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Kultur und Wissen
Heinz Ratz und Götz Widmann beim „Lauf gegen die Kälte“ in Köln
„Lauf gegen die Kälte“
Von Christine Schmidt

Es zeugt nicht nur von Mut, mitten im Karneval ein nicht-karnevalistisches Konzert in Köln zu geben – ohne Zweifel verdient auch die Aktion von Heinz Ratz selbst Anerkennung: Unter dem mehrdeutigen Motto „Lauf gegen die Kälte“ tourt der norddeutsche Liedermacher – im Rheinland begleitet durch Götz Widmann – nun zum wiederholten Male durch Deutschland, um für obdachlose Menschen und basisnahe Zwecke Geld zu sammeln, wie auch am Karnevalssamstag, den 2. Februar im „Underground“ in Köln.

„Wenn ich heutzutage glaubwürdig sein will, ...so muss auch sofort klar sein, dass sich hier nicht wieder ein gut getarnter Eigennutz breit macht, der sich mit sozialem Engagement profilieren will oder sogar noch daran verdienen. Ich hoffe, dass ich mit den Anstrengungen und Strapazen, die mit einem solchen Lauf in den kältesten Wochen verbunden sind, glaubwürdig genug bin, um mich bei meinem Bemühen ernst zu nehmen und zu unterstützen.“, erklärte Heinz Ratz seine Motivationen selbst.

heinz ratz unterwegs lauf gegen die kälte
Heinz on the Roads | Foto: www.laufgegendiekaelte.de

Um kurz vor neun kam der Sänger, Bassist und vor allem Texter der Band Strom & Wasser – nach 22 km Fußmarsch von Leverkusen in Köln an, wo Götz Widmann und er mittags schon ein Konzert gegeben hatten. Der Liedermacher, der am 22. Januar in Kiel aufgebrochen war, erreichte gut gelaunt das Underground im Stadtteil Ehrenfeld und war über die große Besucherzahl hoch erfreut: Auf seinem Konzert zum „Lauf gegen die Kälte“ in Düsseldorf waren lediglich 19 Personen. Aber, die könnten ja nix dafür, sagte Ratz: Wasser auf kölsche Mühlen.

Er läuft und läuft und läuft

Man könnte Heinz Ratz ohne Probleme als „der Punk der deutschen Liedermacherszene“ bezeichnen, und so verwunderte es auch nicht auf dem Konzert im Kölner Underground ein etwa 200 Mensch starkes, aber vor allem junges und links-alternatives Publikum anzutreffen. Viele konnten die Texte mitsingen, selbstverständlich auch die des Kollegen Widmann, der seine zahlreiche Fangemeinde mobilisiert hatte.


Heinz Ratz spielt sich warm gegen die Kälte beim Konzert in Leverkusen
Foto: Norman Liebold

Zur Einstimmung auf das Thema „Wohnungslosigkeit“ wurde ein Film über die medizinische Versorgung Obdachloser und ihr Leben auf der Straße gezeigt. Dann folgte das erste musikalische Set, eröffnet mit der „Singenden Makrele“, „CDU-Tango“ („Ich traf einmal die Bundeskanzlerin in einer Bar, sie hing dort ziemlich angetrunken rum und bot sich fremden Männern dar...“) dem Hartschalenkostüm und anderen Songs der bekannten Strom & Wasser Alben.

Ratz bearbeitete seine Gitarre oft wie einen Bass, was ja bei einem der Leidenschaft verpflichteten Bassisten nicht wirklich erstaunt. Der Gesang war diesmal leider nicht so stark und überzeugend, wie man es von Strom & Wasser Konzerten und den CDs gewohnt ist, denn durch den Fußmarsch im Winter hat sich der Liedermacher eine starke Bronchitis zugezogen. Einer der insgesamt rund Tausend Kilometer, die er auf seinem „Lauf gegen die Kälte“ hinter sich bringt, muss wohl kalt gewesen sein. Aber, die Präsenz, das gewohnte, mit tiefsinnigen und politischen Texten gepaarte Temperament ist da – und auch Pianist Dominik überzeugte mit dynamischem, antreibendem Spiel.

Liedermaching und Joint Ventures

Die Stücke wurden im Wechsel mit Götz Widmann gespielt. Der Bonner Liedermacher ist vielen Musik- und Literaturliebhabern durch seine alte Gruppe „Joint Venture“ und die Erfindung des „Liedermaching“ bekannt. Inzwischen tritt er solo auf, da sein alter Partner mittlerweile verstorben ist. Widmann überzeugte auf der Bühne mit großer Präsenz und einer markanten, tiefen Stimme sowie packendem Gitarrenspiel mit viel Drive. Das junge und oft enthusiastische Publikum war in vielen Passagen der zahlreichen Texte über Liebe, Sex, Beziehungen und Politik fast ebenso textsicher wie der Sänger selbst.


Gott oder Götz? Widmann beim leverkusener Konzert am 2. Februar
Foto: Norman Liebold

Doch der Fankult um Götz Widmann, zuweilen mit quasi religiösen Zügen (Fan: „Götz, du bist mein Gott...“), tat der guten Sache keinen Abbruch: In der Pause ging Ratz mit zwei großen Wanderstiefeln (Geld stinkt ja nicht!) durchs Publikum, um Spenden zu sammeln – der Eintritt war frei. Jeder sollte geben, was seiner „persönlichen Schmerzgrenze“ entspricht. So kamen letztendlich rund 730 Euro, 3 Dollar und eine unbekannte Währung zusammen. Die persönliche Schmerzgrenze lag bei Freund und Kollege Widmann bei der Hälfte der CD-Einnahmen des Abends. Das Geld soll auf direktem Weg an die Obdachlosen gehen, damit sie sich einen Schlafsack kaufen oder ganz konkrete Dinge, wie das Arztmobil, einen Schlafplatz, heiße Getränke oder Essen bezahlen können. So geht es beim „Lauf gegen die Kälte“ vernünftigerweise weniger um die Förderung der oft bürokratischen „sozialen“ Infrastruktur als vielmehr um die wohnungslosen Menschen direkt.

Im zweiten Set von Heinz Ratz beeindruckte ganz besonders das Lied zum Lauf gegen die Kälte:

„Die schlafende Armut“

Das Unrecht läuft heute in feineren Kleidern
und tötet leise per Unterschrift.
Es ist umgeben von höflichen Neidern
und wandelt die goldenen Worte in Gift.

Es lächelt in Güte, wenn es zertritt.
Es spricht von der Freiheit hinter den Mauern.
Und von dem leider notwendigen Schritt.
Das Unrecht kann sehr überzeugend Bedauern.

Auf dem Buckelrücken des Geldstücks gebaut
wird das Schicksal geschaukelt zwischen den Toden.
Man macht sich mit Depressionen vertraut
und mit stählern werdenden Moden.

Der Kaufpreis der Freiheit ist wie immer das Geld.
Die es haben, werden es sicher nicht teilen.
Das gierigste Tier plündert die Welt
mit barmherzigen Gesten und blutigen Beilen.

Wer Geld hat, greift nach höheren Rechten
Und feiert sich selber voll Leidenschaft.
Aber hört ihr den Ruf aus den dreckigen Nächten?
Auch die schlafende Armut –
Auch die Armut hat Kraft!


Es werden die Krüppel, die Bettler, die Alten,
es werden die, die ihr fortwerft wie Dreck,
plötzlich erscheinen in eurer kalten
Welt aus Bilanzen, Konto und Scheck.

Sie kommen aus ihren Löchern wie Ratten,
die Blicke voll Elend und Hilflosigkeit.
Da klettert die Angst über eure Krawatten,
bis ihr nach Schutz oder Sicherheit schreit.

Ihr könnt sie wie immer zertreten, zerschlagen,
in die hintersten Ecken drängen wie Vieh.
Zwischen Gewalt und verzweifelten Klagen
wird ihre Zahl so groß wie noch nie.

Der Tag gehört euch – gestylt und adrett!
Die blitzenden Banken. Der Schritt zum Kredit.
Alles, was leuchtet und bunt ist und fett!
Der Tag gehört euch – den nehmt ihr noch mit.

Aber kaum wird es dunkel, sperrt ihr euch ein.
Und vergesst, daß draußen der Hunger schreit.
Es könnten Millionen Schreiende sein.
Eure Fenster verschlucken Geräusche aus Leid.

Ihr Reichen, ihr Schönen, ihr immer Gerechten,
ihr feiert euch selber voll Leidenschaft.
Aber hört ihr den Ruf aus den dreckigen Nächten?
Auch die schlafende Armut –
Auch die Armut hat Kraft!


(Heinz Ratz, November 2006)

Heinz Ratz beim Lauf gegen die Kälte im Konzert in Leverkusen Foto: Norman Liebold
„Tanz mit dem Mikrophon" beim Konzert in Leverkusen
Foto: Norman Liebold

Das gab dem unermüdlichen Liedermacher selbst die Kraft zurück, und nach einem weiteren Set von Götz Widmann endete ein außergewöhnliches Konzert mit nachdenklichem Thema mitten im Kölner Karneval. Kraft wird Heinz Ratz für die unzähligen Kilometer, die ihn vom letzten Konzert und Ziellauf gegen die Kälte am 22. Februar in München noch trennen, sicher gebrauchen können – wie wir alle, Menschen mit oder ohne Obdach: Kraft und Zusammenhalt! (CH)

Weitere Informationen zum „Lauf gegen die Kälte“, Heinz Ratz und den Konzerten unter www.laufgegendiekaelte.de


Besonderer Dank gilt dem Schriftsteller, Graphiker, Schauspieler und Fotografen Norman Liebold dafür, dass er uns die Fotos vom „Lauf gegen die Kälte“ in Leverkusen zur Verfügung gestellt hat.
Merke:
Vermehrtes Stöbern (Englisch: „to surf“) im Internet kann zu erheblichen Erkenntnisgewinnen führen!


Online-Flyer Nr. 132  vom 06.02.2008

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