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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Krieg und Frieden
Ein Beitrag zur deutschen Kolonialgeschichte
Vom Kaiser geehrt, vom Führer geliebt
Von Rüdiger Fries, Gertrud Selzer, Hans Peter Klauck und Roland Röder

Heute wie damals werden Helden gebraucht, vor allen Dingen: unbesiegbare Helden. Der im saarländischen Saarlouis geborene deutsche Kolonialmilitär Paul von Lettow-Vorbeck (1870 - 1964) ist ein solcher Held: Auf einer Tafel an seinem Geburtshaus in der Saarlouiser Innenstadt wird er als unbesiegt gelobt. Dass er 1904 an der Ermordung von 60.000 Herero in Deutsch-Südwest-Afrika (heute Namibia) beteiligt war und den Nazis später als gern gesehener Redner diente, wird übergangen.

In der alten Bundesrepublik wurden viele Straßen nach ihm benannt. Zwei Bundeswehrkasernen in Leer / Ostfriesland und in Bad Segeberg tragen bis heute seinen Namen, und in Saarlouis ist er immer noch Ehrenbürger. Nach wie vor hängt an seinem Geburtshaus in der Saarlouiser Silberherzstraße eine Tafel mit der martialischen Inschrift: „Der unbesiegte, ritterliche Verteidiger Deutsch-Ostafrikas im Weltkriege 1914-1918 General Paul von Lettow-Vorbeck wurde am 20.3.1870 in diesem Hause geboren.”

 
Ein Gedenken an seine Opfer findet bis heute in Deutschland nicht statt.

Die Blutspur des Lettow-Vorbeck

Lettow-Vorbeck Kolonialismus Namibia
Ein deutscher Held: Paul von Lettow-Vorbeck
Quelle: Ch. Links Verlag
Lettow-Vorbeck hat von China über Afrika bis nach Hamburg und Mecklenburg eine Blutspur gezogen. 1900 beteiligte er sich am Einsatz in China und war ein Jahr später dabei, als in China gefangene Aufständische erschossen wurden. 1904 meldete er sich freiwillig in Namibia und war als Adjutant des deutschen Befehlshabers, General Lothar von Trotha, an der Ermordung von über 60.000 Männern, Frauen und Kindern der aufständischen Herero und Nama beteiligt.


Vor allem sein Kampf um Deutsch-Ostafrika zwischen 1914 und 1918 hat Lettow-Vorbeck seinen Heldenstatus verschafft. Der Historiker und Buchautor Uwe Schulte-Varendorff führt jedoch aus: „Das Vorgehen der Truppen, bei denen Plünderungen, Vergewaltigungen, Brandschatzungen, Morde, Tötungen und Folterungen von Gefangenen und Verwundeten und Zwangsrekrutierungen an der Tagesordnung waren, erinnerte an die Kriegsführung längst vergangener Jahrhunderte.”[1]

Die Deutschen rekrutierten Tausende von Afrikanern als Trägersklaven. Flüchtende Träger und desertierende afrikanische Soldaten wurden von Lettow-Vorbecks Soldaten erschossen, öffentlich durch Erhängen hingerichtet oder ausgepeitscht. Verdächtige wurden in Ketten oder Halseisen gelegt und teilweise mit Telefondraht aneinandergebunden. Die schwarzen Soldaten nannten Lettow-Vorbeck den „Herrn, der unser Leichentuch schneidert“. Im November 1918 kapitulierte die deutsche Heeresführung und im Vertrag von Versailles verlor Deutschland seine Kolonien. Lettow-Vorbeck forderte seitdem die Rückgabe der „deutschen Schutzgebiete“.
 
„Hier gilt es Macht zu schaffen …“
 
Im Juli 1932 brachte er sein politisches Credo auf den Punkt: „Es sind Illusionen, wenn wir glauben, Kolonien wieder zu erlangen ohne das Fundament der Macht mag der Rechtsanspruch noch so begründet sein. Und so liegt der erste Schritt zum Wiedererwerb unserer Kolonien nicht drüben, irgendwo jenseits der Meere, er muss getan werden zu Hause, in der Heimat. Hier gilt es Macht zu schaffen und Macht entsteht durch Zusammenfassen von Kraft.“ [2] Eine Aussage, die heute noch wegen ihrer Anschlussfähigkeit an die NS-Ideologie besticht.

1919 schlug Lettow-Vorbeck die sogenannte „Sülzeunruhe“ im Auftrag von Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) mit einer Reichswehr-Division in Hamburg brutal nieder. Grund der Unruhen waren Teuerungen bei Lebensmitteln. Lettow-Vorbeck schränkte die Meinungsfreiheit ein, ließ Gewerkschaftshäuser schließen, Reden von Kommunisten durch Waffengewalt verhindern, setzte Kriegsgerichte ein und verhängte Todesstrafen. Im September 1919 meldete er seinen Auftrag erfüllt.

        Quelle: NRhZ-Archiv

1920 nahm Lettow-Vorbeck dann am ultrarechten Kapp-Lüttwitz-Putsch teil und stellte als Kommandeur der Reichswehrbrigade 9 in Schwerin seine Truppen den Putschisten zur Verfügung.
 
Den Antisemitismus der Nazis begrüßte Lettow-Vorbeck und unterstützte deren koloniale Ziele durch eine rege Vortrags- und Publikationstätigkeit. 1939 ernannte ihn Hitler zum General z.b.V. (zur besonderen Verwendung). Sein 1920 veröffentlichtes publiziertes Jugendbuch „Heia Safari“ nahmen die Nazis in die Grundbuchliste für Schülerbüchereien auf. Es erschien noch bis 1952 in neun Ausgaben mit einer Gesamtauflage von 281.000 Exemplaren. [3]

Gleichwohl wird bis heute eine kritische Auseinandersetzung mit ihm und seinen Taten vermieden.

Für die aufrechte menschliche Haltung
 
Der damalige Bundespräsident Heinrich Lübke schrieb ihm 1960: „Mit ihrem Namen verknüpfen sich nicht nur Erinnerungen an militärische Leistungen, sondern auch die damit verbundene aufrechte menschliche Haltung.” Der frühere Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel (CDU) sah etwas später in dem „unbesiegten Verteidiger Deutsch-Ostafrikas" sogar „ein Leitbild für die jungen Generationen” und hielt 1964 auf dessen Beerdigung die Trauerrede. Die Bundeswehr organisierte ihm ein Begräbnis mit militärischen Ehren, hielt die Totenwache und spielte mit Musikkorps auf.
 
Seine Heimatstadt Saarlouis besuchte Lettow-Vorbeck bis zu seinem Tode meist jährlich. Dort hatte man ihn bereits 1956 zum Ehrenbürger ernannt und erfreute den General bei seinen Besuchen mit seinem Lieblingsgetränk, schwarzem Johannisbeersaft. [4] Am 20. März 1970 kamen rund 800 Gäste anlässlich seines 100. Geburtstags zu einer Feierstunde der Stadt zusammen.

Noch im Jahr 2000 wurde Lettow-Vorbeck auf der offiziellen Homepage der Stadt Saarlouis Vorbeck in der Rubrik „Historische Personen“ vorgestellt als „aufrechter Mann (...), der nach 1904 den Herero-Aufstand und später die Hottentotten Rebellion in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika niederzuschlagen half.“
 
Erst nachdem die „Aktion 3.Welt Saar“ dies im gleichen Jahr mit der Veranstaltungsreihe „Heia Safari – Der deutsche Kolonialismus in Afrika“ thematisierte, wurde die Seite geändert und von dem allzu offenen national-vaterländischen Pathos befreit.
 
Seiner Opfer gedenken – Reparationen zahlen

Die Aktion 3. Welt Saar, will nun das Schweigen und die verklärte Auseinandersetzung in Saarlouis mit dem Leben Lettow-Vorbecks beenden. Sie fordert eine Umbenennung der nach ihm benannten Straße, die Aberkennung der Ehrenbürgerschaft Lettow-Vorbecks durch die Stadt Saarlouis, sowie eine Gedenktafel an seinem Geburtshaus, mit der seinen Opfern Respekt gezollt wird.
 
Lettow-Vorbeck Kolonialismus Namibia
Da gäb's doch schönere Namen!
Foto: Aktion 3. Welt Saar


Es sei Zeit für eine kritische Auseinandersetzung, die sowohl seinen Opfern ein Stück ihrer Würde zurückgibt, als auch „unseren“ Blick auf „die da unten in Afrika“ etwas weniger arrogant und hochnäsig daher kommen lasse. Was gerne übersehen wird: Die Nachkommen der Opfer von Lettow-Vorbeck leben; zum Beispiel im heutigen Namibia. Als sich die bundesdeutsche Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul am 14.8.2004 in Windhuk, der Hauptstadt Namibias, für die Verbrechen der deutschen Kolonialmilitärs entschuldigte, war dies ein wichtiger und bedeutender Schritt für die Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit. Der nächste Schritt wäre die Bereitschaft, Reparationen für die materiellen Zerstörungen zu zahlen. Wohl wissend, dass kein Menschenleben mit Geld aufgewogen werden kann. (YH)

[1] Uwe Schulte Varendorff, Kolonialheld für Kaiser u. Führer-General Lettow-Vorbeck, Chr. Links Verlag, Berlin, 2006, S.66
[2] Jacob Ernst Gerhard: Kolonial­politisches Quellenheft, Bamberg 1935 in: Möhle, Heiko: Branntwein, Bibeln und Bananen. Der deutsche Kolonialismus in Afrika – eine Spurensuche in Hamburg, Hamburg 1999, S. 126.
[3] Mergener Gottfried, Häfer Ansgar (Hg.), Der Afrikaner im deutschen Kinder- und Jugendbuch, Hamburg 1989, 2.Auflage, S.95
[4]Hans Peter Klauck, Paul von Lettow-Vorbeck. Des Generals dunkle Seiten, in „Unsere Heimat, Mitteilungsblatt des Landkreises Saarlouis für Kultur und Landschaft”, Saarlouis, 2007, Heft Nr. 2, S. 80ff.

Weitere Informationen zu der Initiative der Aktion 3. Welt Saar finden sich auf deren Website; wer sich für die Diskussionen um die deutsche Kolonialvergangenheit interessiert, sollte bei deutschland-postkolonial nachlesen. Wer die Flugschrift, auf der obiger Artikel basiert, gerne haben oder verteilen möchte, kann sich dieser gegen Rückporto zusenden lassen.

Online-Flyer Nr. 117  vom 17.10.2007

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