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Inland
Mögliche Folge der belgischen Krise zwischen Flamen und Wallonen:
Eupen wieder deutsch?
Von Hans Georg

Angesichts der anhaltenden Regierungskrise in Brüssel werden auch Sezessionspläne für die deutschsprachigen Ostkantone Belgiens diskutiert. Wenn die beiden großen belgischen Landesteile, Flandern und die Wallonie, sich tatsächlich voneinander trennen sollten, dann könne die Region um Eupen und St. Vith sich auch neu orientieren, heißt es unter den rund 70.000 deutschsprachigen Ostbelgiern.Im Gespräch ist ein Anschluss des Gebietes an Luxemburg oder aber an Deutschland. Für die deutsche Variante sprechen intensive Vorbereitungen, die das Bundesland Nordrhein-Westfalen in enger Abstimmung mit der deutschsprachigen Verwaltung Ostbelgiens trifft; so wurden erst in diesem Sommer neue Formen der Zusammenarbeit in die Wege geleitet. Der flämische Separatismus, der die gegenwärtige Staatskrise verursacht hat und einen Zerfall Belgiens mittel- und langfristig möglich erscheinen lässt, wurde in der Vergangenheit stark durch ein antifranzösisches Bündnis mit der nach Westen ausgreifenden deutschen Hegemonialpolitik geprägt. Ziel Berlins war es stets, den Pariser Einfluss in dem westlich angrenzenden Land zurückzudrängen.

Regierungskrise


Die aktuelle Regierungskrise in Belgien hält inzwischen seit mehreren Monaten an. Ausgelöst wurde sie in den Koalitionsverhandlungen nach den Parlamentswahlen vom 10. Juni 2007. Der Wahlsieger Yves Leterme von der konservativen Partei Christen Democratisch en Vlaams (CD en V) hat seit dem Sommer vergeblich versucht, ein Regierungsbündnis zu schmieden. Für das Scheitern verantwortlich sind Forderungen aus dem wohlhabenderen nördlichen Landesteil, dem niederländischsprachigen Flandern. Dort erstarken seit Jahren Kräfte, die den Abfluss von Steuermitteln in den ärmeren südlichen Landesteil, die französischsprachige Wallonie, verhindern wollen und zum Teil die Sezession aus Belgien fordern. Der flämische Separatismus ist in einflussreichen Milieus verankert und hat es dieses Jahr geschafft, mit Hilfe einer politischen Partei, der Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA), ein Wahlbündnis mit den Konservativen (CD en V) einzugehen und in den Koalitionsverhandlungen Fuß zu fassen. Die Verhandlungspartner aus der Wallonie wollen jedoch Forderungen von CD en V sowie N-VA, Kompetenzen der Zentralregierung in Brüssel an die Regionen zu übertragen, nicht nachkommen – aus begründeter Furcht vor einem Zerfall des belgischen Staates.
 
Optionen
 
Die anhaltenden Auseinandersetzungen um die Regierungsbildung in Brüssel haben Debatten um die Zukunft Belgiens entfacht – auch in den belgischen Ostkantonen. Die dortige Deutschsprachige Gemeinschaft (DG), der behördliche Zusammenschluss der rund 70.000 Menschen umfassenden deutschsprachigen Minderheit rings um Eupen und St. Vith, hat in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Autonomierechte erhalten, verfügt über ein eigenes Parlament und eine eigene Regierung. Dort werden Überlegungen über die Zukunft der DG angestellt – für den Fall, dass Flandern sich von der Wallonie trennt. „Sollte es tatsächlich zu einer Spaltung Belgiens kommen, müssen wir uns natürlich alle Optionen offen halten“, erklärt Regierungschef Karl-Heinz Lambertz (Eupen). Wie der Sozialdemokrat bestätigt, sind gegenwärtig verschiedene Szenarien im Gespräch – von der Eigenstaatlichkeit über eine Vereinigung mit dem südlich angrenzenden Luxemburg bis zum Anschluss an Deutschland.[1] Für Luxemburg spricht dessen Wohlstand, heißt es in der DG: „Die Gehälter sind hervorragend, die Pensionen nicht schlecht.“[2] Für Deutschland spricht die langjährige politische Vorarbeit.

Projektförderung

 
Die deutsche Einflussnahme in Ostbelgien hatte sich lange Zeit auf die kulturelle Sphäre konzentriert. Fördermittel zugunsten deutschsprachiger Belgier waren unter anderem von der Hermann-Niermann-Stiftung (Düsseldorf) zur Verfügung gestellt worden, die Ende der 1980er Jahre unter Kritik geriet; Ursachen waren die Mitarbeit von Personal aus rechtslastigen Milieus sowie Kontakte zu Kreisen des Südtirol-Terrorismus, die bis 1987 andauerten.[3] Die Hermann-Niermann-Stiftung hat ihre Zuweisungen nach Ostbelgien Ende 1994 eingestellt, aber dennoch erfolgreich gegen ostbelgische Kritiker prozessiert, die entschieden gegen die finanzielle deutsche Kultur-Einmischung protestiert hatten. Als die Gerichtsverfahren angestrengt wurden, war ein Ministerialrat aus dem deutschen Innenministerium mit Zuständigkeit für die Förderung deutschsprachiger Minderheiten im Ausland Vorstandsvorsitzender der Stiftung.[4] Mit der gerichtlichen Niederlage der Kritiker ist der Widerstand gegen die Einmischung aus Deutschland weitgehend zusammengebrochen. So regt sich heute kein Protest gegen die enge Zusammenarbeit der DG mit der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen (FUEV), einer mit staatlichen deutschen Mitteln finanzierten Organisation, die unter anderem deutschsprachige Minderheiten aus ganz Europa mit Beamten des Bundesinnenministeriums vernetzt.[5]
 
Kooperationsabkommen
 
Die kulturelle Einflussarbeit mit Hilfe punktueller Projektfinanzierung ist inzwischen in vertraglich vereinbarte Kooperation zwischen der Eupener DG und den Behörden des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen übergegangen. So haben die jeweiligen Ministerpräsidenten am 4. März 2004 eine „Gemeinsame Erklärung“ unterzeichnet, die „auf eine möglichst enge Vernetzung zwischen beiden Regionen“ zielt. Sie erstreckt sich auf „Unterrichtswesen, Kunst und

Heute könnte die Annektierung friedlich –
durch die Deutschsprachigen – gelingen.
Quelle: www.fc-eupen.be
Kultur, Medien, Freizeit, Sport und Tourismus, Jugend, Soziales und Gesundheit, Bildung und Beschäftigung, Europa und regionale Strukturpolitik sowie allgemeine Verwaltungsange- legenheiten“ – sämtlich Bereiche, in denen die DG Kompetenzen von der Zentralregierung in Brüssel übernommen hat.[6] Da die belgischen Ostkantone für eine eigenständige Politik viel zu klein sind, geben sie die Kompetenzen nun an das deutsche Bundesland Nordrhein-Westfalen weiter. Erst in diesem Sommer haben ostbelgische und nordrhein-westfälische Ministerien ihre Kooperation bei Bildung und Forschung weiter intensiviert. Unabhängig davon intensivieren auch deutsche und belgische Kommunen ihre grenzüberschreitende Zusammenarbeit, meist im Rahmen der sogenannten „Euregio Maas-Rhein“.[7]


Interessengegensatz
 
Der flämische Separatismus, der mit einer Trennung Flanderns von der Wallonie auch die DG freisetzen und endgültig von Brüssel lösen könnte, ist im Laufe seiner Geschichte nicht zuletzt von Deutschland geprägt worden. Dies betrifft vor allem seinen radikalen Flügel. Als die Berliner Reichsregierung im Verlauf des Ersten Weltkriegs die Chancen auf einen Sieg schwinden sah und sich deswegen auf einen Kompromissfrieden vorbereitete, intensivierte sie ihre sogenannte Flamenpolitik. Sie stärkte kollaborationswillige Flamen, um mit deren Hilfe Belgien nach einem Friedensschluss unter deutschem Einfluss zu halten. Zugunsten der flämischen Nationalisten teilte die deutsche Besatzungsmacht Belgien 1917 in zwei Verwaltungsgebiete – Flandern und die Wallonie. Mit der Kollaboration „war erstmals die Vorstellung eines Gegensatzes vitaler Interessen zwischen 'Flandern' und 'Belgien' in die Welt gekommen, die der flämischen Bewegung vor dem Krieg weitgehend fremd gewesen war“, heißt es in einer Analyse über das deutsch-flämische Verhältnis.[8] Auf der genannten Vorstellung fußt der flämische Separatismus bis heute.

Mit Wissen und Unterstützung
 
Nach der Kriegsniederlage von 1918 galt der flämische Nationalismus im Deutschen Reich als Garant gegen ein Erstarken Frankreichs. Paris kämpfe

Im II. Weltkrieg wurde Eupen
durch deutsche Fallschirm-
jäger erobert.
Quelle: www.st.vith.be
„mit allen geistigen, wirtschaftlichen und militärischen Mitteln um den Einfluß in Nordwesteuropa, damit es auch die Mündung der deutschen Lebensader, des Rheines, in seine Macht bekommt“, mutmaßte der Potsdamer Historiker Robert Paul Oszwald im Jahr 1927. Als Gegen- kraft kämen nur nationalistische, radikal anti- französische Flamen in Frage.[9] Oszwald, „die Zentralfigur in den Beziehungen zwischen deutschen und flämischen Nationalisten in der Weimarer Zeit“ [10], wirkte in den 1920er Jahren als Berater des Auswärtigen Amts. Er habe seine Tätigkeit zur Vermittlung zwischen dem Deutschen Reich und dem „nieder- ländischen Kulturkreis (...) mit Wissen und Unterstützung des Auswärtigen Amtes ausgeübt, bis 1932 dort eine Kursänderung eintrat“, schrieb Oszwald Anfang Februar 1940 – drei Monate vor dem deutschen Überfall auf seine westlichen Grenznachbarn – in einem „Bericht über die Lage in den neutralen Weststaaten Belgien und Holland“.[11] Bereits 1933 jedoch habe er seine Tätigkeit wieder aufnehmen können – im Auftrag der Abteilung VII des Reichspropagandaministeriums.

Gegen Paris
 
Der antifranzösische Gestus ist im flämischen Separatismus bis heute vorhanden. Als der Wahlsieger vom 10. Juni 2007, Yves Leterme, von einem Fernsehreporter gebeten wurde, die belgische Nationalhymne zu singen, stimmte er die falsche Melodie an. Leterme, dessen Streben nach größerer Autonomie Flanderns bekannt ist, intonierte anstelle der Hymne des belgischen Staates die französische Marseillaise. Damit bekräftigte der Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten eine wichtige Komponente seiner Politik: Sie richtet sich gegen den Einfluss Frankreichs in Belgien und begünstigt damit Berlin. (PK)

[1] Ostbelgier sehen die Regierungskrise noch gelassen; Aachener Zeitung 08.11.2007
[2] Eine Nation gerät ins Wanken; Südwest Presse 15.11.2007
[3] s. dazu Baldiger Anschluss und Ethno-Netzwerk
[4] s. dazu Deutsche Subversion (II) und Fliehkräfte
[5] s. dazu Aktionseinheiten
[6] Ministerpräsident Peer Steinbrück: „Zusammenarbeit zwischen NRW und der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens vorbildhaft“; Landespresse- und Informationsamt Nordrhein-Westfalen 04.03.2004. S. auch Ostbelgien im deutschen Netz
[7] s. dazu „Die Potenziale des Nachbarn nutzen“, „Raumordnung“ um Aachen herum und Stilles Wachstum
[8] Winfried Dolderer: Der flämische Nationalismus und Deutschland zwischen den Weltkriegen, in: Burkhard Dietz, Helmut Gabel, Ulrich Tiedau (Hg.): Griff nach dem Westen, Münster 2003
[9] Robert Paul Oszwald: Nordwesteuropa, in: Volk und Reich Jahrgang 3 Nummer 12, Dezember 1927
[10] Winfried Dolderer: Der flämische Nationalismus und Deutschland zwischen den Weltkriegen, in: Burkhard Dietz, Helmut Gabel, Ulrich Tiedau (Hg.): Griff nach dem Westen, Münster 2003
[11] Stephan Laux: Flandern im Spiegel der „wirklichen Volksgeschichte“, in: Burkhard Dietz, Helmut Gabel, Ulrich Tiedau (Hg.): Griff nach dem Westen, Münster 2003


Belgiens Osten - bald wieder deutsch???
Quelle: www.wikipedia.de
(Quelle der Abbildung im Anreißertext: www.wikipedia.de)


Nähere Informationen über die deutsche Ostbelgien-Politik finden Sie in den Anmerkungen und unter www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57099, dort unter den Titeln Autonomie für „Deutschbelgien“, „Grenzen auflösen wie ein Stück Zucker im Tee“, Anschluss an Deutschland: „Kein Fehlverhalten“, Ortsverband Ostbelgien, Brückenkopf im Westen, Identitätsfindung, Baldiger Anschluss, Gemeinsam mehr erreichen! und Ethno-Netzwerk.


Online-Flyer Nr. 126  vom 19.12.2007



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