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Aktueller Online-Flyer vom 24. April 2024  

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Wirtschaft und Umwelt
Konzerne fördern Biodieselboom – angeblich um das Klima zu retten
Regionaler Handel besseres Rezept
Von Norbert Suchanek

Unser Blauer Planet steht vor einem Klimachaos oder ist bereits mitten drin. Die Erde heizt sich aufgrund der extrem zunehmenden Treibhausgase wie Kohlendioxid (CO2) und Lachgas (N2O) immer schneller auf, so dass Gletscher schmelzen, Meere ansteigen, Stürme zu Orkanen werden. Alle Welt schreit nach Ersatz für Erdöl, Erdgas, Benzin und Diesel und ruft nach Biotreibstoffen. Kurzfristige Symptombekämpfung – egal wie – ist gefragt. Und so gut wie niemand stellt die Frage nach der eigentlichen Ursache der Globalen Erwärmung: der Vernichtung regionaler und lokaler Strukturen.

Als ich sechs Jahre alt war, 1969, hatten wir einen Milchladen auf der anderen Straßenseite unseres Wohnblocks. Er war nicht größer als vielleicht 20 Quadratmeter: Die Besitzerin lebte davon, frische Milch, Quark und Eier von Bauernhöfen aus der Umgebung zu verkaufen, „offen“, denn nichts davon war verpackt. Man ging mit seiner eigenen Milchkanne hin. Der Milchladen so wie ein Dutzend anderer Tante-Emma-Läden in meiner Umgebung überlebten die siebziger Jahre nicht. Zwei, drei Jahre nach der Wende besuchten wir mit der Familie die Insel Rügen. Wir kamen in einem hübschen Dorf mitten auf der Insel unter. Problem: der einzige Dorfladen hatte vor kurzem dicht gemacht. Aber wenigstens gab es noch einen Fischer, der eine eigene Fischräucherei betrieb und uns mit köstlichen Sprotten versorgte. Aber auch der Fischladen überlebte die neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts nicht. Grund: Die eingestampften lokalen Geschäfte waren seine wichtigsten Abnehmer – und die neu in den Osten drängenden und mit Aufbau-Ost-Subventionen gepuschten Supermarktketten aus dem Westen wollten von regional erzeugtem, heimischem Räucherfisch nichts wissen.

Missbrauch von Steuergeldern
Unsinnige, die großindustrielle Produktion bevorzugende Hygienestandards; Milliarden an direkten und indirekten Subventionen an Agrar- und Nahrungsmittelkonzerne; der Bau von Autobahnen, Containerhäfen und Frachtflughäfen mit Steuergeldern; die Subventionierung von Supermärkten auf der sprichwörtlichen grünen Wiese durch Bereitstellung der Infrastruktur wie Kanalisation und Straßenanbindungen: all dies radierte vielfältige, regionale und Klima schonende Strukturen aus und förderte die fossile Energien fressende Monokultur in aller Welt.

Umwelt Bauer Äthiopien
Bauern in Äthiopien – zwei von drei Milliarden
Quelle: www.inwent.org

Allein in Deutschland warfen seit 1949 von damals 2,3 Millionen bäuerlichen Betrieben fast zwei Millionen das Handtuch – und das „Bauernsterben“ ist längst nicht beendet. In unserem Nachbarland Österreich gaben in der Folge seines EU-Beitritts im Jahr 1995 in nur fünf Jahren 70.000 bäuerliche Betriebe auf. In der gesamten EU geht die Zahl der Bauern jährlich um etwa 300.000 seit Ende der 90er Jahre zurück – trotz EU-Subventionen von etwa 40 Milliarden Euro im Jahr. Gleichzeitig breitet sich die industrialisierte, energieintensive Landwirtschaft europaweit und global aus, mit drastischen Folgen für das Klima, ist sie doch als Folge der künstlichen Stickstoffdüngung für den Ausstoß des über 300 Mal gefährlicheren Treibhausgases Lachgas verantwortlich.

Gegen Homogenisierung und für kulturelle Vielfalt
Schon seit über zehn Jahren schreibt die schwedische Ökologin und Alternative Nobelpreisträgerin Helena Norberg-Hodge gegen diese Monokulturausweitung, diese „Homogenisierung“ der Welt an. Die Devise der von ihr gegründeten „International Society for Ecology and Culture“ lautet: Kulturelle und biologische Vielfalt erhalten und regionale Strukturen fördern. „Kleinere Farmen mit vielfältiger Landwirtschaft bieten im Schnitt fünf Mal mehr Jobs als große Farmen mit Monokulturen“, sagt Helena Norberg-Hodge. Außerdem profitiere die Region mehr von den Löhnen, die an die Arbeiter auf den Bauernhöfen gezahlt werden, als von dem Geld, das zum Kauf und Einsatz der schweren Maschinen und Pestizide in der Landwirtschaft ausgegeben werde. Vor allem der alltägliche Transportwahn müsse beendet werden.


Farmarbeiter kommen von einem Gewerkschaftstreffen – bald nicht mehr?
Foto: Gabi Pehle

Brauchen die Mongolen, die selbst 25 Millionen Stück Milch gebendes Vieh haben, wirklich europäische Butter in den Supermärkten, die sie mit Uranbergbau und Uran-Exporten bezahlen müssen? Brauchen wir Europäer wirklich Äpfel und Lachs aus Chile, Bio-Zuchtgarnelen aus Brasilien und Ecuador und umgekehrt die Brasilianer Knoblauch aus China? Derzeit reisen Lebensmittel beispielsweise in den USA im Schnitt rund 2.000 Kilometer ehe sie in der Küche der Konsumenten landen. Allein die Nahrungsmittel- transporte innerhalb der USA sind für über 20 Prozent des nationalen Treibstoffverbrauchs verantwortlich und blasen etwa 120 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre, so die Society for Ecology and Culture. Schon der Transport von Nahrungs- und Futtermitteln aus anderen Ländern nach Großbritannien verbraucht jährlich rund 1,6 Milliarden Liter Treibstoff. Inzwischen gilt dies genauso für Bionahrungsmittel. Lediglich in der ersten Phase der Biobewegung war Regionalität ein wichtiger Faktor. Davon hat sie sich aber abseits der „Schönwetterreden“ längst verabschiedet und hechelt konventionellen Management- und Wachstumsideologien hinterher. Von Bio-Äpfeln bis zu Bio-Kartoffeln: Längst wird selbst Biomilch rund um den Globus gekarrt, zum Beispiel von Neuseeland in die USA, weil die Milch neuseeländischer Groß-Biobauern ein paar Cent billiger ist.

Vorbild „Dritte Welt“

Noch aber gibt es etwa drei Milliarden Bauern vornehmlich in den Ländern des Südens, die unabhängig vom Weltmarkt regional wirtschaften. Und gerade unter den indigenen Völkern dieser südlichen und östlichen Weltregionen ist die Subsistenzlandwirtschaft noch weit verbreitet. Entgegen der Meinung veralteter Schulbücher und so mancher Hochschulwissenschaftler und Ökonomisten ist Subsistenz weder „primitiv“ noch ein „Entwicklungshindernis“. Im Gegenteil: Subsistenzlandwirtschaft ist quasi das Ideal einer lokalen, regionalen und ökologischen Wirtschaft: Lokal anbauen, lokal weiterverarbeiten, lokal handeln, lokal verbrauchen. Der Subsistenz-Landwirt praktiziert dies auf kleinstem Raum, wobei er daneben ebenso seine nähere Umgebung im Tausch mit seinen Überschüssen mitversorgt.


Marsch der Awá durch die Provinz Ibarra am 5. JuliFoto: Klaus Schenk

Es ist natürlich klar, dass ein selbständiger Bauer, der seine eigenen Äpfel und sein eigenes Gemüse anbaut, nicht in den Supermarkt geht, um dort Äpfel oder Gemüse zu kaufen. Der „real-kapitalistische“ Weltmarkt kann nicht an ihm verdienen. Ein industrialisierter Bauer allerdings, der nur Soja als Exportprodukt oder nur Futtermais für die Massentierhaltung anbaut, muss sein Produkt auf dem Weltmarkt anbieten und im Gegenzug Nahrungsmittel kaufen. Geld fließt, Kapital vermehrt sich. So ist klar, warum die Subsistenzlandwirte seit Jahrzehnten kontinuierlich von westlichen „Entwicklungsexperten“ bekämpft wurden und bis heute werden! “Auch wenn es uns die multinationalen Konzern glauben machen wolle, wir helfen den Menschen in den weniger industrialisierten Ländern nicht, wenn wir sie dazu bringen, Produkte für den Export zu produzieren, statt Nahrungsmittel für sie selbst“, sagt Helena Norberg-Hodge.

Trojanisches Pferd Biodiesel

Und jetzt bekommen die „letzten“ vom Weltmarkt unabhängigen, regional wirtschaftenden Bauern und indigenen Völker mit dem Biodieselwahn noch eins drauf. Nun sollen sie auch noch Platz machen, um unseren Energiehunger zu stillen. Die Kräfte, die global seit den vergangenen etwa fünfzig Jahren gegen die regionalen Strukturen arbeiten, sind genau dieselben, die nun die globale Biodiesel- und Ethanolexpansion fördern, um angeblich den Planeten vor der Überhitzung zu retten. Doch geht es in Wirklichkeit nur darum, forciert die restliche Landwirtschaft und Ökosysteme des Südens den Regeln des „Totalen Markts“ zu unterwerfen: Privatisierung und Landvertreibung im großen Stil. Und alle Multimilliardäre machen mit: Von George Soros bis Bill Gates!

„Das Entwicklungskonzept der Welthandelsorganisation für die Zukunft“, sagte der Afrikaner Samir Amin, Direktor des Third World Forums für Afrika 2004, „basiert auf der Vorstellung, dass die landwirtschaftliche Produktion von Nahrungsmitteln nach den Profit maximierenden Regeln der kapitalistischen Wirtschaftsweise organisiert werden müsse. Dies bedeutet, dass, wenn auf globaler Ebene alle diesem Konzept folgen würden, zur Produktion der gleichen Ertragsmenge anstelle von drei Milliarden Bauern lediglich nur noch 50 Millionen Bauern nötig wären.“ Doch was solle mit den Menschen geschehen, die dann nicht mehr von der Landwirtschaft leben können, mit dem Rest der drei Milliarden Menschen? Sollen sie etwa in die Städte migrieren? Heute schon hat diese Art Landwirtschaft zur Massenmigration in Städte wie Bombay oder Sao Paulo geführt. Samir Amin: „Doch alles dies ist gegenüber dem, was uns durch die Umsetzung der Vorschläge der WTO erwartet, erst der Beginn. Eine Forcierung der Kapitalisierung der Landwirtschaft zieht nämlich nichts weniger als den sozialen Genozid der Hälfte der Menschheit nach sich.“ Und dies, so Amin „ist keine Spinnerei. Denn bei genauer Betrachtung sieht man, dass der Genozid schon längst begonnen hat. Millionen freigesetzter Menschen mäandern um zu überleben durch China, Indien und Brasilien. Hunderte indischer Bauern haben in den vergangenen Jahren Selbstmord begangen.“

Nobelpreisträgerin Helena Norberg-Hodge
Helena Norberg-Hodge: Auch alternative
Mediennetzwerke aufbauen!
Quelle: www.rpi.edu
Kaum anders sieht es Helena Norberg-Hodge. In einem Interview sagte die streitbare, Nobelpreisträgerin 1999: „Immer wieder muss man betonen: wenn die wirtschaftlichen Strukturen des steten Wachstums im Westen auf Kosten der Umwelt und der Dritten Welt so bleiben, dann geht das Leben kaputt. Wir können auch nirgendwohin fliehen, weil Flora, Fauna und das Klima leiden. Deshalb ist es besser mit offenen Augen dagegen zu arbeiten. Doch man muss wissen: das Projekt ist groß, es ist schwierig, vielleicht wird man nicht gewinnen.“ Sie ist dennoch optimistisch: "Wir haben die Kraft Dinge zu ändern. Das zerstörende, globale System existiert nur solange, solange wir es akzeptieren und subventionieren. Wir können es zurückweisen. Frisches, schmackhaftes, lokales Essen für alle ist vielleicht der beste Weg, die Welt zu retten."

Wochenmarkt statt Weltmarkt
Wenn wir den sinnlosen globalen Handel vor allem von Grundnahrungsmitteln wie Weizen, Milch, Kartoffeln bis zu Apfelsaft und lebenden Kälbern stoppten, so die Nobelpreisträgerin, dann brächte uns allein diese Reduzierung der Transporte augenblickliche Vorteile. Wenn die Menschen ihr eigenes Brot essen, ihre eigene Milch trinken würden, dann könnten die großen Konzerne nicht mehr jedes Mal verdienen, wenn wir uns zum Essen hinsetzen. Doch Naivität sei gefährlich.

Regenwald abbrennen
Ölpalmsetzlinge für Biokraftstoff zerstören den Regenwald
Foto: www.regenwald.org

Helena Norberg-Hodge: „Wichtig sind heute schnell agierende, analytische Menschen, die sich mit dem System konfrontieren.“ Nur müssten diese "genährt" werden von Weisheit und Spiritualität – oft genüge es schon, mit solchen Leuten in engem Kontakt zu bleiben. Konkret könne jeder dabei mithelfen das System zu ändern. Beispielsweise durch: Unterstützung der regionalen Landwirtschaft, indem man auf lokalen Märkten einkauft; lokale Tauschkreise organisieren; regionale Währungen in den Gemeinden einführen, um dadurch die Abhängigkeit vom Weltmarkt zu reduzieren. Aber es gelte auch alternative Mediennetzwerke aufzubauen, um der globalen Propaganda entgegenzuwirken. „Denn das, was jetzt durch große Konzerne gemacht wird“, so die alternative Nobelpreisträgerin, „ist so unmenschlich, so gefährlich, und es ist so viel Geld im Spiel, dass man leicht das Denken zerstören kann.“ (PK)

Online-Flyer Nr. 114  vom 26.09.2007



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