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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Lokales
Risiken und Nebenwirkungen des parlamentarischen Erfolgs der LINKEn
Rechtzeitig von den Grünen lernen
Von Daniel Kreutz

In einer Veranstaltung der Bildungsgemeinschaft SALZ und des Rosa Luxemburg-Clubs im Ehrenfelder Bürgerzentrum analysierte Daniel Kreutz – früher selbst Mitglied und Landtagsabgeordneter der Grünen – deren Entwicklung zur Hartz- und Balkan-Kriegspartei unter Kanzler Schröder. Die Gefahr, dass DIE LINKE einen ähnlichen Weg gehen könnte, sehen offenbar nicht wenige ihrer Mitglieder auch in Köln (siehe NRhZ 161 und am Schluss dieses Beitrags). Eine rege Diskussion von Daniel Kreutz Vortrag gab es auch bei der Linkspartei in Münster. – Die Redaktion.


Daniel Kreutz war von 1990-2000 sozialpolitischer
Sprecher der grünen Landtagsfraktion
Foto: Hans-Dieter Hey
   
…Es sei daran erinnert, dass die Grünen in Westdeutschland die erste Partei links von der Sozialdemokratie waren, die sich nach dem KPD-Verbot von 1956 erfolgreich parlamentarisch etablieren konnte. Programmatisch waren die Grünen zwischen Mitte der 80er und Mitte der 90er Jahre mindestens so links wie die Linkspartei heute, und die NRW-Grünen standen ab Ende der 80er Jahre auf dem linken Flügel der Bundespartei.

Und eigentlich brachten die Grünen sehr gute Voraussetzungen mit, um ihrer Integration in die bürgerlichen Institutionen und ihrer Assimilierung durch die politische Klasse - also durch die Schicht der so genannten „professionellen“ Politiker, die es auf kommunaler Ebene auch in ehrenamtlicher Ausgabe gibt - zu widerstehen.
 
Ein Großteil der grünen AktivistInnen der 80er Jahre hat sich wenig Illusionen über die Integrationskraft des Parlamentarismus gemacht. Soweit sie nicht direkt aus der damaligen extremen Linken kamen, hatten viele in den autonomen Massenbewegungen gegen Atomenergie und gegen die atomare Aufrüstung den Staat vor allem als Herrschaftsinstrument erfahren, das der Absicherung ökonomischer Macht dient.

Sie hatten schon so Manchen auf dem Marsch durch die Institutionen beobachtet, der immer wieder „links unten“ anfing, um eher „rechts oben“ zu enden. Parteienkritik und Parlamentarismuskritik waren weit verbreitet, sozusagen in Mode - obwohl damals die Wahlbeteiligung noch hoch und die traditionellen Parteibindungen noch weitgehend intakt waren.
 
„Standbein“ und „Spielbein“
 
Die Grünen der 80er Jahre verstanden sich überwiegend als „Anti-Parteien-Partei“, als Bewegungspartei, die in autonomen sozialen Bewegungen ihr „Standbein“ sah, und die den Parlamenten nur ihr „Spielbein“ widmen wollte. Sie wollten die repräsentative Demokratie fortentwickeln mit basisdemokratischen Formen der Selbstorganisation und Selbstverwaltung. Mit ziemlich rigiden Satzungsregelungen wollten sie verhindern, dass sich eine Schicht von BerufspolitikerInnen verfestigt, sich verselbständigt und schließlich die Herrschaft über die Partei übernimmt.
 
Da gab es die Rotation, den regelmäßigen Austausch der Abgeordneten, damit keiner am Sessel kleben kann. Die erste Bundestagsfraktion rotierte sogar zur Mitte der Wahlperiode. Es gab die Verpflichtung, Diäten und Sitzungsgelder weitgehend abzuführen, um einer Gewöhnung an materielle Privilegien vorzubeugen. Am längsten überlebt hat die Regelung zur Unvereinbarkeit von Amt und Mandat. Die sollte verhindern, dass die Berufspolitiker aus den Parlamentsfraktionen zugleich die Parteiführung übernehmen.

 Petra Pau
Besuch bei der Basis im November 2007 - Petra Pau MdB der LINKEN in Köln | Quelle: www.petrapau.de/
 
In diesen Regelungen und in den basisdemokratischen Orientierungen der früheren Grünen, die in den autonomen Bewegungen der 70er und 80er Jahre gleichsam auf’s neue entwickelt worden waren, kann man durchaus ein Wiederaufleben von rätesozialistischen Positionen sehen. Im Rückblick ist allerdings klar: das alles hat nur wenig geholfen. Ich glaube, dass zwei Erklärungsansätze für die Anpassungs- und Integrationsprozesse untauglich sind. Zum einen läuft das nicht nach dem schlichten Motto „verräterische Führung gegen radikale Basis“. Dass die professionellen Meinungsführer der eigenen politischen Klasse eine wichtige Rolle dabei spielen, ist unbestritten. Aber sämtliche politische Entscheidungen, in denen die Verwandlung der Grünen sich schrittweise vollzogen hat, haben die Zustimmung einer Mehrheit der gewählten Parteidelegierten gefunden. Und wegen des Minderheitenschutzes bei den Delegiertenwahlen waren die linksoppositionellen Strömungen in den Gremien stets angemessen vertreten.
Meine These ist deshalb, dass der parlamentarische Erfolg und schließlich die Regierungsbeteiligung nicht nur die Führung, sondern auch die Basis verändert. Die zweite untaugliche Erklärung ist individuelle Korrumpierung. In den drei Jahren der grünen Selbstveränderung unter der rot-grünen Landesregierung spielten Karrierismus oder die Sicherung einer privilegierten Position allenfalls eine marginale Rolle. Auch die meisten Realos waren damals noch in erster Linie Überzeugungstäter. Viel näher an der Wahrheit ist der Spruch, dass der Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert ist.
 
Grundlagen der Anpassungsprozesse
 
Die Grundlagen für die Anpassungsprozesse entstehen gleichsam als Nebenwirkungen guter Arbeit für den parlamentarischen Erfolg. Sie entstehen umso leichter und setzen sich umso stärker in der Partei fest, je schwächer die Kräfte unabhängiger sozialer Bewegungen sind, die auf die Partei und das öffentliche Meinungsklima einwirken. Man wollte damals vorrangig die sozialen Bewegungen stärken, aber tatsächlich ebbten die immer weiter ab. In bewegungsarmer Zeit werden dann die Parlamente mitsamt der begleitenden Medien unvermeidlich zum zentralen Schauplatz des politischen Kampfs der Partei.
 
Selbstverständlich ist die Partei bemüht, die Listen zu den Wahlen möglichst mit den besten Köpfen zu besetzen, die den politischen Gegnern Paroli bieten und nicht zuletzt dem Anpassungsdruck widerstehen können. Dann sitzen also in der Regel gute, engagierte Leute in den Parlamenten, die da natürlich gute Arbeit machen wollen. Da lernt man dann die Spielregeln und die Spielräume, aber auch die Grenzen der rechtlichen Handlungsmöglichkeiten seines Parlaments kennen. Man lernt zu unterscheiden, wo Zuständigkeiten liegen und wo nicht, was rechtlich geht und was nicht geht. Man läuft dann aber auch Gefahr die Gesellschaft eher durch die Brille der Verwaltung und weniger aus der Perspektive der Zivilgesellschaft zu betrachten.   
 
Dass die Grünen in NRW schon in den 90er Jahren kommunale Bündnisse mit der CDU eingingen, hat viel damit zu tun, dass der größte Teil der grundsätzlichen politischen Richtungsunterschiede zwischen den linken Grünen und der CDU außerhalb der kommunalen Zuständigkeit liegen, und dass man auf den Gebieten, die kommunal regelbar waren, mit der CDU teils besser klargekommen ist als mit der SPD. In der Regel vertreten die Mandatierten bestimmte fachpolitische Gebiete. Da gibt’s vielfältige tagespolitische Fragestellungen, die es immer wieder erforderlich machen, sich mit den jeweiligen rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten im Einzelnen vertraut zu machen.
 
Etablierung der politischen Klasse
 
Engagierte Leute lernen rasch, und engagierte und kompetente Arbeit findet Anerkennung nicht nur in der eigenen Partei, sondern auch unter den Abgeordneten der anderen Fraktionen, mit denen man sich streitet. Die besonderen Kompetenzen professioneller Politik, die in der parlamentarischen Arbeit entwickelt werden, unterscheiden einerseits die Mandatierten von den normalen Parteimitgliedern und verstärken ihre Rolle von innerparteilichen MeinungsführerInnen. Und andererseits schaffen die gleichen Kompetenzen eine Verbindung mit den Abgeordneten der anderen Fraktionen. Das ist wie bei anderen Berufsständen, wo man mit den anderen überkreuz liegen kann, und es doch Kolleginnen und Kollegen sind, weil man mit Ihnen das berufsfachliche Wissen teilt, das den Profi vom Laien unterscheidet.
 
Dann haben wir die hauptamtlichen Apparate der Fraktionen - die alles in den Schatten stellen, was sich die Partei selber an professioneller Zuarbeit leisten kann. Auch die Fraktionsangestellten sind Eingeweihte der professionellen Politik, und auch sie kommen oft in ihren Parteigliederungen in die Rolle von MeinungsführerInnen. Und wenn die Leute gute Arbeit machen, wird die Partei wünschen, dass sie diese Arbeit fortsetzen. Vor allem deshalb wurden die Rotationsregelungen bei den Grünen schrittweise entschärft oder auch umgangen. Denn es macht ja tatsächlich Probleme, wenn man die in vier oder fünf Jahren erworbenen Kompetenzen wieder versenkt, um gleichsam von vorne anzufangen.
 
Im Laufe von ein paar Jahren beginnt sich die politische Klasse dann auch als gleichsam sozialökonomische Schicht innerhalb der Partei zu etablieren, deren Angehörige nicht nur ein politisches, sondern auch ein materielles Interesse am ungeschmälerten Fortbestand und möglichst an der Stärkung der Fraktionen entwickeln. Mit anderen Worten: Die Herausbildung einer politischen Klasse, die ein dominierendes Gewicht in der Meinungsbildung der Partei erhält, die sich gegenüber der Partei verselbständigt und mit den Profis der bürgerlichen Parteien verbunden ist, die ist bereits in der Etablierung der Fraktionen angelegt. Die politische Klasse hat eine strukturelle Abneigung gegen politische Handlungsoptionen, mit denen man ein schlechteres Wahlergebnis und eine Schrumpfung der Fraktion riskiert. Allerdings gibt es Situationen, wo man das vielleicht tun muss, um größeren Schaden abzuwenden.
 
Wirkung der Kommunalpolitik
 
Die breite Basis der politischen Klasse liegt in den Kommunalfraktionen. Und damit ist sie zugleich Teil der Parteibasis. Natürlich bieten die gleichen Prozesse, deren problematische Potenziale ich hier beschreibe, auch unverzichtbare Chancen. Für die Qualifizierung der eigenen Politikentwicklung und für die Einflussnahme auf die öffentliche Meinung. Ohne die politischen think tanks der Fraktionen wäre es kaum möglich, praktikable Reformalternativen auf den vielen Gebieten, die in der öffentlichen Diskussion eine Rolle spielen, zu erarbeiten. Von den Medien – und damit von einer breiteren Öffentlichkeit – wird man ja als politische Kraft überhaupt erst dann wahrgenommen, wenn man eine parlamentarische Kraft wird. Allerdings ist es auch hier nicht die Partei, sondern es ist die Fraktion – konkret meist die Fraktionsführung – die über den vorrangigen Medienzugang verfügt.
 
Ich habe selbst nie Kommunalpolitik gemacht und falls engagierte KommunalpolitikerInnen unter uns sind, bitte sie schon jetzt um Nachsicht für die folgende Einschätzung. Nach meiner Wahrnehmung hat Kommunalpolitik ein nicht zu unterschätzendes Potenzial, zu einer Entpolitisierung der Parteibasis beizutragen. Die großen gesellschaftspolitischen Fragen, um deretwillen sich die Partei gebildet hat, sind mit Mitteln der Kommunalpolitik substanziell nicht zu bewegen – und nicht nur wegen defizitärer Haushalte. Kommunalpolitik spielt in einem ziemlich engen rechtlichen und materiellen Handlungsrahmen, der vom Land, vom Bund und von der EU vorgegeben ist.
 
Gelegentlich ist es politisch sinnvoll, sich auch im Rat für grundlegende Veränderungen dieser Rahmenbedingungen einzusetzen – aber nur gelegentlich. Engagierte Ratsmitglieder, die die Nöte der Lebenswirklichkeit verstehen und die deshalb auf greifbare Verbesserungen zielen, werden ihren Fokus auf die Nutzung realer Verbesserungsmöglichkeiten in ihrer Reichweite richten. Und natürlich spielt die Kommunalpolitik eine wichtige Rolle in der politischen Diskussion der örtlichen Parteigliederungen.
 
Demgegenüber läuft die Diskussion von Fragen der allgemeinen gesellschaftspolitischen Entwicklung und der Europa-, Bundes- oder Landespolitik nicht selten Gefahr, an den Rand gedrängt zu werden. Oft wird das dann schließlich zum Gegenstand besonderer Veranstaltungen außerhalb der regelmäßigen Parteisitzungen. Man lädt dann beispielsweise einen Experten aus der Bundestagsfraktion als Referenten ein. Der bekannte Grundsatz „global denken – lokal handeln“ fordert aber zuerst die Fähigkeit zum globalen Denken, um daraus Schlussfolgerungen für das Handeln auf lokaler Ebene ziehen zu können. Und lokales Handeln in diesem Sinne ist ja keineswegs gleichzusetzen mit institutioneller Kommunalpolitik in Rat und Verwaltung.
 
Wenn man, wie das bei den Grünen in den 90er Jahren der Fall war, an kommunalen Mehrheitsbündnissen beteiligt ist, wächst die Attraktivität der Partei für Interessenvertreter aus Initiativen und Verbänden, die Fördermittel erhalten oder verteidigen wollen. Das ist zwar legitim, aber doch was anderes als der Kampf um die programmatischen Ziele. Andererseits ziehen sich andere, deren Engangement eher idealistisch und programmatisch ausgerichtet bleibt, aus der aktiven Mitwirkung zurück, wenn die Kommunalpolitik zu sehr dominiert. Dadurch verändert sich dann allmählich die Zusammensetzung der aktiven Parteibasis, macht sie empfänglich für das, was man „pragmatische Politik“ nennt.
 
Zur Entlastung der Kommunalpolitik muss man allerdings sagen, dass das Problem der Verengung des Horizonts auf eigene Zuständigkeiten auch in den anderen Parlamenten eine Rolle spielt. Und man muss hinzufügen, dass das keine geradlinigen Kausalitäten sind, sondern eher gleichsam klimatische Veränderungen.
 
Regierungsbeteiligung in NRW
 
Nun zu den Rückwirkungen der Regierungsbeteiligung. Die in Stein gemeißelte Position der NRW-Grünen dazu war, dass sie dann - und nur dann - bereit sind, mit der SPD eine Koalition zu bilden, wenn damit ein sozialökologischer Politikwechsel herbeigeführt wird. Auf keinen Fall stünden sie als Mehrheitsbeschaffer für ein „Weiter so“ zur Verfügung. Wenn das Wahlergebnis dann tatsächlich eine Mehrheit gegen CDU und FDP ermöglicht, und wenn man trotz der politischen Richtungsunterschiede ein Verhandlungsangebot der SPD bekommt, dann erwartet die eigene Wählerschaft, dass man die Möglichkeit des Politikwechsels auch tatsächlich in Verhandlungen austestet. Das war so bei der Landtagswahl 1995.
 
Heraus kam ein Koalitionsvertrag, der ausgesprochen durchwachsen war. Von einem gemeinsamen Reformprojekt konnte keine Rede sein. Aber es gab eben auch eine Reihe von Gebieten, auf denen es Verhandlungserfolge gab und die ihre Wirkung in der Partei nicht verfehlten. Und es kam damals hinzu, dass es nicht nur um Rot-Grün in NRW ging, sondern zugleich auch um die Perspektive einer rot-grünen Ablösung der Kohl-Regierung im Bund. Die SPD-Bundestagsfraktion vertrat damals noch auf vielen Gebieten sozialdemokratische Positionen. Und deshalb hoffte man, dass ein Wechsel von Schwarz-Gelb zu Rot-Grün auch ein Politikwechsel nach links werden könnte. Also wollte man mit einer Mitte-Links-Regierung in NRW auch die Chancen für eine Mitte-Links-Regierung im Bund erhöhen.
 
Die koalitionspolitische Strategie der SPD bestand allerdings von Anfang an darin, grüne Verhandlungserfolge, die ihr besonders quer im Magen lagen, im Nachhinein schrittweise wieder in Frage zu stellen und dadurch wiederholte öffentliche Koalitionsstreitigkeiten auszulösen. Dabei stellte sie die Grünen stets vor die Frage, entweder nachzugeben oder die Koalition zu beenden. Diese Konfliktlage führte rasch zu einer Spaltung der linken Zweidrittelmehrheit der Fraktion. Die eine Hälfte der Fraktionslinken, zu der die grüne Umweltministerin zählte - wir nannten die dann die Regierungslinke -, vertrat die Auffassung, man müsse beim einzelnen aktuellen Streitpunkt nachgeben, um mit der Koalition die Reformchancen auf den übrigen Gebieten zu erhalten und dafür in der Regierung kämpfen zu können.
 
Das Realo-Drittel der Fraktion um den Bauminister unterstützte nicht nur diesen Kurs, sondern die machten sich in den Konflikten zunehmend SPD-Positionen zu eigen.

Damit trugen sie den Streit, der eigentlich zwischen die Koalitionsfraktionen gehörte, in die eigene Fraktion hinein. In der innerparteilichen Diskussion überließen sie aber meist der Regierungslinken das Feld und machten sich nur selten als eigenständige politische Strömung bemerkbar. Beide Gruppen bildeten zusammen mit den beiden Regierungsmitgliedern einen Block, der ihnen eine strukturelle Mehrheit in der Fraktion sicherte. Die koalitionskritische Linke verlangte zunächst nur, nicht vorzeitig nachzugeben, sondern die Nerven zu behalten und den Konflikt auszureizen. Wir hielten die SPD-Ultimaten – entweder Unterwerfung oder Koalition zu Ende – überwiegend für Bluff, weil die SPD dabei erheblich mehr zu verlieren hatte als die Grünen.
 
Die Auseinandersetzung zwischen dem Regierungsblock und der kritischen Linken wurde natürlich – selbstverständlich nicht ohne Mitwirkung der Mitarbeiterschaft und teils auch mit Hilfe der Medien – ein zentrales Thema der innerparteilichen Debatte, weil Entscheidungen auf Parteitagen oder im Landesparteirat – also dem „Kleinen Parteitag“ - herbeigeführt werden mussten. Dabei gelang es dem Regierungsblock, die erforderlichen Mehrheiten für seinen Kurs zu erreichen. In zweieinhalb Jahren spitzte sich der Koalitionskonflikt auf die Frage der Genehmigung des Braunkohletagebaus Garzweiler II zu.
 
Für uns ist jetzt weniger das konkrete Thema von Bedeutung als vielmehr der Umstand, dass die Grünen diese Frage strömungsübergreifend zur höchstrangigen Streitfrage der Landespolitik erklärt hatten. Auch die Realos hatten wiederholt versichert, dass das die Schicksalsfrage der Koalition würde. Und teils hatte man das Einlenken bei den früheren Streitfragen auch damit begründet, dass man doch die Segel nicht streichen dürfe, bevor man nicht den Kampf um dies wichtigste aller Themen ausgetragen habe. Es waren schließlich nicht Sachargumente, die den Ausschlag dafür gaben, dass sich nach Wochen kontroverser Diskussionen in den Kreisverbänden eine denkbar knappe Parteitagsmehrheit erneut für Kapitulation entschied. Da waren Kommunalos aus rot-grün-regierten Kommunen, die es satt hatten, dass die Konflikte auf Landesebene ihnen immer wieder das Klima zuhause verhagelten. Auch andere wollten endlich wieder in Ruhe Kommunalpolitik machen können, statt immer wieder mit Streitfragen der Landespolitik befasst zu werden.
 
Mehrheitsbeschaffer für neoliberale Politik
 
Zum zweiten verdeutlichte die Führung der Bundespartei, dass sie zu Beginn des Bundestagswahljahrs 1998 das Negativsignal eines Scheiterns von Rot-Grün in NRW unbedingt vermeiden wollten. Zum dritten – und das halte ich für einen ganz wichtigen Punkt - hat die Parteibasis das natürliche Bedürfnis, in einem zugespitzten öffentlichen Konflikt mit dem politischen Gegner ihre eigene Führung nicht zu beschädigen. Schon in den Jahren zuvor hatte sich die Praxis ausgebreitet, Anträge in Gremien der Landespartei weniger nach ihrem Inhalt zu beurteilen als vielmehr danach, welche Personen mit Annahme oder Ablehnung gestärkt oder geschwächt werden würden. Hätte der Landesparteitag die Koalition beendet, hätte er sich damit offen gegen seine MinisterInnen und gegen eine Zweidrittelmehrheit der Landtagsfraktion gestellt. Die Partei hätte dann in einer tiefen Führungskrise in vorgezogene Landtagswahlen gehen müssen.
 
Die nachfolgenden Entwicklungen bei den Bundesgrünen – insbesondere der Parteitag, der den rot-grünen Krieg auf dem Balkan absegnete – haben mich in der Einschätzung bestätigt - auch über die Grünen hinaus -, dass es nahezu unmöglich ist, in einem öffentlich zugespitzten Streit mit dem Koalitionsgegner ein Parteitagsvotum gegen die große Mehrheit der eigenen politischen Klasse herbeizuführen. Indem aber die Partei auch ihr höchstrangiges landespolitisches Anliegen der Koalition opferte, stellte sie klar, dass es keine Streitfrage mehr geben konnte, für die sie das Ende der Koalition in Kauf genommen hätten. Ohne die Fähigkeit, eine Koalition im Interesse der Partei auch wieder zu beenden, ist man aber nicht koalitionsfähig. Man wird Anhängsel des Koalitionspartners.
 
So wurden die Grünen, was sie nie sein wollten: Mehrheitsbeschaffer für neoliberale Politik. Und wenn man einer solchen Politik zustimmt, muss man das politisch rechtfertigen und schließlich auch programmatisch absichern. Man kann dann die Kluft zwischen Programm und politischem Handeln, die Glaubwürdigkeitslücke, nur noch dadurch schließen, dass man das Programm dem Handeln anpasst. Und ich kann nicht erkennen, dass die neue Linkspartei aus irgendwelchen Gründen immun gegen die gleichen Mechanismen wäre.
 
Gegenmacht von unten entwickeln!
 
Was könnte man also tun, um da ähnlichen Entwicklungen zu begegnen? Ich kann dazu leider nur ein paar Anmerkungen allgemeinerer Art machen. Erstens wäre es wünschenswert, auf allen Ebenen der Partei ein hohes Niveau des Verständnisses der Zusammenhänge von Wirtschaft, Staat und Politik im Kapitalismus zu erreichen. Wenngleich ich nichts davon halte, als Partei wie eine Kirche eine bestimmte Weltanschauung kultivieren, glaube ich doch, dass marxistische Bildung da auf jeden Fall hilfreich ist. Die kann einen befähigen, sich ein eigenes Bild von der gesellschaftspolitischen Entwicklung zu machen und kritische Schlüsse zu ziehen. Zweitens wäre ein möglichst hoher Grad der Politisierung in den lokalen Parteigliederungen wünschenswert, der das globale Denken stärkt und der Dominierung durch parlamentarische Tagespolitik entgegenwirkt. Dazu gehören auch die Fragen nach der anderen Gesellschaft, die wir wollen und nach den Wegen, die dorthin führen können.
 
Drittens sollte die Partei sich selbst - aber möglichst auch ihre Wählerschaft - frühzeitig aufklären über die tiefe Kluft zwischen dem politischen Richtungswechsel, den wir mindestens brauchen, und dem linken Lazarettwagen, in dem sie heute im Fall einer Regierungsbeteiligung einem im Kern neoliberalen Kurs folgen müsste. Am Beispiel Berlins sollte das so schwierig nicht sein. Und viertens glaube ich, dass der entscheidende Maßstab zur Bewertung der eigenen oder einer mitverantworteten Politik in der Frage besteht, inwieweit die dazu beiträgt, die Entwicklung außerparlamentarischer sozialer Bewegungen zu ermutigen und zu fördern. Denn es ist schlicht nicht vorstellbar, unsere Gesellschaft auf einen Weg des Fortschritts zu bringen, weg vom Neoliberalismus, ohne dass sich eine durchsetzungsfähige Gegenmacht von unten entwickelt.
 
Die Gestaltungsspielräume, die Parlamenten und Regierungen tatsächlich gegeben sind, von denen mit Aussicht auf Erfolg erwartet werden kann, dass sie in der Gesetzgebung genutzt werden, die entstehen nicht durch Wahlkämpfe, Wahlen und Wahlergebnisse. Sie sind im Wesentlichen ein Produkt der Kräfteverhältnisse, die zwischen den Interessen der lohnabhängigen Bevölkerungsmehrheit und den Interessen des Kapitals in der Zivilgesellschaft bestehen. Es sind diese Kräfteverhältnisse, die sich in Wahlen politisch ausdrücken. Ob sich das berühmte „Pendel der Geschichte“ in Richtung des Fortschritts oder der Reaktion bewegt, hängt zunächst davon ab, welches gesellschaftliche Lager die Hegemonie, die Vorherrschaft über die öffentliche Meinung hat. Und um die Hegemonie der Milliardäre zu brechen, ist auch im 21. Jahrhundert kein anderer Weg erkennbar, als die demokratische Gegenmacht der Millionen.
 
Selbstorganisation und Selbsttätigkeit
 
Das gilt erst recht, wenn das Ziel nicht bloß ein sozial regulierter Kapitalismus ist, sondern wenn es um eine Gesellschaftsveränderung geht, die um der Zukunftsfähigkeit willen die kapitalistische Ordnung selbst hinter sich lässt. Der Sozialismus ist nichts, was mit der Umsetzung einer konsequenten Reformpolitik durch staatliche Apparate gleichsam von oben über eine weitgehend passive Gesellschaft kommen kann. Ministerien sind kein revolutionäres Subjekt. Der Sozialismus ist nicht vorstellbar - auch ökonomisch nicht - ohne die Entfaltung breitester demokratischer Selbstorganisation und Selbsttätigkeit der Bevölkerung.
 
Die beiden Fragen - Reform im Kapitalismus und Umwälzung des Kapitalismus - hängen eng zusammen. Die Perioden in der Geschichte, die sozialen Fortschritt gebracht haben, waren immer solche, in denen das Kapital fürchten musste, seine Herrschaft vollends zu verlieren, wenn es sich nicht zu Zugeständnissen bereit findet. Und schließlich sehe ich in der Entfaltung autonomer sozialer Bewegung, in einem Aufbruch aus der Zivilgesellschaft, auch die günstigste Voraussetzung, um die Risiken und Nebenwirkungen des parlamentarischen Erfolgs beherrschbar zu machen. Wann, wie, um welche Fragen sich bei uns wieder eine selbstorganisierte soziale Bewegung entwickelt, die stark genug wird, um das politische Koordinatensystem insgesamt nach links zu drücken – das bleiben vorerst wohl die großen offenen Fragen. Ich hielte es allerdings für notwendig, dass eine Linkspartei gerade diese Fragen ins Zentrum ihrer Politik rückt.

Lebhafte Diskussion im Publikum
 
In der an Daniel Kreutz Rede anschließenden Diskussion stand DIE LINKE mit ihrer deutlichen Fixierung auf den Parlamentarismus im Mittelpunkt. Redebeiträge, auch von Mitgliedern der Partei, wiesen darauf hin, dass jene Anpassung an den bürgerlichen Parlamentarismus, die die Grünen seinerzeit vollzogen hatten, inzwischen auch in der LINKEn begonnen hat. Die Beteiligung am Parlamentarismus wecke nun einmal „Begehrlichkeiten bei einzelnen Karrieristen“. Dieser Dynamik sei nur dadurch zu begegnen, dass in Parteigremien beschlossen werde, wer mit welchen Aufträgen der Partei in welchen parlamentarischen Funktionen arbeiten solle. Widersprochen wurde dieser Forderung mit dem Hinweis, dass dies „in der Praxis unpraktikabel“ sei, weil ja die Erwartungen der Wähler gerade auf parlamentarisches Mitarbeiten gerichtet seien, weil man eben „dort“ etwas verändern wolle und könne.
 
„Berliner Verhältnisse“
 
„Die Berliner Verhältnisse“ wurden diesem Zusammenhang mehrfach angesprochen. In der Regierungskoalition mit der SPD mache DIE LINKE „keineswegs eine linke Politik“. Zudem wurden Zweifel formuliert, ob der bürgerliche Parlamentarismus, gemessen an seinen aktuellen Erscheinungsformen, eine wesentliche demokratische Partizipation überhaupt noch möglich mache. Geheimverträge zur Privatisierung öffentlichen Eigentums (PPP), geheim tagende Untersuchungsausschüsse auf verschiedenen parlamentarischen Ebenen oder die alleinige Entscheidungskompetenz des NATO-Hauptquartiers in der Frage von Krieg und Frieden würden dies offenkundig belegen.
 
Die politische Linke insgesamt müsse, so forderten mehrere Diskussionsteilnehmer, zu allererst über Bewegungsformen gesellschaftlicher Gegenmacht zum Thema machen. Nur so könne man gerade jenen die Gelegenheit geben, ihre Stimme zu erheben, um die es bei der gesamtgesellschaftlichen Emanzipation ja schließlich vor allem gehe: die abhängig Beschäftigen, die Erwerbslosen und die Marginalisierten. Diese Bevölkerungsgruppen sähen den derzeit üblichen Parlamentarismus als nur ausgesprochen beschränkt geeignet an, ihre Interessen wahrzunehmen oder gar öffentlich zu vertreten. Erst mit diesem Schwerpunkt eines  gesellschaftlichen Gegenmachtkonzepts würde eine neue Qualität parlamentarischer Arbeit überhaupt möglich. Gerade in Hinblick auf die anstehende Serie von Europa-, Bundestags- und Kommunalwahlen müsse diese wichtige Diskussion fortgeführt werden.
 
„Konsequente Kapitalismuskritik“
 
Der Bildungskreis Köln von SALZ e.V., so erklärte ein Teilnehmer, werde versuchen, an der Formulierung von Gegenmachtkonzepten mitzuwirken. Empfehlenswert sei dafür unter anderem die Analyse des Politikwissernschaftlers Professor Ekkehard Lieberam vom Marxistischen Forum unter der Überschrift „Konsequente Kapitalismuskritik“. Die findet man unter www.das-linke-forum.de/index.php?topic=5.0 (PK)

Online-Flyer Nr. 162  vom 03.09.2008



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