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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Inland
Tagung der Evangelischen Akademie Bonn zum Friedensgutachten
Militär hilft Menschenrechten nicht
Von Hans-Detlev v. Kirchbach

„Militär-Einsätze auf dem Prüfstand“ – dieses brandaktuelle Thema stand im Mittelpunkt eines Arbeitsseminars der Evangelischen Akademie in Bonn letzte Woche. Im Vordergrund natürlich: das Beispiel Afghanistan. Hier kommen Experten aus Wissenschaft und zivilen Hilfsorganisationen zu einer fast durchweg pessimistischen Einschätzung. – Die Redaktion.
Frauenrechte – Interventionsgrund oder Vorwand?

„Es ist ja so, daß wir hier in Deutschland sehr gespalten sind. Unser Parlament hat eben mit dreiviertel Mehrheit das Mandat verlängert und die Bevölkerung ist angeblich überwiegend dagegen. Und wenn man dann vorträgt, wie Sie das auch sehr eindrucksvoll hier geschildert haben, wie es Frauen konkret geht, das ist sozusagen das Hauptargument dafür, es muß bei einer westlich orientierten Intervention zugunsten der Frauen und Mädchen erst einmal bleiben... Wie wäre es denn, wenn sich alle zurückzögen, Schluß, aus, dann gehts den Frauen besser?“ So fragte, als fast einziger, der Bundeswehreinsätze für „Menschenrechte“ beispielsweise in Afghanistan verhalten befürwortete, Joachim Sobotta, der ehemalige Chefredakteur der Rheinischen Post die Frauenrechtsaktivistin Selmin Caliskan. Die hatte in ihrem Erfahrungsbericht aus Afghanistan hervorgehoben, welche Katastrophe der Militäreinsatz, der unablässige Krieg, die zunehmende Gewaltförmigkeit der afghanischen Gesellschaft für die angeblich bevorzugten Befreiungsobjekte des westlichen Okkupations-gouvernats bedeutet – die Frauen Afghanistans. Sie antwortete denn auch in klarem Gegensatz zum mindestens PR- Hauptargument der Militäreinsatz-BefürworterInnen in- und außerhalb des Bundestages:
 

Zwei afghanische Frauen
Quelle:www.ekd.de
„Also die These, daß Frauenrechte bzw. Menschenrechte von Frauen durch militärische Interventionen geschützt würden, ist für mich
pure Heuchelei. Es geht eigentlich gar nicht um den Schutz von Frauen vor Gewalt und im Krieg speziell vor sexualisierter Gewalt, sondern es geht eigentlich nur um Stimmungsmache. Um hier im Land Stimmen dafür zu gewinnen, daß
die Deutschen dort vor Ort sind.“
 
Frauen – erste Opfer ziviler und kriegerischer Gewalt
 
Selmin Caliskan ist Mitarbeiterin der in Köln ansässigen Frauenrechts-Organisation „medica mondiale“, die traumatisierte Frauen und Mädchen in Kriegs- und Krisengebieten betreut. Sie kennt die einschlägige Situation in Afghanistan aus eigener Erfahrung. Die Therapeutin hat es dort jeden Tag mit Frauen zu tun, die Opfer gesellschaftlich und religiös verankerter, traditionell tief eingewurzelter Gewalt geworden sind. Diese aber verstärke sich, so Caliskan, durch den faktischen Kriegszustand nochmals nachhaltig:
 
„In Bezug auf Afghanistan muß man noch mal das Ausmaß der Gewalt gegen Frauen auf verschiedenen Ebenen betonen, von Zwangsheirat, Geschlagenwerden, Demütigung oder Entführtwerden von bewaffneten Milizen, wo wieder die Waffen ins Spiel kommen und Macht durch Waffenbesitz entsteht. Daher: die Internationalen beschützen die Frauen nicht.“

 
Opfer der militärischen Gewalt: 
Frauen… | Foto: www.caritas.de
Denn die „fortschreitende Militarisierung der afghanischen Männer“ bedeute, „daß Frauen in Familie und Öffentlichkeit immer mehr auf bewaffnete Männer stoßen“, so medica mondiale in einer Informationsbroschüre. Caliskan erkennt wohl ein Dilemma darin, daß sie und ihre Kolleginnen in der aktuellen Situation bestimmte „Tabuthemen“ der afghanischen Gesellschaft ohne die militärische Präsenz andererseits „kaum ungefährdet ansprechen“ könnten. Themen nämlich wie das Einsperren von 70 bis 80 Prozent der afghanischen Frauen im häuslichen Gefängnis, Schlagen, Vergewaltigung oder die in letzter Zeit dramatisch eskalierende Flucht von Mädchen und Frauen in den selbst gewählten Verbrennungstod. Ein Thema, über das medica mondiale übrigens immerhin mit Unterstützung des afghanischen Frauenministeriums – das gibt es dort tatsächlich – eine erstmalige Studie durchgeführt hat.
 
Ziel der „Anti-Terror-Bomben“: die Zivilbevölkerung
 
Doch die 2002 durch die Petersberger Beschlüsse den Afghanen von außen übergestülpte Regierung des schon als „Bürgermeister von Kabul“ verspotteten Ministerpräsidenten Karzai hat außerhalb der Hauptstadt gar nichts zu bestellen. Abgesehen davon, daß auch Regierung und Parlament in Kabul von „Kriegsverbrechern“, Warlords und Leuten durchsetzt sei, die mit Frauenrechten überhaupt nichts im Sinne hätten, so Frau Caliskan. Freilich – einen Ausweg bietet die externe Besatzung, als die sie im Lande längst empfunden wird, aus solchen Verhältnissen nicht, meint die Landeskennerin: „Die Militarisierung von internationaler Seite, die Sicherheitsstrategie ist eine rein militärische Sicherheitsstrategie, die ist nicht ausgerichtet auf Verbesserung der Lebensbedingungen in Bezug auf menschenwürdige Lebensbedingungen und physische Sicherheit.“


…und Kinder – vor den Trümmern des Krieges
Quelle: www.gtz.de
 
Zumal eben auch die sogenannten Anti-Terror-Aktionen der internationalen Truppen, insbesondere die von deutschen Tornado-Aufklärern ins „Ziel“ geleiteten Bombardements der USA, tausende Opfer unter der angeblich zu schützenden Zivilbevölkerung fordern – Frauen und Kinder voran. Ein Umstand, den medica mondiale nachdrücklich anprangert.
 
Ausweg „Exit-Plan“?
 
Auch die vielerfahrene Helferin Caliskan konnte allerdings einen einfachen Weg aus der Zwickmühle nicht weisen. Bei einem sofortigen und vollständigen Abzug aller ausländischen Truppen könnten die wenigen Demokraten im Lande und natürlich wiederum die Frauen die „allerersten Opfer der Extremisten werden“, fürchtet auch sie. Dennoch fodert sie einen „Exit-Plan“. Ohne baldige Konversion der militärischen Präsenz in zivile Strukturen werde sich die Katastrophe von Menschen- und Frauenrechten in Afghanistan ebenso rigoros befestigen wie unter dem Taliban-Regime, und noch dazu durch faktische Akzeptanz der westlichen Okkupationsmächte verewigt. Diese absehbare Entwicklung jedenfalls wäre das Schlimmste, was den Frauenrechten in Afghanistan passieren könnte. (PK)

In der nächsten Ausgabe folgt eine Rezension des „Friedensgutachtens 2007“ – herausgegeben von Bruno Schoch, Andreas Heinemann-Grüder, Jochen Hippler Markus Weingardt, Reinhard Mutz. LIT Verlag Dr. W. Hopf Berlin 2007. ISBN 978-3-8258-0429-9, 346 S., 12,90 €
 
Das Friedensgutachten ist ein Gemeinschaftswerk der fünf bundesdeutschen Friedensforschungsinstitute:
Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK)
Bonn International Center for Conversion (BICC)
Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg-Essen (INEF)
Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST)
Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH)


Online-Flyer Nr. 119  vom 31.10.2007

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