Ossama  Jasmin Foto: Phillip Holtmann
Diesmal umgedreht: Ossama und       
Jasmin | Foto: Phillip Holtmann
Jasmin: „Zu meinem Bedauern denke ich, dass dies in den nächsten Jahren für uns unmöglich sein wird. Dabei wollen wir einfach die Freiheit haben, da zu leben, wo wir wollen. Wir wollen nicht, dass uns der Staat vorschreibt, wo wir leben. Das ‚Mischehengesetz’ ist nur für die Palästinenser gedacht. Wenn ich etwa mit einem Deutschen verheiratet wäre, bekäme er einen israelischen Pass.“ Während sie das sagt, blickt sie müde auf das langsam erlöschende Teelicht auf dem Wohnzimmertisch. Es ist Mitternacht. Der berühmte palästinensische Nationalpoet Machmud Darwish hat einst über seine Liebe zu einer israelischen Jüdin ein Gedicht geschrieben: „Zwischen meinen Augen und Rita befindet sich die Kimme eines Gewehrs.“ (CH)

Fußnote: [1] Tali Fahima ist eine Israelin, die trotz unklarer Beweislage wegen Beihilfe zum Terrorismus im Gefängnis saß.

Lesen Sie in der vorangegangenen Ausgabe der NRhZ auch den ersten Teil von Philipp Holtmanns Artikel, der im Original in der „Jüdischen Zeitung“ erschien.
Der Artikel entstand unter Mitwirkung von Eik Dödtmann


Online-Flyer Nr. 172  vom 12.11.2008

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