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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Weltgrößtes Spektakel von Schwulen und Lesben für mehr Toleranz
In Köln is jeder Jeck anders
Von Hans-Dieter Hey

Gut gelaunt, aber mit dem politisierenden Slogan „Null Toleranz für null Toleranz!" traten am vergangenen Sonntag in Köln 20.000 Teilnehmer auf dem weltweit größten Homophilen-Event kämpferisch für mehr Toleranz und Gleichberechtigung von Lesben und Schwulen ein. Rund 500.000 Menschen schauten dem Spektakel zu, mehr als am Rosenmontag. Doch trotz Ausgelassenheit mit Musik, gutem Wetter und verteilten Kondomen und Lollies muss der Widerstand gegen Gewalt und Ausgrenzung leider auf der Agenda bleiben.

Gewalt und Ausgrenzungen nehmen zu

Nach einer Untersuchung in Berlin klagten 43 Prozent der Schwulen über Gewalterfahrungen, das sind fünf Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Die Berliner Opferberatung meldete im vergangenen Jahr 187 Gewalttaten gegen Schwule. Betroffene wandten sich jedoch meist nicht an öffentliche Stellen. 60 Prozent aller Schwulen hatten kein Vertrauen zur Polizei, weil sie bereits Erfahrungen mit ignoranten Beamten gemacht hätten, so der Bericht des Berliner Anti-Gewalt-Projekts „Maneo". Bundesweit sind rund 55 Prozent wegen ihres Schwulseins gedemütigt, beleidigt oder angegriffen worden. Über zwölf Prozent mussten tätliche Angriffe und Köperverletzungen erleiden. Die Dunkelziffer scheint erheblich größer zu sein, denn nur zehn Prozent aller Belästigungen wurden der Polizei überhaupt gemeldet. Die Opferberatungs- und Beschwerdestellen sind offensichtlich überfordert. Bastian Finke, Leiter des Anti-Gewalt-Projektes in Berlin: „Homophobe Gewalt ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, und dessen Lösung darf deshalb nicht allein den lesbisch-schwulen Verbänden überlassen werden.“.

Gelegentlich kommen die Angriffe subtil daher. In Hamburg finden rund um den CSD Veranstaltungen im „Pride-House" statt, das mit dem örtlichen CVJM-Haus „An der Alster" seit Jahren gut zusammenarbeitet. Doch das passt dem CVJM-Bundesgeschäftsführer Martin Bath offensichtlich nicht in dem Kram. Wie die evangelische Nachrichtenagentur „idea" mitteilte, hätten die Hamburger damit „die gemeinsamen Grundüberzeugungen aller Ortsgruppen verlassen". Probleme gibt es vor allem mit der katholischen Kirche. Das Internetportal „World Youth Day for All", welches sich um Veränderung innerhalb der Kirche bemüht, legt die Finger in eine alte Kölner Wunde: „Kardinal Meissner lässt keine Gelegenheit aus, gegen schwule und lesbische Menschen offen zu hetzen und sie wie kein anderer zu beschimpfen und zu diskreditieren!". Die jahrelangen Auseinandersetzungen um Meissners Sprüche machen die christliche Homophobie deutlich. Dagegen wehren sich auch die Veranstalter des „Christopher Street Day" (CSD): „Es ist nicht hinnehmbar, dass ...in unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung Hass und Ausgrenzung gegenüber Homosexuellen gepredigt wird".

Anfeindungen nicht nur bei uns

Die Zunahme von Demütigungen und Gewalttaten ist nicht nur ein deutsches Problem. Ende Juni hatte die tschechische rechtsextreme „Nationalpartei" gewalttätige Attacken gegen eine Gay-Parade in Brno geplant und durchgeführt. Diese Partei soll nun verboten werden. In der Tschechoslowakei ist Homosexualität schon 1961 legalisiert worden. Nach der „Wende" mussten Lesben und Schwule ihre Rechte teilweise wieder erkämpfen, und seit 2005 gibt es homophile eingetragene Partnerschaften. In der ungarischen Hauptstadt Budapest wurden schwule Homophilen-Bars auf einer rechtsextremistischen Seite veröffentlicht. Die Folge war ein Brandanschlag auf die Schwulenkneipe „Action Bar", von der aus eine Gay-Parade organisiert werden sollte. Am Samstag wurden die Umzugsteilnehmer mit Steinen und Eiern beworfen und Hassparolen wie «Dreckige Schwule verreckt!» gerufen. Dabei wurden Polizisten verletzt und Polizeifahrzeuge beschädigt. 57 Gewalttäter wurden festgenommen. Ein Jahr zuvor war die gleiche Parade mit Flaschen, Rauchbomben und Molotow-Cocktails beworfen worden. In Polen wollte man noch vor einigen Jahren homosexuelle LehrerInnen mit Berufsverboten belegen. Erst nach zahlreichen Protesten aus der europäischen Politik nahm man davon wieder Abstand. In mehreren osteuropäischen Ländern wurden Demonstrationen von Schwulen und Lesben, die für ihre Rechte eintraten, verboten.

Und der Grünen-Politiker Volker Beck wird sich an die Zeit von vor gut einem Jahr erinnert haben, als er in Moskau mit Eiern und Tomaten beworfen und vorübergehend festgenommen wurde, weil er an einer Schwulenparade teilgenommen hatte und dem Moskauer Bürgermeister die gleiche Petition zur Versammlungsfreiheit übergeben wollte, die er und italienische Kollegen zuvor dem EU-Parlament übergeben hatten. In seiner Rede am Sonntag wies Beck darauf hin, dass die Gleichstellung in Deutschland vor allem seit der schwarz-roten Regierung ins Stocken geraten sei. Es sei eben nur eine halbe Gleichstellung, wenn „in Deutschland Lebenspartnerschaften zwar gleiche Pflichten wie Eheleute, aber noch immer nicht die gleichen Rechte" hätten, so Beck.

Politik ist gefordert

Als Gefahr für das innere Klima bei uns machte er auch gesellschaftlich offensichtlich tolerierte Feindseligkeiten aus: „Homophobie ist Gift für das Klima im Land. Schwulen- und lesbenfeindliche Sprüche und Hass-Gesänge sind nicht spaßig. Weghören gilt nicht, wenn gegen Minderheiten gehetzt wird." Beck greift Neonazi-Bands genauso an wie manche Rapper, manche jamaicanische Reggae-Musik oder den Internet-Händler amazon.de, der diese Musik vertreibt. In Deutschland dürfte deshalb noch einiges zur Akzeptanz von Schwulen und Lesben getan werden müssen: „Dem deutschen Antidiskriminierungsrecht fehlt bisher der Biss. Schwarz-Rot ist gefordert, europäisches Recht endlich umzusetzen und sich Fortschritten auf europäischer Ebene nicht länger zu versperren".

Im Prinzip ist Köln eine weltoffene, tolerante Stadt, in der bis zu 100.000 Schwule und Lesben leben dürften. „Jeder Jeck is anders", heißt es hier, und das weist auf eine größere Akzeptanz von Menschen mit anderen Partner- und Lebensmodellen hin. Wenn dem so wäre, wäre es ja gut. Dann könnte Köln der Regierung in Berlin sozusagen am lebenden Modell einer offenen und toleranten Stadt vorbildlich vorexerzieren, was sie selbst an Antidiskriminierungspolitik noch zu erledigen hat. (PK) 






























































Fotos: gesichter zei(ch/g)en

Online-Flyer Nr. 154  vom 09.07.2008

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