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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Wirtschaft und Umwelt
Interview mit Karl Heinz Winkler zum Erfolg gegen RWE in Ensdorf
Anfang einer Bürgerbewegung wie in Wyhl?
Von Peter Kleinert

Ende November 2006 gab RWE im Beisein von Ministerpräsident Peter Müller (CDU) in der Staatkanzlei des Saarlandes das Projekt eines 1600 MWel-Kohledoppelblocks in Ensdorf, 30 km saarabwärts von Saarbrücken bekannt. Dieser Plan des RWE wurde nun durch zähen Widerstand vor Ort, in den umliegenden Gemeinden sowie eine Bürgerbefragung verhindert. Dabei stimmten 70,19 Prozent von insgesamt 5.638 wahlberechtigten Ensdorfer Bürgerinnen und Bürgern mit Nein.
Karl Heinz Winkler
Karl Heinz Winkler: Glaubwürdigkeit der Argumente war entscheidend
Foto: privat


Karl Heinz Winkler hat zu diesem Erfolg beigetragen. Der pensionierte Lehrer und ehemalige Landesvorsitzende des BUND ist seit 30 Jahren Vorsitzender einer Bürgerinitiative (IGU) im Ostsaarland, die damals im Zuge einer Kraftwerksplanung in Bexbach gegründet wurde. Den Bau des Exportstrom-KW für Baden-Württemberg konnte die IGU 1978 zwar nicht verhindern, aber es kam zu einem außergerichtlichen Vergleich, in dem die Saarbergwerke erhebliche Zugeständnisse machen mussten. 1996 stoppte die IGU den Bau eines weiteren Groß-Blocks mit 800 MW in Bexbach, durch ihre Einflussnahme im Raumordnungsverfahren, tausende von Einwendungen im Genehmigungsverfahren und und  die „Entzauberung“ sogenannter Fachgutachter im Erörterungstermin. Saarberg verzichtete auf die Fortführung des Genehmigungsverfahrens. 2003 wurde die Mitverbrennung von Klärschlamm großen Stils im Kraftwerk Bexbach ebenfalls verhindert.

Herr Winkler, Sie selbst wohnen ja in Bexbach – rund 60 Kilometer von Ensdorf entfernt. Warum haben Sie sich nun auch dort gegen die RWE-Planung engagiert, und wie wurde das in Ensdorf aufgenommen, wo es zunächst ja keinen Widerstand gab?

Die Planungen wurden zunächst von der Politik – außer den Grünen – sowie den Gewerkschaften und Industrieverbänden euphorisch begrüßt. Das Monopolblatt Saarbrücker Zeitung schrieb: “Ein Glücksfall für das Saarland!“ Das Gegacker, wem das goldene Ei zu verdanken sei, dauerte gerade mal so lange bis IGU, BUND und Grüne auf den enormen Schadstoffausstoß und die Klimawirksamkeit von über 9 Millionen Tonnen CO2 hinwiesen. . Zwei offene Briefe von mir an die SPD Saar, deren Generalsekretär Jost den Gegnern vorwarf, sie stießen mit ihren Protesten dem Saarland den Dolch in den Rücken, wurden in mehrere Homepages eingestellt und erregten erhebliches Aufsehen. Weiter verfasste ich einige Artikel für die Verbandzeitschriften von BUND und NABU Saar.

Die Hauptmotivation, mich in Ensdorf zu engagieren sehe ich in der geplanten Energieverschwendung und der Verunmöglichung einer volkswirtschaftlich und ökologisch rationalen Energieversorgung durch diese „Steinzeit“-Technologie. Das Kraftwerk hätte soviel Abwärme über die beiden Kühltürme abgegeben, dass man damit den Heizungsbedarf des gesamten Saarlandes hätte decken können. Auch die Ableitung von gewaltigen Schadstoffmengen und mehr als 9,5 Millionen Tonnen. t CO2 in die Atmosphäre hätte man mit einer dezentralen Versorgungsstruktur vermeiden können. Ich vertrete schon seit 1980 das Konzept einer dezentralen Energieversorgung auf kommunaler Basis und zeige immer an den Beispielen Dänemark und Flensburg, dass dies möglich und notwendig ist. In Ensdorf begriff man allerdings erst nach Wochen, was auf die Bürger zukommen sollte.

Wie haben Sie und andere Kraftwerksgegner es dann geschafft, dass sich im April auch in Ensdorf eine Bürgerinitiative gründete?

Um Ensdorf herum formierte sich aufgrund dieser kritischen Informationen allmählich der Widerstand, so dass es schließlich im April zur Gründung einer BI kam. Daran beteiligten sich auch viele Bürger aus Ensdorf!

Die CDU-Landesregierung war ja für den neuen Kraftwerkbau, große Teile der SPD auf Landesebene auch, Wie haben sich denn in dieser monatelangen Auseinandersetzung Ensdorfs Bürgermeister und der Gemeinderat verhalten?

Ministerpraesident Mueller – lieber beim Wirtschaftsrat als bei den Buergern
Ministerpräsident Müller – lieber beim Wirtschaftsrat als bei den Bürgern
Quelle: www.wirtschaftsrat.de


Zunächst begrüßten die Fraktionen von CDU, SPD und FWG im Gemeinderat die Planungen, denn man glaubte, dass RWE nun das Füllhorn über der Gemeinde ausschütten werde. Der einzige Grüne im Gemeinderat lehnte das Projekt von Anfang an ab. Bürgermeister Hartz (CDU) ergriff jede sich bietende Gelegenheit um RWE den Weg frei zu machen. Nachdem immer mehr Bürger aus den umliegenden Gemeinden an Informationsveranstaltungen teilnahmen, schwoll die Welle des Protestes stetig an. Keine einzige Stimme für das Mammutprojekt war in mehr als zehn Veranstaltungen bis Anfang September zu hören. RWE und Befürworter konnten die fachlich seriös begründeten Sachverhalte nicht widerlegen. Das Totschlagargument Arbeitsplätze fand wider Erwarten keine Zustimmung. Auch der Protest quer durch die Parteien nahm stetig zu. Mehrere Nachbargemeinden fassten Beschlüsse gegen das geplante Doppel-Großkraftwerk. Im August änderte die SPD Ensdorf ihre Linie. Kurz darauf folgte die FWG. Lediglich die CDU unterstützte mit ihrer Mehrheit von nur einer Stimme im Gemeinderat weiter das Projekt.


Besuch für Ensdorfs Buergermeister Thomas Harz (CDU)
Besuch für Ensdorfs Bürgermeister Thomas Hartz (CDU)
Quelle:
www.kein-kraftwerk-ensdorf.de

Hat RWE die sich entwickelnden Aktivitäten der Umweltschützer einfach hingenommen? Oder hat man Einfluss zu nehmen versucht? Und wie hat sich die Gewerkschaft verhalten?

RWE versuchte zunächst die Kritiker zu ignorieren. An Podien der BI, der Grünen und der Umweltverbände beteiligte RWE sich nicht, um sich nicht der Kritik in offener Feldschlacht stellen.zu müssen. Der Ensdorfer Bürgermeister und der eines Nachbarortes luden weder die BI noch die Umweltverbände zu den Gemeinderatssitzungen ein. Nur RWE durfte vortragen. In einem Nachbarort drohten mehr als 500 erboste Gegner daraufhin die Sitzung zu sprengen. Im Juli lehnte das Ärztesyndikat des Saarlandes (1800 Mitglieder) die Dreckschleuder einstimmig ab. Der Ärzteverband schrieb einen klar ablehnenden offenen Brief an den Ministerpräsidenten, der ihn durch einen drittrangigen Mitarbeiter der Staatskanzlei bzw. durch den Leiter der Arbeitsmedizin von RWE beantworten ließ. Mehr als 500 Mediziner gründeten eine Arzt-Bürgerinitiative. Fast alle Ärzte des Umfeldes informierten in ihren Praxen.

Nachdem die Printmedien die Dinge einseitig darstellten und der Saarländische Rundfunk zunächst nur verhalten berichtete, schlug sich die Saarausgabe von BILD auf die Seite des Widerstands. Daraufhin kippte auch die Stimmung an den Stammtischen um. Ver.di, in der die Kraftwerker organisiert sind, sowie die Industrie- und Handelskammer des Saarlandes und die Unternehmerverbände vertraten dennoch weiter unbeirrt das Projekt.

Wie haben Sie es erreicht, dass – offenbar erstmals in der Bundesrepublik – die Bürgerinnen und Bürger über den Bau eines Kraftwerks abstimmen durften?


Ende Juli fand auf meine Veranlassung ein Beratungs-Gespräch mit einem der erfolgreichsten Umweltanwälte Deutschlands, Wolfgang Baumann in Würzburg, statt. Dabei wurde auch die Möglichkeit einer Bürgerbefragung zur Änderung des Flächennutzungsplans diskutiert. Das Saarländische Kommunalselbstverwaltungsgesetz eröffnet eine solche Möglichkeit. Die SPD im Gemeinderat Ensdorf griff die Idee sofort auf und stellte einen Antrag auf Befragung der Bürger über die geplante Änderung des Flächennutzungsplanes, der die planungsrechtlichen Voraussetzungen für den Bau eines größeeren Hafenbeckens für das Doppelblock-Kraftwerk ermöglicht hätte. RWE und Bürgermeister Harz versuchten natürlich mit allen Mitteln, diese Befragung zu verhindern.

Wenige Stunden vor der entscheidenden Gemeinderatssitzung am 25. Oktober 2007 fand auf Wunsch von RWE eine Besprechung im Kraftwerk (!) zwischen Vertretern von RWE Power, dem Bürgermeister, dem Fraktionssprecher der CDU und zwei Fraktionsmitgliedern der SPD statt. Ziel war es, die SPD zur Zurücknahme ihres Antrags zu bewegen - mit der Begründung, das Dorf werde durch die Abstimmung gespalten und RWE werde sich danach vom Standort zurückziehen. Die SPD-Vertreter wiesen dieses Ansinnen jedoch zurück. Daraufhin erklärte der CDU-Fraktionssprecher, seine Fraktion werde dann auf einem Quorum von Zweidrittel der Wahlberechtigten und einer eindeutigen Entscheidung bestehen. Da die Wahlbeteiligung in Ensdorf bei Gemeinderatswahlen sich immer um fünfzig Prozent bewegte, glaubten Bürgermeister und CDU wohl, damit den Brotkorb unerreichbar hoch gehängt zu haben. Die SPD lehnte auch das Quorum ab. Daraufhin überreichte ein Vertreter von RWE Power Formulierungstexte, in denen die Hauptfrage des Bürgerentscheids und eine Zusatzfrage vorformuliert waren. Beide Formulierungstexte der RWE wurden in der kurz darauf folgenden Gemeinderatssitzung unverändert mit großer Mehrheit verabschiedet. Bei der Abstimmung hatten die Bürger davon allerdings nicht die geringste Ahnung. Um so niederschmetternden ist das Abstimmungsergebnis für RWE zu bewerten.

Ensdorfer Kids – Aufklaerungsarbeit vom Dach
Ensdorfer Kids – Aufklärungsarbeit vom Dach 
Quelle:
www.kein-kraftwerk-ensdorf.de

Die Unterstützer dieser erfolgreichen Bürgerbefragung sprechen von einem "Lehrstück für Demokratie". Wie ist dieses Abstimmungsergebnis in der bisher in Deutschland kaum bekannten Gemeinde Ensdorf zustande gekommen?

Die unermüdliche Aufklärungsarbeit der BI und der Umweltverbände mit einer umfassenden und fachlich seriösen Information schuf die Grundlage der mehrheitlichen Ablehnung. In der Gemeinde Ensdorf befindet sich das letzte in Betrieb befindliche Bergwerk des Saarlandes. Viele arbeiten in der Eisen- und Stahlindustrie der Nachbarorte. Viele angesehene Bürger der Gemeinde engagierten sich gegen das Projekt. Mehr als 60 Ensdorfer Bürger versorgten jedes Haus mit Informationsmaterial.

Ensdorf – BI-Demo auf dem Weg zum Rathaus
Ensdorf – BI-Demo auf dem Weg zum Rathaus
Quelle: www.kein-kraftwerk-ensdorf.de


RWE eröffnete zwar zwei Bürgerbüros, brachte allerdings nichts sagende Hochglanzbroschüren in Umlauf und schaltete teure Anzeigen und Werbespots bei Radio Salü und im Saarländischen Rundfunk. Beim SR wurde diese niveaulose Werbung nach Protesten gestoppt. In den letzen drei Wochen fanden in und um Ensdorf wöchentlich mindestens drei Informationsveranstaltungen statt; ein beispielsloses Trommelfeuer der Argumente. RWE und der Bürgermeister, die Ärzteschaft mit Fachärzten, Wissenschaftler wie Prof. Leprich von der HTW des Saarlandes, politische Prominente wie Trittin und Lafontaine und Rosenkranz von der DUH griffen noch einmal in die Diskussion ein. Selbst die Bild-Zeitung organisierte ein Streitgespräch zwischen Minister a.A. Jürgen Trittin und Umweltminister Mörsdorf, in dem der für die Genehmigung zuständige Mörsdorf ausschließlich RWE-Positionen vertrat.

Letzen Endes spielte aber die Glaubwürdigkeit der Argumente die entscheidende Rolle. Die Bürger begriffen das Vorhaben sowohl als Bedrohung ihrer Gesundheit als auch überflüssig  für die Energieversorgung des Saarlandes, das bereits heute die Hälfte des hier erzeugten Stroms exportiert. Auch das Abzockerverhalten bei den Strompreisen in Verbindung mit Riesenprofiten der EVU auf Kosten der Verbraucher dürfte mit zum Erfolg der Bürger beigetragen haben. Schließlich war m.E. auch das von zunehmendem Misstrauen geprägte Gefühl der Menschen streitentscheidend, dass Regierung und RWE aufgrund offenbar geheimer Absprachen von Beginn an versucht hatten, das gewaltige Kraftwerksprojekt – ohne Durchführung eines Raumordnungsverfahrens – sozusagen auf dem Rücken der Gemeinde „durch die Hintertür“ in die „kalte Küche“ zu lancieren. Dafür war das ‚Ding’ aber wohl zu groß und ist gerade daran gescheitert!

Bürger und Umweltverbände hätten sicherlich nichts gegen ein modernes Gas- und Dampfkraftwerk mit einer angemessenen Kraftwärme-Kopplung einzuwenden gehabt, das die Kohle-Altanlagen ersetzt. Die Gigantomanie von RWE wollten die Bürger ‚so nicht’ hinnehmen.

Die Deutsche Umwelthilfe sprach in einer Pressemitteilung nach dem Abstimmungsergebnis davon, dass Ensdorf eine ähnliche Bedeutung bekommen könne wie der Widerstand gegen den AKW-Bau in Wyhl in den 70er und 80er Jahren. Würden Sie dieser Einschätzung zustimmen, und - wenn ja - warum?

Die Wertung der DUH, die ich gegenwärtig für den effektivsten Umweltverband Deutschlands halte,  ist meiner Ansicht nach zutreffend. Wyhl war der Beginn der Antiatom-Bewegung in der Bundesrepublik. Auch im Breisgau wurde durch die Landesregierung unter Filbinger erheblicher psychischer Druck ausgeübt.

Der Fall Ensdorf hat gezeigt, dass die betroffene Bevölkerung und die Bürger der Standortgemeinde solche Wolkenmaschinen, Energiedinosaurier und Dreckschleudern nicht mehr wollen. Sie verfahren nach dem Motto: Global denken und lokal handeln! Statt aufgrund geheimer Absprachen wurde nach demokratischen Spielregeln entschieden. Dieses Beispiel könnte der Anfang einer Bürgerbewegung sein, die eine andere Energiepolitik und Energieversorgungsstruktur gegen die großen Konzerne erzwingt. Die Klimakatastrophe wird uns keine andere Wahl mehr lassen!  (PK)

Weitere Informationen: www.kein-kraftwerk-ensdorf.de

Online-Flyer Nr. 124  vom 05.12.2007

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