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Inland
VW-Korruptionsaffäre ähnelt dem sächsischen Polit- und Justizskandal
Sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern
Von Hans Georg

Geständnisse in der Korruptionsaffäre um den staatlich kontrollierten Volkswagen-Konzern offenbaren Parallelen zum jüngsten sächsischen Politskandal (siehe NRhZ 97). Demnach standen kriminelle Aktivitäten bei VW mit „Lustreisen" in Verbindung. Um das Produktionsmanagement hochrangiger Firmenvertreter zu fördern und die internationale Konzernexpansion mit fügsamen Arbeitervertretern zu erleichtern, wurden auf Betriebskosten Prostituierte besorgt.

„Lustreisen“ in arme Länder

Die Wolfsburger Machenschaften gingen nicht nur zu Lasten der tschechischen VW-Tochter Skoda und ihrer Mitarbeiter; sie knüpften auch an weltweite Strukturen sexueller Ausbeutung an, die zahlreiche Frauen in den globalen Armutsgebieten veranlassen, ihren Lebensunterhalt durch gering bezahlte sexuelle Dienste für Männer aus den westlichen Wohlstandszentren zu sichern.


VW – immer auf der Suche nach „Käfern"?
Foto: Hannes Berzsenyi/Pixelio.de


So genannte Lustreisen, oft auch Sextourismus genannt, werden von Frauen- und Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert, da es dabei immer wieder zu sexueller Gewalt und zum Missbrauch von Kindern vor allem aus armen Ländern kommt. Wie dieses Geschäft funktioniert und welche Interessen es bedient, zeigen Enthüllungen aus Leipzig. Zu den wichtigsten Staaten, von denen Sextourismus ausgeht, gehört Deutschland.

Erste Informationen über die aktuelle Korruptionsaffäre im Volkswagen-Konzern, bei dem das Bundesland Niedersachsen Großaktionär ist, drangen bereits im Juli 2005 an die Öffentlichkeit. Auslöser war die fristlose Entlassung des deutschen Personalvorstands von Skoda; die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen des Verdachts auf Untreue und Betrug. Dem Vorstandsmitglied wird vorgeworfen, über Tarnfirmen Gelder der tschechischen VW-Tochter abgezweigt und sich persönlich bereichert zu haben. Mehrere Mitglieder des Betriebsrates wurden mit Zuwendungen aus der Konzernkasse bestochen: Bargeld, Luxusreisen und kostenfreie Dienstleistungen von Prostituierten.

Lustreisen als „Highlights"

Details werden jetzt durch ein Geständnis des früheren VW-Personalreferenten Klaus-Joachim Gebauer bekannt. Wie Gebauer in der vergangenen Woche einräumte, waren so genannte Lustreisen „Highlights" im firmeninternen Bestechungssystem. Mitgliedern des Betriebsrats (darunter Bundes- und Landtagsabgeordnete der SPD sowie Gewerkschafter) wurden Auslandsreisen nach Asien und Lateinamerika finanziert – sexuelle Dienste inklusive. Gebauer berichtet, dass ein SPD-Parlamentarier die Kontakte ins Hannoveraner Rotlichtmilieu organisiert haben soll, und beschreibt, wie an ausländischen Tagungsorten „Sondierungen" vorgenommen wurden.


VW-Türme in Wolfsburg
Foto: Steffie Pelz/Pixelio.de


Zeitweise sei es zu Konflikten gekommen, weil deutsche Betriebsräte sexuelle Dienstleistungen verlangten, die aus der Firmenkasse nicht oder nicht ausreichend bezahlt worden waren.[1] Bei Volkswagen habe eine „Atmosphäre" geherrscht, „in der ich die Bodenhaftung verloren habe", resümiert ein jetzt verurteilter Mittäter das Klima der systematischen Indienststellung sexueller Lüste für Zwecke der Konzernexpansion.

Bestechungen wegen DDR-Immobilien

Damit weist die VW-Korruptionsaffäre strukturelle Ähnlichkeiten mit dem sächsischen Polit- und Justizskandal auf. Auch dort scheinen Bordellbesuche bei ausufernden Geschäftstätigkeiten geholfen zu haben. Zentrum der Begehrlichkeiten waren wertvolle Immobilien, die aus dem Gesellschaftsvermögen der DDR stammten. Um sie möglichst billig in Besitz zu nehmen, mussten Entscheidungsträger bestochen werden. Während das Stillschweigen im VW-Konzern fragwürdigen oder ungesetzlichen Praktiken im Produktions- und Managementprozess galt, galt es im Fall der sächsischen Immobilien einer widerrechtlichen Enteignung öffentlichen Grundbesitzes. In beiden Fällen wurde Dritten Zwang angetan, um die Vermögensvorteile zu erschleichen: Ausländische Prostituierte und Kinder waren die Opfer. Wie das Sächsische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) in Erfahrung gebracht haben will, sollen Frauen aus der Tschechischen Republik nach Leipzig verbracht worden sein, um in den oberen Etagen des Rathauses das Politpersonal zu bedienen. Leipziger Oberbürgermeister war Wolfgang Tiefensee (SPD), der heutige Minister im Kabinett Merkel.[2] Tiefensee streitet ab, zu den Begünstigten der sexuellen Zwangsveranstaltungen gehört zu haben. Wie in Leipzig kam es auch im Wolfsburger VW-Konzern zur Ausbeutung ausländischer Frauen – Prostituierte aus Asien und Lateinamerika.

Vietnamkrieg war der Anfang

Dass mehrere asiatische Küstenstaaten zu einem Eldorado des Bestechungs- und Ausbeutungssystems geworden sind, ist einer weiteren Form widerrechtlicher Aneignungen geschuldet: Kriegsereignissen. Die asiatische Massenprostitution, auf die bei VW zurückgegriffen wurde, begann während des Vietnamkriegs. Damals schickte das Pentagon seine Soldaten zum Fronturlaub nach Thailand („Rest and Recreation"). Schon bald „schnellte die Prostitution in neue Höhen", berichtet Terre des hommes: „Mit dem Versprechen auf eine gute Ausbildung oder einen Job wurden immer mehr, besonders auch junge Mädchen aus ihren Dörfern nach Bangkok gelockt, wo sie mit Schulden, Drohungen und Gewalt in die Prostitution gezwungen wurden."[3] Bereits 1974 schätzte die thailändische Polizei die Zahl der Frauen und Mädchen, die in den Bordellen der Hauptstadt US-Soldaten sexuelle Dienste anboten, auf 400.000. „Nach dem Abzug der amerikanischen Truppen", heißt es bei Terre des hommes weiter, „übernahmen westliche Touristen die 'sexuelle Infrastruktur' des Landes" - Sextouristen jeder Art, im höheren Sozialsegment ganze Managergruppen international tätiger Firmen.


In Vietnam, wo alles begann
Foto: Ulla B./Pixelio.de

Ihnen kommt das Wohlstandsgefälle zwischen den südostasiatischen, lateinamerikanischen und afrikanischen Armutsgebieten und den westlichen Wohlstandszentren zugute. „Eine kambodschanische Kellnerin, die ich vor drei Monaten traf, arbeitet 14 Stunden am Tag und verdient damit 15 Euro im Monat", berichtet der Tourismuswissenschaftler Dr. Franck Michel: „Ihre Freundinnen, die sich an die westlichen Touristen verkaufen, verdienen mehr als das innerhalb von zwei Stunden."[4] Die in Aussicht stehenden Gehälter - für die anreisenden westlichen Sextouristen ein Spottpreis – locken nicht nur zahlreiche Frauen an, sondern auch Menschenhändler, die Kinder aus ländlichen Gebieten und städtischen Slums sexuellem Missbrauch preisgeben. Allein in Thailand gehen heute „realistische Schätzungen von 100.000 bis 150.000 Kindern" aus, die westlichen Männern zur Verfügung stehen müssen.[5]

Mehrere deutsche Politiker unter der Decke

Zu den wichtigsten Staaten, von denen Sextourismus ausgeht, gehört Deutschland. „Experten schätzen (...), dass sich alleine 50.000 deutsche Männer in jedem Jahr im Ausland an Minderjährigen vergreifen", heißt es in der offiziösen Bundestags-Zeitung „Das Parlament".[6] Viele der Opfer sind zwischen sieben und elf Jahre alt. Obwohl der Missbrauch von Kindern nach deutschem Gesetz inzwischen auch im Ausland verboten ist, werden die Täter nur in den seltensten Fällen zur Rechenschaft gezogen. Ob dies im Fall der jetzt bekannt gewordenen Leipziger Zwangsveranstaltungen gelingt, bei denen „Frischfleisch" [7] aus der CSR feilgeboten worden sein soll, ist mehr als fraglich. Obwohl die Namen mehrerer deutscher Politiker bekannt sind, die in einem Bericht des Sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz als Beschuldigte auftauchen, wird ihre Identität seit Wochen von den deutschen Medien unter der Decke gehalten – aus Angst und Devotion in einem Wirtschaftssystem, das die sexuelle Ausbeutung zu einer Spielart staatlicher und privater Gewalt macht. (PK)

[1] Selbstoperation ohne Blutvergießen; Handelsblatt 15.06.2007
[2] Auf Fallhöhe; Berliner Zeitung 15.06.2007
[3] Kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern im Tourismus
[4] „Westliche Männer und Frauen suchen Macht"; Kulturaustausch online 2/2007
[5] Kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern im Tourismus
[6] Jeannette Goddar: Die Ausbeuter; Das Parlament 11.06.2007
[7] s. dazu Profiteure und Paten in NRhZ 97

Siehe auch german-foreign-policy.com

Online-Flyer Nr. 101  vom 27.06.2007



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