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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Inland
Bliss und Anklam besuchen unangemeldet das Arsenal des Zaren
Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke im April ’68
Von Erasmus Schöfer

Mit Professor Arno Klönnes Beitrag „Die außerparlamentarische Opposition begann nicht erst 1968“ und Wolfgang Bittners „Erinnern und daran anknüpfen!“ haben wir eine Artikelserie zu dem für 2008 geplanten Kölner Veranstaltungsprojekt „’68 bis 2008 – und weiter!“ in den NRhZ-Ausgaben 122 und 123 gestartet. Es wurde in 125 und 126 mit Jutta Ditfurths Ulrike Meinhof-Biographie und Walter van Rossums „’Die Kinder des Sisyfos – eine etwas andere Chronik der ’68er’“ fortgesetzt. Nun folgen zwei Ausschnitte aus Erasmus Schöfers "Ein Frühling irrer Hoffnung". 
Am 11. April 1968 wurde Dutschke vor dem SDS-Büro von dem jungen Hilfsarbeiter Josef Bachmann abgepasst, der drei Schüsse auf ihn abfeuerte. Er erlitt lebensgefährliche Gehirnverletzungen und überlebte nur knapp nach einer mehrstündigen Operation. Heute erinnert eine Gedenktafel am Tatort vor dem Haus Kurfürstendamm 141 an das Attentat.


Rudi Dutschke
Bachmanns Motive wurden nie ganz aufgeklärt; man fand bei ihm ein Zeitungsfoto von Dutschke und die Nationalzeitung und vermutete daher rechtsextreme Hintergründe. Viele Studenten machten die Springerpresse für das Attentat verantwortlich, da diese zuvor monatelang gegen Dutschke und die demonstrierenden Studenten agitiert hatte. Die Bild-Zeitung z.B. hatte Tage zuvor zum „Ergreifen“ der „Rädelsführer“ aufgerufen. - Die Redaktion

Es war schon wieder saukalt an den Händen, zu Ostern war Ausflugs­wetter angesagt, keine Spur davon in der Luft. Wenn sie nebeneinander fahren konnten diskutierten sie über die Folgen des Anschlags und über die Hin­tergründe, der Mord an Benno Ohnesorg vor knapp einem Jahr hatte die politische Land­schaft in der Bundesrepublik verändert, Oder doch nur die an den Univer­sitäten, ein Zufallsschuß wars, der Schütze Kurras so be­liebig wie sein Op­fer, das jetzt aber ein gezielter politischer Mord an einem Führer der radikaldemokrati­schen Bewegung, unleugbare Ähnlichkeiten mit den Morden an Luxemburg und Liebknecht, Oder grade nicht, der verlorne Krieg, die NovemberRevolu­tion, die wurde ja dadurch enthauptet - wir ha­ben keine revolutio­näre Situation höchstens in der CSSR Vik, Vielleicht bringt aber der tote Dutschke eher als der lebendige die versteinerten Ver­hältnisse zum Tanzen? Eher als die Verhältnisse, wollte Manfred wet­ten, ohne Arbeiter; die werden mal wieder wählen, statt zu marschieren.


Gedenktafel für Rudi Dutschke in Berlin-Wilmersorf

Auf dem Feilitzsch Platz vor Hertie hatte sich schon ein lockerer Haufen ge­sammelt, APO Leute, Studenten vom SDS und vom Liberalen Hochschul­bund, Bliss hatte viele Hände zu schütteln, ernste bittere Gesichter zu schauen, stellte oft den Kollegen Betriebsrat von Ford aus Köln vor, noch war nichts klar außer der Wut, Bachmann hieß der Pistolenschütze, ein jun­ger Mann, wer immer: die Hand und den Kopf hat Springer geführt, die Schreib­tischTäter sitzen in den BILDRedaktionen, hektografierte Flugblätter tauch­ten auf, stapelweise, da hatten welche schnell gehandelt: BILD hat mitgeschos­sen! Verhindern wir die Auslieferung der Dreckschleuder! Akti­onskomitee Enteignet Springer. Gut gebrüllt, aber nicht mit zweihundert Leuten oder dreihundert, erstmal diskutieren die Taktik konkret, nicht blindlings rein­stolpern in die Polizei, TeachIn, Leute sammeln! Im Gegenteil: spontan! Wann wollt ihr endlich mal den Rasen euer Väter betreten! Ja wie die Schafe wohl nicht! Jeden kanns treffen wenn wir jetzt nicht die Gegen­wehr massenhaft –


Trauer und ohnmächtige Wut nach Attentat auf Rudi Dutschke

Kommuneleute hatten die Flüstertüte, setzten sich durch für Auf­bruch und unterwegs Flugblätter verteilen, Sympatisanten sammeln. Langsam franste der Menschenhaufen aus in die Schwabinger Passanten, welche wollten mit der Straßenbahn, vier Stationen bis Theresienstraße, Kurz­Reden an die Fahrgäste, Bliss und Anklam schoben ihre Fahrräder auf dem Bürgersteig der nächtlich belebten Leopoldstraße, neben ihnen die auf­wallenden HupOpern der Autofahrer in die kleine LatschDemo, sie nötigten die Flugblätter in die Hände uninteressierter Lustsucher mit rausgestoßnen Hinweisen auf das Attentat und die ideellen Totschläger, auch in die Cafés und Bars drang Anklam ein, paar Müßigsitzer vielleicht vom Hintern zu scheuchen. Bliss wartete mit den Rädern vor den Schaufenstern, sah Man­fred von Tisch zu Tisch, freundlich ernst, Hausierer ohne Bauchladen in Sa­chen Empörung, hinterließ sichtbar Unruhe Irritation an den Tischen, tatsächlich gerieten einige junge Leute in Bewegung, winkten der Kellnerin Zahlen, schoben sich durch zum Ausgang an Bliss vorbei Richtung Siegestor.


Hetze als Redaktionsstatut
Da sind doch viele ganz schön angeschlagen, berichtete Anklam, erst der Mord an King, jetzt Dutschke, und was sie so gesehn haben von Vietnam, monatelang in der Tagesschau, ich glaube sie haben ein dumpfes Gefühl daß die Gewalt ih­nen langsam wieder auf die Pelle rückt, daß sich was ändert in der Welt über ihre Köpfe weg, das regt die allmählich auf - die wollen was gegen tun und wissen nicht wie.

Vor dem Haupteingang des Buchgewerbehauses in der Schellingstraße hatten sich kaum mehr Men­schen versammelt als vor Hertie in Schwabing. Die Straßenlaternen gaben mattes Licht in die diesig kalte Nachtluft. Sie schlossen ihre Räder an einen Kandelaber. Das mächtige Gebäude mit den re­gelmäßigen Fensterreihen ragte ins Dunkel, sah aus wie geräumt oder schlafend, wenige Lampen warfen einen fahlen Schein über den Hof. Durch das Rollgitter neben dem Pförtner­haus sahen sie die Reihen aufgestellter Lieferwagen mit dem gut verhaßten rotweißen BILDViereck. Ein Pförtner war hinter den Scheiben zu erkennen, einsam, lesend, so schien es. Unglaubhaft, daß der die Menge vor der Ein­fahrt nicht bemerkt haben wollte. Spielte Ge­lassenheit. Eine halbe Stunde vor Mitternacht zeigte die Normaluhr an der Wand hinter ihm. Ralf Pohle kapierte als erster: Leute - die Bude ist leer, die drucken heut nicht wegen Karfreitag!


Anti-Springer-Demonstration vor einem BILD-Druckhaus in Hannover
Quelle: Polizei Niedersachsen

Es war irgendwie Konsens die Auslieferung des RevolverBlattes demon­strativ zu verhindern. Aber kei­ner der Versammelten las die Bildzeitung je anders als zum Zweck der Wie­derbelebung der eignen Empörung, den mei­sten war auch der Karfreitag nicht als besonders heiligenswert und zei­tungsfrei im Bewußtsein. So hatte niemand erwartet, vor ein leeres Druck­haus zu geraten. Die Rächer sind da und Springer hat seinen freien Tag! kommentierte Anklam böse.

Die Po­lizei nahm sie offenbar auch nicht ernst. Undenkbar daß die keinen Wind bekommen hatten von der spontanen Versammlung in Schwabing und dem Zug zu Springer, undenkbar daß sie nach den Schüssen am Kurfür­stendamm nicht mit Reaktionen des SDS rechneten. Aber nirgendwo in der überschau­baren Menge war ein Ziviler mit Sprechfunkgerät entdeckt worden.

Johann Stotz erinnerte an die weiche Münchner Linie des Polizeipräsi­denten Schrei­ber, die galt wahrscheinlich unverändert seit den Schwabinger Krawallen oder, dachte Elvira, sympatisiert unsre Polizei also mindestens die Offiziere die mal bißchen nachdenken sympatisiert die insgeheim mit den Studenten, will den Berlinern vorführn daß es auch ohne diese dauernden Knüppelor­gien geht, die wie gesagt erst die Gegengewalt provozieren, was Bliss durchaus für möglich hielt sogar ohne Sympatie für die APO, einfach aus Ri­valität zwischen den Führungsspitzen in den Großstädten. Ferri Mel­chinger lachte sie aus: Nie und nimmer san die so deppert wieds ia euch denkts! A ganz a raffinierte Provokation is des, daß mir uns vergreifen tuan am Springer seim Eigentum und dann aber is der Deifi - da schaugts, sgeht schon los! Des is der Kunzelmann und Konsorten!

Melchinger schritt nachdrücklich rüber zum Pförtnerhaus, wo die Kommu­narden vom FußgängerEingang an die Scheiben klopften und for­derten, mit Worten und Gesten, der Nachtwächter solle die Gittertür des Durchgangs öffnen.



Auslieferung des „Revolver-Blattes" verhindern
Fotos: Günter Zint – panfoto


Der, tatsächlich, schlurfte heraus, hinkend, ein älterer Mann mit dicker Brille und Dienstmütze, Kriegskrüppel vielleicht, fragte durch das Gitter, was die Herrschaften wollten?
Kunzelmann, durch die Tröte, damit alle Bescheid wußten, blies den Alten an: Kollege, in Berlin ist heute unser Genosse Dutschke erschossen worden - dein Chef Springer ist der Schuldige wie wir alle wissen. Wir wollen ihn zur Rede stellen - solidarisier dich mit uns Kollege und laß uns mit deinem Chef sprechen! Öffne das Tor!

Bliss und Anklam hörten ihn, zittrig, aufgeregt: Nein nein meine Herrn, habe eben die Nachrichten gehört, der Herr Dutschke lebt! Und der Atten­täter ist ein junger Mann aus Westdeutschland, schon verhaftet, ein Neonazi, haben sie ge­sagt. Ich darf sie nicht reinlassen.
Er wartete nicht auf weitere Argumente der Demonstranten, schlurfte zu­rück in seine Bude, telefonierte... (PK)

Teil zwei folgt in NRhZ 129. –  Nachdruck aus dem ersten Band von Erasmus Schöfers Tetralogie "Die Kinder des Sisyfos",  Band 1 "Ein Frühling irrer Hoffnung". Band  2 "Zwielicht" veröffentlichten wir in den NRhZ-Ausgaben  20 bis 46. Band 3 trägt den Titel "Sonnenflucht", und Band  4 erscheint 2008 – im Dittrich Verlag Köln www.dittrich-verlag.de.

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Schöfers Tetralogie
„Die Kinder des Sisyfos“,

Bd. 1 „Ein Frühling irrer Hoffnung“,
Bd. 2 „Zwielicht“ und
Bd. 3 „Sonnenflucht“.
Bd. 4 erscheint im Frühjahr 2008

ISBN 3-920862-58-9
Dittrich-Verlag, Berlin


Online-Flyer Nr. 128  vom 09.01.2008



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