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Literatur
Das Wort am Sonntag: „Mit Gott und den Faschisten“ Folge II
Mussolini
Von Karlheinz Deschner

Im Kölner Dom wurde unter großem öffentlichem Beifall ein Kirchenfenster eingeweiht, das  nicht - wie ursprünglich geplant - sechs WiderstandskämpferInnen gegen die Nazis ehrt, sondern stattdessen 11.263 quadratische Glasstücke in 72 verschiedenen Farbtönen zeigt. Warum die katholische Kirche - deren Kardinal Meisner wenig später mit dem Hinweis, dass „die Kultur entartet“, Schlagzeilen machte - solche Probleme mit dem Aufarbeiten ihrer jüngeren Vergangenheit hat, wird durch Karlheinz Deschners Serie zur Politik der Päpste im 20. Jahrhundert deutlich. – Die Redaktion.

Das römische Papsttum – durch Kriege und Betrug groß geworden, durch Kriege und Betrug groß geblieben – war beträchtlich am Ausbruch des Ersten Weltkriegs beteiligt, vor allem durch Pius X., der nach dem Zweiten Weltkrieg heilig gesprochen wurde - eine Ehre, mit der jeder besonders belastete Papst rechnen darf.

Der Nachfolger des hl. Pius, Benedikt XV., vom Klatsch (nicht der bösen Welt, sondern) der Kurienkardinäle des Giftmords an einem Konkurrenten bezichtigt, lebt als der große Friedenspapst fort, der im Ersten Weltkrieg durch ergreifende Friedensappelle erbaut hat. Doch während dieser Papst den sich zerfleischenden christlichen Nationen seine schönen biblischen Sprüche zurief - Frieden, Versöhnung, Liebe - zeichnete er selbst für eine Militärseelsorge verantwortlich, die den katholischen Soldaten (und so ist es ja heute noch) das gegenseitige Abmurksen als höchste Pflichterfüllung befahl.

Täglich erschossen, erstachen, erwürgten, verbrannten und vergasten sich so sechs- bis siebentausend Menschen – mit einem Umsatz der Rüstungsindustrie von 100.000, einem Reingewinn von 60.000 Mark pro Stück. Zuletzt zählte man etwa 10 Millionen Tote, dazu 20 Millionen Verwundete und Krüppel sowie 7 Millionen, die verhungert sind. Mit Wissen der obersten deutschen Behörden hatte die deutsche Rüstungsindustrie auch während des Krieges die Feindstaaten beliefert, gelegentlich nur etwa halb so teuer wie die eigene Heeresverwaltung. Einer dieser Doppelverdiener war die Firma von August Thyssen, die dann auch Hitler finanzierte.

Wie schrieb der große Schriftsteller und Satiriker Karl Kraus? »Es handelt sich in diesem Krieg.« Jawohl, es handelte sich gut in diesem Krieg, den der französische Klerus als einen »von Gott beauftragten Sendboten« bejubelte, die katholischen deutschen Hirten als »heilige Zeit«, »Gnadenzeit« feierten, als »Wiederaufbau von Gottes Reich«, als den »Krieg, der dem Herrn gefällt«. Und während Feldbischof Michael von Faulhaber, später leidenschaftlicher Parteigänger Hitlers, noch die »Kanonen des Krieges« als »Sprachrohre der rufenden Gnade« verherrlichte, verklärten französische Kleriker selbst den Schützengraben zur »Grotte von Gethsemane«, das Schlachtfeld zu »Golgatha«, den Augenblick des Schlachtens zur »göttlichen Minute«. 

»Gegen den Priester«, sagt Friedrich Nietzsche, »hat man nicht Gründe, man hat das Zuchthaus«. Und richtig erkannte er: »Die Priester haben immer den Krieg nötig gehabt.« Gestand doch schon im 5. Jahrhundert der Kirchenvater Theodoret: »Die geschichtlichen Tatsachen lehren, daß uns der Krieg größeren Nutzen bringt als der Friede.« Um dieselbe Zeit erklärte der Zyniker und Heilige Augustinus: »Was hat man denn gegen den Krieg? Etwa daß Menschen, die doch einmal sterben müssen, dabei umkommen?« 
Der »Friedenspapst« Benedikt XV. verblich 1922, zwei neue Friedenspäpste folgten. Zunächst kam, nach dem 14. Wahlgang, Kardinal Ratti als Pius XI. Und mit seiner intensiven Hilfe – Regierungsprogramm: »Friede Christi im Reich Christi« (wohlgemerkt: nicht auf Erden überhaupt, denn der Friede Christi richtet sich ja gewöhnlich gegen die übrige Welt) – kamen Mussolini, Franco, Hitler. 

Zwar hatte Mussolini, Autor von »Es gibt keinen Gott« und »Die Mätresse des Kardinals«, noch 1920 religiöse Menschen krank genannt, auf die Dogmen gespuckt und sich mit Pfaffenbeschimpfungen geschmückt »wie mit einem duftenden Blumenkranz«. Doch schon 1921 rühmte er Vatikan und Katholizismus derart, daß Kardinal Ratti, ein Jahr vor seiner Papstwahl, ausrief: »Mussolini macht schnelle Fortschritte und wird mit elementarer Kraft alles niederringen, was ihm in den Weg kommt. Mussolini ist ein wundervoller Mann. Hören Sie mich? Ein wundervoller Mann!« 
Papst und Duce kamen aus Mailand. Ratti wurde hier Kardinal, Mussolini gründete hier seinen ersten faschistischen Kampfbund. Beide haßten Kommunisten, Sozialisten, Liberale. Ja, beide sahen noch in Sozialdemokratie und Rationalismus Spielarten des Kommunismus. Beide propagierten ein billiges, auf Massenfang bedachtes Schwarz-Weiß-System, worin es bloß Gute und Böse gab, Licht oder Finsternis. 

Pius XI., »zum Befehlen geboren«, und der Duce, »der immer recht hat«, regierten selbstherrlich, kompromißfeindlich. Das Volk hatte zu denken, was seine Führer dachten, und zu vollbringen, was seine Führer wollten. Der »Große Rat« des Faschismus war offensichtlich eine Nachahmung des sogenannten »Heiligen Kollegiums«, die faschistische Partei wurde nach dem Muster der »Katholischen Aktion« aufgebaut, von Pius XI. 1922 gegründet, auch die Nachfolge des Duce ähnlich geregelt wie die des Papstes. 

Beide, Mussolini und Ratti, hatten - von beiden bezeugt - schon vor dem »Marsch auf Rom« (28. Oktober 1922) verhandelt - jener massenwirksamen, aber überflüssigen Farce von 40.000 Schwarzhemden, denn Mussolini war vom König bereits mit der Bildung der Regierung beauftragt, bevor seine Anhänger Rom erreichten. »Es sind die Vorherbestimmten, die uns fehlen, um den - ausgerechnet - Frieden zu bringen«, bekannte Pius XI. im Sommer 1923 und rühmte den Faschistenführer: »Für Italien hat Gott einen solchen Mann erweckt... er allein hat erfaßt, was sein Land benötigt.« 

Da nämlich Mussolini - im Gegensatz zum früheren liberalen Regime Italiens - Presse- und Versammlungsfreiheit aufhob, da er die Kruzifixe in die Schulen zurückbringen, den Religionsunterricht wiedereinführen, da er anstelle von Kant Texte des Augustinus und des Thomas von Aquin setzen, da er die katholische Familienpolitik fördern, beschlagnahmte Kirchen und Klöster zurückgeben, da er die staatlichen Subventionen für kirchliche Bauten erhöhen und die staatlichen Zuschüsse an den Klerus erhöhen ließ, wurde klar: Mussolini war von Gott gesandt. 

Und in der Tat. Kaum hatte der einstige Antiklerikale und Atheist, der nun bald vor versammelten Faschisten zur Madonna beten konnte, der bei seinem ersten Auftritt vor den Abgeordneten der Kammer »Gottes Beistand« anrief wie keiner seiner Vorgänger im Regierungsamt seit 1870 mehr, kaum hatte Mussolini gleich sechs katholische Geistliche in sein erstes Kabinett geholt, da beglich er auch die »Rechnung auf dem Gebiet des Höheren und Höchsten«, wie der »Bayrische Kurier« es feinsinnig nannte: Er beglich nämlich die Schulden der »Banco di Roma«, der Hausbank zahlreicher katholischer Organisationen, mit engen Verflechtungen zum riesigen Netz katholischer Raiffeisenbanken, er bewahrte damit ein Geldinstitut vor dem unmittelbaren Bankrott, dem auch die Kurie selbst und mehrere ihrer Hierarchen hohe Summen anvertraut hatten (und dem zeitweise Ernesto Pacelli, der Onkel des nächsten Papstes, präsidierte). 

Die 1,5 Milliarden Lire, mit denen Mussolini so großzügig einsprang, um »katastrophale Folgen« für den italienischen Katholizismus zu verhindern, stammten, versteht sich, aus der Staatskasse, weshalb Kardinal Vanutelli, Dekan des »Heiligen Kollegiums«, erklärte, Mussolini sei auserwählt »zur Rettung der Nation und zur Wiederherstellung ihres Glückes«. (PK)

Karlheinz Deschner, 1924 in Bamberg geboren, im Krieg Soldat, studierte Jura, Theologie, Philosophie, Literaturwissenschaft und Geschichte. Über seine literarischen, literatur- und kirchen-kritischen Werke berichtet der Dokumentarfilm "Im Grunde bin ich ein aus lauter Zweifeln bestehender gläubiger Mensch" (siehe www.kaos-archiv.de). Der 83jährige arbeitet zurzeit am 9. Band seines Werks „Kriminalgeschichte des Christentums“ (siehe www.deschner.info) und erhielt - nach einigen anderen Literaturpreisen - Anfang 2007 in Mailand den Giordano Bruno-Preis.
Einen Teil des hier vorliegenden Textes finden Sie als Filmausschnitt in dieser NRhZ-Ausgabe.

Online-Flyer Nr. 116  vom 10.10.2007



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