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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Krieg und Frieden
Der Politologe Behrouz Khosrozadeh bestreitet iranische Atomwaffenpläne
Analyse gegen Stimmungsmache
Von Ali Safaei Rad und Hans-Detlev v. Kirchbach

Auch auf der 44. Münchener „Sicherheitskonferenz“ am letzten Wochenende mußte der „Atomstreit“ mit dem Iran wieder als rüstungsrechtfertigendes Bedrohungsszenario herhalten. Behrouz Khosrozadeh war zu diesem Treffen nicht geladen – Pech für die Münchner Militärmissionare, die sich eine dringlich notwendige Aufrüstung ihrer Kenntnisse entgehen ließen. Wir liefern, als Akt der Friedenssicherung, im Gespräch mit dem renommierten Iran-Experten die in München unterbliebenen Informationen nach. Die Redaktion.

franz josef jung auf "münchner sicherheitskonfernez"
Verteidigungsminister Jung auf „Münchner Sicherheitskonferenz" – wenn
Bilder sprechen könnten | Foto: Kai Mörk

Iranisches „Atomprogramm“: Kein Verstoß gegen Völkerrecht

„Rechtlich kann man dem Iran nichts anhaben. Teheran tut garnichts, was gegen die Bestimmungen der internationalen Atomenergiebehörde verstoßen würde.“ Klare Worte von Behrouz Khosrozadeh. Der aus dem Iran stammende Politikwissenschaftler, der an der Universität Göttingen lehrt, weist damit die Behauptungen der USA und ihrer Verbündeten sowie das in den meisten westlichen Medien gezeichnete Bild zurück, das Land strebe unter einem kriegslüsternen Präsidenten Ahmadinedschad nach der Atombombe, um diese baldmöglichst gegen Israel und den „Großen Satan“, die USA, einzusetzen.

Solche Thesen beherrschen bislang, trotz gegenteiliger Aussagen der internationalen Atomenergiebehörde und selbst des US-Geheimdienstes, mindestens den Präsidentschaftswahlkampf in den USA; doch auch die US-assoziierte Merkel-Regierung bleibt unverändert beim Bedrohungsszenario eines nuklear bewaffneten Iran. Außenminister Steinmeier forderte gelegentlich der sogenannten „Münchener Sicherheitskonferenz“, den Druck auf den Iran aufrecht zu erhalten: „Wir werden unsere gemeinsamen Anstrengungen gegen einen nuklearen Iran fortführen, wenn das Land unsere Befürchtungen nicht glasklar entkräftet.“ Und, für die ganz Dummen: „Ein Kraftwerk ist schließlich kein Kühlschrank.“ Das soll wohl erneut bekräftigen, daß „der Westen“ dem Iran selbst das völkerrechtlich ihm wie jedem anderen Land zustehende Recht auf eine eigene zivile Nutzung der Kernenergie bestreiten will. Eine Stillegung US-amerikanischer, britischer oder deutscher „Kühlschränke“ kündigte Steinmeier im Gegenzug allerdings nicht an.

Ökonomischer Hintergrund und zivile Zielsetzungen

Khosrozadeh
Behrouz Khosrozadeh             
Foto: Ali Safaei Rad
Behrouz Khosrozadeh ist alles andere als ein Lobbyist des gegenwärtigen iranischen Regimes. 1984 verließ der damals 23jährige den Iran, in dem einer für ihn unerträgliche Diktatur herrschte. Doch der Experte, der gerade ein Buch über die Geschichte der Beziehungen zwischen den USA und Persien vorgelegt hat, wünscht einen differenzierten
Blick auf das überaus widersprüchliche Land. Wenn er auch die Innenpolitik des Regimes ablehnt, so folgt dessen Außenpolitik, nicht zuletzt im Hinblick auf den „Atomkonflikt“, nach seiner Auffassung rationalen Überlegungen und „nationalen Interessen“.

Das Atomprogramm des Iran, so Khosrosadeh, verfolge vor allem, aus dessen Sicht legitime, zivile Zielsetzungen. Im Interview erläutert der Politologe: „Der Iran braucht Kerntechnologie, weil das Land in ein paar Jahren enorme Probleme haben wird, Erdöl zu exportieren. Früher hat man diese Rohstoffquelle sehr rücksichtslos ausgebeutet und jetzt will man sozusagen andere Quellen heranziehen, damit diese natürlichen Ressourcen langfristig oder möglichst für längere Zeit erhalten bleiben.“

Für diesen „Ölalarm“ gibt es auch gute Belege. So prognostiziert etwa Roger Stern, international renommierter Wirtschaftsgeograph an der John Hopkins-University Baltimore, bündig: Dem Iran geht das Öl aus. Schon ab etwa 2015 werde kein Ölexport mehr möglich sein, wenn der Abbau des schwarzen Goldes in der bisherigen Form weitergehe und die Erdölindustrie des Irans so „marode“ bleibe wie bisher. Sie ist technisch soweit im Rückstand, daß das Ölförderland Iran 40 Prozent seines Benzinbedarfs importieren muß, weil es ihm an entsprechend leistungsfähigen Raffinerieanlagen mangelt.

Iranische „Alternativenergie“: Atomkraft

Daß das Land am Golf schon wegen der absehbaren Ressourcenverknappung die „zivile Atomenergie“ benötige, ist nach dem Befund Khosrozadehs Konsens aller politischer Gruppierungen im Lande.

Ein Problembewußtsein über die Risiken der Atomkraftnutzung wie etwa in Europa gebe es im Iran nicht, erläutert Khosrozadeh. Der mindestens gemutmaßte Bedarf nach „alternativen“ Energiequellen jenseits des Öls wird dort eben nicht, wie etwa bei uns, als Einsatz „alternativer Energien“ wie Windkraft oder Solarenergie verstanden. Vielmehr halten es, das sei nochmals betont, alle politischen Strömungen im Iran für unvermeidlich, die Atomenergie als vermeintlich schnellste und langfristig versorgungs- „sicherste“ Energieform „alternativ“ zu den langsam versiegenden fossilen Quellen zu nutzen, und zwar bald und im industriellen Maßstab.

Women shiraz zoom zoom
Junge Leute in Schiraz | Foto: zoom zoom     
Hinzu kommt der demographische Druck, der eine erhebliche Steigerung des Energiebedarfs für die nähere Zukunft unausweichlich macht. Schon zwischen 1979, dem Jahr der sogenannten Islamischen Revolution, und heute verdoppelte sich die Bevölkerungszahl des Iran von 35 auf etwa 70 Millionen und wird nach seriösen Prognosen bis gegen 2030 vermutlich auf über 100 Millionen steigen. Der Energieverbrauch der iranischen Bevölkerung vervierfachte sich in den letzten dreißig Jahren und wird infolge der Bevölkerungszunahme auch in den nächsten dreißig Jahren nochmals erheblich steigen. Der eigene interne Energiebedarf stellt die Position Irans als Ölexportland zusätzlich massiv in Frage.


Die Kernkraft erscheint vor diesem Hintergrund den meisten Iranern als schnellst gangbarer Ausweg. Zumal der Iran auf grundlegende Beherrschung der Technologie zurückgreifen kann, so Khoszrozadeh.

Nuklear-Know-how aus Deutschland

„Nach den offiziellen Angaben kann der Iran bereits Urananreicherung bis zu vier Prozent durchführen. Das ist auch gerade die Menge, die für eine industrielle, sprich zivile Nutzung der Kernenergie ausreicht. Darüber hinaus gibt es keine Aussage, und man geht auch davon aus, daß der Iran bis zu dieser Stufe, also vier Prozent Urananreicherung, fortgeschritten ist und nicht mehr.“

Shah Mohammed Reza Cemal Gürsel
Schah Mohammed Reza Pahlavi mit tür-     
kischem Putschistengeneral Cemal Gürsel
Dieses iranische Know-how reicht schon weit hinter die islamische Revolution zurück.1974 statteten die USA die Teheraner Universität mit einem ersten Forschungsreaktor aus. Im selben Jahr, so dokumentiert Khosrozadeh in seinem Buch, wurde die Siemens-Tochterfirma KWU mit dem Bau von vier Atomkraftwerken im Lande beauftragt. Bereits Schah
Mohammad Reza Pahlavi wollte mit der Kernenergienutzung der erwarteten „Bevölkerungs- explosion“ Rechnung tragen. Statt „unser Öl zu verbrennen, wollen wir diesen gottgegebenen Rohstoff für unser Volk erhalten. Wir müssen also in den Besitz der Kernenergie gelangen.“ Dieses Zitat des Schah könnte heute ohne weiteres auch von Präsident Ahmadinedschad stammen und selbst von den unversöhnlichsten oppositionellen Kräften unterschrieben werden. Nur mit dem Unterschied, daß die iranische Kernenergienutzung zur Schahzeit für den Westen kein Problem darstellte, obgleich der Pfauenkaiser in der Endphase seines Regimes auch vom Aufbau einer militärischen Nuklearmacht träumte. Das jedenfalls bezeugt der ehemalige  Schah-Vertraute Abolfath Mahvi, der zugleich „Berater“ des Siemens-Konzerns war. Dagegen befand Ayatollah Khomeini, die Kerntechnologie sei „mit den Grundzügen des Islam unvereinbar“ und ließ den Bau zweier Siemens-Atomreaktoren in Buschehr stoppen.

Kein Beweis für kriegsfähige Urananreicherung

Erst Mitte der 80er Jahre nahm der Iran sein „Atomprogramm“ wieder auf. Mit zivilen Zielsetzungen, aber auch, weil er sich nach dem von den USA unterstützten Angriff des Irak bedroht fühlte. Dennoch: Den Bau von Zentrifugen, um höhere Urananreicherungen zu produzieren, die für militärische Zwecke erforderlich wären, beherrscht der Iran bis heute nicht. Diese Auffassung kann Khosrozadeh nicht zuletzt auf die aufsehenerregende Begutachtung der internationalen Atomenergiebehörde in Wien stützen, deren Chef Mohammed El Baradei ebenfalls den Iran von solchem Status technischer Möglichkeiten noch viele Jahre entfernt sieht. Wobei er im übrigen ein militärisches Atomprogramm in Zweifel zieht. Allein schon von daher gibt es, so meint Behrouz Khosrozadeh, keine handfesten, sachlich angemessenen Gründe für den hysterisierten „Atomstreit“, der vor allem in der Sphäre politischer Schreckensrhetorik und in – wenngleich in letzter Zeit nachlassender – Panikmache westlicher Medien tobt.

IAEA El Baradei

Mohammed El Baradei (2. v.l.) bei Sitzung der Atomenergiebehörde

Worum es beim Iran-Atomstreit wirklich geht

Warum dann also der Wirbel um ein nach allen vorliegenden Fakten und Indizien schlichtweg nicht existentes iranisches Atomwaffen – geschweige denn Atomkriegsprogramm?

„Es geht nicht um das Atomprogramm. Zumindest primär nicht“, meint Dr. Khosrozadeh. Er sieht ganz andere Hintergründe, Interessen, Motive: „Die Amerikaner beherrschen seit dem 2. Weltkrieg den Nahen Osten. Allen voran den Persischen Golf. Der Persische Golf beherbergt 65 Prozent des gesamten Erdgasvorkommens. Fast alle Staaten dieser Region stehen unter dem Einfluß des Westens, sprich der Vereinigten Staaten. Nur ein einziger Staat nicht – das ist Iran. Wenn die iranische Revolution etwas gebracht hat, dann ist das einfach die Unabhängigkeit. Die iranische Revolution hat keine Demokratie gebracht, die iranische Revolution hat keine Freiheit gebracht, aber die Unabhängigkeit hat sie gebracht. Weit um Iran herum ist der Iran der einzige absolut souveräne Staat dieser Region. Der Irak ist ein Vasall, Afghanistan ist ein besetztes Land, die Türkei ist ein Verbündeter, Pakistan ist ein traditioneller Verbündeter der Vereinigten Staaten, und der Iran ist der einzige Staat, der ganz souverän handelt und alle Entscheidungen werden in Teheran gefällt und nicht woanders.“ (CH)



Khosrozadeh_Buch_Cover







                                          

Behrouz Khosrozadeh:
„Die Ayatollahs und der Große Satan“
Köster Verlag, Berlin 2007
350 Seiten, 24,80 Euro
ISBN: 3-895-7464










Online-Flyer Nr. 133  vom 14.02.2008

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