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Lokales
Flüchtlingspolitik im 21. Jahrhundert - im "Dellbrücker Forum"
Festung Europa?
Von Mirjam Sander

Ist Europa eine Festung? Hat ein Mensch aus Afrika oder dem Irak, der in seiner Heimat verfolgt, misshandelt und unterdrückt wird, überhaupt noch eine Chance, in Europa Schutz zu finden? Oder bleiben alle Tore verschlossen? Was hilft - außer Drahtzäunen und Auffanglagern - die Scharen von Menschen aufzuhalten, die oft bereit sind, ihr Leben für den „Traum Europa“ zu riskieren? Wie sieht Flüchtlingspolitik im 21. Jahrhundert aus? Wie sollte sie aussehen? Darüber wurde am 3. September in der Christuskirche in Köln-Dellbrück diskutiert.
Auf dem Podium saßen Reinhard Grindel, CDU-MdB und Mitglied des Innenausschusses sowie zuständig für Flüchtlingspolitik in seiner Fraktion, Cem Özdemir, Europaabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen und Experte für Migrations- und Integrationspolitik, und Claus-Ulrich Preuß, Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrates. Moderiert wurde die Diskussion von Arnd Henze, leitender Fernsehredakteur beim WDR. Henze bedauerte, dass es nicht gelungen war, Betroffene einzuladen, die selbst von ihren Erlebnissen berichten könnten. Viele Flüchtlinge hätten Angst, da sie oft illegal in Deutschland leben oder sich aufgrund von sprachlichen Problemen nicht trauen, in der Öffentlichkeit zu sprechen. Überhaupt scheine es sich bei der Flüchtlingsproblematik um ein Phantomproblem zu handeln, da man im gesellschaftlichen Alltag mit derartigen Fällen kaum in Berührung kommt. 


Claus-Ulrich Preuß, Cem Özdemir, Reinhard Grindel und Arnd Henze (von links nach rechts)
 
Für Afrikaner so gut wie keine Chance
 
Tatsächlich sind seit der ersten Hälfte der 1990er Jahre die Asylantragszahlen drastisch zurückgegangen. 1994 wurden noch 127.210 Anträge auf Asyl gestellt, im letzten Jahr waren es nur noch 21.029 - also 83,5 Prozent weniger Anträge als noch 12 Jahre zuvor. Stimmen werden laut, dass Afrikaner so gut wie keine Chance mehr haben, auf legalem Weg nach Europa zu gelangen.
 
Reinhard Grindel sieht das Problem an einer völlig anderen Stelle und zwar bei der „inneren Zuwanderung“. Gemeint sind Kinder, die in Deutschland geboren werden aber in Familien aufwachsen, die nicht in die Gesellschaft integriert sind: „Wir dürfen nicht unterschätzen, welche gravierenden Integrationsprobleme wir mit denen haben, die bei uns sind. Ich plädiere sehr stark dafür, dass wir uns diesem Problem zuwenden, und dazu eben dieses Problem nicht noch durch zusätzliche Zuwanderung verschärfen.“
 
In einer Rede im Bundestag hatte sich Grindel dafür ausgesprochen, illegale Migration nicht zu tolerieren sondern zu bekämpfen und „Illegale“ sofort zurückzuführen. Auf die Frage wohin, ob in ihre Heimatländer oder in die Länder, von denen aus sie nach Europa gelangen -  wie Marokko, Mauretanien oder Algerien - weicht Grindel aus. Er sei der Meinung, dass man durch wirksame Entwicklungspolitik den Antrieb, sich auf den Weg zu machen, verhindern sollte.
 
Legalisierungskampagne keine Lösung?
 
In einer Legalisierungskampagne sieht er keine Lösung, da diese nur weitere Migration in Richtung Deutschland provoziere. Es müsse deutlich werden, dass es keinen Sinn hat, Geld an Schlepper zu bezahlen, da es keine Perspektive gibt, auf Dauer in Europa bleiben zu können. Außerdem müsse man Schlepperbanden bekämpfen.
 
Aber was ist mit den Menschen, die einen Anspruch auf Asyl, die ein Recht auf Schutz haben? Was ist mit den Flüchtlingen, die laut Genfer Konvention Menschen sind, die sich aufgrund „wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Gesinnung außerhalb des Heimatlandes befinden“?
 
Claus-Ulrich Preuß erklärt dazu, dass die einzelnen Fälle gar nicht ausreichend geprüft, und somit die wenigen Flüchtlinge, die nach Deutschland gelangen, vorschnell wieder ausgewiesen werden: „Es muss für Flüchtlinge die Gelegenheit gegeben werden, ihr Verfolgungsschicksal, ihr Fluchtschicksal zu erzählen und hierbei müssen Kriterien benannt werden, die dafür sorgen, dass sie hier in Europa oder in Deutschland ein Aufenthaltsrecht bekommen. Das passiert nicht in Deutschland, das passiert nicht in Nordafrika und in den Herkunftsländern schon gar nicht“, klagt er an.
 
Grindel hingegen sieht einen Lösungsweg auf ganz anderer Ebene. Es sollten keine Aufenthaltsgenehmigungen mehr erteilt werden, sondern die Probleme in den Herkunftsländern selbst gelöst werden. Eine „zirkuläre Migration“, im Sinne von einem Aufenthalt begrenzt auf etwa drei Jahre, um beispielsweise eine Ausbildung zu absolvieren, hält er für sinnvoller. Hier stellt sich allerdings die Frage, wie lange es dauert, bis sich die Situation in den vielen armen und gewaltdurchtränkten Ländern Afrikas wirklich verbessert, und vor allem, wer die Verantwortung für die Flüchtlinge hat, die bis dahin noch kommen werden.
 
Widerrufsverfahren ein Skandal
 
Auch für Flüchtlinge, die in Deutschland Asyl gefunden haben, bedeutet dies längst nicht, dass sie für immer in Deutschland leben können. Ein Skandal sind laut Preuß die Widerrufsverfahren bei denen anerkanntes Asyl revidiert werde. Menschen, die es geschafft haben, in Europa Asyl zu bekommen und sich ein neues Leben aufgebaut haben, bekommen plötzlich den Asylstatus entzogen. „Das schafft Unsicherheit, das schafft teilweise dramatische Verhältnisse in den Familien gerade bei den Kindern, da sie oft schon seit vielen Jahren hier leben.“ Das zeige sich z.B. bei Irak-Flüchtlingen, die einst vor Saddam Hussein flohen und in der Bundesrepublik Asyl fanden. Heute werden sie nur noch geduldet, könnten also innerhalb von drei Monaten abgeschoben werden. Grindel: „Die Menschen haben eine Asylanerkennung bekommen, weil sie Flüchtlinge vor Saddam Hussein waren. Letztendlich gibt es dieses Regime nicht mehr, insofern ist die Grundlage der Asylanerkennung weggefallen. Somit sind die Widerrufsverfahren berechtigt.“ Und dies trotz täglich neuer Nachrichten über Anschläge und Entführungen aus dem Irak. 


Dellbrücker Forum in der Christuskirche 
Fotos: Herbert Sachs/WDR
 
Außerdem scheint die psychologische Komponente der Verunsicherung Grindel nicht zu interessieren, da die Aufhebung des Asylstatus ja nicht immer eine Rückführung ins Ursprungsland bedeutet. Doch der Zugang zum Arbeitsmarkt und zu sozialen Leistungen wird für geduldete Personen erschwert. Cem Özedmir ist gegen diesen Duldungsstatus, da die Menschen oft in permanenter Angst vor einer möglichen Abschiebung leben und keine Perspektive mehr haben. So würden vor allem Kinder unter dieser Politik leiden. Nach dem Skandal um die Rütli-Schule habe man festgestellt, dass viele der betroffenen Kinder in einer Familie leben, die nur „geduldet“ ist.
 
Neue Unruheherde durch „Festung Europa“
 
Weitere Themen dieses Abends waren die Problematik der Flüchtlingsauffanglager in Nordafrika und die Wirtschaftpolitik westlicher Länder, die mitunter dazu führt, dass Menschen in Afrika ihre Lebensgrundlage verlieren. Eine Lösung dieser Probleme scheint nicht in Sicht, und Europa versucht, sich zunächst mit Abschottung zu behelfen.
 
Mitgenommen haben dürften die Teilnehmer der Veranstaltung: Aus Europa eine Festung zu machen, kann und wird aber auf lange Sicht keinem dienen. Schiebt man die Verantwortung auf Länder, die allein mit den Flüchtlingen überfordert sind, so werden neue Unruheherde entstehen und die Situation in Afrika und den arabischen Ländern wird sich weiter verschärfen. Durch eine faire Wirtschaftpolitik und die Umstellung des Konsumverhaltens jedes Einzelnen könnte auf lange Sicht die wirtschaftliche Situation in den Entwicklungsländern verbessert werden. Aber bis dahin ist es ein langer steiniger Weg.
 
Resümée von Arnd Henze zum Schluss: Die Diskussion hinterlasse ein großes Unbehagen bei den Teilnehmern aber wohl auch die Erkenntnis, dass weiterhin viel an der Flüchtlingspolitik gearbeitet werden müsse. (PK)

Online-Flyer Nr. 112  vom 12.09.2007



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