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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Lokales
Abschiedsrede des Kölner DGB-Vorsitzenden
Wir bleiben Einheitsgewerkschaft
Von Wolfgang Uellenberg - van Dawen

Auf dem Jahresempfang des DGB der Region Köln hielt dessen langjähriger Vorsitzender Dr. Wolfgang Uellenberg - van Dawen eine Rede,  mit der er sich zugleich von seinen Kolleginnen und Kollegen verabschiedete. Er wird nun Planungschef bei Frank Bsirske, dem Vorsitzenden der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Bis für ihn ein Nachfolger gefunden worden ist, übernimmt - mit Unterstützung durch den DGB-Vorsitzenden in NRW Guntram Schneider sein Sekretär Jörg Mährle das Ruder im Kölner DGB. Hier die Rede von Uellenberg - van Dawen in Ausschnitten. – Die Redaktion.

Wir können mit Stolz sagen: Wir haben im letzten Jahr eine gute Arbeit geleistet und wir leisten gute Arbeit: Unsere Gewerkschaftsjugend hat mit ihrer Ausbildungskonferenz für unsere Stadt und für unsere Region ein deutliches Zeichen gesetzt: Das Ausbildungsjahr hat begonnen und wir wollen, dass alle Jugendlichen, die noch einen Ausbildungsplatz suchen, ihn auch schnell erhalten. Es gibt genug Betriebe, die ausbilden könnten, und es gibt keinen Grund, es nicht zu tun.

Erpressungsmanöver der Arbeitgeber abgewehrt

Die Tarifrunde im öffentlichen Dienst im Frühjahr wurde getragen von einer breiten Mobilisierung, und in der Metall- und Elektroindustrie zeichnet sich ähnliches ab. Unsere Kolleginnen und Kollagen brauchen mehr Geld und sie wollen mehr Geld, denn sie spekulieren nicht an den Börsen, sondern sie leisten gute Arbeit und sie schaffen Werte, wahrend andere Milliarden verbrennen. Und ich bin froh, dass im Einzelhandel trotz einer schwierigen Situation alle Erpressungsmanöver der Arbeitgeber abgewehrt werden konnten, Einkommenserhöhungen erzielt wurden und die Zuschläge für Mehrarbeit im Wesentlichen erhalten geblieben sind.


Gelegentlich gespanntes Verhältnis mit dem Kölner Sprecher der Arbeitgeber
Michael Jäger


Die IG BCE hat mit einem beispielhaften Tarifvertrag vielen Kolleginnen und Kollegen einen gleitenden Übergang in die Rente ermöglicht, ohne Altersarmut fürchten zu müssen und auch die NGG und die IG Metall treffen hier mit ihren Tarifverträgen zur Altersteilzeit Vorsorge. Wir wollen weder dass Menschen arm trotz Arbeit noch dass sie arm im Alter sind Zu beidem sagen wir klar Nein! Und dies sagen wir auch dem Gesetzgeber: Ein gesetzlicher Mindestlohn und eine Mindestrente, von der man leben kann: Beides gehört zusammen.

Erfolgreiche Kämpfe in vielen Bereichen

Der Kampf der Telekom-Beschäftigten gegen den Arbeitsplatzabbau, gegen Lohndumping und Outsourcing hat uns allen deutlich gemacht, welche Folgen eine Privatisierungspolitik hat, die nur noch den Share-Holder aber weder den Kunden noch die Beschäftigten im Blick hat. Und ich sage den Obermännern, den Lidls und wie sie alle heißen mögen: Sie brauchen weder Wanzen noch Kameras um herauszufinden, was die Beschäftigten von einer Arbeit halten, die immer stressiger wird, von immer weniger Menschen geleistet werden muss - und das Ganze für immer weniger Geld. Von einer solchen Arbeit halten sie nichts und darum kommen diese Menschen auch zu den Gewerkschaften, denn sie wissen, dass wir ihnen Schutz bieten können und bieten wollen.

Ich könnte die Beispiele guter Arbeit der Gewerkschaften dieser Region noch lange fortsetzen, berichten, wie die NGG die Umwandlung einer Brotfabrik Kronenbrot in eine Kleinbäckerei verhindern konnte - denn dort sollte für einen Industriebetrieb der gleiche Tarif gelten wie für Meister Kamps um die Ecke. Ich gratuliere der Polizeigewerkschaft dazu, dass sie mit ihren vielfältigen Aktionen für neue Stellen den Innenminister das Fürchten gelehrt hat, und ich danke der GEW, dass sie sich so nachhaltig für die Integration junger Migranten im Schulsystem einsetzt. Und nicht zu vergessen unsere Eisenbahner - deren Tarife sind nämlich besser als die der GDL. Aber das würde den Abend sprengen.



Es gab auch Niederlagen - wir haben nicht alles erreicht und wir erreichen noch längst nicht Alle - aber im großen Ganzen stimmt unsere Bilanz, die der Mitglieder, die der Aktiven und die unserer Ergebnisse. Ich bin sicher, das wird auch so bleiben. Wir haben heute Abend viele Gäste: Herrn Regierungspräsident Lindlar, seinen Vorgänger Jürgen Roters, der ins Kölner Rathaus strebt, die Parteivorsitzenden und Fraktionsvorsitzenden der SPD, der CDU, der Bündnisgrünen, der Linkspartei und den Wirtschaftssprecher der FDP. Ich freue mich über die Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche, die Synagogengemeinde feiert heute Sukott und lässt sich entschuldigen. Besonders begrüße ich die Hauptgeschäftsführer der Kammern und den Kreishandwerksmeister und natürlich die Vertreter der Medien, die wie immer ausführlich und gut berichten werden.

Mit Recht stolz auf den 20. September

Ich sage Ihnen und Euch keine langen Begrüßungsworte sondern nur eines: Wir alle haben am 20. September 2008 eine verdammt gute Arbeit geleistet. Darauf können wir stolz sein: auf die schnelle und völlig unbürokratische Art, wie wir unser Bündnis geschmiedet haben, auf den Pressekonferenzen und Sitzungen mit den vielen Teilnehmern und den kürzesten Beiträgen, auf das Geld, das wir so schnell für alle Aktivitäten zusammenbekommen haben, auf die vielen Unterschriften, die immer noch eintreffen, auf die Anzeigen und Erklärungen der Kirchen, der Kammern, der Wirtschaft, auf unsere Taxizentrale, auf die demokratischen Parteien und die Künstler von Arsch Huh und vor allem darauf, dass so viele Manschen - die allermeisten friedlich - demonstriert und auch blockiert haben. Oberbürgermeister Schramma, der sich heute in seinem Urlaub befindet, hat mir einen Brief geschrieben, aus dem ich zitieren möchte:

Wir haben eine neue Kultur der Zusammenarbeit gefunden in der Auseinandersetzungen mit Rassisten, die im bürgerlichen Gewand als Biedermänner auftreten, aber mit gezielten Provokationen Unfrieden säen und das Ansehen unserer Stadt bis hin nach Israel und in die arabische Welt in Frage gestellt und haben. Und Herr Neven Du Mont hat zu Recht gesagt, am 20. September schaut die Welt auf Köln und die Welt kann nun sagen; Habt ihr jod jemacht. Es geht nicht um Schulterklopfen und Selbstbeweihräucherung sondern darum, dass wir eine gute Geschichte mehr erzählen können und aus dieser Erzählung die Kraft schöpfen, nun im nächsten Schritt drei Dinge zu tun:

Migration bereichert unser Leben


Erstens: Ruhig und solidarisch über die Fragen und Probleme, die großen Chancen aber auch die Risiken zu diskutieren, die das Leben von Menschen aus 180 Nationen in unserer Stadt aber auch die Integration ihrer Kultur und ihrer Religionen aufwerfen.

Zweitens: Die sozialen Hürden zu überwinden, die der Integration der Migrantinnen und Migranten entgegen stehen - und das beginnt mit der Überwindung von Sprachbarrieren und führt über das interkulturelle Lernen und die bilinguale Schule bis hin zum entschiedenen Kampf gegen d«n Ausbildungsmangel und Arbeitslosigkeit. Migration bereichert unser Leben, wenn wir - die Migranten wie die Einheimischen - die sozialen Fragen lösen und jede Form der Ausgrenzung entschieden bekämpfen.
Und damit drittens: Rassisten aus dem Kölner Rat und den Bezirksvertretungen heraushalten - und das heißt: klare Kante und Wählen gehen für die Demokratie!

Was erwarten wir von der Stadt?


Wolfgang Uellenberg-van Dawen
Fotos: gesichter zei(ch/g)en
Gute Arbeit erwarten die Kölner Gewerkschaften auch von der Stadt. Wir haben auf unserer kommunalpolitschen Konferenz ein Programm für Köln in den nächsten Jahren diskutiert und es beschlossen:

Erstens wollen wir gute und Existenz sichernde Arbeit für alle - und das gilt gerade in einer Zelt, in der die erste große Krise des globalen Kapitalismus keinen Stein mehr auf dem anderen lässt und viele Menschen in Angst und Schrecken versetzt. Wenige sind immens reich geworden und viele arm oder werden es jetzt, weil sie Menschen vertraut haben, die an ihren Bonus aber nicht an das Gut, das ihnen anvertraut wurde, gedacht haben. Und darum muss nun in der realen Wirtschaft die Arbeit wieder geschaffen und gerechter verteilt werden, denn sie allein schafft die Werte, von denen wir leben. Papier kann man nicht essen, sagten schon die Indianer, und Bonds und Fonds und Bits und Bytes essen auch nicht. Wer 400 Milliarden bereit stellt, um zu verhindern, dass die Krise des finanzgetriebenen Kapitalismus auf die reale Wirtschaft durchschlägt, der wird auch 40 Milliarden aufbringen, damit die Kommunen in die Bildung, die Infrastruktur, die Umwelt investieren und damit vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen und das Handwerk Aufträge bekommen. Wir können nicht auf Staatsfonds aus Russland, China oder Indien warten, sondern müssen zu allererst die regionalen Wirtschaftskreislaufe retten.

Öffentliche Daseinsvorsorge ausbauen

Zweitens: Wir wollen die öffentliche Daseinsvorsorge in Köln nicht nur erhalten, sondern jetzt erst recht ausbauen. Mehr Staat und mehr Stadt - das ist unsere Schlussfolgerung aus dieser Krise. Stellen Sie sich vor, unsere Unternehmen wären nicht im öffentlichen Eigentum, sondern an irgendwelche Hedgefonds verkauft worden. Die Wohnungen der GAG, die Rheinenergie, der Stadtwerke-Konzern - und dann hätte man das Geld auch noch an der New Yorker Börse oder in einem Fonds von Lehmann Brothers angelegt - welch ein Horror! Wir brauchen einen sozialen, gut verwalteten, bürgernahen Staat und eine gute und effiziente kommunale Wirtschaft - das sichert uns. Der Kapitalismus ist immer krisenhaft - sagt Wolfgang Streeck anknüpfend an Karl Marx zu Recht.



Um von Berlin nach Köln zu radeln und fit zu bleiben: Christa Nottebaum (ver.di) überreicht das Abschiedsgeschenk

Sicher ist nur, was wir selber politisch bestimmen können, und das ist unser Sozialstaat. Er ist die Grundlage einer demokratischen Gesellschaft und er ist das Fundament des Marktes, denn der braucht Regeln - dringender denn je. Verstaatlichung ist ja kein Fremdwort mehr für Banker. Allerdings verstehen sie darunter: Der Sozialstaat sozialisiert die Verluste, um das Fundament für ein neue Welle privater Gewinnmaximierung zu schaffen. Ich sage: Der Sozialstaat muss den weiteren Absturz der Finanzmärkte verhindern, weil viel zu viele Menschen mit mittleren Einkommen darauf vertraut haben. Aber er muss dann auch in den Banken dafür sorgen, dass a) die Kunden nicht mehr nach Strich und Faden hinters Licht geführt werden und b) die Banken als Kapitalsammelstellen ihrer gesellschaftlichen Aufgabe gerecht werden - als Vergesellschaftung statt Verstaatlichung, und dies auf Dauer!

Bessere Bildung und Ausbildung

Drittens: Lassen Sie uns auch in diesen unsicheren Zeiten in die Zukunft sehen - auf die unserer Kinder und jungen Menschen. Für manchen ist es schon zu spät: Abgedrängt in die Hauptschulen, keine Chance auf Ausbildung, wenig Lebensperspektiven. Einiges haben wir bewegen können, damit auch sie eine neue Chance finden - aber es ist viel zu wenig, und ohne eine grundlegende Reform unseres Bildungswesens werden wir zu viele Kinder und Jugendliche im Abseits stehen lassen. Bildungsreform beginnt in der Kita mit deutlich besserer Bezahlung und höherer Wertschätzung der Erzieherinnen und setzt sich mit der integrierten Gesamtschule fort - von der Köln dringend mindestens eine mehr braucht. Und sie reicht über die gute Ausbildung bis hin zu den Hochschulen. Wir brauchen keine Studiengebühren, sondern mehr Geld für die Bildung und eine bessere Lehre. Bildungsreform ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und die wollen wir doch für die Kinder und jungen Menschen in unserer Region.

Wir Kölner Gewerkschaften erwarten, dass unsere Vorschläge ernst genommen, dass sie diskutiert werden und dass sie sich wiederfinden in dem, was die Parteien 2009 den Wählerinnen und Wählern vorlegen. Das Image der Kandidaten, das Design der Plakate sind wichtig, aber das reicht nicht, um zu überzeugen. Die Wähler sind kritisch geworden - auch die Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften.

Wir bleiben Einheitsgewerkschaft, wir sagen allen Parteien, was wir von ihnen erwarten und was wir zu kritisieren haben. Aber wir suchen auch Bündnispartner in der Politik. Eigenständigkeit der Gewerkschaften heißt weder bestimmten Leuten nach dem Munde reden, noch ihnen immer auf den Füssen herumstehen, sondern seine eigenen politischen Ziele verfolgen - und dies mit Nachdruck.

Mir bleibt es jetzt auf Wiedersehen zu sagen - das meine ich wörtlich, denn mein Lebensmittelpunkt bleibt diese Stadt. Dank an alle für die gute Zusammenarbeit besonders den Mitgliedern des Regionsvorstandes, den Gewerkschaften, allen meinen Kolleginnen und Kollegen - es war eine tolle Zusammenarbeit - Dank auch an unsere Gesprächspartner in der Wirtschaft, in der Politik, bei den Kirchen und den gesellschaftlichen Organisationen. Wir waren hier und da anderer Meinung, verfolgen unterschiedliche Ziele oder auch gegensätzliche Interessen - das haben wir immer gewusst und auch wenn nötig öffentlich gesagt. Aber wir haben uns auch ebenso wenig gescheut, gemeinsam aufzutreten, und das hat genützt - in erster Linie den Menschen in unserer so schönen Stadt. Ich wünsche viel Glück, viel Erfolg. Es war eine schöne Zeit. Vielen Dank.  (PK)

Online-Flyer Nr. 169  vom 22.10.2008



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