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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Medien
„Denkmal 2008“ der Frankfurter Rundschau im Historischen Museum
’68er beim Wort genommen
Von Mariele Stahlhart

„Wir werden hier sitzen bleiben – als schweigende Denkmäler für die Belegschaft der Frankfurter Rundschau“. Den Satz sprach Rainer Maria Kalitzky, ver.di-Vertrauensmann bei der FR in einer Veranstaltung, wie man sie auch in Frankfurt am Main eher selten erlebt. Eine große Gruppe von Vertrauensleuten, Belegschaftsmitgliedern und Lesern der Frankfurter Rundschau wollten unerlaubterweise Platz auf dem Podium im Historischen Museum nehmen, wo am Freitagabend eigentlich einige Politologen mit dem Publikum über die ’68er-Bewegung diskutieren wollten.

Eingeladen hatten das Historische Museum und die Chefredaktion der Frankfurter Rundschau. Doch die FR-Belegschaftsvertreter wollten zunächst keine Diskussion über die ’68er, sondern diese beim Wort nehmen. Und so drehten sie auf dem Podium und ihre Sympathisanten den Spieß erst einmal um, wie einst die Aktivisten der 60er Jahre, weil sie in der Veranstaltung „auf unhaltbare Zustände bei der Frankfurter Rundschau“ nach der Mehrheitsübernahme durch den Kölner DuMont-Verlag aufmerksam machen wollten.
 
Praktische Solidarität notwendig
 
Ein kleiner Trupp war am Freitag schon um 16 Uhr von der FR-Redaktion im Colosseo zum Frankfurter Römer gezogen. Die Demonstranten trugen wie schon am 1. Mai große Plakate, die auf die Tarifflucht im Druck- und Verlagshaus der FR hinwiesen, und stellten sie vor dem Museum auf. Kernaussagen des Protestes unter anderem: „Qualität hat immer einen guten Preis: Pressefreiheit, Arbeitsplätze und Tarife sichern! Keine Zerschlagung des Druck- und Verlagshauses, wir wollen keine Abspaltung in eine oder mehrere Gesellschaften mit beschränkter Hoffnung! Die Belegschaft der Frankfurter Rundschau braucht von Leserschaft und BürgerInnen praktische Solidarität!“
 
Ab 17 Uhr versammelten sich immer mehr MitarbeiterInnen und LeserInnen vor dem Historischen Museum, um die Öffentlichkeit auf die beabsichtigte Tarifflucht der von DuMont dirigierten Verlagsgeschäftsführung aufmerksam zu machen. Im Saal kam es zeitweise zu tumultartigen Szenen, und der Leiter des Museums rief die Polizei. Stefan Hebel, Mitglied der Chefredaktion der FR, und der Lokalchef der Zeitung, Matthias Arning, wurden sichtlich nervös.

Vertreter der FR Belegschaft auf dem Podium
Vertreter der FR Belegschaft auf dem Podium: (von links) Ingrid Eckert, Lothar Birzer und Rainer Maria Kalitzky

Sie wollten nicht, dass neben Iring Fetscher, Wolfgang Kraushaar und Gerd Koenen nach Abschluß der Protestaktionen im Saal auch ein FR-Betriebsratsmitglied mit auf dem Podium sitzen blieb. Hebel wurde jedoch vom Publikum mit allgemeinen Beifallsgemurmel und Klatschen praktisch überstimmt, als eine Zuhörerin meinte, dass dieser Eigenwillige ja versprochen habe, nichts zu sagen, sondern auf dem Podium nur still „als Denkmal 2008 für die Belegschaft“ sitzen wolle. Die Beziehung dieser Stör-Aktion zu den Provokationen der ’68er war von der großen Mehrheit der Zuhörer erkannt worden. Sie reagierten darauf mit offener Sympathie.
 
Weiße Mäuse für’s Publikum
 
Zuvor hatte die FR-Betriebsratsvorsitzende Ingrid Eckert noch weiße Mäuse im Publikum verteilt, das diese „symbolische Nascherei“ mit begeistertem Lachen dankend annahm. Schon zwei Wochen lang war in den Fluren des Colosseo das Gerücht umgegangen, auf dieser Veranstaltung würden weiße Mäuse als Abschreckung für Verlag und Geschäftsführung zum Einsatz kommen. Auf die Forderung einer Zuhörerin, zwei Polizeibeamte, die sich im Eingang des Vortragssaales postiert hatten, sollten doch bitte gehen sollten, reagierten diese mit dem freundlichen Kommentar: „Wir wollen auch lieber Feierabend machen.“
 
„Feuer und Flamme für die FR!“
 
Mehrere hundert Zuhörer erfuhren so vor der Podiumsdiskussion von den „Spielverderbern des Abends“ und deren Plakaten und Flugblättern, dass es bei der Frankfurter Rundschau wieder Entlassungen geben soll. Seit 2001 sei bei der Zeitung die Belegschaft von 1650 auf rund 600 Beschäftigte reduziert worden. Jetzt solle weiteren 16 Mitarbeitern aus Buchhaltung und Controlling gekündigt werden. Außerdem, so die FR-Aktivisten, sollen Teile der Redaktion in einer GmbH zusammengefasst werden. Diese diene nur dazu, die Tarife für RedakteurInnen sowie alle anderen Arbeiter und Angestellten zu unterlaufen. Laut Ingrid Eckert, ist das nur der Anfang eines Planes, die FR in weitere kleine GmbH´s aufzuspalten und so den einheitlichen Betrieb zu zerschlagen. „Keine Kündigungen, kein Qutsourcing, keine Tarifflucht!“, forderten die FR-Beschäftigten, während der Drucker, ver.di-Vertrauensleutesprecher und Betriebsrat Marcel Bathis Postkarten mit einem Drachenmotiv „Feuer und Flamme für die Frankfurter Rundschau“ an die ZuhörerInnen verteilte.


Verteilen von Protestpostkarten an Alfred Neven DuMont

Die Karten sollen an den Mehrheitseigner der Frankfurter Rundschau, den Patriarchen des Kölner Verlagshauses M. DuMont Schauberg, Alfred Neven DuMont, geschickt werden, um so den Protest gegen die Kündigungen und das Auslagern von Betriebsteilen zugunsten des Kölner Mehrheitsgesellschafters öffentlich zu machen und gleichzeitig auch praktisch zu unterstützen.
 
Erst nach Ende der Protestaktionen kamen die Politologen zum Thema „68“ zu Wort. Sie hatten allerdings auf die Teilnahme des „schweigenden Diskutanten“, das „Denkmal der FR-Belegschaft“, wesentlich gelassener reagiert als die Moderatoren des Abends, so dass die Veranstaltung schon fast langweilig und sehr ruhig zu Ende ging. (PK)
 
Siehe auch die Fotogalerie „Proteste bei der Frankfurter Rundschau“.

Fotos: Mariele Stahlhart

Online-Flyer Nr. 147  vom 21.05.2008



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