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200 Jahre jüdische Lebenswelten zwischen Rhein und Maas
„Grenzerfahrungen“
Von Hans-Dieter Hey
Nicola Wenge
Die Wanderausstellung behandelt die grenzübergreifende Geschichte über rund 200 Jahre, die sich lebendig und eindrucksvoll in fünf ausgewählten Biografien die Lebensgeschichten der Menschen widerspiegelt. In der Partnerstadt Roermond wird in einer einzigartigen Ausstattung die jüdische Lebenswelt im Stil der 1950er Jahre präsentiert. Nicola Wenge: „Deutlich werden die vielen Gemeinsamkeiten, die engen persönlichen Beziehungen, die institutionellen Kontakte und auch die hohe Mobilität der jüdischen Minderheit in dieser europäischen Kernregion.“
1798, zur Zeit der französischen Revolutionstruppen im Rheinland, ging der Wunsch von François Joseph Rudler nicht so in Erfüllung, wie er vorausgesagt hatte. Zwar wurden die verhassten „Judengesetze“ abgeschafft, Änderungen aber nur zögerlich umgesetzt. Weiterhin litten Menschen jüdischer Abstammung unter überhöhten Sondersteuern, Berufsverboten, Ausbeutung und Ausgrenzungen im gesellschaftlichen, politischen oder öffentlichen Leben. Aufgrund wirtschaftlicher Benachteiligung blieb ihnen häufig keine andere Wahl – als „Pack- und Betteljuden“ beschimpft – durchs Land zu ziehen, üblicherweise noch verleumdet und denunziert. Oft blieb ihnen als berufliche Existenz nichts anderes als der „Hausierhandel“. Auch schloss man sich zu Räuberbanden zusammen: um zu überleben, da Juden auch nicht auf die staatliche Armenfürsorge hoffen konnten.
Durch die Niederlage Napoleons fiel der Niederrhein um 1815 an Preußen, Limburg an die Niederlande. Während die niederländische Regierung die völlige Gleichstellung von Juden durchsetzte, erließ der preußische König für sie erneut Sondergesetze. Erst in jahrzehntelangem, zähen Ringen konnte weitgehende Gleichberechtigung erzielt werden, die vor allem durch das rheinische Bildungsbürgertum und ihrer liberalen Grundhaltung unterstützt wurde. Dennoch waren jüdische Bürger Anfeindungen, vor allem durch die katholisch und konservativ geprägte Bürgerschaft, ausgesetzt.
Das konnte bis hin zu körperlichen Gewaltexzessen führen. Beispielsweise wurden dem zu relativem Wohlstand gelangten Pferdehändler Leon Neumann 1828 die Fensterscheiben seines Hauses eingeschlagen; er musste antijüdische Hetztiraden über sich ergehen lassen und sein Sohn wurde verprügelt. Rechtliche Konsequenzen hatte das nicht. Eine allgemeine Verbesserung trat erst in den Jahren um 1870 ein. Vor allen in den Städten konnten viele Juden ins Bürgertum aufsteigen. Aber schon damals begann der antisemitische Rassismus, der zur Vertreibung und Vernichtung eines ganzen Volkes hetzte.
Erst mit der revolutionär durchgesetzten Demokratisierung in Deutschland um 1918-19 und der Weimarer Reichsverfassung begann eine formell durchgesetzte, jedoch nur vorübergehende Gleichstellung der jüdischen Bevölkerung. Diese für das jüdische Leben zunächst günstige Entwicklung fand durch die vom Großkapital unterstützte Machtergreifung Adolf Hitlers ein Ende und ging die bekannte furchtbare Entwicklung. Schließlich endete das jüdische Leben in Deutschland mit einer bis dahin in der Welt nicht gekannten Barbarei durch den deutschen Faschismus, der die Vernichtung fast der gesamten jüdischen Bevölkerung in Europa zur Folge hatte.
Ausflug der Familie Cahn aus Waldniel mit Freunden in den 1920er Jahren
Quelle: Privatbesitz Winter-Cahn
Ein Beispiel aus der Region: die Familie von Helene Winter-Cahn, die 1905 in Waldniel geboren wurde, kam bis auf sie durch den Naziterror zu Tode. Sie starb 2006 in Roermond, dort, wo man bereits 1933 mit der Gründung von Flüchtlingskomitees begonnen hatte. Dies und mehr an Informationen sind in dem Ausstellungskatalog enthalten.
Und heute? Heute ist vielerorts wieder jüdisches Leben in Deutschland und der Region zur Normalität geworden. Dennoch keimt wieder die giftige Saat des Antisemitismus auf, so dass jüdische Einrichtungen durch die Polizei geschützt werden müssen. Doch diesem erneut auflodernden Irrsinn kann man auch Wissen entgegensetzen, wie es die graphisch und vom Design eindrucksvoll präsentierte Ausstellung „Grenzerfahrungen“ vermittelt. Im Museum Schloss Rheydt können die historischen und zeitgenössischen jüdischen Lebenswelten noch bis zum 10. August, in der Synagoge Roermond bis zum 30. August erfahren werden. (CH)
Gelungenes Ausstellungskonzept: schnell überall einsetzbar
Jüdisches Leben in Biografien – gestern und heute
Bauplan der Synagoge Roermond 1847 | Quelle: Gemeentearchief Roermond
Jubiläumsfeier zum 60jährigen Bestehen der Jüdischen Gemeinde Roermond 1913 | Foto: Joodsche Pers
Ortsgruppe des Makkabi-Sportsvereins Mönchengladbach in den 1920er Jahren | Quelle: Stadtarchiv Mönchengladbach
Die Thunderclapband: Jüdische Jazzcombo aus Mönchengladbach in den 1920er Jahren | Quelle: Stadtarchiv Mönchengladbach
Gemeindenachwuchs in Krefeld 2007 | Quelle: Jüdische Gemeinde Krefeld
Einweihung einer Gedenkstele zur Erinnerung an die deportierten Juden aus Roermond im Hof der Synagoge, Mai 2007 | Foto: Stichting Rura
Online-Flyer Nr. 152 vom 25.06.2008
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200 Jahre jüdische Lebenswelten zwischen Rhein und Maas
„Grenzerfahrungen“
Von Hans-Dieter Hey
Nicola Wenge
1798, zur Zeit der französischen Revolutionstruppen im Rheinland, ging der Wunsch von François Joseph Rudler nicht so in Erfüllung, wie er vorausgesagt hatte. Zwar wurden die verhassten „Judengesetze“ abgeschafft, Änderungen aber nur zögerlich umgesetzt. Weiterhin litten Menschen jüdischer Abstammung unter überhöhten Sondersteuern, Berufsverboten, Ausbeutung und Ausgrenzungen im gesellschaftlichen, politischen oder öffentlichen Leben. Aufgrund wirtschaftlicher Benachteiligung blieb ihnen häufig keine andere Wahl – als „Pack- und Betteljuden“ beschimpft – durchs Land zu ziehen, üblicherweise noch verleumdet und denunziert. Oft blieb ihnen als berufliche Existenz nichts anderes als der „Hausierhandel“. Auch schloss man sich zu Räuberbanden zusammen: um zu überleben, da Juden auch nicht auf die staatliche Armenfürsorge hoffen konnten.
Durch die Niederlage Napoleons fiel der Niederrhein um 1815 an Preußen, Limburg an die Niederlande. Während die niederländische Regierung die völlige Gleichstellung von Juden durchsetzte, erließ der preußische König für sie erneut Sondergesetze. Erst in jahrzehntelangem, zähen Ringen konnte weitgehende Gleichberechtigung erzielt werden, die vor allem durch das rheinische Bildungsbürgertum und ihrer liberalen Grundhaltung unterstützt wurde. Dennoch waren jüdische Bürger Anfeindungen, vor allem durch die katholisch und konservativ geprägte Bürgerschaft, ausgesetzt.
Das konnte bis hin zu körperlichen Gewaltexzessen führen. Beispielsweise wurden dem zu relativem Wohlstand gelangten Pferdehändler Leon Neumann 1828 die Fensterscheiben seines Hauses eingeschlagen; er musste antijüdische Hetztiraden über sich ergehen lassen und sein Sohn wurde verprügelt. Rechtliche Konsequenzen hatte das nicht. Eine allgemeine Verbesserung trat erst in den Jahren um 1870 ein. Vor allen in den Städten konnten viele Juden ins Bürgertum aufsteigen. Aber schon damals begann der antisemitische Rassismus, der zur Vertreibung und Vernichtung eines ganzen Volkes hetzte.
Erst mit der revolutionär durchgesetzten Demokratisierung in Deutschland um 1918-19 und der Weimarer Reichsverfassung begann eine formell durchgesetzte, jedoch nur vorübergehende Gleichstellung der jüdischen Bevölkerung. Diese für das jüdische Leben zunächst günstige Entwicklung fand durch die vom Großkapital unterstützte Machtergreifung Adolf Hitlers ein Ende und ging die bekannte furchtbare Entwicklung. Schließlich endete das jüdische Leben in Deutschland mit einer bis dahin in der Welt nicht gekannten Barbarei durch den deutschen Faschismus, der die Vernichtung fast der gesamten jüdischen Bevölkerung in Europa zur Folge hatte.
Ausflug der Familie Cahn aus Waldniel mit Freunden in den 1920er Jahren
Quelle: Privatbesitz Winter-Cahn
Ein Beispiel aus der Region: die Familie von Helene Winter-Cahn, die 1905 in Waldniel geboren wurde, kam bis auf sie durch den Naziterror zu Tode. Sie starb 2006 in Roermond, dort, wo man bereits 1933 mit der Gründung von Flüchtlingskomitees begonnen hatte. Dies und mehr an Informationen sind in dem Ausstellungskatalog enthalten.
Und heute? Heute ist vielerorts wieder jüdisches Leben in Deutschland und der Region zur Normalität geworden. Dennoch keimt wieder die giftige Saat des Antisemitismus auf, so dass jüdische Einrichtungen durch die Polizei geschützt werden müssen. Doch diesem erneut auflodernden Irrsinn kann man auch Wissen entgegensetzen, wie es die graphisch und vom Design eindrucksvoll präsentierte Ausstellung „Grenzerfahrungen“ vermittelt. Im Museum Schloss Rheydt können die historischen und zeitgenössischen jüdischen Lebenswelten noch bis zum 10. August, in der Synagoge Roermond bis zum 30. August erfahren werden. (CH)
Gelungenes Ausstellungskonzept: schnell überall einsetzbar
Jüdisches Leben in Biografien – gestern und heute
Bauplan der Synagoge Roermond 1847 | Quelle: Gemeentearchief Roermond
Jubiläumsfeier zum 60jährigen Bestehen der Jüdischen Gemeinde Roermond 1913 | Foto: Joodsche Pers
Ortsgruppe des Makkabi-Sportsvereins Mönchengladbach in den 1920er Jahren | Quelle: Stadtarchiv Mönchengladbach
Die Thunderclapband: Jüdische Jazzcombo aus Mönchengladbach in den 1920er Jahren | Quelle: Stadtarchiv Mönchengladbach
Gemeindenachwuchs in Krefeld 2007 | Quelle: Jüdische Gemeinde Krefeld
Einweihung einer Gedenkstele zur Erinnerung an die deportierten Juden aus Roermond im Hof der Synagoge, Mai 2007 | Foto: Stichting Rura
Online-Flyer Nr. 152 vom 25.06.2008
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