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Medien
Presserat missbilligt Bericht des Kölner Stadt-Anzeiger zum Iran
Peinlich für Sommerfeld
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

Am 6. Juni brachte die NRhZ einen Artikel über verfälschende Berichterstattung im Kölner Stadt-Anzeiger vom 25. Mai in Sachen Iran. Konkret ging es um Desinformation im Zusammenhang mit einer Äußerung des Generaldirektors der Internationalen Atomenergieorganisation, El Baradei. Darüber haben sich unsere beiden Autoren auch beim Deutschen Presserat beschwert. Das Ergebnis liegt jetzt vor: eine Missbilligung. – Die Redaktion.

Eigentlich ist es ungerecht. Der Kölner Stadt-Anzeiger macht, was auf die eine oder andere Weise fast alle machen. Er arbeitet am Feindbild Iran und nimmt es dabei mit der Wahrheit nicht besonders genau. Aber ihn hat es erwischt, weil er dabei derart plump vorging, dass die Mitglieder des Beschwerdeausschusses 1 des Deutschen Presserats unter dem Vorsitz von Manfred Protze (dju) wohl nicht anders konnten.


Mohamed El Baradei – passt offenbar nicht ins KStA-Nahost-Konzept
Quelle: Wikipedia 

In unserer Beschwerde gaben wir die Äußerung El Baradeis im Wortlaut wieder: "Ich neige dazu, basierend auf unseren Analysen mit Leuten wie John Negroponte und dem neuen CIA-Direktor überein zu stimmen, die sagen, wenn der Iran Nuklearwaffen überhaupt anstrebt, wäre es nicht vor dem Ende dieses Jahrzehnts oder in der Mitte des darauf folgenden Jahrzehnts soweit. Mit anderen Worten drei bis acht Jahre von jetzt an."
 
„Die Schlagzeile enthält also zwei Unwahrheiten“
 
In der Beschwerdebegründung haben wir dann ausgeführt: "Die Schlagzeile 'Baradei: Iran hat Atomwaffen in drei Jahren' enthält also zwei Unwahrheiten. [...] Drei bis acht Jahre sind nicht drei Jahre. Die Einschränkung 'wenn der Iran Nuklearwaffen überhaupt anstrebt' fehlt gänzlich, so dass der erwähnte falsche Eindruck entsteht, El Baradei sei davon überzeugt, der Iran entwickle Atomwaffen und werde in drei Jahren die Entwicklung abgeschlossen haben. Zudem wird die Information unterdrückt, dass die Zeitschätzung ursprünglich aus Regierungs- und Geheimdienstkreisen der USA stammt."

Laut Presserat geht es also um folgendes Problem: "Der KÖLNER STADT-ANZEIGER veröffentlicht am 25.05.2007 unter dem Titel 'Baradei: Iran hat Atomwaffen in drei Jahren' einen Artikel über Aussagen des Generaldirektors der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO), Mohamed El Baradei. El Baradei hatte sich zu den Bestrebungen des Iran, Atomwaffen zu entwickeln, geäußert. Der Artikel enthält die wörtliche Aussage Baradeis: 'Frühestens in drei bis acht Jahren' werde der Iran über Atomwaffen verfügen. Die Beschwerdeführer kritisieren die Überschrift des Artikels. Diese gebe das von EI Baradei Gesagte nicht richtig wieder. Es entstehe der falsche Eindruck, als habe dieser festgestellt, dass der Iran in drei Jahren Atomwaffen besitzen werde. In Wirklichkeit habe er jedoch von 'drei bis acht Jahren' gesprochen, und dies auch nur dann, wenn der Iran dies wirklich wolle."

Lieber Leser animieren anstatt die Wahrheit schreiben
 
Die Reaktion von Franz Sommerfeld, vor der „Wende“ Kommunist und Chefredakteur der DKP-nahen Deutschen Volkszeitung, heute Chefredakteur des Kölner Stadt-Anzeiger, auf unsere Beschwerde beschreibt der Presserat so: "Der Chefredakteur des KÖLNER STADT-ANZEIGER teilt mit, dass nach seiner Auffassung die Beschwerde unbegründet sei. Zum einen ignorierten die Beschwerdeführer die besondere Funktion einer Überschrift, die stets im Kontext mit der eigentlichen Berichterstattung zu bewerten sei. Davon abgesehen sei es auch in tatsächlicher Hinsicht fern liegend, davon auszugehen, die Leser seien irregeführt worden. Es sei dem Presserat vertraut und in der Rechtsprechung unbestritten, dass es Sinn und Zweck einer Überschrift sei, den Leser schlagwortartig auf die eigentliche Berichterstattung aufmerksam zu machen. Die Überschrift erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit, auch dürfe von ihr nicht die unverkürzte Wiedergabe der Gesamtschau erwartet werden. Sie sei nicht isoliert zu bewerten, sondern immer im Kontext mit der eigentlichen Berichterstattung zu sehen. Oft sei sie bewusst plakativ oder herausfordernd, um den Leser zu animieren. Der Chefredakteur betont, dass - wenn jemand in einem Zeitraum von drei bis acht Jahren über Atomwaffen verfügen könne - was aus dem Text des Artikels hervorgehe, dies auch in drei Jahren möglich sei. Die Presse habe die Aufgabe, auf die damit verbundene Gefahr für den Westen hinzuweisen. Im Übrigen, so der Chefredakteur, werde die Überschrift, die zulässigerweise so verkürzt worden sei, im Text weiter erläutert. Eine Irreführung der Leser sei somit ausgeschlossen. Dies auch aufgrund der Tatsache der fortlaufenden Berichterstattung der Zeitung, in der der Leser am 26.05.2007 nochmals auf die Aussage El Baradeis zu den drei bis acht Jahren hingewiesen worden sei."


Vom Presserat missbilligt: KStA-Artikel vom 25. Mai 2007
Quelle: KStA

El Baradei sinnentstellend wiedergegeben
 
Auf diesen Versuch, sich rein zu waschen, ließ sich der Presserat nicht ein. Er kam zu dem Urteil: "Nach Ansicht des Beschwerdeausschusses hat der KÖLNER STADT-ANZEIGER mit der Überschrift 'Baradei: Iran hat Atomwaffen in drei Jahren' die in Ziffer 2 Pressekodex geforderte journalistische Sorgfaltspflicht verletzt. In dem Artikel wird mitgeteilt, dass Mohammed El Baradei gesagt hat, dass der Iran „frühestens in drei bis acht Jahren" über Atomwaffen verfügen werde. In der Überschrift wird daraus die Tatsachenbehauptung, dass der Iran 'in drei Jahren' Atomwaffen hat. Der Titel des Beitrages gibt somit das von Baradei Gesagte nicht korrekt wieder und ist sinnentstellend. Bei dieser Entscheidung verkennt der Beschwerdeausschuss nicht, dass Überschriften verkürzt werden können, um den Inhalt des Artikels plakativ darzustellen. Diese Verkürzung darf aber nicht dazu führen, dass Inhalte sinnentstellend wiedergegeben werden. Dies ist im konkreten Fall geschehen, da aus einer Zeitspanne von 'frühestens drei bis acht Jahren' der konkrete Zeitpunkt 'in drei Jahren' wird. Diese Veränderung ist schwerwiegend. Der Beschwerdeausschuss hielt den Verstoß gegen die Ziffer 2 des Pressekodex für so schwerwiegend, dass er gemäß § 12 Beschwerdeordnung die Maßnahme der Missbilligung wählte. Nach § 15 Beschwerdeordnung besteht zwar keine Pflicht, Missbilligungen in den betroffenen Publikationsorganen abzudrucken. Als Ausdruck fairer Berichterstattung empfiehlt der Beschwerdeausschuss jedoch eine solche redaktionelle Entscheidung."

Das Urteil des Presserats ist erstaunlich klar. Ob der Verlag M.DuMont Schauberg seine Redaktion darüber berichten lassen wird, darf bezweifelt werden. Drum berichten wir über diese wie über andere Nachrichtenunterschlagungen der Kölner Monopolpresse eben wieder mal in der NRhZ. 

Franz Sommerfeld – Leser animieren und Journalisten ausbilden 
Quelle: Kölner Journalisten-Schule

Anzumerken bleibt: Dem Kölner Stadt-Anzeiger wurde wohl zum Verhängnis, dass er diesmal einen Alleingang unternommen hatte. Selbst die Nachrichtenagenturen hatten im vorliegenden Fall differenzierter berichtet. In anderen Fällen - wenn (fast) alle Medien sich im Gewirr der Unwahrheiten verstricken, deklariert der Presserat das nämlich durchaus als legitim. Darüber haben wir in NRhZ Nr. 36 am 21. März 2006 unter dem Titel „Der Pressekodex gilt nicht mehr - dpa-Journalist und Burda-Vorstandsmitglied kippen das Wahrheitsgebot“ berichtet. Im Fall der Berichterstattung über das sogenannte Srebrenica-Video hatte der Presserat damals nämlich geurteilt, die Forderung, nur noch definitiv festgestellte Wahrheiten als unbestritten und damit als Fakt darzustellen, sei abwegig und würde die journalistischen Möglichkeiten sprengen. (PK)

Online-Flyer Nr. 116  vom 10.10.2007



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