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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Inland
Impressionen von der traditionellen Gedenkveranstaltung
an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 14. und 15. Januar
Der Rosa Luxemburg haben wir's geschworen
Aus Berlin: Hans-Detlev v. Kirchbach

Ohne die Internationale geht es nicht! Was wäre die traditionelle LL-Demonstration, die große Berliner Gedenkveranstaltung, die den 1919 ermordeten sozialistischen Vordenkern und Vorkämpfern Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gewidmet ist, ohne die Welthymne der Arbeiterbewegung? Natürlich intoniert von einer echten Schalmeienkapelle! Doch die Globalisierung hat auch die Bewegungen gegen den "Weltkapitalismus" erreicht. Und so verschmolz am Sonntag auf den Berliner Alleen schon mal die gute alte Internationale multikulti-einträchtig mit türkischer Volksmusik.

Lektüre auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz
Lektüre auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz
Foto: Ingo Niebel


Und Gruppen, die sich eigentlich aufs Heftigste befehden, Motto beispielsweise: Revolution statt Linkspartei, treffen sich doch schließlich am Denkmal der Sozialisten, an der Gedenkstätte für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Das macht den Charme dieser größten regelmäßigen linken Veranstaltung im Lande aus: Die Unterschiede kultureller wie politischer Art werden sichtbar ausgetragen - trotzdem führt die so buntscheckigen Gruppen von der fast schon staatstragenden Linkspartei bis hin zu den vielfältigen linksradikalen Gruppierungen doch noch eine Grundvision einer anderen Welt zusammen. Einer Welt, die nicht vom gewaltsam durchgesetzten Profitprinzip und der systematischen Produktion von Krieg und Hunger beherrscht wird, sondern die allen Menschen ein erträgliches Dasein bietet. Eine solche Welt kann sich nur auf Sozialismus reimen, davon jedenfalls waren alle etwa 25.000 TeilnehmerInnen überzeugt, die sich trotz der klirrenden Kälte auf den stundenlangen Marsch durch Berlin machten, um der ermordeten Altvordren zu gedenken und über eine alternative Zukunft nachzudenken. Nein, die LL-Demo, wie sie im Szenejargon abgekürzt wird, ist nicht totzukriegen, allem Hohn aus der rechten Ecke zum Trotz und Staatsschützern aller Art zum Ärger. In den Neunzigern etwa erklärten CDU-Innensenatoren wie der Ex-General Jörg Schönbohm und Ekkehart Werthebach, zuvor Chef des sogenannten Bundesamtes für Verfassungsschutz, die Luxemburg-Liebknecht-Demo schlicht für überflüssig; Tenor: der Kommunismus sei zuende, es gäbe keine Begründung mehr für diese Demonstration.

Immer mit roter Ratte - unser Autor Hans Detlev von Kirchbach
Immer mit roter Ratte - unser Autor Hans Detlev von Kirchbach
Foto: NRhZ-Archiv



Doch bis zu hunderttausend "Unbelehrbare" ignorierten die unverhohlenen Angriffe der selbsternannten Befehlshaber über die Gesinnung der Bürger gegen die Grundrechte der Meinungs-und Demonstrationsfreiheit. Auch die von Werthebach dankbar als Verbotsbegründung aufgegriffene Bombendrohung eines angeblich "Verrückten" anno 2000 oder gar die wiederholten Gewalteinsätze der Berliner Polizei konnten die DemonstrantInnen aus Berlin und ganz Deutschland nicht in gewünschter Weise einschüchtern. Dieses Jahr schreckten auch die für das winterliche Berlin ungewöhnlich arktischen Temperaturen die 25.000 Menschen nicht davon ab, eine Tradition fortzusetzen, die gerade nach dem Ende der DDR-offziellen Manifestationen ihr eigenes Gepräge gewonnen hat. Ein Selbstlernprozeß aus der Geschichte - das ist, was gerade diese Veranstaltung Jahr für Jahr erneut anstoßen kann. Und zu lernen gab es auch in direkterem Sinne einiges. Wer dazu Lust hatte, konnte sich am Samstag in der Humboldt-Universität auf der traditionellen Rosa-Luxemburg-Tagung der linken Tageszeitung "junge welt" weiterführenden Gedanken aussetzen. Etwa beim Grußwort des immer noch in einer Todeszelle im US-Bundesstaat Pennsylvania eingekerkerten afroamerikanischen Journalisten und Schriftstellers Mumia Abu Jamal, der auf den terroristischen Charakter der herrschenden Verhältnisse verwies - ein aktuelles Thema vor dem Hintergrund des CIA-Folterskandals.

Die notwendige Alternative, wenigstens auf der theoretischen Ebene, formulierte der selbst schon zum Klassiker geronnene marxistische Philosoph Hans-Heinz Holz. Überleben, menschliches Überleben, sei letztlich nur im Sozialismus möglich, proklamierte Holz; eine bessere Zukunft sei allerdings nur erreichbar, wenn die Eigentums-und schließlich die Machtfrage gestellt werde.

Doch blieb Holzens Vortrag seltsam abgehoben von einer alltäglich erfahrbaren Wirklichkeit, die durch den scheinbaren Totalsieg des Kapitalismus und nahezu widerstandslose Durchsetzung einer rabiaten sozialdarwinistischen Ellenbogenethik gekennzeichnet ist. Wer, so hätte beispielsweise eine naive Frage lauten können, sollte denn den Systemwechsel durchsetzen? Es war zwar überraschend viel junges Volk auf der Straße zu sehen, doch dürfte es sich dennoch wohl um eine insgesamt - noch - recht kleine Minderheit handeln, während 90 Prozent der Gleichaltrigen eher zur Deutschland-sucht-den-Superstar - und Modeklamotten-Generation gehört. Woher bei solcher lebensweltlicher Prägung der politische Zündfunke kommen soll, der Mehrheiten dazu bringen würde, ihre eigene Zukunft einzufordern - und zwar ganz anders als nach dem Muster von "Du bist Deutschland -, darauf gaben auch die vielen klugen Vorträge in der Humboldt-Universität keine schlüssige Antwort. Und so schien denn der linke Pragmatismus eines Oskar Lafontaine immerhin noch eine für den Moment und die nahe Zukunft gangbare Brücke zwischen den großen Theorieentwürfen und der im kapitalistischen Machtprimat fest eingemauerten Wirklichkeit zu schlagen.

Neben aller tagesaktueller Analyse haftete "Oskars" Auftritt auch ein Stück historischer Symbolik an. Denn der einstige Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei ehrte mit Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zwei Opfer der Kumpanei, die ein früherer SPD-Vorsitzender namens Friedrich Ebert mit monarchistischen Reichswehrkreisen und rechtsradikalen Freicorps eingegangen war, um Arbeiteraufstände niederzuschlagen und die "kommunistische Gefahr auszumerzen".

Oskar Lafontaine auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz
Oskar Lafontaine auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz
Foto: Ingo Niebel


Und auch von der heutigen SPD-Führung ist kaum zu erwarten, daß sie etwa zum Erbe von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zurückfindet. Gerade am Demonstrationstag erntete der "neue" SPD-Vorsitzende Platzeck, Ministerpräsident des benachbarten Brandenburg, ein Lob der WELT AM SONNTAG. Denn Platzeck habe sich von jeder sozialistischen Tradition endgültig verabschiedet und habe insbesondere, so freute sich Springers "intellektuelles" Leitblatt, der "Sozialromantik von vorgestern" eine neoliberale Absage erteilt. Was also hätten die Nachfolger Eberts und Noskes an den Gräbern von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht verloren?

Die 25.000 von Berlin vermißten Platzeck und Genossen allerdings auch kaum, als sie sich zum traditionellen Abschluß an der Gedenkstätte zusammenfanden. Schon am früheren Morgen hatte die Promiriege von WASG und Linkspartei samt angeschlossener Bundestagsfraktion ihre Kränze am Denkmal der Sozialisten hinterlassen und damit ein langes Defilee von Kundgebungsteilnehmern eingeleitet, das unter den Klängen von Tschaikowskys 6. Symphonie das Grabmal für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg mit tausenden roter Nelken und Rosen überschüttete, als Zeichen nicht nur des Gedenkens, sondern der Erneuerung des alten Schwurs für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Eines Schwurs mit Zukunftsoption, wie sie ein Redner so formulierte: "Uns eint der Gedanke, daß der Kapitalismus nicht das letzte Wort der Geschichte ist!"

O-Töne unseres Autoren zu dieser Veranstaltung:
Audioclip downloaden (mit Rechtsklick - "Ziel speichern unter...")



Online-Flyer Nr. 27  vom 17.01.2006



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