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Globales
Die mortalen Interessen der USA in Lateinamerika, Teil 1
Nach der Schonzeit
Von Wolf Gauer

Am 11. September, 35 Jahre nach dem von der US-Regierung gewollten und unterstützten Militärputsch gegen die legitime Regierung Allende Chiles, wurde den US-amerikanischen Botschaftern in Bolivien und Venezuela das Agrément entzogen. Zur Vergeltung verabschiedete Washington den bolivianischen Geschäftsträger, worauf auch Venezuela seinen Gesandten aus den USA abzog. In beiden Ländern war offenbar geworden, wie die US-amerikanischen Geschäftsträger gegen die Integrität ihrer Gastländer konspirierten.

Thomas Shannon
Tom Shannon       
Ihre Aktivitäten sind Teil der umfassenden Strategie Washingtons in Südamerika, und die Ereignisse in Bolivien haben ihre Vorgeschichte. Ihr Zusammenhang und die eingesetzten Mittel werden von den Konzernmedien verschwiegen: „We are back“ verkündete Anfang April Tom Shannon, US-Unterstaatssekretär für Angelegenheiten der westlichen Hemisphäre, im elitären „Council of the Americas“. Die Artus-Runde der US-amerikanischen Wirtschaftsführer bangte um den Geschäftsgang in Lateinamerika. „Wir sind wieder da... unser Einfluss hat nicht nachgelassen – er hat sich lediglich geändert...“

„Ist so kriminell wie zuvor“ wäre ehrlicher gewesen. Unter US-amerikanischer Führung hatte die kolumbianische Luftwaffe kurz zuvor eine Einheit der sozialistischen Guerillatruppe Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC) auf ekuadorianischem Territorium umgebracht – auch mit der Absicht, einen militärischen Konflikt zwischen der US-Bastion Kolumbien und den eigenständig agierenden Nachbarn Ekuador und Venezuela zu provozieren, die aber nicht in die Falle gingen. Die Krise wurde mühsam beigelegt, das US-hörige Kolumbien entlarvt und isoliert. Das Imperium jedoch „was back“ und hatte klargemacht, wie es seine Vormundschaft in Zentral- und Südamerika behaupten wird: nach bewährten Kissinger-Methoden.

Durchatmen im „Vakuum“

Während knapper fünf Jahre US-typischer Schlächterei in Mittelost hatte Lateinamerika etwas freier durchatmen können. Mancher Staat fand – ungestört – zur eigenen Verfassungsmäßigkeit zurück, wie die Wahlen in Nicaragua, Chile, Argentinien, Ekuador, Bolivien oder Paraguay belegten. Präsidenten von „unten“ lösten diejenigen von Washingtons Gnaden ab. Europa aber sah da nur „Linksruck“ und „linke Achse“ anstatt Rückkehr zu konstitutioneller Rechtmäßigkeit.

Hugo chavez mit bolvarischer Verfassung
Hugo Chávez präsentiert die Bolivarische Verfassung im Taschenbuchformat
Foto: Agencia Brasil

Die USA erklärten die Verläufe schlicht zu Unbotmäßigkeiten im „Vakuum“ (Obama) US-amerikanischer Oberaufsicht. Das Vakuum, so Shannon, habe einer „bestimmten Sichtweise enorme Möglichkeiten“ geboten – eine ungewohnt vorsichtige Anspielung auf den (nach Fidel Castro Ruz) wohl eigenständigsten Politiker der lateinamerikanischen Gegenwart, den venezolanischen Präsidenten Hugo Rafael Chávez Frías, auf dessen historisch fundierte „Bolivarische Revolution“ und auf sein Ziel eines „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“.

Unerträglich ist für die USA, dass während der Schonzeit im lateinischen Hinterhof neue politische Realitäten entstanden sind – in unterschiedlichen Varianten, je nach historischem, ethnisch-kulturellem Hintergrund der einzelnen Länder, aber auch in friedlicher Zusammenarbeit, einer Folge gemeinsamer kolonialer und neokolonialer Erfahrungen.

Da gibt es auf einmal eine gemeinsam e Bank des Südens (Banco del Sur), eine Union der Nationen Südamerikas (Unasur), einen wachsenden gemeinsamen Markt (Mercosur), Wirtschaftshilfe auf Gegenseitigkeit (Alba), einen gemeinsamen Fernsehkanal (Telesur), regelmäßige gegenseitige Konsultationen, diverse Energieabkommen, Abschaffung der Reisepasspflicht und seit dem 1. Juli sogar die „Entdollarisierung“ des Wirtschaftsverkehrs zwischen Argentinien und Brasilien – aus US-amerikanischer Sicht reine Ketzerei, möglich geworden, weil sich der verhängnisvolle Kinderglaube „Was gut ist für die USA, ist auch gut für uns“ allmählich verflüchtigt. In Brasilien war dieses Mantra noch bis in die 80er Jahre zu hören. In Kolumbien und Mexiko, wo Armut und Bildungsdefizite so folkloristisch verstanden werden wie in den USA, ist es weiterhin Credo der Oligarchien.


Banco del Sur repuArg
Die lateinamerikanischen Staatschefs Correa, Morales, Ehepaar Kirchner, Lula, Duarte und Chávez bei der Gründungszeremonie der Banco del Sur
Foto: Republik Argentinien

„George Washington“ is also back

Doch die Schonzeit ist vorbei. Das „We are back“ bedeutet verschärftes Foulspiel vor und hinter den Kulissen. Sichtbar zunächst die Kanonenbootpolitik, die 4. Flotte, der US-Pitbull unterm Kreuz des Südens (siehe Ossietzky 12/08). Flugzeugträger im „Kampf gegen Terrorismus und Drogenhandel“ – zufällig dort, wo Erdöl sprudelt und Konflikte erwünscht sind: vor Venezuela und Brasilien. Dickschiffe auch vor Argentinien während der Kraftprobe zwischen der US-kritischen Regierung Fernández de Kirchner und den lediglich an Export interessierten Großagrariern, die bedenkenlos und unter Risiko eines Bürgerkriegs die Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung infrage stellen.

Die angloamerikanischen Ölmultis, von Chávez aus Venezuela entlassen, zielen nun auf die neu erschlossenen Offshore-Ölreserven Brasiliens ab. Schätzungen sprechen von acht bis maximal 41 Milliarden Barrel, genug, um „sämtliche Raffinerien der US-Golfküste für 16 Jahre zu versorgen“, befindet Strategic Forecasting. Der texanische Schnüffeldienst hat seit eh und je die nationalen Ziele ausgemacht. Sein Vizechef Peter Zeihan meint, der Irak-Krieg, den er „Policing im persischen Golf“ nennt, würde überflüssig werden, wenn Brasilien und Venezuela endlich das Golf-Öl ersetzten. Da lohnt sich doch ein Flugzeugträger wie die nukleargetrieb ene „George Washington“ mitsamt der ganzen, neu formierten 4. Flotte, deren Schlagkraft größer ist als diejenige sämtlicher Luft- und Seestreitkräfte Südamerikas zusammen.

USS George Washington vor Rio im April 2008
Blick von der „USS George Washington" auf Rio (April 2008)

Ein brasilianischer Militärexperte berichtet hinter vorgehaltener Hand, in den USA werde „darüber nachgedacht“, ob Brasiliens Öl wirklich das Öl Brasiliens sei. Die Bohrinseln werden im 200-Meilen-Bereich vor der Küste ausgesetzt, gemäß Internationaler Seerechts-Konvention noch innerhalb der Wirtschaftszone Brasiliens, aber nicht unbedingt sicher vor US-amerikanischer Begehrlichkeit. Brasiliens Öl sei ohnehin „für den Weltmarkt bestimmt“, meint der Trendblogger American Thinker, da sich Brasilien doch mit seinem Zuckerrohr-Biosprit begnügen könne. Lula, Brasiliens Präsident, spricht zwar von „unserem Öl“, riskiert aber nicht das längst erwartete Machtwort. An der Ausbeutung der Offshore-Felder dürfen denn auch Chevron, die Royal Dutch Shell, Norsk Hydro ASA, Exxon Mobil, Devon Energy und Repsol YPF teilhaben. Weitere Ölmultis stehen auf der Warteliste.

Da staunt Hugo Chávez, der die Ölbestände Venezuelas dem eigenen Verbrauch vorbehält (die Gallone Benzin zu 17 US-Cent), soweit er nicht die überkommenen Lieferverträge mit den USA erfüllt oder bedürftigen Staaten mit Öl unter Weltmarktpreis aushilft. Auf einer Mercosur-Tagung am 30. Juni schlug er die Gründung eines Nahrungsmittelfonds vor: 1 US-Dollar pro verkauftem Fass venezolanischen Öls und damit 920 Millionen US-Dollar pro Jahr für die von der weltweiten Biospritstrategie bedrohte Lebensmittelproduktion.

Vorausschauend lässt das Imperium auch zu Lande trommeln und pfeifen: Zunehmend mehr Truppen in Kolumbien, auch an der venezolanischen Grenze, ein anrüchiges Freihandelsabkommen mit Peru, das einen US-Standort in der Provinz Ayacucho einschließt, auch einen Hafen. GIs flanieren in Iquitos, im peruanischen Amazonien, und eine ganze Armee ohne Uniform im brasilianischen Amazonasgebiet. „Humanitäre“ US-amerikanische Nichtregierungsorganisationen versuchen dort die indigenen Bewohner der Reservate zu Eigenstaatlichkeit zu animieren. Rund 240 amazonische Kosovos gelten als machbar – und es ist das Machbare, das US-Amerikaner fasziniert. Nach brasilianischen Schätzungen sind 100.000 NGO-Yankees in Amazonien zugange... (CH)


Lesen Sie in der kommende Ausgabe der NRhZ die Fortsetzung von Wolf Gauers Artikel über die aktuelle Politik der USA in Lateinamerika. Der Hintergrundbericht erscheint mit freundlicher Genehmigung der Zweiwochenschrift für Politik, Kultur und Wirtschaft Ossietzky.

Online-Flyer Nr. 165  vom 24.09.2008

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