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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Inland
FH und evangelische Christen in Bielefeld um ihren guten Ruf besorgt
Professor soll diszipliniert werden
Von Peter Kleinert

Dr. Heinz Gess, Professor für Soziologie an der FH-Bielefeld, ist für die „Internetzeitschrift für Kritische Theorie der Gesellschaft“ unter www.kritiknetz.de verantwortlich. Weil er dort einen Artikel der Autoren Peter Bierl und Clemens Heni mit dem Titel „Grün-braune Liebe zur Natur: Die NSDAP als ‚grüne Partei’ und die Lücken der Naturschutzforschung“ veröffentlichte, eröffnete das FH-Rektorat ein Disziplinarverfahren gegen ihn. Die Autoren haben deshalb – offenbar mit Erfolg – zur Solidarität aufgerufen. Möglich, dass die Strafmaßnahme gegen Heinz Gess noch eine weitere Ursache hat, die das FH-Rektorat allerdings nicht erwähnt.  

Prof. Dr. Gess
Professor Heinz Gess - unbequem
für evangelische Gemeinde und
FH-Rektorat Bielefeld Foto: NRhZ-Archiv
Im vergangenen Jahr gab es in Bielefeld nämlich Streit im die Paul-Gerhardt-Kirche, die die evangelischen Oberen an die jüdische Kultusgemeinde verkaufen wollten, weil ihnen - wie der katholischen auch - immer mehr Kirchensteuerzahler davonlaufen. Die Kirche wurde von protestierenden Gemeindemitgliedern besetzt, die dagegen waren, dass sie in eine Synagoge verwandelt würde. „Wir haben überhaupt nichts gegen Juden“, widersprach Gemeindemitglied Claus Grünhoff anders lautenden Vermutungen. Immerhin ist er von Beruf Vorsitzender Richter am Landgericht. Mit den Juden würde man zwar „gerne unser Gemeindehaus teilen“, ihre Synagoge sollten die aber auf einem benachbarten Baugrundstück errichten.
 
„Verteidiger des Glaubens“
 
Kommentar von Heinz Gess auf seiner Seite www.kritiknetz.de: „Die Besetzer bestreiten vehement, dass ihr Kampf etwas mit christlichem Antijudaismus zu tun hat. Gleichwohl muss die Frage erlaubt sein, warum sie sich dann in der Aktion auf "ihren Gott" berufen, sich als "Verteidiger des Glaubens" aufspielen und sie die Chance, die sich ihnen bietet, neu zu beginnen und die Verbundenheit zwischen Juden und Christen theoretisch und praktisch herzustellen, nicht nur nicht aufgreifen, sondern systematisch destruieren… Die Besetzer exekutieren damit jenen Quälgeist, von dem die Welt zu befreien wäre. Er - nicht diese oder jene Form - ist schlechthin das Übel. Zurzeit wütet er weltweit als muslimischer Quälgeist. Aber es ist noch gar nicht lange her, da wütete er als deutsch-christlicher und heidnisch-rassistischer Quälgeist.“
 
Knapp ein Jahr später erschien im „Kritiknetz“ der Artikel von Bierl und Heni über die „Grün-braune Liebe zur Natur“ - ausführlich belegt durch einige Biografien.
 
Beispiel 1 August Haußleiter, Propagandajournalist im II. Weltkrieg, danach CSU und 1979 Mitbegründer der Partei DIE GRÜNEN und einer von drei gleichberechtigten Vorsitzenden der Partei. 1965 hatte er noch über ein Wahlbündnis der AUD mit der NPD verhandelt, 1952 die Nürnberger Prozesse und die Entnazifizierung als „das dümmste und infamste aller Strafgerichte“ bezeichnet.
 
Beispiel 2: Der Ökobauer Baldur Springmann - einer der "Urgrünen" - war nach Dokumenten aus der NS-Zeit von November 1933 bis März 1934 SA-Mann und seit November 1936 SS-Bewerber. Bierl und Heni: „In einem Fragebogen für SS-Angehörige von 1940 für das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS bezeichnet er sich als gottgläubig, wie viele Nazis, die aus den Kirchen ausgetreten waren.“

Haverbeck
Nazi Werner Haverbeck - danach Karriere
an der Bielefelder FH - Foto: Kritiknetz
Beispiel 3: Werner Haverbeck, seit 1928 Mitglied der SA, 1933 Leiter des Reichsbundes für Volkstum und Heimat und später Mitglied der Reichsleitung des NSDAP-Studentenbundes. Nach dem Krieg Theologe bei Rudolf Steiner, Unterzeichner des „Heidelberger Manifests“, in dem die Parole "Ausländer raus" pseudoökologisch begründet wurde, und Gründer des „Collegium Humanum“ in Vlotho, „Bildungsstätte“ und Kaderzentrum für neurechte Ideologen, in dem z.B. der Antisemit Horst Mahler ein und ausging, und wo sich unter anderem 1984 das „Komitee zur Vorbereitung der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag des Führers“ (KAH) traf. Von 1973 bis 1979 war er Professor für angewandte Sozialwissenschaft an der Fachhochschule Bielefeld.
 
Nach der Nazi-Karriere FH-Professor
 
In einer „Nachbemerkung“ zu dem Artikel der beiden Autoren schreibt Professor Gess: „Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang noch, dass der Werner Haverbeck an der FH Bielefeld ungeachtet seiner Nazi-Karriere und neofaschistischen Aktivitäten ungestört seinen ideologischen und politischen Geschäften nachgehen und seine verdorbenen Früchte als "Professor für Sozialwissenschaft" unter die Studierenden bringen konnte, ohne je dafür an der FH in die Kritik zu geraten und ohne dass das Rektorat der FH es je für nötig gehalten hätte, sich von seinem Tun oder seinen Schriften zu distanzieren, dass aber dasselbe Rektorat (nicht in persona) und dessen Personalabteilungsleiter es für dringlich hält, sich von dem Herausgeber dieser Seite und der "Internetzeitschrift für kritische Theorie der Gesellschaft", das Kritiknetz, ausdrücklich zu distanzieren. Deshalb finden Sie, verehrter Leser, im Impressum des Kritiknetzes auch nur noch angegeben: "Heinz Gess, Professor im Fachbereich Sozialwesen" und nicht mehr wie zuvor: "Professor im Fachbereich Sozialwesen der FH Bielefeld". Auch sonst sind alle Hinweise auf die FH Bielefeld im Kritiknetz gelöscht.

Das hiesige Rektorat bestand aus Sorge um den "guten Ruf", „um Schaden von der FH abzuwenden“ darauf, sich vor den Artikeln des Professor Gess „schützen“ zu müssen. Es schrieb:
 
„Sehr geehrter Herr Professor Gess,
ich informiere Sie darüber, dass die Rektorin die Herausnahme des Link "www.kritiknetz.de" von der Hochschulseite verantwortlich veranlasst hat. Hintergrund ist eine ihr vorliegende Dienstaufsichtsbeschwerde der Bürgerinitiative "Paul-Gerhardt-Kirche". Ihre gegen die Bürgerinitiative erhobenen Vorwürfe sind ggf. strafrechtlich relevant, so dass zu
verhindern war, dass weiterhin Ihre diesbezüglichen Darstellungen von der Hochschulseite erreichbar bleiben. Ein sofortiges Handeln hat die Rektorin für erforderlich angesehen, um Schaden von der Hochschule abzuwenden.
MfG   D. Meckenstock"

Der Anlass für diese Maßnahme war der Artikel „Heiliger Krieg in Bielefeld.- Kritik einer Protestaktion und ihrer Theologie“ von Prof. Gess, für den er verklagt wurde. Nachdem sich die Beschwerde der Kirchenbesetzer als haltlos erwiesen und damit „nachweislich kein Schaden von der FH abzuwenden war“, die Bekanntmachung der Artikel von Prof. Gess auf der Seite der FH mit den üblichen Publikationsnachweisen also hätte wieder eingestellt werden müssen, hielt das Rektorat dennoch an der Sanktionsmaßnahme fest und erfand eine völlig neue Begründung. Es lässt durch seinen Rechtsanwalt verbreiten, es sei ihr nie um den guten Ruf und den Schutz vor ihrem eigenen Wissenschaftler gegangen, die Sanktionsmaßnahme habe auch gar nichts mit dem Inhalt des Artikels „Heiliger Krieg in Bielefeld“ zu tun, sondern es gehe angeblich nur darum, zu verhindern, dass Professor Gess sich durch Links auf seine Seite einen Vorteil verschaffe.
 
Damit hat es folgende Bewandtnis: Es ist in der Wissenschaft übliche Praxis, dass Publikationen im Internet mit der Angabe des Autors, des Titels, des Internetpublikationsorgans und dem Link auf den Artikel nachgewiesen werden. Diese gängige Praxis wird nun zum Vorwand genommen, Zensur zu üben. Denn, so die „Begründung“ des Rektorats, mit diesem Publikationsnachweis des Artikels verschaffe sich Professor Gess einen Vorteil vor anderen Professoren, die als Ingenieure, Architekten usw. nebenher Erwerbsbetriebe unterhalten und denen nicht gestattet werde, für diese Erwerbsbetriebe durch Setzung eines Links auf der Seite der FH Werbung für ihren Betrieb zu machen. Ganz bewusst wirft das Rektorat der FH auf diese Weise zwei völlig heterogene Sachverhalte, den Publikationsnachweis durch den indirekten Link auf ein reines Publikationsorgan, das kein Erwerbsbetrieb ist, und Links als Werbung für Erwerbstriebe durcheinander, um sich mit dieser nach­geschobenen Begründung im Nachhinein ins Recht zu setzen. Ganz bewusst verleugnet es im Nachhinein den wirklichen Grund für seine Maßnahme: die ungeprüfte Über­nahme der haltlosen Vorwürfe jener Gruppe, die widerrechtlich das Paul-Gerhardt Gebäude besetzten.“  
 
Aufruf zur Solidarität
 
Das Disziplinarverfahren gegen Gess, das nun ein Jahr später von Rektorin Beate Rennen-Allhoff eingeleitet wurde, kommentieren dessen Autoren Bierl und Heni mit einem Aufruf zur Solidarität: „Wir halten es für einen Skandal, dass jemand mit einem Disziplinarverfahren überzogen werden soll, der darauf hinweist, dass ein ehemaliger hochrangiger NSDAP-Funktionär und in der Bundesrepublik prominenter Nazi-Aktivist an der FH Bielefeld Karriere machen konnte. Damit soll ein Wissenschaftler mundtot gemacht werden, der einen solchen Vorgang öffentlich benennt. Verschwiegenheitspflicht kann nicht heißen, die Einstellung eines alten Nazis zu vertuschen und das nach über 30 Jahren… Wir fordern die sofortige Einstellung des Disziplinarverfahrens gegen Heinz Gess und eine Entschuldigung der Rektorin. Wir fordern, die einschlägigen Archive zu öffnen und von unabhängigen Historikern klären zu lassen, wie es möglich war, dass Haverbeck an der FH Bielefeld Dozent werden konnte. Wir verlangen - sofern aufgrund des zeitlichen Abstandes noch möglich - diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die Haverbeck gedeckt und seine Karriere ermöglicht haben….
 
Wir bitten Euch, diesen Vorgang publik zu machen, dieses Schreiben weiterzuverbreiten, sowie beim Wissenschaftsministerium des Landes Nordrhein-Westfalen gegen das Disziplinarverfahren gegen Heinz Gess zu protestieren. Wir haben dafür einen Musterbrief verfasst, den Ihr benutzen könnt. Solltet Ihr einen solchen Brief schicken, bitte gebt uns Rückmeldung unter clemens_heni@web.de und peterbierl@gmx.de.“
 
Pikant ist in diesem Zusammenhang, dass Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble am 7. Mai das von Werner Haverbeck 1963 gegründete „Collegium Humanum“ im westfälischen Vlotho wegen rechtsextremer Umtriebe verboten hat. (PK)

 
Den kompletten Beitrag von Clemens Heni und Peter Bierl finden Sie unter http://www.kritiknetz.de/

Online-Flyer Nr. 161  vom 27.08.2008



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