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Literatur
Ein Lesetipp der besonderen Art – Timothée de Fombelle: „Tobie Lolness“
Phantasie und Gefühle
Von Uli Klinger

Bei diesem Buch geht mir das Herz auf, es ist ein einziges Leseerlebnis für jung und alt, mit hervorragenden Illustrationen von Francois Place. Doch worum geht es? Tobie Lolness, 13 Jahre alt und gerade einmal anderthalb Millimeter groß, ist auf der Flucht, denn die Baumgesellschaft, in der er lebt, ist unter die Herrschaft eines Tyrannen gefallen, der Tobies Familie unerbittlich jagt. Sein Vater, ein Gelehrter, hat eine revolutionäre Entdeckung zur Energiegewinnung gemacht, gibt aber sein Geheimnis nicht preis, da er sonst das Aussterben der Baumwelt und damit der Lebensgrundlage der Baummenschen befürchtet.

Illustration (Ausschnitt): Francois Place
Illustration (Ausschnitt): Francois Place

Man mag diese wunderbare Geschichte gar nicht aus der Hand geben. In langen Rückblenden wird von Tobies Leben in seiner ursprünglich privilegierten Familie in den oberen Regionen des Baumes erzählt, die Vertreibung in die dunklen, nassen und anfangs ungewohnten unteren Regionen, bevor er schließlich als angeblicher Volksfeind auf der Flucht ist. Dabei gerät auch das Herz des Baumes, ein geheimnisvoller Stein, in seinen Besitz, den er nun zusätzlich schützen muss.

Nach vielen überstandenen Gefahren, Charakterprüfungen, Freundschaft, Liebe und Verrat macht sich unser Held am Schluss des ersten Bandes wieder auf, um seine Eltern zu suchen und zu befreien – der zweite Band erscheint in Kürze.

Die Erschaffung eines Universums
 
Tobie Lolness Illustration: Francois Place
Illustration (Ausschnitt): Francois Place            
Diese knappe Inhaltsangabe kann dem Zauber des Buches nicht gerecht werden, denn das Buch lebt einerseits von der Spannung, aber vor allem von der Schilderung der Gefühle, des exotischen Wertegefüges dieser Baumgesellschaft, von Tierwelten und Märchenfiguren. Ein ganzer Kosmos tut sich auf und bereitet unendliche Lesensfreude. Timothée de Fombelle erzählt behutsam, langsam, in Rückblenden, um dann wieder den Spannungsbogen herzustellen, der den Leser immer weiter lesen und weiter fiebern lässt.



Dieses Buch wird oft als französische Antwort auf „Harry Potter“ verstanden. Wenn man diesen Vergleich ziehen will, dann ist der Sieger schnell klar. Die Sprache der Phantasie und Gefühle gegen die angelsächsische Art, geprägt von düsterer Zauberlogik. Ich bevorzuge die französische Variante. Aber der Vergleich ist unfair, denn Fombelle ist etwas einzigartiges gelungen, was wahre Literatur immer wieder – wenn auch äußerst selten – schafft: Die Erschaffung eines ganzen Universums, in dem man als Leser oder Leserin eintaucht und nicht wieder auftauchen will.

Fombelle Foto: Catherine Helie
Timothée de Fombelle                      
Foto: © Catherine Helie
Gleichzeitig ist es ein politisches Buch: Ideologien stehen gegeneinander, Strategien werden vorgeführt. So dient beispielsweise die rassistische Kampagne gegen die „Hautlosen“ als vorgebliche „Feinde“ der Baumgesellschaft als Machtfaktor zur Durchsetzung autoritärer Herrschaft, während Tobie die Mitglieder dieser Gesellschaft, die Lebewesen des Graslandes, als sanfte Bewohner schätzen lernt.

Klar erkennbar sind auch dem jugendlichen Leser die zwei zentralen Botschaften des Buches: „Diktaturen verfolgen ausbeuterische Interessen“ und „Die bedingungslose Ausbeutung der Natur führt in den Untergang“, aber keinen Moment verliert man darüber beim Lesen die Kraft der erzählerischen Spannung. „Tobie Lolness“ ist der erste Roman des 1973 geboren Pariser Theatermachers. Zusammen mit den Illustrationen von Francois Place ist dieses Buch ein wahres Geschenk für Leser jeden Alters. Gönnen Sie sich diese Freude! (CH)


Fombelle Tobie lolness cover
                                                              











Timothée de Fombelle:
„Tobie Lolness“
Gerstenberg Verlag
Gebunden, 377 Seiten, 15,90 Euro
Ein Buch für Menschen ab 10 Jahre


Ulrich Klinger sucht für Sie Literatur aus, gerne auch vor Ort.

Online-Flyer Nr. 144  vom 30.04.2008

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