NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

zurück  
Druckversion

Lokales
UN-Diplomat a.D. in Köln zu Geschichte und Gegenwart des Irak-Krieges
10-Punkte-Plan für den Frieden
Von Teresa Huhle

In der letzten Veranstaltung der Reihe „Erinnern für die Menschenrechte: Geschichte und Geschichten“ des Kölner Appell gegen Rassismus e.V. vor den Sommerferien sprach im Kölner Allerweltshaus Hans-Christof Graf von Sponeck. Sein Thema „Geschichte und Gegenwart des Krieges im Irak“. Die Reihe wird im September weitergeführt.

Projektleiter und Moderator Adnan Keskin erklärte eingangs, er habe nicht damit gerechnet, Herrn von Sponeck - der 40 Jahre lang als Diplomat bei den Vereinten Nationen gearbeitet hatte und bis Februar 2002 das UN-Hilfsprogramm „Öl für Nahrungsmittel“ im Irak leitete, bis er aus Protest gegen die Handhabung des Programms zurücktrat - als Referenten gewinnen zu können, und bedankte sich umso herzlicher für dessen Erscheinen. Von Sponeck - Mitglied der Organisation Transnational Foundation for Peace and Future Research (TFF), die einen 10-Punkte-Plan für einen Frieden im Irak entworfen hat - erklärte, er sei der Einladung gerne gefolgt, weil ihn der Kölner Appell auf Grund seiner multikulturellen Zusammensetzung sehr angesprochen habe. Ohne interkulturellen Dialog sei ein Zusammenleben nicht möglich. Seit 1968 habe er durch seine Arbeit für die UNO gelernt, dass Dialog das wichtigste sei, doch im Irak habe dieser keine Chance gehabt.
 
Westliche Doppelmoral
 
„Die Welt ist im Umbruch“ - das merke man jeden Tag, wenn man die Zeitung aufschlage. Im Westen denke man, man habe die Weisheit und die allgemeingültige Lebensweise gefunden. Doch es gebe neue Bündnisse, die sich dagegen wehrten, beispielsweise das energiepolitische Bündnis zwischen Brasilien, Russland, Indien und China oder die Shanghai Cooperation Organization (ein multilaterales Bündnis zwischen der Volksrepublik China, Kasachstan, Kirgisistan, Russland, Tadschikistan und Usbekistan). Es entstünden also neue Allianzen, leider blieben aber auch die alten bestehen, kritisierte von Sponeck das Fortbestehen und die Politik der NATO. Die Situation in Afghanistan zeige, dass die NATO-Politik nicht aufgehe: „Man kann Politik nicht mit dem Fallschirm abwerfen. An Diskussionen wie der um Nuklearwaffenbesitz werde deutlich, dass die westliche Doppelmoral nicht länger funktioniere.


im Allerweltshaus - Zuschauer
Große Aufmerksamkeit im Allerweltshaus

Im Juni habe ein schwedisches Institut für Friedensforschung errechnet, pro Jahr und Kopf würden weltweit 202 Dollar für Waffen ausgegeben. Damit niemand auf der Welt mehr hungern müsse, reichten 20 Dollar pro Kopf und Jahr. Statt einer „Pax Americana“ gebe es „PNAC (Project for the New American Century)“ - die von den Neokonservativen um Präsident Bush entwickelte Sicherheitsstrategie der USA, die, so von Sponeck, zum Ziel hat, auf allen Gebieten die US-Vorherrschaft zu behalten und zu fördern.

Seit 2003 eine Million Tote
 
„Im Mittleren Osten hängt alles mit allem zusammen“, erklärte von Sponeck. Man könne die einzelnen Konflikte und Entwicklungen nicht trennen, nicht über den Irak reden, ohne auch über Palästina, Libanon und Syrien zu sprechen. Die Bevölkerung im Irak habe sehr viel durchgemacht. Von 1979 bis 2003 lebte sie unter einer Diktatur, seit 1990 litt sie zusätzlich unter den Wirtschaftssanktionen, 1991 erlebte sie den 2. Golfkrieg und 2003 den „3. Golfkrieg“ – die illegale Okkupation und Invasion. Eine Bilanz der Opfer in Zahlen auszudrücken sei schwierig, diese schwankten sehr. Wie viele Menschen seien auf Grund der UN-Sanktionen gestorben? 1,5 Millionen? Die Zahl sei egal, sagte von Sponeck. „Es sind Menschen gestorben“ und jeder einzelne zähle. Seit 2003 rechne man mit einer weiteren Million Toten. Doch was sei mit den Lebenden? Manchmal als er in Bagdad arbeitete, habe er gedacht, sterben sei besser als so zu leben. Heute sei er an einem Hilfsprojekt beteiligt, das es Kranken ermögliche außerhalb des Irak behandelt zu werden, weil die Krankenhäuser im Irak heute in einem noch viel schlechteren Zustand als in der Sanktionszeit seien. Seit 2003 gebe es 2,5 Millionen interne Flüchtlinge und 2 Millionen Flüchtlinge, die das Land völlig mittellos verließen.
 
Der größte Fehler der US-amerikanischen Verwaltung im Irak sei die Konstruktion ethnischer Konfrontationen zwischen Sunniten, Schiiten und Turkomanen gewesen. Zwar habe es auch vor der amerikanischen Besatzung Probleme zwischen den ethnischen Gruppen gegeben, diese seien jedoch sehr viel latenter gewesen und das Zusammenleben habe Jahrhunderte lang funktioniert. Auch der irakische Widerstand sei sehr komplex, es gebe neben dem terroristischen auch einen ehrbaren Widerstand. Vorfälle, wie die in Abu Ghraib hätten das Ansehen der Besatzer völlig untergraben, jeden Tag werde im Irak das internationale Recht mir Füßen getreten, entsprechend dem Satz von Donald Rumsfeld „Internationales Recht gibt es nicht, wir machen es.“
 
Testfelder für neue Waffen
 
An dieser Stelle wurde von Sponecks Vortrag, auf seine Ermutigung hin, durch einen Beitrag aus dem Publikum unterbrochen. Der Gast sagte, dass die Amerikaner im Irak Uran-Munition verwendeten und damit einen Völkermord verursachten, dass 18 Landschaften im Irak wegen der Kontamination völlig unbewohnbar seien und Soldaten am so genannten „Irak-Syndrom“ wegen Vergiftungen starben. Von Sponeck ergänzte, es sei eine Tatsache, dass im Irak Kinder mit zwei Köpfen und drei Augen geboren würden und dass nach Waffentests 2003 Menschen einfach in den Boden einschmolzen. Der Irak und auch Afghanistan dienten zweifellos als Testfelder für neue Waffen. Dazu komme das gravierende Problem der institutionalisierten Lüge: in den USA gebe es eine eigene Regierungsabteilung, die für Lügen zuständig sei und so schaffe die Politik die Fakten und nicht die Fakten die Politik. Auch für intelligente Menschen sei es heute fast unmöglich die Wahrheit herauszufiltern.
 
Ein Gast aus Nepal sagte, Freunde von ihm seien als Soldaten der britischen Armee im Irak und er würde gern wissen, welche Rolle Al-Qaida dort spiele. Von Sponeck: Al-Qaida habe es vor der Invasion der Amerikaner und ihrer Verbündeten im Irak gar nicht gegeben, der Widerstand sei außerdem sehr komplex, es gebe um die 50 Widerstandsgruppen.
 
10-Punkte-Friedensplan der TFF
 
Dann erläuterte er das 10-Punkte-Friedensprogramm der oben erwähnten Organisation TFF:
1.         Truppenabzug
2.         Volle irakische Souveränität
3.         Einsatz einer friedensbildenden UN-Mission (dazu gebe es keine 
            Alternative) mit einem respektvollen Ansatz, der die IrakerInnen
            integriere und einbinde
4.         Schuldenerlass für den Irak
5.         Entschädigung an den Irak für die Sanktionspolitik, den Krieg und die
            Besatzung
6.         Die irakische Souveränität über das Öl
7.         Eine Wahrheitskommission für eine Versöhnung zwischen den
            irakischen Gruppen
8.         Ein OECD-Äquivalent für den Mittleren Osten
9.         Mensch zu Mensch-Zusammenarbeit zwischen IrakerInnen und
            AusländerInnen
10.       Die Einrichtung einer ständigen Regionalkonferenz
Und als 11. Punkt gelte es noch aufzunehmen: ein Kriegsverbrechertribunal gegen Bush und seine Verbündeten, angelehnt an das Vietnam-Tribunal.
Graf von Sponeck
Graf von Sponeck: Irak-Tribunal
angelehnt an das Vietnam-Tribunal       
notwendig
Nach der Auflistung dieses Friedensplans beendete von Sponeck seinen Vortrag und eröffnete die Diskussion, an der sich das Publikum mit zahlreichen Fragen und Beiträgen beteiligte.
Ein Zuschauer kritisierte die UNO. Diese habe schon 1945 keine Autorität und Legitimation gehabt. Von Sponeck entgegnete, die UNO habe viele Gesichter, laute und bekannte Gesichter wie den UN-Sicherheitsrat und leise und weniger bekannte Gesichter, also all die vielen BeamtInnen. Die UNO sei kein fauler Kompromiss, die Tragik sei nur, dass ihre Satzung nicht gelebt werde, dass sie von der Politik missbraucht werde.
 
Ein Gast aus dem Irak bedankte sich bei von Sponeck für seinen Einsatz. Er betonte, die USA hätten im Irak Massenvernichtungswaffen (Phosphor) eingesetzt, die UNO habe mit der Resolution 1547 die Besatzung des Irak legalisiert, und die Fragmentierung der irakischen Gesellschaft sei eine Krankheit, welche die Besatzung ausgelöst habe. Für den Irak sei der Ausgang der amerikanischen Präsidentschaftswahlen irrelevant, auch die Demokraten hätten schon oft Verbrechen verübt. Der Krieg sei begonnen worden, obwohl über 80 Prozent der Weltbevölkerung dagegen waren. Deshalb verdiene der irakische Widerstand heute unsere Solidarität. Von Sponeck unterstrich diese Forderung und sagte, auch wenn sich der Krieg 2003 nicht habe verhindern lassen, so habe sich der Protest auf der Straße dennoch gelohnt, seien Politiker über ihre Kriegspolitik gestürzt, und sei es immer wichtig nicht zu schweigen.
 
Frieden nur in Zusammenarbeit mit IrakerInnen
 
Ein weiterer Gast ergänzte von Sponecks Berechnungen über die ungeheuren Kosten dieses Krieges und sagte, dass man sich in diesem Zusammenhang klar machen müsse, dass wir alle Opfer dieses Krieges seien, der als Geschäft geführt werde. Von Sponeck bestätigte dies und sagte, dass Problem der Friedensbewegung heute sei es, die Bevölkerung für das Thema zu mobilisieren.
 
Gefragt nach dem 10-Punkte-Plan erklärte von Sponeck, der Plan werde weiter verfeinert und es werde darauf hingearbeitet, ihn an einem runden Tisch mit 15 bis 20 Personen, natürlich auch mit IrakerInnen, weiter zu besprechen. Bei allen Friedensbemühungen sei es besonders wichtig, dass diese nicht wieder wie ein ausländisches Projekt wirkten, sondern in Zusammenarbeit mit IrakerInnen entwickelt würden.
 
Einmarsch der USA im Iran?
 
Nur durch den Abzug Israels aus dem Westjordanland und dem Gazastreifen lasse sich der Mittlere Osten stabilisieren, warf ein Gast ein und fragte, wie sehr er mit einem Einmarsch der USA im Iran rechne, was von einem möglichen US-Präsidenten McCain zu halten sei und wie er den irakischen Widerstand einschätze. Mit einem Angriff auf den Iran rechne er nicht, so von Sponeck. McCain sei ein anderer Bush. Und was den irakischen Widerstand betreffe, so sei dieser sehr komplex und schwer durchschaubar, die Hauptkräft seien aber mit Sicherheit die Baathisten, also die Anhänger der Baath-Partei von Saddam Hussein. Ein irakischer Gast im Publikum ergänzte daraufhin, dass das zwar richtig sei, dennoch gebe es auch einen unabhängigen patriotischen Widerstand.
 
Wie von Sponeck sich ein an das Vietnam-Vorbild angelehntes Tribunal vorstelle, lautete eine weitere Frage? In Istanbul sei bereits ein solches Tribunal abgehalten worden, auf dem die Kriegsverbrechen der US-Koalition angeklagt wurden, Ziel sei dabei in erster Linie öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen, antwortete von Sponeck.
 
Die Diskussion wäre noch lange weitergegangen, doch aus Zeit- und Erschöpfungsgründen wurde der Vortragsabend von Adnan Keskin an dieser Stelle beendet. Nach einem langen Applaus für den Referenten gingen die Diskussionen in kleineren Gruppen weiter. (PK)
 
Fotos: Mahira Yigit-Hahn

Online-Flyer Nr. 154  vom 09.07.2008

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE