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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Arbeit und Soziales
Neoliberalismus als Wegbereiter für Rasissmus und Standortnationalismus?
Marktradikalismus und Rechtsextremismus – Teil 4/4
Von Prof. Dr. Christoph Butterwegge

Erstmals werden die verschiedenen Ansätze der Neoliberalismusforschung im deutschsprachlichen Raum unter verschiedenen Perspektiven gebündelt dargestellt. Bemerkenswert ist auch der Zusammenhang zwischen dem neoliberalen Projekt und dem wachsenden Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Christoph Butterwegge kennt sich in beiden Themen bestens aus und stellt uns einen Text aus seinem neuen Buch zur Verfügung – die Redaktion.

Rechtspopulismus im Aufschwung neoliberaler „Modernisierung"

Herbert Schui u.a. (1997) haben in einer Schrift mit dem Titel „Wollt ihr den totalen Markt?“ zahlreiche Parallelen zwischen dem Neoliberalismus und dem Rechtsextremismus herausgearbeitet und deren Geistesverwandtschaft nachgewiesen. Neoliberale reduzieren den Menschen auf seine Existenz als Marktsubjekt, das sich im Tauschakt selbst verwirklicht. Letztlich zählt für sie nur, wer oder was ökonomisch verwertbar und gewinnträchtig ist. Aufgrund dieses ausgeprägten Utilitarismus, seines betriebswirtschaftlichen Effizienzdenkens, seiner Leistungsfixierung und seines Wettbewerbswahns bietet der Neoliberalismus nicht bloß Topmanagern ihren Alltagserfahrungen im Berufsleben entsprechende Orientierungsmuster, sondern auch ideologische Anschlussmöglichkeiten an den Rechtsextremismus bzw. -populismus. Populistisch ist jene Gruppierung innerhalb des Rechtsextremismus wie des Brückenspektrums zwischen diesem und dem (National-)Konservatismus zu nennen, die besonders das verunsicherte Kleinbürgertum anspricht, dessen Vorurteile gegenüber dem Wohlfahrtsstaat nährt, dabei wirtschaftsliberale Ziele verfolgt, Minderheiten abwertende Stammtischparolen aufgreift, den Stolz auf das eigene Kollektiv, die Nation bzw. deren Erfolge auf dem Weltmarkt (Standortnationalismus) mit rassistischer Stimmungsmache oder sozialer Demagogie verbindet und die verständliche Enttäuschung vieler Menschen über das Parteien- bzw. Regierungsestablishment für eine Pauschalkritik an der Demokratie schlechthin nutzt.

Der jüngste Aufstieg des Rechtspopulismus hat sich im Spannungsfeld von neoliberaler Modernisierung und antiglobalistischer Gegenmobilisierung vollzogen (vgl. Betz 2001, S. 168). Während der 80er-Jahre lehnte sich der Rechtspopulismus fast überall in Europa an den Neoliberalismus an, überbot dessen Marktradikalismus teilweise sogar und fungierte damit als Türöffner für den Standortnationalismus. Hatte der Nationalsozialismus auf Traditionsbewusstsein, überkommene Werte und den Mythos des Reiches gepocht, setzte der moderne Rechtspopulismus eher auf Innovationsbereitschaft, geistige Mobilität und den Mythos des Marktes. Statt der antiliberalen Grundhaltung à la Carl Schmitt war für ihn zunächst eine wirtschaftsliberale Grundhaltung à la Adam Smith kennzeichnend. Weniger einer völkischen Blut-und-Boden-Romantik als der wirtschaftlichen Dynamik verhaftet, ist der Rechtspopulismus stärker markt-, wettbewerbs- und leistungsorientiert. Statt fremder Länder wollte er neue Absatzmärkte erobern. Die ultrarechte Wertetrias, so schien es fast, bildeten nicht mehr „Führer, Volk und Vaterland“, sondern Markt, Leistung und Konkurrenzfähigkeit. Privatisierung öffentlicher Unternehmen und Dienstleistungen, Deregulierung des Arbeitsmarktes und Flexibilisierung der Beschäftigungsverhältnisse ergaben jene Zauberformel, mit der man die Zukunft des „eigenen“ Wirtschaftsstandortes sichern wollte.


Alter neuer Standortnationalismus „D"?
Quelle: NRhZ-Archiv

Anfang der 90er-Jahre äußerten die europäischen Rechtspopulisten deutlicher Vorbehalte gegenüber einer Form der Globalisierung, die Massenarbeitslosigkeit produzierte und gleichzeitig die Zuwanderung von Hochqualifizierten forcierte, um den jeweiligen Industriestandort noch leistungsfähiger zu machen. Rechtspopulisten profilierten sich als Interessenvertreter der Arbeitnehmer/innen und Erwerbslosen, die von den sozialdemokratischen (Regierungs-)Parteien verraten worden seien. Teilweise feierten sie Wahlerfolge mit ungewohnten Tiraden gegen die Öffnung der (Arbeits-)Märkte, den Wirtschaftsliberalismus, Managerwillkür und Standortentscheidungen multinationaler Konzerne. „Selbst rechtsextreme Politikprojekte, die mit dem Neoliberalismus weiter im Bunde sind, bieten auch die Kritik der durch ihn hervorgebrachten gesellschaftlichen Veränderungen.“ (Kaindl 2006, S. 64) Geschickt verbanden Rechtspopulisten unter Hinweis auf negative Folgen der Globalisierung die soziale mit der „Ausländerfrage“, wodurch sie Anschluss an die Massenstimmung, neoliberale Sozialstaatskritik und hegemoniale Diskurse gewannen.

Rechtspopulismus und Neoliberalismus – ein widersprüchlichliches Wechselverhältnis


Christina Kaindl (2005, S. 182) diagnostiziert einen „Umschwung der rechtspopulistischen Parteien von Befürwortern zu Kritikern von Globalisierung und Neoliberalismus“, thematisiert allerdings nicht, ob es sich hierbei um eine Richtungsänderung oder bloß um einen taktischen Schachzug handelte. Man kann beim Rechtspopulismus keinen durchgängigen „Schwenk weg vom Neoliberalismus“ (Greven 2006, S. 19) erkennen, sondern höchstens ein zeitweiliges Schwanken im Hinblick darauf, wie bestimmte Wählerschichten am besten zu erreichen wären. Dass der Rechtspopulismus aus wahltaktischen Gründen programmatische Konzessionen an breitere Schichten (Arbeitermilieu, sozial Benachteiligte, „Modernisierungsverlierer“) machen musste, bedeutet natürlich keinen prinzipiellen Bruch mit dem Marktradikalismus. „Selbst dort, wo neue rechtsradikale Parteien ihre wirtschaftsliberale Rhetorik einschränken, bedeuten die Konsequenzen ihres Aufstiegs Wasser auf die Mühlen neoliberaler Sozialstaatskritik.“ (Kitschelt 2001, S. 439)

Das ist einer der Hauptwidersprüche des neoliberen Zeitgeistes: Während man Wirtschaftsmanagern und Großinvestoren grenzüberschreitend immer mehr unternehmerische Autonomie gewährt, werden den (arbeitenden) Menschen ein Verzicht auf soziale Sicherheit, eine stärkere Abhängigkeit von Marktzwängen und mehr Staatseingriffe in ihre Privatsphäre zugemutet. Das Hohelied auf die Marktfreiheit geht paradoxerweise mit der Wiederentdeckung gesellschaftlicher Konventionen, Pflichten und Sekundärtugenden einher. Offenbar harmoniert die globalisierte Postmoderne gut mit biedermeierlichem Mief und kleinbürgerlicher Spießermoral (vgl. dazu: Rickens 2006; Pinl 2007). Claudia Pinl (ebd., S. 153) weist auf die Geistesverwandtschaft von Neoliberalismus und Neokonservatismus hin, der in sich heterogen ist: „Nicht alle Neokonservativen wollen die Frauen an den Herd zurückschicken, nicht alle sind gegen Kindertagesstätten oder für die radikale Durchkommerzialisierung aller Lebensbereiche. Einige glauben vorwiegend an die Macht Gottes, andere an die Macht des Marktes oder der Gene, wiederum andere trauen vor allem dem moralisch erhobenen Zeigefinger. Woran sie eher nicht glauben: dass Menschen fähig sind und in die Lage versetzt werden müssen, über die Macht- und Ressourcenverteilung in der Gesellschaft demokratisch zu bestimmen.“

Neoliberalismus ist militante Gegenaufklärung

Hinsichtlich der Hauptfunktion beider Geistesströmungen, der Legitimationsbeschaffung und der Herrschaftssicherung, ergeben sich frappierende Ähnlichkeiten. Nicht bloß der Rechtsextremismus will hinter die demokratischen Errungenschaften von 1789 zurück und schafft dafür die Voraussetzungen, wenn er Machtpositionen erringt, sondern auch ein Marktradikalismus, der die Menschen politisch entmündigt, indem er sie auf ihren Status als „Homines oeconomici“ beschränkt. „Neoliberalismus ist militante Gegenaufklärung: Die Menschen sollen ihre Lage nicht durch vermehrtes Wissen in einer kollektiven, bewussten Anstrengung in den Griff bekommen. Denn dies würde mit der Herrschaft aufräumen, die der Neoliberalismus mit all seinen Kunstgriffen zu legitimieren sucht.“ (Schui 2006, S. 54)

Die wichtigste Schnittmenge zwischen Neoliberalismus und Rechtspopulismus liegt in der Überzeugung, dass man auf den „Wirtschaftsstandort D“ stolz sein und ihn stärken müsse, um den Wohlstand aller zu mehren. Den festen Glauben an die Überlegenheit des „eigenen“ Wirtschaftsstandortes teilen selbst prominente Gewerkschafter, die sich für Antifaschisten halten, mit den meisten Rechtspopulisten. Genauso, wie man neoliberale Grundpositionen nicht nur innerhalb der FDP findet, sondern weit darüber hinaus, beschränken sich standortnationalistische Überzeugungen keineswegs auf das Unternehmerlager. „Dass Deutschland ‚wieder Spitze‘ sein müsse, ist ein gängiger Topos des öffentlichen Diskurses, in den auch Gewerkschaftsführer nicht selten einstimmen.“ (Zeuner u.a. 2007, S. 20)


Provokante Aufklärung: Die Botschaft hinter der Gegenaufklärung
Plakate: arbeiterfotografie

Neoliberalismus ist nicht mit Standortnationalismus gleichzusetzen, als gesellschaftspolitisches Großprojekt aber nur schwer ohne ihn zu realisieren. Wenn sich der Neoliberalismus mit dem Nationalkonservatismus amalgamiert, resultiert daraus ein aggressiver Standortnationalismus, der geradezu als politisch-ideologische Steilvorlage für den Rechtsextremismus wirkt. Das fast alle Lebensbereiche beherrschende Konkurrenzdenken führt zur Ausgrenzung und Abwertung von Leistungsschwächeren, die im wirtschaftlichen Wettbewerb auf der Strecke bleiben, die Gewinnmargen eines Unternehmens senken, den Sozialstaat angeblich unbezahlbar machen und somit als menschlicher Ballast für den „eigenen“ Standort wirken.

Standortnationalismus, Sozialdarwinismus und Wohlstandschauvinismus als Bindeglieder

Hat der Neoliberalismus in einer Gesellschaft die Hegemonie errungen und die Standortlogik fest im öffentlichen Bewusstsein verankert, rückt die Sicherung, Wiedergewinnung oder Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des „eigenen“ Wirtschaftsstandortes quasi von selbst in den Mittelpunkt allen politischen Handelns. Matthias Matussek (2006, S. 244) konstatiert in seinem Bestseller „Wir Deutschen. Warum uns die anderen gern haben können“, ohne Nationalstolz sei eine Wirtschaftsnation nicht erfolgreich: „Die unverklemmte Identifikation mit der eigenen Nation ist neben allem anderen ein Wettbewerbsvorteil. Auch in Zeiten der Globalisierung wird die deutsche Nation nicht überflüssig, nicht für uns, die wir hier arbeiten, hier unsere Kinder in die Schulen schicken, hier unsere Steuern bezahlen und uns hier auf Krankenhäuser und Müllabfuhr verlassen müssen, und das gilt für unsere Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam. Für uns gibt es nationale Interessen, die über denen anderer Nationen rangieren sollten.“

Obwohl die Bundesrepublik seit längerem steigende Rekordexportüberschüsse erzielt, behauptet Henrik Müller (2006, S. 16) allen Ernstes, dass sie bisher nicht zu den Gewinnern des „globalen Wettbewerbs“ gehöre, was er auf mangelnden Patriotismus – für ihn ein zentraler Erfolgsfaktor im Wirtschaftsleben – zurückführt: „Die Deutschen haben Probleme, sich dem Wettbewerb der Nationalstaaten zu stellen, weil sie Schwierigkeiten haben, sich als Nation zu begreifen und entsprechend zu handeln – ja, den Wettbewerb der Staaten überhaupt zu akzeptieren.“ Der zitierte Wirtschaftspublizist beklagt, dass Deutschland die „nationale Identität“ fehle, wie sie für andere Völker selbstverständlich sei: „Seit den Verbrechen unter Hitler ist alles Deutsche diskreditiert. Auch heute, da die allermeisten Täter des ‚Dritten Reichs‘ tot sind, ist es vielen Bundesbürgern unmöglich, sich aus vollem Herzen und mit gutem Gefühl als Deutscher zu empfinden, sich gar offen zum Deutschsein zu bekennen.“ (ebd., S. 200)

Wirtschaftspatriotismus als getarnter Rechtspopulismus

Braucht ein Land im Zeitalter der Globalisierung die nationale Identität als „Gesellschaftskitt“ (Henrik Müller), um als Wirtschaftsstandort leistungsfähig und erfolgreich sein zu können? Was als „Wirtschaftspatriotismus“ erscheint, der laut Müller die ökonomische Leistungsfähigkeit eines Landes und seine Erfolge auf den Weltmärkten gewährleistet, ist nur eine für den modernen Finanzmarktkapitalismus charakteristische, von Teilen des organisierten Rechtsextremismus radikalisierte Form des Nationalismus, gepaart mit Wohlstandschauvinismus. Dieser übernimmt Mathias Brodkorb (2003, S. 84) zufolge jene Rolle, die der Antisemitismus für NS-Agitatoren spielte: „Er steht im Zentrum des öffentlichen rechten Diskurses und stellt die wichtigste Schnittstelle zum Alltagsdenken der Bevölkerung dar.“ Gleichzeitig hat der Antisemitismus wieder Hochkonjunktur, was auf die ökonomische Globalisierung zurückzuführen ist, die man als Verschwörung „der Ostküste“ und US-Amerikanisierung der Welt interpretiert (vgl. Weitzmann 2006).

Die für den Rechtsextremismus konstitutiven Aus- bzw. Abgrenzungsideologien, vor allem Rassismus, Nationalismus und Sozialdarwinismus, sind in letzter Konsequenz auf die Konkurrenz zurückzuführen, welche eine notwendige – wohlgemerkt: keine hinreichende – Bedingung für die Herausbildung entsprechender Handlungsanleitungen und Legitimationskonzepte zur Ausgrenzung von (ethnischen) Minderheiten bzw. Leistungsschwächeren darstellt. Die auch von seinen schärfsten Kritiker(inne)n bewunderte Produktivität, Flexibilität und Vitalität des kapitalistischen Wirtschafts- bzw. Gesellschaftssystems beruht auf der Konkurrenz, die seine Mitglieder nicht ruhen lässt, sie vielmehr zum permanenten Kampf „jeder gegen jeden“ zwingt und als stärkste Triebkraft wissenschaftlich-technischer Innovationen und unternehmerischer Investitionen fungiert. Dysfunktional wirkt dagegen, dass sich die soziale Kohäsion einer Industrienation im „Säurebad der Konkurrenz“ (Karl Marx) zersetzt, Ideale wie Solidarität, Gerechtigkeit und Humanität auf der Strecke bleiben und eine systemimmanente Selektion stattfindet, die eine vertrauensvolle Kooperation sogar zwischen Angehörigen derselben Bevölkerungsschicht verhindert, zumindest aber erschwert. (HDH)













Ch. Butterwegge, B. Lösch, R. Ptak (Hrsg):

Neoliberalismus, Analysen und Alternativen, VS-Verlag,
1. Auflage 2008,

ISBN 978-3-531-15186-1,
23,90 €


Als verbesserte Neuauflage ebenfalls erschienen:

Christoph Butterwegge, Bettina Lösch, Ralf Ptak:

Kritik des Neoliberalismus

2. Auflage 2008
VS-Verlag Wiesbaden

ISBN 978-3-531-15809-9
12,90 €

Online-Flyer Nr. 154  vom 09.07.2008



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