NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

zurück  
Druckversion

Krieg und Frieden
Kolumbien: Gewaltfreier Widerstand inmitten eines schmutzigen Krieges
Waffentragen verboten!
Von Sebastian Niesar

Vertreter der im Nordwesten Kolumbiens, in der Region Urabá gelegenen Friedensgemeinde San José de Apartado werden am 1. September in Aachen den Friedenspreis im Empfang nehmen. Wichtiger als die damit verbundene Würdigung ist die internationale Öffentlichkeit. Denn von ihr hängt das Überleben der Mitglieder der Gemeinde ab.
Kolumbien ist in mehrfacher Hinsicht einzigartig. Tropische Regenwälder und die Anden bedeuten nicht nur höchste Biodiversität, sondern bieten sich auch als Rückzugsgebiet für die Guerilla und als optimale Anbaufläche für die Coca-Pflanze an. In Kolumbien sind die ältesten und größten Guerillagruppen des Kontinents zu finden, die Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC) und die Ejército Liberación Nacional (ELN). Gleichzeitig sind bewaffnete Gruppen der rechtsgerichteten Paramilitärs aktiv. Opfer aller bewaffneten irregulären Akteure aber auch der regulären Streitkräfte ist zumeist die Zivilbevölkerung. Mit 3,5 Millionen Binnenvertriebenen rangiert Kolumbien an zweiter Stelle nach dem Sudan. Auch unter den Ländern mit der höchsten Anzahl an politischen Morden, getöteten Journalisten oder Gewerkschaftsfunktionären nimmt der südamerikanische Staat eine traurige Spitzenposition ein.

Pazifistische Inseln

Inmitten aller Auseinandersetzungen haben die Bewohner von San José de Apartado den Mut gefunden, sich bewusst von jeglicher Gewalt abzuwenden. Im März 1997 erklärten sie ihr Dorf zur "Friedensgemeinde". Der Besitz und das Tragen von Waffen ist ebenso verboten wie die Unterstützung bewaffneter Akteure, ob mit Informationen oder Logistik. Dies macht sie in den Augen ihrer Gegner gefährlich, denn staatliche Streitkräfte wie Paramilitärs oder Guerilla verfahren nach dem Motto: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns."



   Eine bewusste Entscheidung gegen Gewalt
   

Tatsächlich wird die zivile Bevölkerung in den umkämpften Gebieten genötigt, mit der gerade vor Ort anwesenden Partei zu kollaborieren. Die Bauern werden gezwungen, Botendienste zu verrichten, Informationen weiterzugeben oder Lebensmittel zu liefern. Nicht selten kommt es zu Zwangsrekrutie- rungen. So wird die Zivilbevölkerung zum unfreiwilligen Kollaborateur und damit auch zum militärischen Ziel. Notfalls wird die Zusammenarbeit einfach unterstellt. Allein in San Apartado wurden seit 1997 178 Menschen ermordet, weil sie sich der perversen Kriegslogik entziehen wollten.


Schutz durch internationale Begleitgruppen

 
Angewiesen sind diese pazifistischen Inseln, von denen es mittlerweile etwa zwanzig gibt - auf internationale Unterstützung. Solange ausländische Zeugen vor Ort sind, hält sich der Staat mit repressivem Vorgehen zurück. Bemerkenswerterweise lassen in Kolumbien die Angriffe der Paramilitärs ebenfalls nach.

Organisationen wie peace brigades international (pbi) oder Fellowship Of Reconciliation (FOR) sorgen mit ihrer Begleitarbeit zumindest punktuell dafür, dass die lokalen Akteure ihre Arbeit für Menschenrechte und Frieden fortsetzen können. In San José versuchen die Einwohner mit ihrer Hilfe vor allem ein gewaltfreies und selbstbestimmtes Leben zu führen. Die Gemeinde legt den Akzent auf Basisdemokratie, zivilen Widerstand, aber auch auf die soziale Frage. Viele Tätigkeiten werden kollektiv in Arbeitsgruppen ausgeführt, ein von den Bewohnern gewählter Interner Rat fungiert als höchstes Gremium.

Staatliche Repression

Staatlichen Stellen sind solch autonome Bestrebungen ein Dorn im Auge. Sie versuchen, deren Akteure zu delegitimieren. So sehen sich die Gemeindeführer ständig dem Vorwurf ausgesetzt, mit "Terroristen" zu kollaborieren; willkürliche Verhaftungen sind keine Seltenheit. Zwischen 2002 und 2004 hat sich deren Zahl mehr als versechsfacht. Ziel sind neben den Führungspersonen der humanitären Zonen auch Vertreter sozial engagierter Organisationen, die auf zivilgesellschaftlichen oder juristischen Wegen auf Kolumbiens Missstände aufmerksam machen.

Daneben kommt die ganze Bandbreite des low intensity warfare (Krieg niedriger Intensität) zum Einsatz. So richtete die Polizei in San José de Apartado gleich neben der Friedensgemeinde einen Stützpunkt ein. Angeblich zum Schutz der Bewohner verstieß die Präsenz eindeutig gegen die Neutralität des Dorfes und machte es wieder zu einem potenziellen Angriffsziel. Vor diesem Hintergrund gründeten 400 Einwohner der Gemeinde  eine neue Siedlung - "San Josesito" - in kurzer Entfernung aber in Unabhängigkeit von den bewaffneten Akteuren.


Stein für Stein die Hoffnung aufbauen

Ferner werden die Bewohner des Ortes auch weiterhin Opfer tödlicher Angriffe. Z.B. im Februar 2005 wurden acht Gemeindemitglieder ermordet. Trotz eindeutiger Zeugenaussagen, die Armeeangehörige schwer belasten, ist auch zwei Jahre nach dem Massaker niemand zur Rechenschaft gezogen worden. Der letzte traurige Vorfall ereignete sich am 13. Juli 2007. Ein bekannter Gemeindeführer wurde auf dem Weg nach San José von Paramilitärs erschossen, die Leiche liegen gelassen - keine zwei Minuten zum nächsten Kontrollposten der Polizei.

Profitinteressen

Dass es nicht nur um Politik, sondern auch um handfeste wirtschaftliche Interessen geht, beweist das Beispiel einer anderen humanitären Zone im Chocó. Der Bundesstaat Chocó liegt im Nordosten Kolumbiens an der Grenze zu Panama. Infrastrukturell weit zurück geblieben und eine der ärmsten Regionen Kolumbiens besitzt Chocó dennoch fruchtbaren Boden. Zudem ist es von strategischer Bedeutung.

 
1997 wurden dort im Rahmen der Militäroperation "Genesis" Tausende von Menschen vertrieben. Unter dem Deckmantel der "Aufstandsbekämpfung" wurde Chocó bombardiert und ganze Dörfer niedergemacht. Unmittelbar nach der Vertreibung begannen Unternehmer auf deren Land in Monokultur Ölpalmen anzubauen. Die Ölpalme ist eine höchst lukrative Pflanze. Sie liefert von allen weltweit bekannten Ölsaaten den höchsten Hektarertrag. Sie ist nicht nur für die Kosmetik- und Nahrungsmittelindustrie von Bedeutung, sondern zunehmend auch für die so genannten Biokraftstoffe - innerhalb der EU ein brennend aktuelles Thema.

Nachdem bereits verschiedene Rückkehrversuche der Bewohner durch paramilitärische Gewalt im Keim erstickt worden waren, beschlossen 2006 mehrere Familien mit Unterstützung der Menschenrechtsorganisation "Interkirchliche Kommission Gerechtigkeit und Frieden" ("Jusiticia y Paz") und unter internationaler Begleitung, den Kampf wieder aufzunehmen.


Don Petro Hernández war es auf juristischem Wege gelungen, von seinen 150 Hektar Land dreißig zu retten, neunzig Hektar waren bereits illegal mit Ölpalmen bepflanzt worden. Fünf Hektar stellt er zur Schaffung einer humanitären Zone zur Verfügung, auf der die Familien so lange von Subsistenzwirtschaft leben können, bis auch sie ihr Eigentum zurück erhalten.

Der Anbau und Verkauf von Bananen wird in San Jose kollektiv betrieben

Ölpalme als alternatives Anbauprodukt?
 
Die Chancen stehen allerdings schlecht. Allein in dieser Region haben sich die Palmölunternehmen über 40.000 Hektar angeeignet, 21.142 davon widerrechtlich. Solange die Pflanzungen lukrative Gewinne abwerfen, werden die Palmölunternehmen alles in ihrer Macht stehende tun, eine Rückkehr der rechtmäßigen Eigentümer zu verhindern. Die Oligarchie kann dabei auf ihre traditionell guten Kontakte zum Staat vertrauen. So findet unter militärischer Aufsicht die kontinuierliche Ausdehnung der Anpflanzungen statt, und die Zugänge zu den Plantagen werden von Wachposten der Armee kontrolliert. Gleichzeitig besorgen bezahlte Paramilitärs die Schmutzarbeit. Staatliche Institutionen wie Polizei oder Staatsanwaltschaft tragen mit ihrer Untätigkeit oder durch aktive Vertuschung dazu bei, dass die chronische Straflosigkeit zum Wegbereiter neuen Unrechts wird.


Der Gipfel der Perfidität ist erreicht, wenn der Anbau der Ölpalmen auch noch international subventioniert wird. Im Plan Colombia, den die USA als Plan zur Drogenbekämpfung finanziell massiv unterstützen, wird die Ölpalme als alternatives Anbauprodukt zu Coca definiert. Diese Idee geht an der kolumbianischen Wirklichkeit aber völlig vorbei. Die Kleinbauern verfügen weder über die Ausrüstung noch das Kapital, um Plantagen anzulegen. Die Profiteure des Palmenanbaus bleiben die Großgrundbesitzer und die Industriellen.

 
Auch aus ökologischer Sicht ist die Ausbreitung der riesigen Plantagen fragwürdig. Oft werden dafür Regenwälder abgeholzt oder niedergebrannt. Dabei wird so viel Kohlendioxid  freigesetzt, dass es mehr als hundert Jahre braucht, dieses wieder zu binden. Gleichzeitig werden mit der Vernichtung des Regenwalds einzigartige Ökosysteme zerstört, und der traditionelle Anbau ist mit den großflächigen Monokulturen unvereinbar. Dies führt nicht nur zu Nahrungsmittelknappheit. Die exzessive Plantagenwirtschaft zieht auch Bodenerosion sowie Wasserverschmutzung durch Dünge- und Pflanzenschutzmittel nach sich.


   Subsistenzwirtschaft in San Jose de Apartado

Keine Reaktion aus Bogotà

 
Auf den Ruf nach Rückgabe der enteigneten Flächen und nach einem sofortigen Stopp der Anpflanzungen hat die kolumbianische Regierung genauso wenig reagiert wie auf ein Urteil des Interamerikanischen Gerichtshofs vom 15.März 2005. Darin wurde sie aufgefordert für den Schutz der Gemeinden zu sorgen, die humanitären Zonen zu respektieren und Neuanpflanzungen zu stoppen.
 
Die ausbleibende Reaktion aus Bogotá bedeutet für die Einwohner der Friedensgemeinden eine fortgesetzte Bedrohung ihrer Existenz. Umso wichtiger ist ihr andauernder Widerstand und die nationale und internationale Unterstützung und Berichterstattung. Insofern ist es besonders begrüßenswert, dass das Aachener Konsortium einen kleinen Beitrag dazu leistet, auf die Missstände in Kolumbien aufmerksam zu machen und die mutige Arbeit der pazifistischen Inseln im Meer der Gewalt zu honorieren. (YH)

[1] Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens
[2] Nationales Befreiungsheer


Alle Fotos:
www.cdpsanjose.org/
Der vollständige Artikel ist nachzulesen unter http://www.imi-online.de/2007.php3?id=1605



Online-Flyer Nr. 107  vom 08.08.2007

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE