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Medien
Betrachtungen zur Medienkampagne und ihren Nazi-Vorbildern
"Du bist Deutschland" 
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

Der Axel Springer Verlag, Bauer, Burda, Holtzbrinck, Gruner und Jahr, die Heise Mediengruppe, die FAZ, die Süddeutsche Zeitung, der Spiegel sowie die Fernsehsender RTL, PRO7, Sat1, Premiere, ZDF und die ARD gehören zu den Betreibern einer von der Bertelsmann AG koordinierten Kampagne unter dem Motto "Du bist Deutschland". Diese Medienkampagne zeigt erschreckende Parallelen zur NS-Zeit.

Im November 2005 taucht das Foto einer NS-Kundgebung auf dem Ludwigsplatz in Ludwigshafen in der Öffentlichkeit auf. Der darauf wiedergegebene Slogan "Denn Du bist Deutschland" gleicht dem der seit September 2005 laufenden Kampagne der Medienindustrie. Es ist in etwa 1935 entstanden. (Siehe Foto-Galerie auf dieser Seite.) Abgedruckt ist es in dem 1999 erschienenen, vom Ludwigshafener Historiker und Stadtarchivar Stefan Mörz herausgegebenen Bildband "Ludwigshafen - Ein Jahrhundert in Bildern: Unsere Stadt im 20. Jahrhundert". Weitere Aufnahmen, die damals am selben Tag entstanden sind, belegen, dass auch Gestapo-Gründer Hermann Göring und NS-Propagandaminister Joseph Goebbels an der Kundgebung auf dem Ludwigsplatz teilgenommen haben.

Den Verantwortlichen für die Umsetzung ist es sichtlich unangenehm, dass die Parallelen zur Zeit des Nationalsozialismus offen gelegt sind. Sie versuchen herunter zu spielen. Der Aufmarsch in Ludwigshafen sei vermutlich eine Einzelaktion gewesen, hören wir. Aber es ist nicht nur die Parallele zu dem einen historischen Bild, die Erschrecken auslost. Zu den Vorbildern, die uns die Kampagne per Plakat nahe bringen will, gehören auch die Industriellen August Thyssen und Prof. Ferdinand Porsche sowie der Boxer Max Schmeling:

Über das Thematisieren der historischen Bezüge hinaus lohnt ein Blick auf das Selbstverständnis der Kampagne.  Es geht um Erfolg und Misserfolg, um Macht und Ohnmacht, um die Verantwortung, die jeder einzelne trägt. Dazu als Beispiel in der Foto-Galerie das letzte Bild. 

Screenshot - Kampagne 'Du bist Deutschland'
Screenshot - Kampagne 'Du bist Deutschland'


Werden Militarismus, Imperialismus, Nationalismus und Nationalsozialismus in Deutschland wieder hoffähig?

Offener Brief in Sachen Kampagne 'Du bist Deutschland' an fischerAppelt Kommunikation GmbH, Jung von Matt/next GmbH und Pressebüro 'Du bist Deutschland', Dezember 2005

Sehr geehrter Herr Fischer-Appelt, sehr geehrter Herr Hoffmeister, sehr geehrte Damen und Herren von fischerAppelt Kommunikation GmbH, Jung von Matt/next GmbH sowie vom Pressebüro 'Du bist Deutschland',
wir möchten Sie auf folgendes hinweisen: unter den Plakatmotiven, mit denen Sie eine Aufbruchstimmung in Deutschland stimulieren wollen, befinden sich Persönlichkeiten, die nach unseren Erkenntnissen als äußerst fragwürdig einzuschätzen sind und denen deshalb keine Vorbildfunktion zukommen darf. Insbesondere sind dies Ferdinand Porsche und August Thyssen. Wahrscheinlich sind Ihnen deren Vergangenheit bzw. deren Auffassung nur unvollständig bekannt. Ansonsten ist für uns nicht erklärbar, wie Sie diese Industriellen als Vorbild herausstellen können.

Hier einige Fakten:

'Du bist Thyssen' - Fotomontage: Arbeiterfotografie
Fotomontage: Arbeiterfotografie


August Thyssen (1842-1926)

gründet 1871 die Thyssen&Co KG, residiert auf Schloß Landsberg bei Kettwig,

wird 1910 unter den 100 Reichsten Preußens mit einem Vermögen von 55 Mio Mark an 12. Stelle geführt,

schreibt im September 1914 in einer Kriegszieldenkschrift: "Unsere Armee ist geradezu großartig. Sie stellt alles in den Schatten... Werden wir den Krieg so glorreich durchführen, wie wir ihn begonnen haben, dann werden wir Frankreich und Rußland niederwerfen..." und fordert die Einverleibung Belgiens und von Teilen Frankreichs, hinsichtlich Rußland die Annexion der Ostseeprovinzen, von Teilen Polens, des Don-Gebiets mit Odessa, der Krim und des Kaukasus. Gerade der Kaukasus sei wegen seiner "bedeutenden Erzschätze für Deutschland unentbehrlich".


'Du bist Porsche' - Fotomontage: Arbeiterfotografie
Fotomontage: Arbeiterfotografie


Prof. Dr. Ferdinand Porsche (1875-1951)

wird 1906 Technischer Direktor und 1916 Generaldirektor der Austro-Daimler-Werke,

beginnt 1913 mit der Konstruktion von Zugmaschinen für den Transport schwerer Geschütze,

wird 1912 Ritter des kaiserlich-östereichischen Franz-Josefs-Ordens,

erhält 1916 das Offizierskreuz des Franz-Josefs-Ordens mit Kriegsdekoration für seine vorzüglichen Leistungen auf militärischem Gebiet,

beginnt 1935 im Auftrag Hitlers, auf Basis von Plänen des Tschechoslowaken Béla Barényi, dessen Angebot er 1932 abgelehnt hatte, mit der Konstruktion des später 'Käfer' genannten Kraft-durch-Freude-Wagens,

gründet 1938 die Volkswagenwerke in Wolfsburg, deren Betriebsführer er bis Kriegsende ist,

wird 1937 Mitglied der NSDAP,

wird 1938 Mitglied der SS,

wird Wehrwirtschaftsführer,

ist zusammen mit seinem Sohn Ferry bei Krupp an der Konstruktion von Panzern beteiligt (Panther, Tiger, Leopard, Landmonitor, Superpanzer 'Maus'),

wird 1941 als ständiger Vertreter des Reichsministers für Bewaffnung und Munition Vorsitzender der neu gebildeten Panzerkommission,

gehört ab 1942 dem Industrierat des Oberkommandos des Heeres an,

gehört zu den Industriellen, die bei der SS um KZ-Häftlinge ersuchen,

trifft am 4. März 1944 Reichsführer SS, Heinrich Himmler, um für das Volkswagenwerk zur Fabrikation einer Geheimwaffe 3500 KZ-Häftlinge zu erbitten,

erhält 1941 die goldene Fahne für Musterbetriebe,

gehört 1943 zu denjenigen, die von Hitler persönlich mit dem Ritterkreuz zum Kriegsverdienstkreuz und anderen hohen Orden ausgezeichnet werden, wird von Albert Speer, Reichsminister für Bewaffnung und Munition, in diesem Zusammenhang als einer der führenden Köpfe geehrt, 'die aus den besten Werken der Industrie heraus... in reibungsloser Zusammenarbeit mit den Wehrmachtsstellen ein riesiges Aufbauwerk vollendet haben'



Wir halten es - abgesehen von anderen Fragen - für nicht verantwortbar, Persönlichkeiten in den Vordergrund zu rücken, die sich in einer derartigen Weise profiliert haben. Es darf weder im In- noch im Ausland der Eindruck erweckt werden, als seien Militarismus, Imperialismus und Nationalismus, geschweige denn Nationalsozialismus in Deutschland wieder hoffähig. Wir fordern Sie daher auf, die beiden Motive unverzüglich aus der Kampagne zu entfernen. Das gilt auch für die Einstiegsseite Ihrer website www.du-bist-deutschland.de, auf der das Porsche-Motiv in einer für die Kampagne tragenden Art und Weise erscheint.

In Erwartung Ihrer Stellungnahme verbleiben wir mit freundlichen Grüßen - Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann


Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann sind Mitglieder der Arbeiterfotografie - Forum für Engagierte Fotografie

Email: arbeiterfotografie@t-online.de

Online-Flyer Nr. 24  vom 27.12.2005



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