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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Inland
Ausgerechnet vom „Spiegel“ zum „Vordenker“ ernannt…
André Brie
Von Walter Ruge

Spieglein, Spieglein an der Wand – wer ist der Vordenker im Land?
Der „Spiegel“ beantwortet diese Frage eindeutig: Vordenker zumindest der LINKEN ist André Brie. Dabei kann man sicher sein, dass diese Interpretation von Stefan Berg und Markus Deggerich nicht etwa gegen dessen Willen getroffen, sondern von Brie wohlwollend autorisiert wurde.

Andre Brie
„Vordenker“ André Brie
Quelle: www.europaparlament.de


Er schlüpfte - mit freundlicher Unterstützung des „Spiegel“-Artikels "Denken in Schwarz-Weiß – Der Europa-Abgeordnete und Vordenker der Linken André Brie“ in Nr.31 vom 30. Juli – VOR-eilig in die VOR-Denker-Hülle, ohne auch nur abzuwarten, bis vielleicht ande-re diese Berufung entdeckt hätten – zum Beispiel seine Wähler und Genossen. Doch wie sich herausstellt, gibt es in dieser Gemeinde DIE LINKE schon einen „Vordenker“, keinen selbsternannten. Sollte André – beim Blick in den Spiegel – das ebenfalls bemerkt haben, dann war nicht unser Oskar „psychologisch in einer schwierigen Situation“, sondern er selbst. Es war also gewissermaßen an der Zeit „in Erscheinung“ zu treten, aus dem fernen Brüssel „Signale zu setzen“, sich zurück ins Rampenlicht zu hieven.

Diese inszenierte „Vordenker“-Rolle ist zutiefst undemokratisch, ja totalitär – denn dem gemeinen Fußvolk bliebe nur die undankbare Rolle des Wiederkäuers. Was bietet Brie uns da an?

Sind Proteste heute anachronistisch?

Vordergründig den primitiven, populistischen Pseudo-Begriff einer Protestpartei. Stünde es nicht den Parteien an, ständig zu protestieren? Das wäre der erste Schritt. Sind die Verhältnisse in der Welt oder in Deutschland so, dass wir Proteste als anachronistisch verteufeln könnten? Die Welt kocht von Ungerechtigkeiten, doch Brie „sieht die Gefahr, eine reine Protestpartei zu werden“. Unter den heutigen widrigen Umständen – der Platz würde nicht ausrei-chen, diese hier aufzuzählen - ist stän-diger Protest bitter nötig.

Walter Ruge
Walter Ruge 1952 im Treibeis am Jenissei

Hinzu kommt, dass Tausende Menschen dieser Partei in den Städten, den Gemeinden, ja in Regierungsverantwortung an den – von Brie angemahnten – „realistischen Lösungsmöglichkeiten“ arbeiten. Aber Bries Spiegel-Fechterei dröhnt gegen die „Protestpartei“. Er unterstellt, dass „alle vier Forderungen (darunter der Abzug aus Afghanistan!) zum Problem (!) werden“ könnten, „wenn wir uns als Linke auf  Protest beschränken und keine eigenen Konzepte anbieten“ - nicht mehr als eine Unterstellung, abgesehen davon, dass auch Brie über seinen „Spiegel“-Artikel „keine eigenen Konzepte anbietet“.

Nach zwei Jahren Programm- und Fusionsdiskussion sieht André Brie „den Charakter der neuen LINKEN noch ungeklärt“, was wohl erst dann eintreten wird, wenn er sich konzeptionell voll durchgesetzt haben wird.

Auf Lafontaine eingeschossen

„Natürlich gibt es auch berechtigte Kritik an der Europäischen Union“, „ … die Gefahren einer Globalisierung sind sehr wohl da“, tönt er. – „Da“ ja, aber von Brie werden diese nicht benannt. Er hat sich, an der Leine geführt vom „Spiegel“, auf Lafontaine eingeschossen, ein wenig appetitliches Anliegen. Brie räumt ein, dass „Nationale Räume überschaubarer sind“; hier geht es aber nicht um das „Über-schau-bare“, sondern darum, dass die Überre-gierung in Brüssel – die sich tückisch „Kommission“ nennt – die sachkundigen Entscheidungsmöglichkeiten vor Ort (z.B. welchen Durchmesser ein Apfel aus dem brandenbur-gischen Werder haben sollte) immer mehr ein-schränkt, den Bürger und seine Gre-mien vor Ort schleichend, systematisch entmündigt, immer neue, zentrale Entscheidungs-„Träger“ kreiert, die undemokratisch agieren, kaum rechenschafts-pflichtig sind. Selbst dem Euro-päischen Parlament in Strasbourg wurde lediglich ein Mitentscheidungsverfahren zuteil, „in den meisten Gesetzgebungsverfah-ren liegt die letzte Entscheidung jedoch immer beim Ministerrat und wird hinter verschlossenen Türen getroffen“ (siehe „Kon-zern Europa“, Rotpunktverlag).

Oskar LaFontaine
Oskar Lafontaine – kann da nur lachen
Quelle: DIE LINKE Solingen


Internationalismus nicht gleich Internationalismus


Der „Spiegel“ ist besorgt: „Die LINKE ist nicht internationalistisch, sondern führt in die Isolation. Ist da nicht was dran?“ Dazu fällt unserem Internationalisten nichts Besseres ein als: „Es gibt solche Gefahren in der LINKEN, die nur wenigen (inklusive Brie versteht sich) bewusst sind“. Es gäbe „beträchtliche Kräfte“, die der Idylle unterliegen, sich in die „Renationalisierung zurückzuziehen“. Wo finden wir diese „beträchtlichen Kräfte“? Nicht nur in DER LINKEN, wie sich erweist, wir finden sie auch in der SPD. So äußerte die Oberbürger-meisterin von Bonn (SPD) in einer Phoenix-Sendung am 27. August: „Die Lebensqualität der Menschen hängt davon ab, was wir hier in den Kommunen gestalten“

Der vom „Spiegel“ und von Brie „als aktive pro europäische Haltung“ eingeforderte „Internationalismus“ ist lediglich der nicht zu leugnende, äußerst agile „Internationalismus“ der großen Banken, dem die LINKE (zum Glück) ihre Solidarität versagt.

Krieg ist kein Selbstzweck, sondern pures Geschäft

Der „Spiegel“ behauptet, „dass die Geschichte der EU eine Erfolgsgeschichte ist, weil ein Kontinent befriedet wurde, der lange Jahre durch Kriege zerrissen war“, eine nicht gerade internationalistische Sicht. Brie widerspricht dem nicht. Internationalisten wissen: Krieg ist kein Selbstzweck, sondern pures Ge-schäft. Wenn sich in Europa ein Maximalprofit auch friedlich einfahren lässt, verzichten die Herren gerne darauf, die europäischen Völker mit „Patriotismus“ aufeinander zu het-zen. Die Großmächte, allen voran die Sie-ger-mächte, haben nach dem Großen Krieg (von dem erwartet wurde, dass es der letzte aller Kriege sein werde) viele grausame, verheerende Kriege in anderen Ländern geführt.

Wir verdanken die „Befriedung“ des europäischen Kontinents dem Umstand, dass man Kriege out of area in unvorstellbarem Umfang fortgeführt und daß oben-drein geschäftstüchtig die Lieferung des nötigen Kriegswerk-zeugs besorgt wird. Mögen sich doch die Kaffern gegenseitig die Köpfe einschlagen, wenn nur in den Banken des „friedliebenden“ Europas der Rubel rollt. Krieg ist zum Exportschlager geworden, was dazu geführt hat, dass die EU immer mehr in die Auseinander-setzungen ‚schnell eingreift’, weltweit eine unerhörte Aufrüstung eingeleitet und die Rüstungsausgaben auf das Niveau des Zweiten Weltkrieges angehoben hat. Es ist undenkbar, dass André Brie das nicht weiß; er vertuscht es – für uns politische Landser (etwa ostdeutsche Landesvorsitzende und deren Basis) verlangt er Opposition zu Lafontaine, nicht Protest gegen die Kriegstreiber. Selbst gegen seinen Willen wird er damit zum stillen Kompli-zen der Rüstungslobby.

Nur Floskeln zur Europäischen Union

Brie kennt dieses Lobbyunwesen im Detail – in den EU-Metropolen Brüssel, Luxemburg und Strasbourg sind ganze „europäische“ Stadtviertel entstanden: Dort finden wir üppige „Vertretungen“ der deutschen Provinzialregierungen, Biolobby, Europäischer Runder Tisch, Phar-malobby, Trans-atlantischer Wirtschaftsdialog. Brie weiß, dass wirkliche Entscheidungen bei ‚Arbeitses-sen’, ‚Empfängen’, Vorstandssitzungen getroffen werden. Dazu liefert er dann allgemeine Floskeln, er „halte es für dringend erforderlich, die heutige Realität der Europäischern Union zu kritisieren, auf der Grundlage einer hohen Wertschätzung dessen, was in Europa zustande gekommen ist“!

Wahl-Plakat 1932
Wahlplakat mit Walter Ruge, Berlin 1932
Fotos aus: Treibeis am Jenissei

Was ist denn da „zustande gekommen“? Transport-, Lohn-, Migrations-, Werbung- und Medienprobleme – restlos alles wird im Interesse der Global Player, der Shareholder, der großen Banken „gelöst“. Für die Wähler des Andre Brie ist dabei bisher nichts, schon gar kein ‚Gewinn’ an ‚Wohlstand’, an ‚Freiheit’, an ‚Demokratie’ „zustande gekommen“; im Gegenteil: hier wird polizei-staat-lich abgebaut. Die „Schaffung von Arbeitsplät-zen“, der „Schutz der Verbraucherinteres-sen“, der Segen des „Informationsflusses“, die „hohen medizinischen Standards“, sogar die „Gleichberechtigung“, alles blieb auf der Strecke. Streichungen und „Kürzungen“ (‚Abschmelzen’ genannt) auf der ganzen Linie, bei Löhnen, beim Sterbegeld, bei den Leistungen der Krankenkas-sen, bei den Renten, die ständige Teuerung durch die Euro-Währung – das alles ist ein Europaweites „Phänomen“.

Ein zweites „Phänomen“: SA-Kameradschaften marschieren – europaweit, schlechte „Grundlage einer hohen Wert-schät-zung“. Doch das steht bei Brie - und im Europaparlament schon gar nicht – zur Debatte; aus unserer Sicht durchaus ein diskussionswürdiges Thema.

Immerhin eine „Kuba-Initiative“

Doch eine - allerdings wenig glorreiche - Initiative’ verdanken wir Brie in die-sem „Spiegel“ immerhin. Er warnt davor, „Kuba als leuchtendes Beispiel zu feiern“. Mit theoretischen Belehrungen reihten er und Gabriele Zimmer sich in die Kampagne gegen Fidel, in das niederträchtige Komplott des USA-Imperia-lis-mus (offiziell „Blockade“ betitelt) ein, stimmten einer Entschließung des EU-Parlaments zu, die nicht etwa die Freilassung der Mia-mi-five oder die Auflösung des Folterlagers Guantanamo auf Kuba fordert, sondern die ‚Achtung der Menschenrechte’ durch eine vom Volk gewählte Regierung. – Auch nicht gerade ein Meisterstück von Internationalismus. Kuba empfand das offenbar auch so und machte die Einladung für eine Gruppe aus der PDS-Führung rückgängig. Bravo!

Nach Lafontaines anschließender und erfolgreicher Kuba-Reise erübrigt es sich für Brie ohnehin, sich eine neue Reise nach Kuba zu inszenieren, um „Missverständnisse“ aus dem Wege zu räumen. Nicht der Handschlag mit einem der Castro-Brüder vor laufender Kamera in Havanna, sondern das grundsätzliche Gespräch in Berlin ist gefragt. Falls sich hier das Vorden-ker-kon-zept des „Spiegel“ noch nicht durchgesetzt hat, wäre der Verzicht auf eine Neunominierung des Genossen Brie durch DIE LINKE durchaus pro-duktiv. (PK)

Walter Ruge ist Autor des Buches „Treibeis am Jenissei“, das in NRhZ 103 vorgestellt wurde.

Online-Flyer Nr. 112  vom 12.09.2007

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