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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Krieg und Frieden
Interview mit Paul Schäfer, verteidigungspolitischer Sprecher der Linken
Quo vadis, Bundeswehr?!
Von Hans-Dieter Hey

„Ich bin dankbar und ein Stück stolz, wie unsere Soldaten hier ihren Dienst leisten...“ sagte „Verteidigungsminister“ Jung am 2. September auf Besuch bei den deutschen Truppen in Afghanistan. Wenige Tage vorher hatten Angehörige der Bundeswehr wiederholt Zivilisten am Hindukush getötet – versehentlich. Doch das muss wohl bei einem äußerst fragwürdigen Einsatz dieser Art mit einkalkuliert sein. Hans-Dieter Hey sprach mit Paul Schäfer, verteidigungspolitischer Sprecher der Linken.

Der Bundestagsabgeordnete mit Wahlkreis in Düren spricht über die in den herrschenden Medien als „Umbau“ oder „Transformation“ bezeichnete Veränderung der Bundeswehr zu einer weltweiten Einsatzarmee, über humanitäre Hilfseinsätze und die deutsche Beteiligung am Krieg in Afghanistan. Die LINKE war die einzige Fraktion, die gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan gestimmt hatte – die Redaktion.

Sie sind in den vergangenen zwei Wochen durch nordrhein-westfälische Bundeswehrstandorte gereist und haben dort stationierte Einheiten besucht. Mit welchem Ziel?

Paul Schäfer
MdB Paul Schäfer
Quelle: Bundestag                                    
Zunächst wollte ich einen konkreteren Eindruck von dem gewinnen, was sich hinter dem gern gebrauchten Begriff „Transformation der Bundeswehr“ verbirgt. Theoretisch ist das ja alles klar: Der Trend geht weg von der Landesverteidigung und hin zur globalen Interventionstruppe. Wenn es aber darum geht, was das für deutsche Militärpolitik – und auch für den einzelnen Soldaten – bedeutet, kommt die Bundesregierung über wolkige Formulierungen nicht hinaus. Diesen zwielichtigen und intransparenten Bereich wollte ich mit eigenen Erfahrungen erhellen.


Welche Erkenntnisse sind für Sie dabei herausgekommen?

Eine Beobachtung ist, dass der Einsatzbezug in der Bundeswehr mittlerweile sehr stark ist: Der Auslandseinsatz wird sozusagen von vorneherein mitgedacht. Ein Beispiel dafür: Bei der Beurteilung neuen Geräts – wie sie beispielsweise in Aachen stattfindet – wird auch die Einsatztauglichkeit in tropischem wie in polarem Klima geprüft. Für die Landesverteidigung braucht man so etwas jedenfalls nicht.

Weiter lässt sich sagen, dass das friedenspolitische Bewusstsein oft nicht besonders ausgeprägt ist. Dazu trägt natürlich auch die hohe Arbeitsteilung bei: Gerade in den nicht kämpfenden Teilen der Truppe neigt man offenbar dazu, die eigene Rolle in einem bestimmten Krieg nicht allzu sehr zu hinterfragen. Weite Teile der Bundeswehr verstehen sich somit in erster Linie als Dienstleister, die die Entscheidungen der politischen Leitung – also des Verteidigungsministeriums – so gut und professionell wie möglich ausführen. Das ist sicher ein berechtigter Standpunkt, aber er wirft auch die Frage auf, auf welchem Wort bei „Staatsbürger in Uniform“ eigentlich die Betonung liegt.

Werbestand der Bundeswehr auf der CeBIT 2005 Foto: gamsbart

Werbestand einer „umgebauten" Bundeswehr auf der CeBIT 2005
Foto: gamsbart

Schließlich kann man feststellen, dass die Transformation der Bundeswehr für viele Soldaten und Soldatinnen auch persönliche Probleme mit sich bringt. Die Neustrukturierung und Zusammenlegung von Einheiten, die Auslandseinsätze – das ist oft alles andere als familienfreundlich und mitunter auch mit erheblichen finanziellen Belastungen verbunden.

Sie haben unsere Rolle im Krieg angesprochen. Welche Rolle spielen die von Ihnen besuchten Einheiten?

Das ist ganz unterschiedlich. Manche sind sehr direkt involviert – wie beispielsweise das Transporthubschrauberregiment in Rheine, das sogar Einsätze für die Spezialkräfte fliegt. Manche sehen ihrer direkten Involvierung entgegen, so beispielsweise der AWACS-Verband in Geilenkirchen, der demnächst möglicherweise den afghanischen Luftraum überwacht.

Viele sind allerdings auch eher Rädchen im Getriebe: Die Gruppe „Weiterentwicklung“ der Technischen Schule Landsysteme in Aachen, das Luftwaffenamt in Köln-Wahn oder das Amt für Geoinformation stehen nicht im direkten Kampf, aber sie organisieren ihn. Und ohne diese Einrichtungen könnte wohl in Afghanistan kein Schuss aus deutschen Gewehren abgefeuert werden. Es ist ein sehr verborgenes Wirken, das nicht auf Krieg ausgerichtet sein muss, den Krieg aber letztlich erst ermöglicht – und das sehr effizient.


koeln wahn Quelle: Luftwaffe Foto: Stefan Gygas
„Stehen nicht in direktem Kampf, aber organisieren ihn...“ – auf größtem Bundeswehrstandort Köln-Wahn | Quelle: Luftwaffe, Foto: Stefan Gygas

Wenn es nicht auf Krieg ausgerichtet sein muss – wie sieht es mit der zivilen Nutzbarkeit aus?

Die ist sicher gegeben, wie bei vielen Einheiten der Bundeswehr. Auch die schon angesprochenen Transporthubschrauber fliegen ja Hilfsgüter in Krisengebiete und Sandsäcke an gefährdete Deiche. Darüber redet man bei der Bundeswehr auch sehr gern. Es bleibt aber die Frage: Warum muss eine Armee her, um solche Aufgaben zu erfüllen? Warum können das nicht zivile Organisationen wie das Technische Hilfswerk oder das Rote Kreuz erledigen? Für Deutschland lautet die Antwort: Die zivilen Organisationen werden systematisch kaputtgespart, damit das Militär seinen Gerätepark auch jenseits kriegerischer Zusammenhänge rechtfertigen und obendrein ein paar Sympathiepunkte sammeln kann.

Parallel zu Ihren Standortvisiten haben Sie auch die Diskussion mit den Bürgern der betreffenden Gemeinden gesucht, wie zum Beispiel in der Alten Feuerwache in Köln. Wie steht die Bevölkerung zur Bundeswehr?

Ich weiß nicht, ob die Besucher meiner Veranstaltungen ein repräsentativer Querschnitt sind. Es entsteht meist ein sehr spannendes Zusammentreffen von zwei bis drei Gruppen mit unterschiedlichen Anliegen: Da ist erstens die Friedensbewegung, der ich mich sehr verbunden fühle, und die oft auch die Organisation der Veranstaltungen stark unterstützt. Hier herrscht großer Diskussionsbedarf über den Weg der Bundeswehr im allgemeinen und die Entwicklung in Afghanistan im besonderen.

Zweitens gibt es Bürger, die unter der Standortpolitik zu leiden haben – besonders in Geilenkirchen, wo Fluglärm und Kerosingestank drängende Probleme darstellen, aber auch andernorts lösen Mietpreisentwicklung und ähnliches bei vielen Sorge aus. Und schließlich gibt es Anwohner, die sich – mit Recht – von der Bundesregierung unzureichend informiert fühlen. Die wollen wissen, was Auslandseinsätze – und wieder insbesondere der Afghanistan-Krieg – für ihre bei der Bundeswehr beschäftigten Freunde, Sportkameraden und Skatbrüder bedeuten, was sie dort tun und was ihnen droht.

Und was tun sie, was droht ihnen?

Die allgemeinen Gefahren eines Krieges sind ja bekannt: Man kann töten müssen. Man kann getötet oder verstümmelt werden. Man kann Dinge sehen und erleben, die seelisch kaum zu verarbeiten sind. Vielen Soldaten fällt die Auseinandersetzung mit dem Risiko, fällt auch die Verarbeitung des erlebten leichter, wenn sie in ihrem Tun einen Sinn erkennen: die Heimat und die Lieben zu verteidigen, beispielsweise. Das Problem ist, dass es einen solchen Sinn in den Auslandseinsätzen der Bundeswehr nicht gibt, und dass das insbesondere in Afghanistan auch immer deutlicher wird.

Peter Strucks Äußerung, auch am Hindukusch werde die Freiheit Deutschlands verteidigt, hat hierzulande ziemlich die Gemüter erhitzt.

Bundeswehrsoldaten im „ISAF-Einsatz“ Foto: Khyperpass
Bundeswehrsoldaten im „ISAF-Einsatz“                 
Foto: Khyperpass
Aber von dieser Lüge ist die Bundesregierung seither nicht mehr abgekommen. Was in Afghanistan in Wahrheit verteidigt wird, ist hauptsächlich das Selbstbild der NATO und eine groteske Idee von Bündnissolidarität. Ich kann verstehen, wenn man dafür nicht sterben möchte. Erst jetzt ist wieder ein Bundeswehrsoldat ums Leben gekommen. Zumal der Einsatz der Bundeswehr unter diesen Vorzeichen ja auch die Lage in Afghanistan nicht bessert, im Gegenteil: Sie beteiligt sich mittelbar – und seit neuestem offensichtlich auch unmittelbar – an der Tötung von Zivilisten; sie schützt und stützt die alten Warlords in ihren neuen Positionen; sie führt einen Krieg, den sie nicht gewinnen kann, unter dem aber die Zivilbevölkerung leidet.


Nicht umsonst haben sich im Mai diesen Jahres 3.000 „Stammesführer“, Parlamentarier und Intellektuelle zusammengefunden und den Abzug der westlichen Truppen gefordert. Ohne Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition, ohne die Stärkung der Zivilgesellschaft und ohne ein Ende des Tötens kann es in Afghanistan nicht vorwärts gehen. Hier sollte die Bundesregierung ansetzen, anstatt weiter der Illusion nachzuhängen, die Vorstellungen der USA mit Waffengewalt durchsetzen zu können.

Vielen Dank für das Interview! (CH)



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von Paul Schäfer

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Foto: die LINKE




Online-Flyer Nr. 162  vom 03.09.2008

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