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Literatur
Der Fortsetzungsroman in der NRhZ - Folge 8
"Zwielicht"
Von Erasmus Schöfer

Im Düsseldorfer Mannesmann-Werk herrscht Endzeit-Stimmung: die Direktion hat beschlossen, den rentablen Betrieb dicht zu machen. Der ausgebootete frühere Betriebsratsvorsitzende Manfred Anklam wird plötzlich wieder gebraucht, um den Widerstand der Belegschaft zu organisieren:

Willi Kruse hatte als Verwalter der Werkzeugausgabe im Schmiedewerk für den Betriebsrat eine strategisch wichtige Position. Er hatte noch bei den StahlundRöhrenWerken Reisholz gelernt, eh sie von Mannesmann geschluckt wurden, wohnte in einer Werkswohnung und kannte keinen andern Betrieb als diesen. Für ihn war der Artikel in der Rheinischen Post die Ankündigung des bevorstehenden Weltuntergangs. Manfred Anklam wusste, dass ein Betriebswechsel durchaus was Erfrischendes haben konnte, neue Erfahrung, neue Bewährung und Entwicklung der eignen Fähigkeiten, ein unbekannter, zu entdeckender Lebensort. Als Junggeselle konnte er das so sportlich sehn. Die meisten Kollegen waren Familienväter wie Willi. Für die musste die Verteidigung angezettelt werden.

Anklam strich doppelt dick Butter auf die beiden Brötchen, sparte nicht mit Salami und Gouda, verzehrte sie mit dem Gefühl sich zu stärken für den Tag. Wählte die Gießener Nummer des Freundes. Viktor Bliss meldete sich mit rauher, verschlafener Stimme.
Ich hab was auf der Pfanne Vik - da wirst du gleich wach! Heut früh steht in unsrer Zeitung, und zwar ohne irgendeine Vorwarnung: Mannesmann streicht achtzehnhundert Arbeitsplätze in Reisholz!
Und ich hab geträumt, Lena wird Oberspielleiterin an den Münchner Kammerspielen und hat ein Verhältnis mit August Everding!
Okay Vik, ich kauf deinen Albtraum. Mein Ding hört sich auch an wie einer, ist aber unsre verdammt bittere Wirklichkeit. Die MannesmannBosse haben beschlossen, unsre Bude dicht zu machen. Komplett. Sie habens in die Zeitung setzen lassen, also ist es ihr elender kapitalistischer Ernst.
Und Bliss, geschockt: Wenn das wahr ist Manfred, dann ist es eine Kriegserklärung.
Das seh ich auch so.
Was wollt ihr tun?
Ja Vik, was wollen wir tun. Die Frage ist eher, was sollten wir tun, was müssten wir tun. Unsre Belegschaft schläft nämlich. Wir produzieren auf Teufelkommraus, aber im politischen Tiefschlaf. Die meisten Kollegen und die Betriebsräte sind Traumtänzer. Die denken, wir haben dem Moloch zweihundert unsrer Brüder zum Fraß hingeworfen, jetzt ist er satt für immer und verschont uns. Die wollen glauben, KlöcknerBremen liegt in Hawai. Und die allseits beschriene Stahlkrise ist das Gespenst, das sie mit Ranklotzen von Düsseldorf fernhalten. Ein so produktiver Betrieb wie unsrer ist gegen ne Schließung immun.
Umso größer wird jetzt die Empörung sein Manfred, glaubst du nicht? Die müsst ihr nur richtig bündeln, zuspitzen.
Gut gebrüllt verehrter Löwe. Ich hüpf mit meinem Gipsbein durch Reisholz wien amputierter Storch. Unser Vertrauenskörper wimmelt auch nicht grade von Klassenkämpfern. Aber ich denk, wir müssen genau das versuchen: die Wut anleiten, damit sie nicht in ein paar Flüchen und Magengeschwüren verpufft.
Habt ihr denn Rückhalt in der Bevölkerung?
Von selbst bestimmt nicht. Denen muss man erstmal klarmachen, dass Reisholz und unser Betrieb zwei Backen von einem Arsch sind.
Ihr müsst euch auch hinter die Parteien klemmen, SPD, DKP, JuSos, die müssten für euch im Stadtteil ein Fass aufmachen. Die Geschäftsleute betrifft sowas unmittelbar.
Genau Vik. Die Frage ist, ob die IG Metall massiv mobilisiert oder gleich auf Sozialplan und Verhandlungen schaltet. Unser großer Eugen sitzt für die Gewerkschaft im Aufsichtsrat bei Mannesmann. Hat der dem Stillegungsbeschluss zugestimmt oder widersprochen? Wir wissen es nicht. Wenn er den Betriebsrat informiert hat, dann unter Schweigepflicht. Mein Nachfolger jedenfalls tut völlig überrascht und hofft plötzlich sogar auf meine Hilfe. Das immerhin. Also werd ich ihn nachher scharf auf den Zahn fühlen. Wenn sie meine Unterstützung wolln, müssen sie mit offnen Karten spielen.
Pass auf Manfred, dass sie dich nicht nur ins Boot holn, um hinterher sagen zu können: der Anklam hat auch bloß das Maul aufgerissen. Ist ne zweischneidige Sache für dich.
Für die aber auch Vik. Wenn wir die Stillegung abwenden wär klar, dass sies nicht ohne den Rabauken Anklam geschafft haben. Egal, ich hab sowieso keine Wahl. Kann die Kollegen nicht sitzen lassen im Schlamassel. Alles andre kommt unter Ferner liefen.

erasmus schoeferAm Tag Zwei nach Ausbruch der Endzeit war die Atmosfäre im StahlundRöhrenWerk Reisholz ein von Hochspannung knisterndes Fluidum. Der Betrieb ein vermintes Gelände. Wut und Verzweiflung brüteten in den Köpfen der Arbeiter. Die dürre Nachricht der Rheinischen Post hatte sich über Nacht mit Katastrofenfantasie angereichert zu individuellen Gemälden persönlicher Untergänge. Spontane Ausbrüche von Empörung auch. Die Umkleideräume, die Arbeitsplätze während der Frühstückspause, die Kantine Schauplätze heftiger Diskussionen. Wer da beschwichtigen wollte, Vorarbeiter, Meister, wurde niedergeschrien, als gäbe es keine Hierarchien mehr in diesem Betrieb. In der Mechanischen Werkstatt, vormittags, verdünnte sich plötzlich der gewohnte Lärmbrei, mehrere der mächtigen Werkzeugmaschinen waren abgestellt worden, ihre Diener beratschlagten mit ihrem Vertrauensmann Forderungen an den Betriebsrat. Der Meister, Miene und Gang ganz Autorität, schritt aus seiner Bude, fauchte die Männer an: irreguläre Arbeitsunterbrechung, Produktionsausfall, Lohnabzug. Die blitzten aufsässig zurück, er solle sich nicht aufspielen, sie müssten sich mit ihrem Vertrauensmann, ob ihm lieber wär wenn sie alle zum Betriebsrat, außerdem würden die Alten zuerst übern Jordan gehn, er solle lieber mit ihnen sich wehren statt für die Daoben bis zum Abpfiff Kollegen schikaniern. Der Meister verzichtete auf eine Machtprobe, schenkte ihnen noch zehn Minuten, dann müssten die Maschinen wieder laufen, trollte sich. Verunsichert war der auch.

Fortsetzung folgt

Foto: Erasmus Schöfer
Quelle: privat

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Online-Flyer Nr. 27  vom 17.01.2006



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