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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Inland
Berlin genehmigte 2007 mehr Rüstungsexporte als je zuvor – Teil I
Den Tod bringen Waffen aus Deutschland
Von Jürgen Grässlin

Seit Jahren rangiert Deutschland unter den Top Ten der Weltwaffen-exporteure. Als „Europameister“ lieferte die Bundesrepublik 2007 für 3,395 Milliarden US-Dollar Waffen in alle Welt – so viel wie nie zuvor. Das dokumentiert der Bericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI 2008 für das Vorjahr. Panzer, Kampfflugzeuge oder Kriegsschiffe, Gewehre und Munition wurden „ganz legal“ an Krieg führende NATO-Staaten und an Menschenrechte verletzende Länder geliefert. Wie in den Vorjahren bricht die Bundesregierung damit erneut ihre eigenen „politischen Grundsätze“ zum Rüstungsexport.


Bild des Aachener Wandmalers Klaus Paier
Quelle: KAOS Kunst- und Video-Archiv
Dass Deutschland auch bei den legalen Exporten so genannter „Kleinwaffen“, wie Gewehre und Maschinenpistolen, neue Rekorde erzielt, musste die Bundes-regierung bereits in ihrem Rüstungsexport-bericht 2006 eingestehen. Jüngst konnten Friedens-organisationen sogar den illegalen Export von G36-Gewehren ins Krisengebiet am Kaukasus nachweisen, was weltweit Aufsehen erregte.
 
Auch bei zivil wie militärisch einsetzbaren „Dual-Use-Gütern“ betreibt die Bundesregierung Außenwirtschaftsförderung statt restriktiver Rüstungsexportkontrolle. Aktuelles Beispiel sind Mercedes-Lkws mit israelischen Streumunitionswerfern in Georgien – die persönliche Unterstützungserklärung auf der DFG-VK-Website www.wir-kaufen-keinen-mercedes.de ist deshalb wichtiger denn je.

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
 
Durch die von der DFG-VK mitinitiierte „Waldkircher Erklärung gegen den Rüstungsexport“ gibt ein breites Bündnis von friedenspolitischen, kirchlichen und gewerkschaftlichen Organisationen dem Widerstand eine gewichtige Stimme. Denn wir dürfen nicht länger hinnehmen, dass deutsche Außenhandels- und Wirtschaftspolitik als Kriegsunterstützungspolitik betrieben wird.
 
Europameister Deutschland
 
Die vom Stockholm International Peace Research Institute im SIPRI YEARBOOK 2008 veröffentlichten Angaben über die führenden Lieferanten konventioneller Großwaffensysteme belegt, dass sich Deutschland auf Platz 3 der Weltwaffenlieferanten stabilisiert hat. Mit Rüstungsexporten im Umfang von 3,395 Milliarden US-Dollar (2007), im Vorjahr waren es noch 2,891 Mrd. Dollar gewesen, beansprucht die Bundesregierung zu Recht einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.
 
Denn die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats zählen gleichsam zu den führenden Rüstungsexporteuren der Welt. Insgesamt exportierten die USA (Rang 1), Russland (2), Frankreich (4), Großbritannien (5) und China (9) 71 Prozent – also fast drei Viertel – aller Panzer, Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe. Im Auftrag der „Weltfriedensorganisation“ UNO sammelten sie bei so genannten „humanitären Interventionen“ anschließend genau die Waffen mit militärischer Gewalt ein, die sie zuvor zum Profit ihrer eigenen Rüstungskonzerne exportiert hatten.
 
Licht im Dunkel legaler Waffendeals
 
Wer Licht ins Dunkel deutscher Rüstungsexporte bringen will, kann sich – neben besagten SIPRI YEARBOOKS – weiterer Jahresberichte bedienen. Seit 1997 publiziert die „Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung“ (GKKE), in der sich die beiden großen christlichen Kirchen zusammengeschlossen haben, einen jährlichen Rüstungsexportbericht. Dieser beleuchtet mit der gebotenen kritischen Distanz deutsche Waffentransfers.
 
Die Bundesregierung publiziert ihrerseits seit 1999 einen Jahresbericht über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter, im Folgenden kurz „Rüstungsexportbericht“ genannt. In ihm können interessierte Bürgerinnen und Bürger mit immenser Zeitverzögerung nachlesen, welches Land in welchem Umfang genehmigterweise deutsche Waffen, deren Bestandteile oder Munition erhalten hat. Welcher Waffentyp von welchem Rüstung produzierenden Unternehmen zu welchem Zeitpunkt exportiert worden ist, bleibt geheim. Von den jährlich 10.000 genehmigungspflichtigen Rüstungsexporten werden allenfalls einige wenige politisch folgenschwer öffentlich bekannt, Transparenz herrscht kaum. Ein Recht auf Mitsprache haben weder der Bundestag, noch die Bundesbürger. Schlimmer noch: In den letzten drei Jahren wurde der Rüstungsexportbericht nicht einmal mehr im Bundestag beraten, er wurde einfach nur noch publiziert.
 
Entscheidungen unter Ausschluss der Demokratie
 
Grundlage der Rüstungsexportkontrolle ist in Deutschland Artikel 26 (2) des Grundgesetzes: „Zur Kriegführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden.“ Das Nähere regeln das Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) und das Außenwirtschaftsgesetz (AWG).
 
Politisch brisante Rüstungsexporte, beispielsweise Waffenlieferungen für Israel, die Türkei, Saudi-Arabien oder den Irak, werden im geheim tagenden Bundessicherheitsrat beschieden. Diesem gehören neun stimmberechtigte Mitglieder an. Als Bundeskanzlerin leitet Angela Merkel (CDU) die Sitzungen. Frank-Walter Steinmeier (SPD) als Bundesminister des Auswärtigen, Franz Josef Jung (CSU) als Bundesminister der Verteidigung, Peer Steinbrück (SPD) als Bundesminister der Finanzen, Wolfgang Schäuble (CDU) als Bundesminister des Innern, Brigitte Zypries (SPD) als Bundesministerin der Justiz, Michael Glos (CSU) als Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Thomas de Maizìere (CDU) als Chef des Bundeskanzleramts sowie – seit der Bundestagswahl 1998 – auch die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD), sind gleichsam stimmberechtigte Mitglieder. Bei Bedarf können weitere Bundesminister und der Generalinspekteur der Bundeswehr beratend teilnehmen.
 
Freifahrtschein für die Pro-Export-Fraktion
 
Hatten die Regierungen vor Rot-Grün im Bundessicherheitsrat einvernehmliche Entscheidungen zur Voraussetzung erhoben und Vetos einzelner Mitglieder als Exportblocker akzeptiert, wurde mit der Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder und seinem Stellvertreter Joschka Fischer das Prinzip der Mehrheitsentscheidungen eingeführt. Was demokratisch klang, stellte seither einen Freifahrtschein für die starke, wirtschaftsorientierte Pro-Export-Fraktion dar.
 
Zur Beruhigung des Gewissens einer zuweilen durchaus rüstungsexportkritischen Parteibasis ließen Fischer und Wieczorek-Zeul wiederholt durchblicken, dass sie in verschiedenen Fällen gegen besonders bedenkliche Rüstungsexporte votiert hatten. Da aber keine der Führungskräfte beider Regierungsparteien in der siebenjährigen Amtszeit der Rot-Grünen-Bundesregierung die Koalitionsfrage stellte – weder bei Rüstungsexporten an Krieg führende Staaten noch bei Waffentransfers an Menschenrechte verletzende Regime – besaß dieses Abstimmungsverhalten allenfalls Alibifunktion. Bereits unter Rot-Grün brachen fast alle Dämme, lediglich die recht überschaubare Embargoliste von momentan gerade mal 17 Staaten gilt als Exporthemmnis. Länder wie Saudi-Arabien, der Iran, Israel, Libyen oder Pakistan waren im Rüstungsexportbericht 2006 darauf nicht zu finden.[1]
 
Jahr für Jahr Bruch der „Politischen Grundsätze“
 
Noch im Januar 2000 hatte die von der SPD und Bündnis 90/Die Grünen eine durchaus vielversprechende Neufassung der „Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ verabschiedet. Seither sollte der Menschenrechtsfrage beim Rüstungsexport besonderes Gewicht beigemessen werden. Einer der Kernsätze der Allgemeinen Prinzipien lautet, dass „der Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungs- und Endverbleibsland bei den Entscheidungen über Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern besonderes Gewicht beigemessen“ wird.[2]
 
Wer sich der Hoffnung einer fortan an Menschenrechten orientierten deutschen Rüstungsexportpolitik hingegeben hat, muss sich bitter enttäuscht sehen. Bereits Rot-Grün brach die eigenen Vorsätze in den sieben Jahren ihrer Regierungszeit vielfach, seit 2005 setzt die CDU/CSU-SPD-Regierung diese Förderungspolitik im Rüstungsexportbereich noch hemmungsloser fort.
 
Der „aktuelle“ Rüstungsexportbericht der Bundesregierung – der üblicherweise ein bis eineinhalb Jahre nach den erfolgten Waffentransfers publiziert wird – dokumentiert für 2006 umfangreiche Waffenlieferungen in Menschenrechte verletzende Staaten wie die USA, die Türkei, Pakistan, Indien u.v.a.m. Ein Blick in den Jahresbericht 2007 der Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) belegt das ganze Desaster der deutschen Rüstungspraxis:
 
Waffen für den NATO-Partner USA
 
Im Jahr 2006 lieferte Deutschland laut Rüstungsexportbericht der Bundesregierung Waffen im Wert von 571,6 Millionen Euro an den NATO-Partner USA, die damit erneut führender Empfänger deutscher Waffen war. Die US-Army erhielt u.a. Kampfhubschrauber, Teile für Kampfflugzeuge und Panzer, gepanzerte Fahrzeuge, Scharfschützengewehre, Maschinenpistolen und Munition.[3]
 
Für eben dieses Jahr 2006 belegt amnesty international eine Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen seitens der USA, die an dieser Stelle nur exemplarisch benannt werden können: „Aus den USA wurden … Berichte über Polizeibrutalität und über Misshandlungen an Gefängnisinsassen bekannt. Im Jahr 2006 starben mehr als 70 Menschen, denen die Ordnungskräfte mit Taserwaffen Stromstöße versetzt hatten. In 14 US-Bundesstaaten wurden insgesamt 53 zum Tode verurteilte Personen hingerichtet.“ Des Weiteren befanden sich „auf dem US-Marinestützpunkt Guantánamo Bay auf Kuba sowie im Irak und in Afghanistan nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren in US-amerikanischer Gefangenschaft“. US-Präsident Bush räumte „die Existenz eines vom Geheimdienst CIA betriebenen Programms unbestätigter Inhaftierungen ein. Berichte legten die Vermutung nahe, dass US-Soldaten im Irak für extralegale Hinrichtungen verantwortlich waren.“[4] Ergänzend sei auf die immense Anzahl weiterer schlimmster Menschenrechtsverletzungen verwiesen, die die US-Army bei ihren Kriegseinsätzen im Irak und in Afghanistan verübten. (PK)
 
[1] Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik
für konventionelle Rüstungsgüter im Jahre 2006 (Rüstungsexportbericht 2006), Anlage 3 „Waffenembargos im Jahr 2006“, S. 95 ff.
[2] Politische Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern, I. Allgemeine Prinzipien, S. 2
[3] Rüstungsexportbericht 2006, S. 23
[4] amnesty international (ai): Jahresbericht 2007, S. 472 f.

Teil II dieser Analyse bringen wir in der nächsten NRhZ. Da geht es um weitere problematische Empfängerländer wie die Türkei, Nigeria, Kolumbien Indien und Pakistan.
 
Um der dramatischen Fehlentwicklung im Bereich der Rüstungsexporte aktiv entgegen zu treten, trafen sich im Sommer 2007 auf Einladung eines regen SPD-Ortsverbands VertreterIinnen des DGB Südbaden, der GKKE, der DFG-VK, des RüstungsInformationsBüros, des Deutschen Aktionsnetzes Kleinwaffen Stoppen, der Kampagne gegen Rüstungsexport bei Ohne Rüstung Leben, der deutschen Sektion von Pax Christi, der Katholischen Arbeiterbewegung sowie der Partei Die Linke und Interessierte in Waldkirch bei Freiburg.
 
Die gemeinsam verabschiedete „Waldkircher Erklärung gegen Rüstungsexporte“ findet sich auf der Website www.dfg-vk.de, ebenso wie die Unterschriftenlisten zum Herunterladen. In ihr fordern die UnterzeichnerIinnen die Mitglieder der Bundesregierung, des geheim tagenden Bundessicherheitsrates und die Parlamentarier nachdrücklich auf, sich auf ihre friedensethische Verantwortung zu besinnen, Export von Waffen und Munition äußerst restriktiv zu handhaben, mehr Transparenz bei Rüstungsexporten einzuführen und vollständig auf staatliche Absicherungen von Rüstungsgeschäften (Hermes-Bürgschaften) zu verzichten.
 
Bis heute haben mehr als 12.000 UnterstützerInnen die „Waldkircher Erklärung“ unterzeichnet. Unterstützen auch Sie die „Waldkircher Erklärung“. Die Unterschriftenlisten sollen im Dezember 2008 Mitgliedern des Bundessicherheitsrats übergeben werden. Nur durch eine breite öffentliche Gegenreaktion kann zur Umkehr in der Rüstungsexportpolitik bewegt werden.
 
Wichtige Websites: www.dfg-vk.de, www.rib-ev.de (mit aktuellem Rüstungsexport-Weblog und DAKS-Newsletter zu Kleinwaffenexporten) und www.juergengraesslin.com (Stichworte „Buchautor“ und „Rüstungsexporte“)
 
Jürgen Grässlin ist Bundessprecher der DFG-VK, Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD), des Deutschen Aktionsnetz Kleinwaffen Stoppen (DAKS) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüro (RIB e.V.). Er ist Verfasser einer Vielzahl von Büchern über Waffenexporte, Auto- und Rüstungskonzerne.

Online-Flyer Nr. 167  vom 08.10.2008



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