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Inland
Warum „ksta-tv“ Clement als „Gegenentwurf“ zur Bundesregierung sieht
Verräter mit Zukunft?
Von Peter Kleinert

Über eine „Kampagne der Medien“ mit Hilfe von „anonymen parteiinternen Kritikern“ hat sich Kurt Beck im Hinblick auf eine mögliche Kanzlerkandidatur am Wochenende auf dem Berliner SPD-Parteitag beschwert. Er hat wohl nicht mitbekommen, dass der Kölner Stadt-Anzeiger schon seit Mitte Mai der im Umfragekeller hockenden Partei Wolfgang Clement als „Gegenentwurf zur gegenwärtigen Bundesregierung“ unterzujubeln versucht – durch ein inzwischen seit Wochen im Internet stehendes 23 Minuten-Interview von Chefredakteur Franz Sommerfeld, für das „ksta.tv" den für seine Seriosität bekannten Sendetitel „Gesprächszeit“ bei Radio Bremen abgekupfert hat.

Wolfgang Clement
Kämpft für Gerechtigkeit –
Wolfgang Clement
Foto: NRhZ-Archiv
Fast zwei Minuten vom Blatt lesend stellt Sommerfeld seinen ersten und bisher offenbar einzigen Gast in der „Gesprächszeit“ vor, erwähnt dabei sogar, dass der ehemalige „Superminister“ inzwischen „Berater und Aufsichtsrat in verschiedenen Unternehmen“ ist, „darunter auch der Verlagsgruppe, in der der KStA erscheint“. „Doch“, so betont er, „das wird uns nicht beeinträchtigen.“ Was nicht auf seinem Zettel steht: Clement kassiert nicht nur Aufsichtsratshonorar beim Verlag M.DuMont Schauberg, sondern auch bei der RWE-Kraftwerkstochter RWE Power AG, weshalb er sich im Hessenwahlkampf gegen den schrittweisen Ausstieg aus der Atomindustrie und die Wahl von Andrea Ypsilanti einsetzte.
 
Rolle in einem „Mitbestimmungsorgan“
 
In der „Gesprächszeit“ geht es vor allem um das Parteiordnungsverfahren, das ihm erstmal eine Rüge eintrug, weil er durch seinen öffentlichen Angriff auf Andrea Ypsilanti und deren Wahlprogramm für eine umweltfreundlichere aber für AKW- und Kohlekraftwerkskonzerne nachteilige Energiepolitik die Hessen-SPD um jede Menge Stimmen gebracht hat. Gegen diese Rüge habe er Beschwerde eingelegt, sagt Clement. Die Frage, ob er sich von Kurt Beck dazu „ein klares Wort“ gewünscht hätte, kommt ihm grade recht. Zumindest hätte er sich gewünscht, dass jemand, der wie er als Sozialdemokrat „in einem Mitbestimmungsorgan eine Rolle wahrnimmt, nicht als Lobbyist abgetan wird... So geht man nicht miteinander um.“ Er „fechte diese Entscheidung jetzt an“. Dass er selbst schon lange vor diesem Verfahren im Dezember 2007 der SPD wegen ihres „Linksrucks“ mit seinem Parteiaustritt drohte, hat er wohl vergessen.
 
Nicht nur dieser von Clement gegen Beck per „ksta-tv“ ins Internet geschossene Ball kommt Zeitungen wie der Welt aus dem Springer-Verlag gerade recht. Unter der Schlagzeile „Parteirebell Wolfgang Clement wirft SPD Ignoranz vor“ empfiehlt die ihren LeserInnen, sich dort mal reinzuklicken. Denn: „Der frühere stellvertretende SPD-Vorsitzende Wolfgang Clement hat Parteichef Kurt Beck scharf kritisiert. Die SPD unter Becks Führung habe ’eine große Chance verspielt, die Reformkraft Deutschlands zu sein’, sagte Clement in ksta.tv, dem Internetfernsehen des Kölner Stadt-Anzeigers. Der SPD ’fehlt heute der reformerische Ansatz’. Die Partei fahre in ihrer Mehrheit einen ’unökonomischen und die Gegebenheiten der Welt ignorierenden Kurs’. Sie habe ’vergessen, dass sozialer Ausgleich nur zu erreichen ist, wenn ich Wachstum erziele’“.
 
„Schmidt und Schröder wussten das“
 
Und Wachstum, so Clement zu den „ksta-tv“-Guckern, erzielt man eben nicht, wenn man wie Beck das ALG 1 verlängert. Das sei eine „konträre Fehlorientierung“ ebenso wie die von SPD und Gewerkschaften verlangte Förderung der Altersteilzeit. „Schmidt und Schröder wussten das: Wir haben eine Überlast der Sozialpolitik.“ Der Abschied von deren Reformpolitik „ist falsch“.

Sommerfeld
KStA-Chefredakteur
Franz Sommerfeld
Quelle: KJS-Schule
KStA-Chefredakteur Sommerfeld scheint optimistisch, dass seine Sendung Wirkung zeigen wird und dass sein Gast die SPD doch noch rumkriegt. Auf seinem Zettel steht nämlich eine Überschrift aus der Wochenzeitung Die Zeit des Holtzbrinck-Konzerns vom November 1986: „Verräter mit Zukunft“. Damals legte Clement wegen des allzu sozial bestimmten Bundestagswahlkampfs 86/87 seine Parteiämter als Sprecher des Bundesvorstands und stellvertretender Bundesgeschäftsführer der SPD nieder. Jaja, erinnert er sich stolz: Auch damals „musste eine Wende herbeigeführt werden aus der Zweigleisigkeit… Ich bin dann ausgeschieden und bin als Arbeitsloser zuhause, nach Hause, nachts zu meiner Frau gekommen… Das war eines der schlimmsten Erlebnisse, die ich gehabt hatte.“ Dass der Arbeitslose kurz danach Chefredakteur der Hamburger Morgenpost von Gruhner & Jahr wurde, erfahren die „ksta-tv“-Fans nicht.
 
Stattdessen hören sie im Schlusswort des „Verräters mit Zukunft“: „Die Zukunft heißt weiter: Für Gerechtigkeit arbeiten.“ Und deshalb brachte sein Ministerium für Wirtschaft und Arbeit unter der Regierung Schröder die Broschüre „Vorrang für die Anständigen - Gegen Missbrauch, ‚Abzocke’ und Selbstbedienung im Sozialstaat“ heraus, für die er persönlich das Vorwort schrieb. Und deshalb verglich er im Sommer 2005 bei Sabine Christiansen Hartz IV-Empfänger indirekt mit Parasiten, liberalisierte den gesetzlichen Rahmen für Leiharbeit und passt nun als Aufsichtsrat im fünftgrössten deutschen Zeitarbeitsunternehmen Deutscher Industrie Service auf, dass dort für die ZeitarbeiterInnen alles gerecht zugeht. (PK)

Online-Flyer Nr. 152  vom 25.06.2008



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