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Arbeit und Soziales
Diese Krise ist vor der Krise
Zu wenig Nachhaltiges
Von Hans-Dieter Hey

Seit Jahren machten kritische Wissenschaftler und Nichtregierungsorganisationen auf den verantwortungslosen Zustand in den Finanzmärkten aufmerksam und stießen bei der Schwarz-Roten Koalition auf taube Ohren. Nachdem diese nun zusammenzubrechen drohten, fordern manche, das "Casino der Abzocker" endlich zu schließen. Bisher ist ein „Irgendetwas" herausgekommen, was viele „Rettungspaket" nennen, aber keine nachhaltige Lösung ist.

Merkels Aussitzen der Krise ging daneben


Spätestens vor einem Jahr hätte das Ausmaß der Krise auch von der gegenwärtigen Bundesregierung erkannt werden müssen. Doch die glänzte bis zum Fast-Kollaps durch Untätigkeit. Sie hätte auch schlecht verkaufen können, dass der Koalitionsvertrag, in dem noch die Deregulierung der Finanzmärkte, der Vorzug der privaten Versicherung, der Abbau überflüssiger Regulierungen, der Ausbau des Verbriefungsmarktes oder „kreative" Finanzmarktleistungen enthalten waren, durch die aufkommende Krise bereits damals hätte korrigiert werden müssen. Und die hat sich ja nun als nicht dem „Wohle des Deutschen Volkes", sondern als seinem Nachteil dienend herausgestellt. Merkel handelte dem Land gegenüber völlig unverantwortlich, weil bereits im Jahresbericht des Weltwirtschaftsforums vom Januar 2007 in der Studie „Global Risks" das Platzen der Finanzblase vorausgesagt und der weltweite Schaden auf Eintausend Milliarden Doller geschätzt wurde.

Das Aussitzen der bereits bekannten Krise, das Merkel offenbar von Helmut Kohl gelernt hat, ist nun gründlich in die Hose gegangen. In Deutschland werden sich demnächst die ökonomischen Probleme türmen. Die Wachstumsträume sind innerhalb von Tagen auf 0,2 Prozent zusammengeschrumpft, das Ziel der Haushaltskonsolidierung wird mindestens auf das Jahr 2011 verschoben. Die Aktien befanden sich blitzartig im freien Fall – vorübergehende Erholung beruhigt da nicht wirklich. Bei der Zuverlässigkeit der Daten, die man derzeit erhält, sind belastbare Aussagen ohnehin nicht möglich. Und wenn einige wie Arbeitsminister Olaf Scholz von Vollbeschäftigung trotz drohender Rezession schwafeln, machen sie sich zur Lachnummer – oder sie spielen das Spiel der verlogenen Statistik mit, wie die meisten Medien auch. Als Angela Merkel Montagabend in der ARD-Sendung „Farbe bekennen" behauptete, sie trete seit langem für eine Regulierung des Finanzmarktes ein, wäre jeder Lügendetektor heftig ausgeschlagen. Und nun spielt sie sich als Retterin Deutschlands auf – mit Geld, das ihr nicht gehört.   

„Rettungspaket" bleibt im System

Um der gegenwärtigen tiefsten Krise des Kapitalismus seit 1929 zu begegnen, wurde ein „Rettungspaket" geschnürt, das bis Samstag durch Bundestag und Bundesrat gepeitscht werden soll. Insgesamt sollen die Steuerzahler bis zu 500 Milliarden Euro garantieren – ungefähr die gesamten Steuereinnahmen eines Jahres oder 20 Prozent der von allen erwirtschafteten Gesamtleistung in unserem Land. Das entspricht etwa dem, was George W. Bush für die Finanzkrise in den USA bisher locker gemacht hat und zeigt das wahre Ausmaß der Krise, die von den Medien immer noch beschönigend wie ein Unfall gehandelt wird. In den aktuellen Haushalt werden rund 120 Milliarden Euro eingestellt, vom denen 65 Prozent durch den Bund und 35 Prozent durch die Länder getragen werden sollen. Um Banken aus der Klemme zu helfen, sollen sofort bis zu 80 Mrd. Euro zur Verfügung gestellt werden, indem sich der Staat in dieser Höhe an den Banken mit Schieflage beteiligt oder faule Kredite aufkauft. Dafür will er bei der Geschäftspolitik dieser Banken mitreden und ins operative Geschäft eingreifen. Mit welcher tatsächlichen Wirkung, wird dabei aber nicht gesagt. Auch soll nur „systemrelevanten Instituten" Hilfe zuteil werden. Und dazu soll Banken mit Hilfe von Bilanzierungstricks ermöglicht werden, „belastete" Bilanzposten anders zu bewerten, als bisher. Eine wirkliche und nachhaltige Lösung hört sich anders an. Inzwischen trifft Merkels Vorlage  fast wie ein „Ermächtigungsgesetz" deshalb auch auf nachdenkliche Parlamentarierer.

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de


Derzeit spielen sich viele als Mitretter auf. Beispielsweise der Fraktionschef der Grünen, Fritz Kuhn: „Wie brauchen eine intelligente Verstaatlichung", weil es ansonsten schwer zu legitimieren sei, dass Gewinne im Bankensektor privatisiert und Verluste sozialisiert werden – so gegenüber der Agentur Reuters am 13.Oktober. Das ist übrigens der gleiche Herr Kuhn, dessen grüne Partei in der rot-grünen Regierung dem „Finanzmarktförderungsgesetz" zugestimmt hat, dessen Ziel die Senkung der Staatsquote war, die dem Handel mit faulen Kreditgeschäften, der Ausbeutung staatlichen Vermögens durch „PPP" (Public Private Partnership), durch riskante Kreditverbriefungen oder die Steuerbefreiung bei Unternehmensverkäufen (Heuschreckengewinne) Tür und Tor geöffnet und diese Krise mit heraufbeschworen hatte.

Da ist weiter Mitretter Josef Ackermann. Der Mann mit dem Victory-Zeichen darf nun Angela Merkel als Berater in der Krise dienen. Und Victory-Ackermann gehörte zu denjenigen, die dieses Abzocksystem mit auf die Spitze getrieben und sich dabei einen besonders fragwürdigen Ruf eingehandelt hatte. Die Genehmigung zur Krisenbewältigung holte sich Angela Merkel bei Mitretter und Bundespräsident Horst Köhler, der populistisch von den Finanzjongleuren mehr Bescheidenheit fordert. Horst Köhler war Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF). Heiner Geissler hat diesem Direktorengremium 2003 vorgeworfen, die von Wirtschaft und Lobby geforderte „kriminelle Politik" fortzusetzen. Und über diesen IWF wird weiter unten noch zu reden sein. Am Tisch darf auch Mitretter Jörg Asmussen sitzen. Merkels Staatssekretär im Bundesfinanzministerium hat sich besonders für die in Verruf gekommenen Verbriefungen starkt gemacht, und sich auf ein Gutachten der Boston Consulting Group berufen – einer Lobby-Organisation der Finanzwirtschaft, so die Nachdenkseiten.

Ausbleibende Antworten


Neben den „Feuerwehrmaßnahmen" der Regierung fehlt es bisher an dauerhaft wirksamen Lösungen. Vor allen an solchen, die den Finanzhaien im großen Becken der Abzocker das Handwerk legen und stabile und strenge staatliche Aufsicht bringen. Diese Regierung hat zwar – allen Meldungen zum Trotz – eine Verstaatlichung im Sinn, aber eine die die Verluste aus der Krise der Allgemeinheit aufhalsen soll. Die Aufsicht soll sich hingegen lediglich auf die krisengeschüttelten Banken beziehen und das auch nur bis Ende 2009. Nach Verstaatlichung im Sinne von demokratischer Kontrolle hört sich das nun gar nicht an.


Nach demokratischer Kontrolle sieht die Lösung nicht aus

Aus der Finanzwirtschaft kommen indessen Forderungen, kriselnde Banken zu verstaatlichen, wie zum Beispiel vom ehemaligen Chef der Deutschen Bank, Hilmar Kopper. Doch die sind mit Vorsicht zu genießen. Auch „Die Welt", die Verstaatlichung immer als Teufelswerkzeug des Kommunismus bezeichnet hat, ruft sie am 8. Oktober herbei. Hintergrund dürfte hier wohl der alte Kapitalistenspruch sein: „Privatisiert die Gewinne – sozialisiert die Verluste!". Eine Verstaatlichung des Banken- und Finanzsystems kann nur dann sinnvoll sein, wenn sie dauerhaft demokratische Kontrolle mit sich bringt.

In Merkels bisher bekannt gewordenem „Werkzeugkasten" gibt es jedenfalls keinen konkreten Vorschlag, die Finanzwirtschaft dadurch zur Raison zu bringen, dass Regelungen geschaffen werden, die sie endlich in den Dienst der Menschen stellen. Vor allem gibt es von Merkel kein Wort dazu, dass sich die Verursacher der Krise an einer Lösung beteiligen, kein Wort zur fragwürdigen Rolle von Hedge-Fonds, keine Lösung zu PPP, zu einem Verbot von Auslagerungen von Bilanzwerten in Steueroasen und deren Austrocknung und zu den vielen fragwürdigen Finanzierungsinstrumenten, die allesamt verboten gehören oder zumindest stark reguliert werden müssten. Auch „die Gewährsträgerhaftung für Sparkassen muss wieder her", so Professor Herbert Schui in der FTD vom 9. Oktober. Sie bedeutet die gegenseitige Absicherung in Krisenfällen. Gerade die Sparkassen haben in dieser Krise größte Stabilität gezeigt, doch offenbar will Merkel auch weiter ohne Gewährsträgerhaftung der Banken untereinander auskommen. Nichts von Angela Merkel zu einer Börsensteuer oder einer Finanztransaktionssteuer, wie DIE.LINKE und attac dies fordern, damit die Bürgerinnen und Bürger wenigstens davon mitprofitieren.

Allein in den letzten zehn Jahren sind die Privatvermögen der Reichen um 1.000 Milliarden Euro zu Lasten der Lohnabhängigen gestiegen, so ver.di in „Absturz der Finanzmärkte" vom Monat Oktober, und vor allem diese Unersättlichen haben den Finanzsektor jenseits der realen Wirtschaft dermaßen aufgebläht und zum Platzen gebracht. Die Nichtregierungsorganisation attac fordert deshalb eine Millionärssteuer von mindestens 1,5 Prozent auf ihre enormen Vermögensgewinne, um zur Krisenbewältigung beizutragen. Das würde schon mal 30 Milliarden Euro in die Staatskasse spülen. Die Organisation attac ruft zu einer Protestkundgebung am 30. Oktober vor dem Berliner Finanzministerium auf.  (Ein Unterstützungsaufruf dazu finden Sie hier) Stattdessen besteht die Regierung weiter auf „Entlastungen" bei großen Erbschaften. Die Leidtragenden einer solchen Entscheidung werden die lohnabhängigen Steuerzahler, Erwerbslose und Rentner sein. Dabei müsste die Existenzsicherung durch Hartz-IV dringend nach oben angepasst werden. Und Rentner „werden die Krise spätestens 2010 zu spüren bekommen", prophezeit der Sozialverband VdK, denn deren Rentenerhöhung dürfte nun ausfallen. Und alle werden dadurch betroffen sein, dass wichtige staatliche Aufgaben nicht mehr finanzierbar sind oder zumindest verschoben werden müssen. Prof. Dr. Gunnar Winkler vom Wohlfahrtsverband Volkssolidarität am 14. Oktober: „Wir warnen davor, die Finanzmarktkrise auf Kosten der Bürger und des Sozialstaats zu lösen.“ 

Diese Krise ist vor der Krise

Demnächst wird in den krisengeschüttelten Ländern eine enorme Konzentration von Banken und Finanzinstituten stattfinden, die künftig durch ihre gewachsene Macht noch mehr Druck auf politische Entscheidungen ausüben werden. Schon wird von manchen der Ruf laut, eine „Weltfinanzaufsicht" dem Internationalen Währungsfond (IWF) zu übertragen - ausgerechnet ihm, dem Kritiker seit Jahren ein völlig unzureichendes Krisenmanagement vorwerfen, der eine neoliberale Weltwirtschaft anstrebt, der die öffentliche Daseinsfürsorge, die Trinkwasservorräte und die Bildung privatisieren will und der geholfen hat, die ärmsten Länder der Welt vollends in den Ruin zu treiben. So wirft der Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz dem IWF vor, besonders unter dem Einfluss der US-Wirtschaft zu stehen. Wenn gerade dieser IWF nun die Kontrolle der Finanzmärkte übernehmen soll, könnte es wirklich irgendwann zum letzen kapitalistischen Crash kommen.


Weiter wie bisher?
Plakat: arbeiterfotografie.com

Niemand wird in der Lage sein, solche supranationalen Organisationen politisch zu kontrollieren oder zu sanktionieren, geschweige denn die dort handelnden und entscheidenden Menschen. Mächtige Staaten wie die USA oder andere könnten aufgrund ihrer Macht künftig den IWF dazu benutzen, um zum Beispiel den gesamten europäischen Bankensektor komplett in die Knie zu zwingen, wenn sie damit aus den eigenen Schwierigkeiten heraus kämen. Der Druck, den die USA vor einigen Tagen aufgebaut hatten, um die Europäer finanziell an der Lösung ihrer eigenen Krise zu beteiligen, gab darauf schon mal einen Vorgeschmack. Angela Merkels bis heute verfolgtes Ziel eines verstärkten „transatlantischen Bündnisses" mit den USA sollte schon deshalb besonders kritisch betrachtet werden.
 
Deutschland als größtes Land in der EU sollte sich vielmehr schleunigst europäische Verbündete suchen, um wirksam Druck auf das gegenwärtige Finanzsystem auszuüben und um irreale Finanzmärkte und Steueroasen auszutrocknen. Finanzmärkte müssen die Produktion finanzieren und dürfen nicht länger zur Selbstbereicherung von Wenigen dienen. Sie müssen wieder frei von jeder Abzockerei in den Dienst der Menschen gestellt werden.

„Vom Finanzkapital getriebene Märkte" – meinte Karl Marx einst – „streben immer nach Unvollkommenheit, indem sich die Teilnehmer durch Größe Vorteile verschaffen." Deshalb muss das Finanzsystem in den Europäischen Ländern aufeinander abgestimmt demokratisch überwacht werden, um das Wort Verstaatlichung zu vermeiden. Es muss auch einen Schutz gegen fremde Übermacht entwickeln. Das ist deutlich mehr, als kurzfristige Eingriffe in die Geschäftspolitik von Wackelbanken und vorübergehende staatliche Garantien. Sichtet man die bisherigen Vorschläge zur Krisenbewältigung, sieht es nach einer nachhaltigen Lösung nicht aus. Dann also bis zur nächsten Krise, vielleicht mit Einsatz der Bundeswehr im Inneren. (HDH)



Online-Flyer Nr. 168  vom 15.10.2008



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