NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

zurück  
Druckversion

Inland
Strategie von Arzneimittelkonzernen wie BAYER für die Entwicklungsländer:
Mordsgeschäfte
Von Hans Georg

Die deutsche Pharmaindustrie verlangt umfassende Profitgarantien für ihre Mitwirkung an der Bekämpfung von AIDS, Malaria und Tuberkulose in Entwicklungsländern. Die Mittel sollen von Fonds der Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen zur Verfügung gestellt werden, deren Aufstockung beim G8-Gipfel im Juni beschlossen worden war. Dazu üben die Unternehmen erheblichen Druck auf UN-Abteilungen aus, die für die Bekämpfung tropischer Armutskrankheiten zuständig sind.
Gefordert werden umfassender Patentschutz und Abnahmegarantien für die Medikamente, privilegierte Marktzugänge insbesondere in den Staaten Afrikas, der westlich orientierte Ausbau des dortigen Gesundheitswesens und die Ausbildung medizinischen Personals unter der Ägide der Arzneimittelkonzerne. Außerdem soll die Pharmaforschung subventioniert werden. Die Vereinten Nationen haben sich ihrerseits im Rahmen so genannter Public Private Partnerships auf eine enge Kooperation mit der Industrie festgelegt und sind zur Erfüllung von deren Bedingungen praktisch gezwungen. Zu den Profiteuren gehört der deutsche BAYER-Konzern, der sich die Erprobung eines umstrittenen Tuberkulose-Medikaments aus einem internationalen Hilfsfonds finanzieren lässt. Angebliche Hilfsgelder für die globalen Armutszonen fließen auf diese Weise nach Deutschland zurück.


Der HIV-infizierte Bluter Todd Smith protestiert seit Jahren gegen die BAYER AG | Foto: cbgnetwork.org

Folgen von Heiligendamm
 
Anlass der jüngst vorgetragenen Forderungen der deutschen Pharmaindustrie war die Ankündigung der sieben reichsten Industrienationen und Russlands auf dem G8-Gipfel im deutschen Heiligendamm. Dort hatte es geheißen, man wolle den 2002 von den Vereinten Nationen eingerichteten "Globalen Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria" bis 2010 mit insgesamt 44 Milliarden Euro ausstatten.[1] Der Anteil der Bundesrepublik beläuft sich auf 400 Millionen Euro. Im Rahmen sogenannter Public Private Partnerships soll die Versorgung der größtenteils in Entwicklungsländern lebenden Kranken mit lebenswichtigen Medikamenten den führenden westlichen Arzneimittelunternehmen überlassen werden. AIDS, Tuberkulose und Malaria fordern jährlich etwa sechs Millionen Todesopfer weltweit - unter anderem, weil die notwendigen Präparate für die Betroffenen oftmals unerschwinglich sind.
 
Keine Einfuhrzölle
 
Die deutschen Forderungen betreffen unter anderem die Lieferung von HIV/AIDS-Medikamenten an afrikanische Staaten. Dazu verlangte der Vorsitzende des deutschen Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (VFA), Dr. Dr. Andreas Barner, von der Weltgesundheitsorganisation WHO und internationalen Hilfsorganisationen verbindliche "Voraussagen über die benötigten Präparatemengen" und eine "systematische Bedarfsplanung".[2] Um ihren Bevölkerungen den Zugang zu den lebenswichtigen Medikamenten zu ermöglichen, müssten die afrikanischen Staaten außerdem für die "Abschaffung der noch immer weit verbreiteten Einfuhrzölle und Steuern auf Medikamente" sorgen. Nur so könne der "Boden für mehr internationale Hilfe" unter Beteiligung der Pharmaunternehmen bereitet werden, erklärte Barner.
 
Profitgarantien
 
Die Strategie der Arzneimittelkonzerne, die Lieferung lebensnotwendiger Medikamente an die Armen in Entwicklungsländern von Steuererleichterungen und Profitgarantien abhängig zu machen, setzt sich auf dem Gebiet der Patentrechte fort. Ohne diese Rechte, so Barner, würden die Unternehmen "das Interesse verlieren, erfinderisch tätig zu sein", da jeder "beliebige Wettbewerber" sie um die "Früchte der Arbeit" bringen könne.[3] Durch Patentgebühren werden die Preise für Medikamente gegen HIV/AIDS und andere Armutskrankheiten wie Tuberkulose und Malaria künstlich hochgehalten. Dies beschert der Pharmaindustrie unabhängig von den Produktionskosten hohe Extragewinne. Ihr Kampf für den "Schutz des geistigen Eigentums" richtet sich insbesondere gegen indische Arzneimittelhersteller, die die in Entwicklungsländern benötigten Präparate weit günstiger produzieren als ihre westlichen Konkurrenten und sie damit für die Betroffenen überhaupt erst bezahlbar machen.[4]
 
Optimierter Vertrieb
 
Der VFA-Vorsitzende Barner hingegen hält es für einen "Irrtum", dass "Gesundheitsprobleme" durch das "Brechen von Patenten" gelöst werden könnten.[5] Er fordert stattdessen von den Entwicklungsländern, die "Kompetenzen der forschenden Pharmaunternehmen" künftig verstärkt in ihre Gesundheitsprogramme einzubeziehen und in eine "solide Gesundheitsinfrastruktur", insbesondere in das Apothekenwesen, zu investieren. Vom Ausbau des Gesundheitssektors und der Schulung medizinischen Personals unter ihrer Ägide erhoffen sich die deutschen Arzneimittelkonzerne einen optimierten Vertrieb und damit eine Erhöhung des Absatzes ihrer Produkte.


BAYER-Bosse in der Hauptversammlung 
Foto: arbeiterfotografie.com
 
Forschungsförderung
 
Exemplarisch führt die deutsche BAYER AG vor, wie angebliche Hilfsgelder in die Wohlstandszentren der westlichen Welt umgelenkt werden sollen. Der Pharmariese versucht derzeit mit Unterstützung einer internationalen Hilfsorganisation, sein Antibiotikum Moxifloxacin auf den Märkten der Entwicklungsländer zu etablieren. Die "Global Alliance for TB Drug Development" (TB Alliance), die ihre Geldmittel von privaten Stiftungen und den Regierungen der USA, Großbritanniens, der Niederlande und Irlands erhält, finanziert mit 100 Millionen Dollar eine aufwändige Testreihe, die die Wirksamkeit von Moxifloxacin gegen Tuberkulose (TB) unter Beweis stellen soll. Die Forschungsförderung, die BAYER gewährt wurde, umfasst nach Aussage der TB Alliance Marktanalysen ("analyze drug market conditions") sowie die Zusammenarbeit mit politischen Entscheidungsträgern, Arzneimittelhändlern und Anwälten in Entwicklungsländern.[6] Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass Moxifloxacin dort innerhalb kürzester Zeit nach Abschluss der Erprobungsphase als Standardmedikament zugelassen wird ("ensure the rapid adoption of a new drug regimen").
 
„Millions of doses“
 
Kritiker ziehen die Wirksamkeit von Moxifloxacin gegen Tuberkulose in Zweifel und verweisen auf gravierende Nebenwirkungen des Medikaments. Die Warnung erinnert an Ergebnisse unabhängiger Studien, denen zufolge deutsche Pharmakonzerne in Entwicklungsländern oft unsinnige und unwirksame Medikamente auf den Markt bringen. Wirksam hingegen sind die Gewinne. Das gilt auch für die Bayer AG und das umstrittene Moxifloxacin.[7] Das Unternehmen, das jährlich Moxifloxacin-Präparate im Wert von mehr als 500 Millionen Dollar absetzt, erwartet von positiven Testergebnissen den zusätzlichen Verkauf von Millionen Arzneimittelgaben ("millions of doses") in den Entwicklungsländern. (PK)
 
[1] s. auch Strategie der Spannung
[2], [3] Richtige Weichenstellungen für Aids-Bekämpfung in Afrika; Pressemitteilung des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller e.V. Nr. 023/2007, 08.06.2007
[4] s. dazu Mordsgeschäfte und Abwehrbündnis
[5] Forschende Pharmaindustrie entschlossen, die Gesundheit in Afrika zu verbessern; Pressemitteilung des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller e.V. Nr. 021/2007, 31.05.2007
[6] New TB Drugs Urgently Needed to Replace Treatment from the 1960s. Second Gates Grant to TB Alliance Quadruples Initial Support; tballiance.org
[7] s. dazu Mordsgeschäfte
 
Mehr: www.german-foreign-policy.com 

Online-Flyer Nr. 104  vom 18.07.2007

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE