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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Arbeit und Soziales
Zwangsverrentung und Altersarmut
Wie die SPD links wird
Von Hans-Dieter Hey

Man müsste bei der SPD seit ihren Anfängen schon sehr suchen, um fündig zu werden, wo sich die eigene Linke in der praktischen Politik denn durchgesetzt hätte. Dafür gibt es in ihrer Geschichte zu viele Scheingefechte. Ein solches war ihr Parteitag unter dem Motto „Aufschwung für alle" Ende Oktober in Hamburg, auf dem die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I beschlossen wurde. Als Ablenkung vom Popanz Hartz IV.

Seit Tagen geistert der Begriff vom Linksruck innerhalb der SPD durch die Gazetten. Der WDR spricht am 29. Oktober davon, dass links wieder „in" sei, die Sendung Fakt am Montag von einem Linksruck, die Frankfurter Rundschau positioniert die SPD am 27. Oktober als soziale Kraft. Auch viele andere schreiben und berichten an der Wirklichkeit vorbei. Da kann man im Grunde den Rechten in der SPD wie Peer Steinbrück, Franz Müntefering, Wolfgang Tiefensee, Frank-Walter Steinmeier oder Sigmar Gabriel für ihre Klarstellungen nur dankbar sein, wenn sie in der SPD keinen Linksruck ausmachen können, denn sonst hätten sie ja den Zeigefinger gehoben. Und auch der neu gewählte SPD-Vorsitzende Kurt Beck bestreitet ihn – er hatte die vorgenannte Führungsriege um sich geschart. Und dass er jetzt mit 95,5 Prozent gewählt wurde, zeigt auch, wo die SPD politisch anzusiedeln ist. Willi Brandt hatte 1987 nur 92,6 Prozent erhalten.

Weiter wie bisher

Insgesamt will man von der angeblich gelungenen „Agenda 2010" nämlich nicht abrücken. Und wie gelungen die war: Im Oktober 2007 zählten immer noch 6,7 Mio. Menschen im Lande als erwerbslos und 5,161 Mio. erhielten Arbeitslosengeld II. Insgesamt sind noch über 8 Mio. von öffentlicher Fürsorge abhängig, analysiert man die hauseigenen Zahlen der mit dem Wort „Arbeit" beginnenden Agentur. Da wird auch der Ausspruch von Franz Müntefering zur Farce, dass der „Arbeitsmarkt brummt". So wird nur eines in diesen Tagen klar: Für viele bleibt die SPD weiter nebulös. Deshalb darf man getrost den alten Kritiker Karl Kraus erneut bemühen: „Nun gibt es ja auf Erden unter allen Lebewesen, die sich nach rechts und links zugleich krümmen, nebst dem Regenwurm nichts annähernd so Erbärmliches wie einen Rechtssozialisten."


„Wer hat uns verraten?" ....

Zur Klärung dürfte auch Renate Künast nichts beigetragen haben. Sie meinte – so ddp am 28. Oktober – dass nun „auch die Bündnisgrünen wieder einen Aufbruch in der Sozialpolitik" suchen würden. Das sollte wiederum viele wundern, hatten doch beide – Bündnisgrüne und SPD – als Teil der Agenda 2010 die „Zusammenlegung" von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe als großartige Reform angekündigt und verschwiegen, dass dies für Millionen Menschen zur gesellschaftlichen Ausgrenzung und völligen Verarmung führen musste. Ein Zynismus der besonderen Art ist in diesem Zusammenhang, dass der Hartz-IV-Satz zuletzt um zwei Euro monatlich erhöht wurde, während sich die Bundesparlamentarier vergangenes Wochenende eine Diätenerhöhung um monatlich 700 Euro auf 7.700 Euro stufenweise bis 2009 gegönnt haben. Tatsächlich hätte es ja auf dem Parteitag eine Chance gegeben, etwas für die Menschen zurecht zu rücken, doch nur DIE LINKE fordert eine wirklichkeitsnahe Anpassung der Hartz-IV-Sätze auf mindestens 435 Euro monatlich. 

80 Prozent der Erwerbslosen mit Hartz IV in Köln über 50 Jahre alt

Um vom Popanz Hartz IV abzulenken, wurde das Scheingefecht „Verlängerung des Arbeitslosengeldes I" erfunden. Sicher würden davon ältere Erwerbslose profitieren. Diese als „Linksruck" von vielen gefeierte Minikorrektur wird ältere Erwerbslose allerdings nur etwas später in das finanzielle Aus und in die Altersarmut führen. Denn die derzeitige Zunahme der Beschäftigung der 55- bis 64-jährigen in Mini- und Teilzeitjobs wird bei anschließender Arbeitslosigkeit zu erheblich niedrigerem Arbeitslosengeld I führen, das sie nach der von der SPD geforderten Kurskorrektur dann länger bekommen dürfen. Parallel hierzu verläuft noch ein weiterer Trend: Die Erwerbslosigkeit älterer Menschen nimmt inzwischen wieder deutlich zu, so Forscher des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) an der Uni Duisburg, und das führt ebenfalls zu verstärkter Altersarmut.



Altersarmut durch Zwangsverrentung

In Köln allein sind – entgegen allen Erfolgsmeldungen – 80 Prozent aller Hartz-IV-Empfänger über 50 Jahre alt, in Brühl 50 Prozent, in Bergisch Gladbach 55 Prozent, im Rheinisch-Bergischen Kreis 52 Prozent und in Leverkusen 60 Prozent. Auch hier finden die meisten nur prekäre Teilzeit- oder Minijobs – so die niederschmetternde Pressemitteilung des DGB Köln vom 29. Oktober.

Bundesverfassungsgericht könnte verkürztes Arbeitslosengeld I kippen

In diesem Zusammenhang wird aber noch mehr verschwiegen: Die Regierung könnte nämlich durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts ohnehin gezwungen werden, die mit dem „Gesetz zur Reform des Arbeitsmarktes" von 2003 eingeführte verkürzte Zahldauer des Arbeitslosengeldes I wieder zu ändern. Zwei Sozialgerichte in Berlin hatten nämlich kürzlich dem obersten Gericht die Frage gestellt, ob nicht die von SPD und Bündnisgrünen eingeführte Kürzung auf 12 bzw. 18 Monate verfassungswidrig sei. Bereits in mehreren früheren Urteilen hatte das Gericht festgestellt, dass das Arbeitslosengeld I nicht ohne weiteres angetastet werden kann, weil sonst die Eigentumsgarantie des Art. 14 Grundgesetz verletzt werde. Deshalb sei auch – so das Erwerbslosenforum Deutschland – der SPD-Beschluss eine „medial inszenierte Schmierenkomödie".


Staatlich erzwungene Altersarmut

Ab dem 1. Januar 2008 folgt dann das nächste Desaster, an dem die SPD gehörige Verantwortung trägt: Die sogenannte 58er-Regelung fällt weg. Sie hatte zum Ziel, die über 58jährigen aus der Statistik zu drängen, indem sie diese im Gegenzug von sinnlosen Bewerbungstrainings, Umschulungsmaßnahmen oder Ein-Euro-Zwangsarbeit entlastete. Damit ist es künftig vorbei – mit verheerenden Folgen für die Betroffenen. Denn: obwohl vor kurzem die Regierung die Altersrente ab 67 Jahren beschlossen hat, gilt diese Regelung ab Januar für Erwerbslose über 60 Jahre nicht. Die werden per Gesetz zwangsverrentet und müssen Kürzungen ihrer Rente bis zu 18 Prozent hinnehmen. Ist diese niedriger als das Existenzminimum, sollen die neuen „Zwangsrentner" zusätzlich ergänzende Sozialhilfe bekommen. Der Trick: Sie fallen damit den Kommunen in die Hände, weil diese für die Sozialhilfe zuständig sind. Die Möglichkeit der Ansparungen für das Alter, wie unter dem Bezug von Hartz IV von bis zu 250 Euro pro Lebensjahr, gilt für sie nicht mehr. Alles Ersparte muss bereits vor dem 67. Lebensjahr bis auf 1.600 Euro aufgebraucht werden. Damit wird die private Altersvorsorge überflüssig und fällt den nimmersatten staatlichen Geiern zum Opfer. Das gleiche Schicksal trifft auch die prekär Beschäftigten, deren Einkommen zum Überleben nicht reicht und die aufstockendes ALG II bekommen. Es ist eine gigantische Enteignung von Menschen, die oft ihr ganzes Leben lang gearbeitet haben.



Das Vertrauen ist dahin
Fotos: arbeiterfotografie


Dass der Kölner DGB-Chef Wolfgang Uellenberg-Van Dawen angesichts dieser Entwicklung feststellt: „Mit den Beschlüssen des Hamburger Parteitages ist die SPD wieder in der Realität der Arbeitswelt in unserer Region angekommen", ist deshalb nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. Im Gegenteil: Die SPD hat nichts dazu gelernt und befindet sich deshalb auch wohl weiter im selbstverschuldeten Abstieg. Weil sie kaum noch etwas von den anderen Parteien – außer von der Linken – unterscheidet, weil sie zu keinerlei anderen politischen Impulsen mehr fähig ist, haben die Leute von der Widerstands-Initiative „Die Überflüssigen" wohl Recht, wenn sie meinen, die SPD sei letztlich überflüssig. Wenn dagegen Alt-Sozi Fritz Beier, seit 40 Jahren SPD-Mitglied, der Zeit mitteilt, die SPD sei jetzt nach links gerückt, hat er wohl eine Menge nicht mitbekommen.

Sorgen macht einem dabei noch etwas: In Sachsen liegt die NPD nach einer neuen Forsa-Umfage bei neun Prozent, also ein Prozent höher als die SPD. Sachsen ist zwar nicht Deutschland. Doch die SPD sollte sich auch in dieser Hinsicht ihrer Verantwortung bewusst werden, bevor sie sich durch ihre Agenda 2010 bei den WählerInnen unglaubwürdiger wird als die Neonazis und Sachsen bundesweit Schule macht. Wir wissen ja aus der Geschichte, wie das ausgehen kann. (HDH)


Online-Flyer Nr. 120  vom 07.11.2007



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