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Literatur
Rezension von „Rauchopfer“ – ein Buch von Geist, Heller und Waluye
Die tödlichen Strategien der Tabakmultis
Von Ulrich Klinger

John Walyue aus Tansania hat sein journalistisches Handwerk in den 80er Jahren als Praktikant beim „Spiegel“ gelernt, anschließend hospitierte er beim Verlag „Gruner & Jahr“ in Hamburg. Als er dann in seine Heimat zurückkehrte, machten sich in der tansanischen Region Tabora die Anzeichen einer beginnenden Umweltkatastrophe bemerkbar: Die Brunnen versiegten, das Wasser wurde immer knapper, der Regen blieb aus. Selbst die Imker beklagten sich, dass ihre Bienenvölker zu wenig Honig produzierten, da sie kaum noch Blüten fanden.

Der Verursacher war relativ leicht auszumachen: Die Tabora-Region ist das Hauptanbaugebiet für den Virginiatabak, die dichten Miombowälder sind den Tabakplantagen gewichen, das Holz der Bäume wird laufend zum Trocknen des Tabaks verheizt.



Miombo-Wald in Afrika
Foto:
Hans Hillewaert

John Waluye wollte auf das Problem aufmerksam machen, recherchierte – und stieß auf eine Mauer des Schweigens. Zumindest bei der Tabakindustrie, die doch offensichtlich Verursacher dieser sich abzeichnenden Umweltkatastrophe war. Es wurde verschwiegen, dementiert und abgewiegelt. Doch er blieb beharrlich an dem Thema, und die Spur führte schnell nach Deutschland. Hier sitzt die Industrie, die dort den Rohstoff produzieren lässt, ihn importiert und zu Zigaretten verarbeitet. Tansania liegt an achter Stelle der deutschen Tabak-Importstatistik, Brasilien ist Deutschlands wichtigster Lieferant. Dazu muss man wissen, dass Deutschland nach den Niederlanden der bedeutendste Exporteur von Zigaretten auf dem Weltmarkt ist, Hamburg (Reemtsma), Düsseldorf, Bayreuth (BAT) und München (Phillip Morris) sind die Konzernstandorte, Spanien, Frankreich, Italien, Belgien, Griechenland und Taiwan die bisherigen Hauptabnahmeländer.

Die Verwicklungen in den politischen Raum sind deutlich: Parteien, ihre Strukturen und Veranstaltungen, werden von der Zigarettenindustrie gesponsert, das Tabaksteueraufkommen ist beträchtlich und erreicht in der BRD das doppelte des gesamten Steuereinkommens von Waluyes Heimatland Tansania.


Tabakpflanzen – frisch geerntet in Tansania
Foto:
www.regenwald.org

Die Bundesregierung und die Tabakindustrie arbeiten eng zusammen – beispielsweise bei der sogenannten Nichtraucherkampagne: Am 20. März 2002 unterschrieb Bundes„gesundheitsministerin“ Ulla Schmidt eine Vereinbarung mit dem Verband der Zigarettenindustrie zur Gewährung von insgesamt 11,8 Million Euro durch die Industrie. Als Zweck wird angegeben: „Die Zuwendung dient ausschließlich zur Prävention des Rauchens von Kindern und Jugendlichen sowie der Entwicklung und Durchführung entsprechender Maßnahmen...“

Soweit so gut, könnte man denken: Eigentlich eine hervorragende Idee, die Industrie steht derart unter Druck, dass sie sogar Maßnahmen bezahlt, die Ihr die Kunden verprellen. Wenn, ja wenn man in der Vereinbarung nicht wie folgt weiterlesen müsste: „…nicht jedoch (zu) allgemeinen Anti-Raucher- Programmen. Die Maßnahmen dürfen nicht die Zigarettenindustrie, deren Produkte oder den Zigarettenhandel diskriminieren oder den erwachsenen Raucher verunglimpfen...“ Darüber hinaus gibt die Regierung der Industrie die Möglichkeit, sich über einen „Sachverständigen“ „...jederzeit Einsicht in die Projektunterlagen zu verschaffen sowie über den Stand der konkret geplanten Aktionen zu informieren.“ Wundert es da noch irgendjemanden, wenn man dann in den letzten Monaten gehört hat, dass Planstellen im Wirtschafts- ministerium direkt von der Industrie besetzt und finanziert werden.

tabak-fabrik Tansania.
Tabakfabrik in Tansania
Foto:
www.regenwald.org
Aber was soll das alles, fragt sich Otto Normalverbraucher, wir haben doch hier bald überall rauchfreie Zonen, Kneipen und Arbeitsplätze... Ganz abgesehen von der Frage, ob dies der richtige Weg ist – was ich persönlich sehr bezweifle, denn Verbote fördern nie das, was sie angeblich bewirken sollen – ist die Konsequenz relativ klar: Geht der Zigarettenkonsum in der westlichen Welt zurück, müssen andere Abnehmer gefunden werden, schließlich dreht es sich um hiesige Arbeitsplätze – man könnte auch sagen: Es dreht sich um die Profitinteressen des Kapitals! Die Zielrichtung der Konzerne geht in den Süden, zu den ärmsten Ländern der Welt. Und diese aggressive Strategie und ihre hemmungslose Umsetzung zeigt das Buch von Geist, Heller und Waluye auf. All dies hat erschreckende Folgen für die Produzentenländer, verstärkt ihre Abhängigkeit vom „braunen Gold“ und weist eine verheerende Umweltbilanz auf: Ein Durchschnittsraucher verpafft alle drei Monate einen Tropenbaum, dessen Holz zur Erzeugung von marktfähigen Tabak verkokelt wird.

Die Gewinner und Verlierer dieser Globalisierung stehen fest. Das technische Knowhow bleibt in den Händen der westlichen Industrie, so dass sie die Preise und Anbaumethoden diktieren kann. Die Tabakbauern werden in die Rolle von Lieferanten billiger Rohstoffe gedrängt. Bodenerosion und Umweltschäden verbleiben vor Ort und der Mammon in den Händen der Konzerne.

Dieses „Spiel“ des real existierenden Kapitalismus recherchiert und überaus lesenswert in Buchform auf den Markt gebracht zu haben, ist der Verdienst der Autoren und des Verlags. Ich empfehle „Rauchopfer“ jedem zur Lektüre. (CH)

Weitere Informationen zum Thema unter: www.regenwald.org











„Rauchopfer“

Die tödlichen Strategien der Tabakmultis
Verfasser: Helmut Geist / Peter Heller / John Waluye
Horlemann Verlag, 2004,
brosch., € 9,90
176 S., Broschur, zahlr. s/w-Fotos
ca. Euro 9,90.
ISBN 3-89502-181-4


Buchhandlung für ausgesuchte Literatur Ulrich Klinger
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Online-Flyer Nr. 111  vom 05.09.2007



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