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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Wirtschaft und Umwelt
Kamukhaan auf der philippinischen Insel Mindanao
Das Dorf, die Pestizide und der Tod
Von Dr. Romeo Quijano und Philipp Mimkes

Der Ort sieht öde und verlassen aus. Fast könnte man ihn für eine Geisterstadt halten, doch dann sieht man einige kraftlose Menschen zwischen den schäbigen Hütten sitzen. Die 700 Bewohner des Dorfes Kamukhaan auf der philippinischen Insel Mindanao sind einem Tod auf Raten geweiht: Vor 20 Jahren kamen mit dem Bau einer Bananen-Plantage Vergiftungen, Krankheiten und Armut ins Land. Seitdem werden die Früchte fast täglich mit Pestiziden besprüht, die Gifte töten Menschen, Tiere und Pflanzen. Während die „makellosen“ Bananen ihre Reise in ferne Länder antreten, zahlen die Bewohner von Kamukhaan den Preis für die agro-industrielle Produktion.
Kamukhaan war nicht immer das Ödland, das es heute ist. Wie die Ältesten wehmütig erzählen, war das Dorf einst reich an natürlichen Ressourcen. Niemand brauchte zu hungern. Es gab Bäume und alle Arten von Vegetation, der See war voller Leben. Die DorfbewohnerInnen, die vom Fischfang oder dem Getreideanbau lebten, hatten stets mehr als genug, um ihre Familien zu ernähren und ein einträgliches Leben zu führen. Das Landstück, auf dem jetzt die Plantage angesiedelt ist, war einst in Besitz der Familie Buloy. Der 71jährige Diego Buloy, letzter Überlebender der Clans, erzählt: „Die Abgesandten der Firma Gadeco gaben vor, auf dem Land Rinder züchten zu wollen. Aber sie betrogen uns, und wir leiden immer noch an den Folgen.“
Chiquitas mit BAYER-Pestiziden


Kamukhaan – in der Hand von Ladeco und von Familie Lorenzo

Gadeco, in der Hand einer Großgrundbesitzer-Familie, produziert hauptsächlich für die US- Unternehmen Del Monte und Chiquita. Die in Kamukhaan eingesetzten Agrochemikalien stammen von der amerikanischen Firma Du Pont und den deutschen Anbietern BAYER und Aventis. Gadeco versprach ein „banana dreamland“ und Wohlstand für die ganze Region. Die Realität sieht anders aus: ödes, karges Land, ein verseuchter See und kranke, verarmte Menschen, die gezwungen sind, giftige Luft zu atmen.
Seit dem Bau der Plantage sind die DorfbewohnerInnen zwei- bis dreimal im Monat direkt den per Flugzeug versprühten Pestiziden ausgesetzt. Nicht einmal in ihren Hütten können sie den Ackergiften entkommen. Ihre Augen brennen, und die Haut beginnt zu jucken. „Kinder, die auf der Straße gespielt haben, kehren hustend nach Hause zurück und klagen über schmerzende Augen“, erzählt Alona Tabarlong. Vorher kerngesunde Kinder und Erwachsene sind heute extrem krankheitsanfällig, die verschiedensten Krankheiten breiten sich unter den Dorfbewohnern aus. Sie bekommen leicht Fieber und leiden regelmäßig unter Schwächeanfällen, Schwindelgefühlen, Übelkeit und Husten-Attacken. Andere haben Asthma, einen Kropf, chronischen Durchfall oder Anämie (Blutarmut). Bei einigen Erwachsenen haben die Ärzte Krebs diagnostiziert.

Allein im Juli starben neun Bewohner

Chronische Krankheiten und plötzliche Todesfälle sind in Kamukhaan alltäglich. Ein Angestellter der Dorfverwaltung bestätigt, dass im vergangenen Monat fünf Menschen an Durchfall oder hohem Fieber gestorben sind. Und Nanette Rodriguez berichtet: „Allein im vergangenen Juli sind neun Menschen gestorben. Schon vorher sind viele krank geworden, von denen einige mittlerweile tot sind. Deshalb gingen wir zum Geschäftsführer der Plantage. Aber er sagte, die Gesellschaft komme nicht für unsere Krankenhaus- Rechnungen auf, da es unser verschmutztes Wasser sei, das die Krankheiten verursache. Die Ärzte im Hospital bestätigten, dass unser Wasser-Reservoir mit Pestiziden vergiftet ist, die durch die Erde gesickert sind.“



Pestizide – manchmal auch aus dem Flugzeug

„Erst gestern verlor eine Frau zwei ihrer Kinder“ erzählt ein Dorfbewohner. Babys kommen oftmals krank oder mit Missbildungen zur Welt. Viele haben von Geburt an schwere Hautleiden. Nicht selten sterben die Säuglinge bei der Niederkunft oder kurz danach. Die Pestizide haben eine fatale Auswirkung auf die geistige und körperliche Entwicklung der Kinder, viele versäumen wegen ihrer Krankheitsanfälligkeit häufig die Schule. Die achtjährige Lilibeth Hitalia beispielsweise ist wegen ihres chronischen Durchfalls zu häufigen Krankenhaus-Aufenthalten gezwungen. „Bei ihrer Geburt war sie sehr klein, und sie begann erst mit vier Jahren zu sprechen. Noch immer hat sie ein beeinträchtigtes Auffassungsvermögen“, sagt uns ihre Mutter.

Kokosbäume ohne Früchte

Auch die Getreide- und Gemüsefelder des Dorfes leiden unter den Giften. Seitdem auf der Plantage Pestizide verspritzt werden, tragen die Kokosbäume keine Früchte mehr, die DorfbewohnerInnen waren gezwungen, die Bäume zu fällen. Der Boden ist unfruchtbar geworden, so dass der Getreideanbau zur Selbstversorgung oder Sicherung des Lebensunterhalts kaum noch möglich ist. Die Aufzucht von Schweinen, Hühnern und anderen Tieren wird immer schwerer, da viele während der Spritzphasen verenden. Die Einwohner von Kamukhaan vermuten, dass ihr 50 Meter unter dem Erdboden liegendes Wasser-Reservoir verseucht ist. Während der Niederschlagszeit nimmt das Regenwasser die Pestizide von den Feldern auf und fließt in Richtung Dorf, wo der Wasserstand manchmal Hüfthöhe erreicht. Die Bewohner sind gezwungen, durch das Wasser zu waten, die darin spielenden Kinder werden oftmals krank.



10 Stunden täglich Pestizide sprühen – für einen Euro

Die Pestizide verschonen auch den Fluss und den See nicht - Hauptquellen für Nahrung und Lebensunterhalt. Das Wasser, in dem es einst von Fischen nur so wimmelte, ist heute pestizidverseucht. Fischer erinnern sich noch an die Zeit vor 30 Jahren, „als wir jeden Tag 200 Kilogramm Fisch fingen. Heutzutage sind wir froh, wenn es noch zwei Kilo sind“. Das Fischsterben ist in Kamukhaan Alltag geworden. Einige BewohnerInnen sind auf den vergifteten Fisch als Nahrungsmittel angewiesen und deshalb häufig krank. Schon oft hat sich die Dorfbevölkerung bei den Plantagenbesitzern beschwert, aber diese lehnen jede Verantwortung ab. Einmal zogen die Fischer mit toten Fischen, Wasser- und Bodenproben ins Rathaus, aber auch dort stießen ihre Klagen auf taube Ohren. Jetzt, da die Pestizide die natürlichen Lebensgrundlagen des Ortes zerstören, gehen die DorfbewohnerInnen, die vorher nie Hunger leiden mussten, oftmals mit leerem Magen ins Bett.

Plantagenarbeiter im Chemikaliennebel


Der Möglichkeit beraubt, Tätigkeiten als Fischer oder Bauer auszuüben, sind viele Männer genötigt, auf der Plantage zu arbeiten. Die Pestizide werden nicht nur von der Luft aus versprüht, die Arbeiter spritzen auch direkt über ihren Köpfen und stehen stundenlang im Chemikalien-Nebel. Eine angemessene Schutzkleidung erhalten sie nicht, gegen die Pestizid-Dämpfe werden nur Stoff-Masken ausgeteilt. Hände, Füße und Beine bleiben ungeschützt und kommen ständig mit den Pestiziden in Kontakt. Ein Training für die Handhabung der Gifte existiert nicht - lediglich eine kurze Einweisung. Ein Arbeiter erzählt, wie er durch die zwischen den Bananenstauden angelegten Kanäle waten musste, in dem das vergiftete Wasser bis zu den Schenkeln reichte und in seine Schuhe lief. Durch eine Infektion verlor er zwei Zehen, für die Behandlung musste er selber aufkommen.



Kinder in Kamukhaan – durch Pestizide erkrankt

Eines der am häufigsten eingesetzen Agrogifte in der Plantage ist Fenamiphos (Produktname Nemacur), das vom Leverkusener BAYER-Konzern hergestellt wird. Fenamiphos wird von der Weltgesundheitsorganisation WHO in die Gefahrenklasse Ia („extrem gefährlich“) eingestuft. Das Unternehmen Bayer hatte Mitte der 90er Jahre angekündigt, bis Ende des Jahrzehnts alle Pestizide der Klassen Ia und Ib („hoch gefährlich“) vom Markt zu nehmen - das Versprechen wurde aber bislang nicht eingelöst.

Zehn Stunden für einen Euro


Die meisten Landarbeiter werden befristet angestellt und erhalten keinerlei Sozialleistungen oder Krankenfürsorge. Für eine zehnstündige Schicht müssen sie sich mit einem Lohn von 45 Pesos (etwa ein Euro) - weniger als der gesetzliche Mindestlohn - oder gar mit Naturalien abspeisen lassen. „Manchmal erhalten wir 90 Pesos für besonders harte Tätigkeiten“ berichtet einer. Doch dieser Betrag reicht auch in den Philippinen nicht aus, eine Familie zu ernähren, erst recht nicht für eine medizinische Behandlung. Beschwerden ziehen eine sofortige Kündigung mit sich. Arbeiter, die Informationen über die Arbeitsbedingungen an Journalisten weitergegeben hatten, wurden unter Druck gesetzt, ihre Aussagen zurückzuziehen. Andernfalls wurden ihnen Klagen angedroht.



Vor 30 Jahren jeden Tag 200 Kilogramm Fisch
Alle Fotos: Coordination gegen Bayer-Gefahren

Zwei Männer, die den Wirkstoff Paraquat verspritzten, kamen ins Krankenhaus - einer von ihnen starb. Viele Arbeiter klagen ständig über Schwindelanfälle, Schwächegefühle oder Hautjucken und können deshalb häufig nicht zur Arbeit kommen. Edward Rama, der die Bananen jede Woche mit dem in den USA nicht zugelassenen Wirkstoff Bitertanol behandelt (enthalten in den BAYER-Produkten Baycor und Baymat), berichtet, dass er leicht ermüdet, Fieber bekommt und unter Magenproblemen sowie Hautjucken leidet.

Armut und Hoffnungslosigkeit


Auch in so abgelegenen Orten wie Kamukhaan zeigen sich die Auswirkungen einer grenzenlosen Globalisierung. Die Bewohner des Ortes stehen möglicherweise vor ihrer Auslöschung: ihr Gesundheits- Zustand verschlechtert sich ständig, die Felder sind erschöpft, andere Einkommens-Quellen gibt es nicht. Die Menschen versinken in Armut und Hoffnungslosigkeit, doch nur wenige nehmen davon Notiz.
Die Dorf-Ältesten haben resigniert: „So sehr wir uns auch anstrengen, wir können gegen diese mächtigen Leute nichts ausrichten“. Solange es Dörfer wie Kamukhaan gibt, ist die Schlacht gegen Ungerechtigkeit, menschliche Gier und Unterdrückung nicht gewonnen. (PK)

Dr. Romeo Quijano ist Arzt und lehrt Pharmakologie an der Universität Manila. Sein Artikel, der zu der Anklage gegen ihn führte, wurde von Philipp Mimkes, Physiker, Journalist und  Mitglied der Coordination gegen BAYER-Gefahren e.V., um einige Stellen zum BAYER-Konzern ergänzt. – Lesen Sie dazu auch den Artikel über den Freispruch für Dr. Romeo Quijano in dieser Ausgabe.  

Online-Flyer Nr. 128  vom 09.01.2008



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