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Literatur
Der neue Trend: Vampire, Werwölfe und Hellseher
Bauchnabelfirlefanz ohne Biss
Von Wolfgang Bittner

Seit Monaten steht der Roman „Bis(s) zum Abendrot“ der amerikanischen Autorin Stephenie Meyer auf den amerikanischen und deutschen Bestenlisten, zeitweise sogar auf Platz 1 unter den Bestsellern des Spiegel und des Stern. Es ist ein Folgeband der 2005 und 2006 erstmals in den USA erschienenen Romane „Bis(s) zum Morgengrauen“ und „Bis(s) zur Mittagsstunde“. Auf den ersten 100 Seiten des insgesamt 624 Seiten umfassenden Buches erfahren die Leser – es werden überwiegend weibliche sein –, dass der Freund der Protagonistin ein Vampir ist, der ehemalige Freund ein Werwolf, und dass die beiden Konkurrenten sich hassen. Hinzu kommen eine hellsichtige Vampirin und ein Gefühle manipulierender Vampir sowie allerlei anderes unsterbliches und omnipotentes Volk.

Damit wird offenbar der Trend mit zaubernden, fliegenden und sich unsichtbar machenden Romanfiguren, die bislang den Büchermarkt verstopft haben, abgelöst. Jedenfalls deuten die Verkaufszahlen darauf hin, und inzwischen gibt es schon Stephenie-Meyer-Fanclubs. Was die weibliche Leserschaft wohl besonders für dieses Buch einnehmen wird, ist die Unbedingtheit der männlichen Zuwendung. Die ziemlich blass bleibende 18-jährige Bella wird sowohl von dem Vampir Edward, wie auch von dem Werwolf Jacob bedingungslos geliebt.

Edward sagt: „Ich bin dein Knecht“ und Jacob verspricht seine immerwährende Liebe. Aber Bella erwidert nur die Liebe Edwards und beabsichtigt, sich von ihm nach ihrem Schulabschluss in eine unsterbliche, schöne Vampirin verwandeln zu lassen. Jacob möchte sie als „besten Freund“ behalten, was naturgemäß zu Komplikationen führt.

Die Handlung spielt in einem Nest namens Forks im US-Bundesstaat Washington in der Nähe von Seattle. Der Ort, wie auch die übrige Umgebung und das Personal in diesem Buch, bleiben farblos und uninteressant. Bella lebt bei ihrem alleinerziehenden Vater Charlie, der Sheriff ist, aber zu dumm zum Spaghetti-Kochen.

Forks im US-Staat Washington Foto: Konrad Roeder
Forks im US-Staat Washington: klar, dass es hier von Vampiren und Werwölfen nur so wimmelt... | Foto: Konrad Roeder

Dagegen kann Edward so ziemlich alles. Er ist Bellas „persönlicher Engel“ von überirdischer Schönheit: „Ich ließ den Blick über seine blassen Züge schweifen: das markante Kinn, die weich geschwungenen, vollen Lippen, die sich jetzt zu einem Lächeln verzogen, die gerade, schmale Nase, die ausgeprägten Wangenknochen, sie sanft gebogene Marmorstirn, teilweise von bronzefarbenem Haar verdeckt…“ Seine Augen sind „groß, warm wie flüssiges Gold und umrahmt von dichten schwarzen Wimpern“. Für dieses Gesicht, meint Bella, „würde jedes männliche Model der Welt seine Seele geben“. Außerdem ist Edward sehr reich.

Auch Jacob ist natürlich schön und omnipotent, „zwei Meter groß und viel muskulöser als ein normaler Sechzehneinhalbjähriger“. Er besitzt ein tolles Motorrad, er kann „mit ausgewachsenen Lastwagen jonglieren“ und „der Blick seiner schwarzen Augen ist unergründlich“.

Vampire or Werewolf Foto: David de la Luz
Eine Mischung zwischen Vampir,         
Werwolf und Neandertaler ginge
sicher auch | Foto: David de la Luz
Zwar erklärt Bella ihrem Sheriff-Vater, dass sie noch Jungfrau ist und es vorerst bleiben will. Aber selbstverständlich geht es nicht ohne Sex in einem solchen Buch, in diesem Fall ist es Pseudosex: „Seine Hand fuhr an meinem Ellbogen entlang, langsam den Arm hinunter, über Rippen und Taille zur Hüfte und das Bein hinunter bis zum Knie. Dort ließ er die Hand einen Moment liegen, dann umfasste er meine Wade. Plötzlich hob er mein Bein an und schlang es um seine Hüfte... Ganz langsam drehte er sich herum, bis er über mir war. Er stützte sich so ab, dass ich sein Gewicht nicht spürte, aber ich merkte, wie sich sein kalter Marmorkörper an meinen presste... Sanft zeichnete er mit seiner eiskalten Zunge die Linie meiner Lippen nach.“

Edward und Bella wälzen sich – ohne Biss – stundenlang im Bett herum. Dann wieder lässt sich Bella eine Nacht lang von Jacob im Schlafsack wärmen. Sie kann sich zwischen den beiden ihr auf seltsame Weise hörigen Verehrern nicht entscheiden. Und dieses scheinheilige, verlogene Getue und sadomasochistische Herumgewürge wird mit Kitsch und endlosen Schwafeleien über Bauchnabelfirlefanz Seite für Seite ausgewalzt.

„Das wirklich echt Böse kündigt sich an“

Gegen Mitte des Romans kommt dann etwas Schwung in die Handlung, als sich Vampire und Werwölfe durch Vermittlung Bellas ein wenig annähern und sich genau in diesem Moment das nun „wirklich echt Böse“ in Gestalt von zwanzig Horror-Vampir-Monstern ankündigt. Diese elenden Blutsauger sind ausgerechnet hinter Bella her, was anscheinend nur nachvollziehen kann, wer sich die ersten beiden Romane der Autorin angetan hat.

Im letzten Viertel des Romans kommt es dann zum Showdown: Es wird – was konnte man anderes erwarten – kuschelig-brutal-sadistisch. Die Bösen werden von den guten Vampiren und den Werwölfen besiegt und zerstückelt. Aber die recht bieder konstruierte Handlung verläppert sich allmählich wieder in emotionalem und anti-emanzipatorischem Gehudel. Der Autorin gelingt es nicht, Atmosphäre herzustellen, und ihre Figuren beschäftigen sich abseits gesellschaftlicher Realität fast ausschließlich mit sich selbst.

Ärgerlich sind darüber hinaus die permanenten stilistischen Fehlleistungen (die vielleicht zum Teil an der Übersetzung liegen mögen): Er hatte „ungewöhnlich viele Worte im Kopf“, kritzelte „die wütenden Buchstaben“, sein „Kiefer wurde hart“. Bella dagegen merkte, wie ihre „Miene hart wurde“, sie fragte etwas „mit steifen Lippen“, ihr „zersplittertes Herz schlug schmerzhaft“. Nach einer Weile „lächelte er neckend“, er drückte sie „fester an seine steinharte Brust“, seine Stimme war „weicher als Seide“ und so weiter. Diese Stilblüten und dieser Kitsch sind durchsetzt von Entäußerungen wie Umpf, Öhm, Hä?, Wumm!, Öh, Wow! oder Hmpf.

stephenie meyer bis(s) zum abendrot cover
„Wumm": Von schmerzhaft   
schlagenden zersplitterten
Herzen...
Bekanntlich lässt sich über Geschmack nicht streiten, und Trivialliteratur hat es seit jeher gegeben. Dass solche Bücher auf den Bestsellerlisten erscheinen, ist also nicht weiter bemerkenswert; eher schon, dass die Autorin für Preise nominiert und mit Preisen ausgezeichnet wird. Sie wäre gut beraten gewesen, es bei ihrem ersten Roman „Bis(s) zum Morgengrauen“ zu belassen, der wenigstens anfangs inhaltlich und atmosphärisch etwas dichter, unter literarischen Gesichtspunkten allerdings ebenfalls indiskutabel ist.

Das aber wird weder den Verlag noch die Autorin kümmern. In einem Nachwort schließt sie mit den selbstbewussten Worten: „Ich bin fest davon überzeugt, dass meine Fans die schönsten, intelligentesten, interessantesten und treuesten der Welt sind. Am liebsten würde ich euch allen eine dicke Umarmung schicken, und dazu einen Porsche 911 Turbo.“ Die Autorin weiß, was ihre Leserinnen und Leser sich wünschen. (CH)


Stephenie Meyer:
„Bis(s) zum Abendrot“
Übersetzt von Sylke Hachmeister
Carlsen Verlag, Hamburg 2008
624 Seiten, 22,90 Euro




Online-Flyer Nr. 160  vom 20.08.2008



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