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Medien
Deutsche Medien über China: „Greisinnen müssen ins Arbeitslager“
Ein Produkt aus der Fälscherwerkstatt
Von Volker Bräutigam

„Peking schickt alte Frauen in Arbeitslager“. Diese Meldung, eine tückische Fälschung, war typisch für die tendenziöse Berichterstattung deutscher Massenmedien über die Volksrepublik China während der Olympischen Spiele.

Zuerst erschien sie im ZDF. Steffen Seibert in der Nachrichtensendung „heute“ am 20. August: „China organisiert ziemlich perfekte Spiele, es gewinnt auch die meisten Goldmedaillen selber, und es enttäuscht die Welt eigentlich nur in einem: Das Unterdrückungssystem wird auch für Olympia nicht gelockert. Demonstrieren, so hatte es vorher geheißen, sei unter Umständen erlaubt. Jetzt müssen zwei Rentnerinnen, die es wagen wollten, 77 und 79 Jahre alt, womöglich ins Arbeitslager.“ Womöglich – also vielleicht doch nicht?


Foto der beiden alten Frauen aus dem Kölner Stadt-Anzeiger

An Seiberts Moderation anschließend teilte Peking-Korrespondent Johannes Hano mit, die beiden Frauen hätten in einer für die Olympiazeit behördlich ausgewiesenen Protestzone gegen den Abriss ihrer Häuser demonstrieren wollen. In verkorkstem Deutsch: „Doch statt ihren Protest zu genehmigen, wurden die beiden Seniorinnen jetzt zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Das jedenfalls berichtet eine Menschenrechtsorganisation.“ Eine Menschenrechtsorganisation ohne Namen – keine überzeugende Herkunftsbezeichnung für diesen stinkenden Käse.
 
Voll im Trend
 
Auch die Frankfurter Rundschau (sie steht hier für zahlreiche andere Blätter wie den Kölner Stadt-Anzeiger) lag tags darauf, am 21. August, voll im Trend: „Zwei betagte Frauen müssen nach einer Entscheidung der chinesischen Behörden ein Jahr in einem Arbeitslager verbringen, weil sie während der Olympischen Spiele gegen eine Zwangsräumung protestieren wollten.“ Kein Autor, keine Quelle waren angegeben, nur unter einem Foto, das zwei Frauen zeigte, stand: AP. Das Kürzel der US-amerikanischen Nachrichtenagentur Associatetd Press.
 
ZDF, FR & Co. berichteten gewollt irreführend, bewusst falsch. Die Korrespondenten der Deutsche Presseagentur (dpa), Carsten Hoefer und Till Fähnders, hatten nämlich am 20. August gemeldet: „In Peking droht zwei Rentnerinnen Arbeitslager, weil sie in einer der drei olympischen Protestzonen demonstrieren wollten. (...) Die Strafe wurde (...) aber ausgesetzt(...).“ Außerdem gab dpa auch der Gegenseite das Wort: „Ich glaube nicht, dass dies wahr ist. Es muss einen anderen Grund geben.“ (Wang Wei, Generalsekretär der Pekinger Olympia-Organisation BOCOG).
 
Haftverschonung stand im Strafbefehl
 
Zwangsräumungen kommen in der VR China vielerorts und häufig vor, wenn Wohnquartiere saniert oder neu bebaut werden sollen. Die Rechtsmittel gegen das nach unseren Maßstäben rigide behördliche Vorgehen sind dürftig. Manchmal sind Korruption und Übervorteilung im Spiel (genau wie bei uns). Ob die beiden Frauen Wu und Wang wirklich enteignet und begaunert wurden und ergo ihr Protest verständlich ist, wurde vom ZDF so wenig verifiziert wie der Zeitpunkt des Ereignisses: 2001, vor sieben Jahren.
 
Das Pekinger Ordnungsamt hatte den beiden Frauen jetzt aufgrund wiederholter öffentlicher Proteste einen Strafbefehl wegen Störung der öffentlichen Ordnung zugestellt. Sie hatten möglicherweise geglaubt, ihr Alter schütze sie vor solchen Rechtsfolgen. Dass sie angestachelt und vor einen fremden Karren gespannt worden waren, ist nicht erwiesen. Wohl aber, dass der Verein Human Rights in China, HRIC, ihren „Fall“ publizistisch-propagandistisch für seine Zwecke ausschlachtete und westliche Korrespondenten auf die Story aufmerksam machte.
 
Im Gegensatz zur irreführenden ZDF-Formulierung, die zwei Greisinnen müssten „womöglich ins Arbeitslager“ (Seibert) resp. seien „zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt“ (Hano), resp. „müssen ... ein Jahr im Arbeitslager verbringen“ (FR) sieht der Strafbefehl ausdrücklich Haftverschonung vor, wie dpa ja auch gemeldet hatte. Die beiden Frauen müssen die Strafe nicht im Lager verbüßen. Das droht ihnen erst im Fall weiterer Verstöße. Abweichend von der Medien-Agitation wurde der Strafbefehl auch nicht nur wegen der Protest-Gesuche der beiden Frauen ausgestellt, sondern weil sie bereits protestiert hatten und damit weitermachen wollten.
 
Wie schwer in einer Gesellschaft mit konfuzianischer Tradition (Gesamtinteresse geht weit über Einzelinteresse) Verstöße gegen die öffentliche Ordnung wiegen und ob eine Ahndung verhältnismäßig ist, sollte nur bewerten, wer über kulturelle Hintergrundkenntnisse verfügt. Er sollte berücksichtigen: In Deutschland riskiert Geldbußen bis 250 000 Euro, ersatzweise Haft, wer bestimmte gerichtliche Auflagen missachtet. In manchen Staaten der USA darf jeder abgeknallt werden, der unerlaubt die Terrasse eines Privathauses oder ein privates Grundstück betritt.
 
Falschmünzerei
 
Zurück zum 20. August. Hatte der Verein Human Rights in China, HRIC, unvollständig informiert? HRIC hat seinen Hauptsitz in New York. Er firmiert als Non-Government-Organisation (NGO = Nicht-Regierungs-Organisation), wird jedoch wie viele seinesgleichen vom US-Außenministerium „gefördert“. Man könnte auch sagen: benützt. Als ein Rädchen in der Desinformationsmaschinerie Washingtons. Die HRIC-Internet-Seite beschränkt sich auf Anschuldigungen im Rahmen des üblichen schmähenden „China bashing“. Aber selbst sie publizierte am 20. August, was das ZDF und die FR glatt unterschlugen: “(…) The two would be allowed to serve their term outside a camp, but the notice restricts their movements and states that if other regulations are violated they could be moved to a camp.” Zu Deutsch: „(...) Den Beiden sei erlaubt, ihre Strafzeit außerhalb eines Lagers zu verbringen, aber die Anordnung beschränkt ihre Bewegungsfreiheit und konstatiert, dass sie bei weiteren Verstößen in ein Lager gebracht werden könnten.“ Eine Strafandrohung war ausgesprochen, nicht eine Strafe verhängt worden. Dies nicht kenntlich gemacht zu haben, war Falschmünzerei.
 
China unternimmt inzwischen gewaltige Anstrengungen, mehr soziale und rechtliche Sicherheit für sein Milliardenvolk zu entwickeln (während gleichzeitig diese Sicherheiten für Millionen Menschen in unserer Aktionärsdemokratie und Gelddiktatur abgebaut werden) Solche Einblicke haben ZDF & Co. nicht gerade vermittelt. Das aber wäre ihre Aufgabe gewesen.
 
„Nie waren handwerklich und ethisch gut ausgebildete Journalisten notwendiger als heute, um das Überleben des Qualitätsjournalismus in der digitalen Welt zu sichern“, meinte kürzlich ZDF-Intendant Markus Schächter zur Eröffnung des "JugendMedienEvents" in Mainz. Aus Schächters Worten spricht die Angst vor der Konkurrenz des Internet. Dessen Möglichkeiten, vernünftig genutzt, machen vom gewöhnlichen „Qualitätsjournalismus“ unabhängig.
 
Gründe für diesen „Qualitätsjournalismus“
 
Warum aber bewies dieser seine „Qualität“, ausgerechnet während dieser ölympischen Spiele? Die VR China hatte friedliche Spiele für die Welt ausrichten und - auch für den internen Gebrauch - ein positives Bild von sich entwickeln wollen. Sie stand dabei unter ständiger boshafter Beobachtung und Interpretation unserer bürgerlichen "Sport"medien. In einem Ausmaß und in einer Intensität, die den USA oder anderen westlichen Olympia-Ausrichtern in dieser arroganten, hämischen, abwertenden, verächtlichen Form niemals zugemutet würde. Viele Journalisten trieben mit ihrer Freiheit zur Olympiaberichterstattung schäbigen Missbrauch.
 
Ein Freund und guter Kollege schrieb mir aus Sao Paulo, in der brasilianischen Presse seien die Spiele durchgehend positiv bewertet worden, vor allem deshalb, weil auch Sportler gegnerischer, verfeindeter Länder sich ausgezeichnet vertragen haben. Und was boten unsere Medien? „Menschenrechtler ziehen negative Bilanz“ titelten FR und Kölner Stadt-Anzeiger übereinstimmend am 30. August und 1. September übereinstimmend. Solche und vergleichbare Schlagzeilen waren die Regel, zumeist abgekupfert von Instituten wie dem suspekten Verein HRIC.
 
Auftraggeber
 
Damit entsprachen sie den Absichten ihrer internationalen Auftraggeber, den olympischen Frieden unbedingt zu stören (Auftragnehmer u.a. natürlich auch: Saakashvili/„Sorosvili“, Bush, den Hoop, Sarkozy, Merkel) und die Friedfertigkeit wegzuberichten, wenn nicht anders machbar, dann eben mit "Tibet!-Menschenrechte!-Unrechtsstaat!"-Gekläffe, also mit Steinwürfen aus dem Glashaus des Westens. Haben sie bedacht, dass Arroganz, billige Schlagworte und Einmischungsversuche bei der chinesischen Bevölkerung auf ebensoviel Ablehnung stoßen wie bei den Regierenden in Peking? Glaubt irgendjemand im Ernst, mit solch primitiver Agitation einer neoliberalen bis schwachköpfigen Journaille werde etwas für die Menschenrechte erreicht, zum Beispiel der unbedingt wünschenswerte Verzicht auf die Todesstrafe, zu dem bekanntlich unsere imperialen „Freunde“ in den USA ebenfalls nicht zu bewegen sind?
 
Mein Bericht über die Darstellung des Pekinger Oma-Konflikts in FR, ZDF u.a. ist als Schlaglicht auf unsere verkommene Medienwelt zu verstehen, nicht als detaillierte Untersuchung. Es soll unterm Strich nicht nur stehen: „So haben die das sogar in der Olympia-Berichterstattung gemacht“, sondern er soll auch den Rückschluss nahelegen: „Das machen die ständig so.“ (PK)


Volker Bräutigam schreibt auch für die Zeitschrift Ossietzky, Nachfolgerin der "Weltbühne", die dem deutschen Journalismus zu Beginn des vorigen Jahrhunderts zur Ehre gereichte. Ossietzky orientiert sich strikt an diesem Vorbild. (siehe http://ossietzky.net). Eine ähnliche Fassung des Beitrags erschien dort in Heft 18/2008.
 

Online-Flyer Nr. 163  vom 10.09.2008



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