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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Lokales
Euromarschierer machen Station und setzen Köln in Bewegung
Der lange Euro-Marsch
Von Carl H. Ewald

Am Samstag, den 26. Mai kamen sie in Köln an: Rund 70 Globalisierungskritiker, „Euromarschierer“ aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Japan auf ihrem Weg zum diesjährigen G8-Gipfel in Heiligendamm. Und sie wurden empfangen: zuerst, wie es sich gehört, im Kölner Rathaus – bemerkenswerter Weise ausschließlich von der Linksfraktion – und anschließend von etwa 200 heimischen Teilnehmern bei der zentralen Kundgebung auf dem Roncalliplatz.

Was passiert im eisernen Käfig?

Dass große Teile der Bevölkerung nur mangelhaft informiert sind, worüber sich Bush, Merkel, Sarkozy und Co. auf dem Gipfel beraten wollen, stellte sicher ein weiteres Motiv für die Kundgebung in Köln dar. Denn die deutsche Presselandschaft prangt fast ausschließlich von Berichten über mögliche „quasi terroristische Anschläge“ auf den eisernen Käfig von Heiligendamm und die Schnüffelkünste staatsschützender Schäferhunde. Jedes Kind weiß hierzulande, dass es eine „No-Go-Area“ von 200 Metern vor dem mit Natodraht bestückten Zaun um das Ostseebad gibt. Worüber sich die wirtschaftsmächtigen Staatsoberhäuptlinge überhaupt beraten wollen, weiß man dagegen weniger.

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de

So sieht Heinrich Piotrowski von attac Köln die Ursachen dafür unter anderem darin,  „dass es solche Mediengruppen wie Bertelsmann gibt, die auf der einen Seite die Politik beraten, auf der anderen Seite aber eigene Fernsehanstalten besitzen, um das, was sie der Politik sagen, auch der Bevölkerung zu vermitteln... Kritik am G8-Gipfel kommt da relativ wenig auf. Aber gerade wegen der Medienaufmerksamkeit ist es für uns wichtig, hier auch eine Gegenöffentlichkeit zu haben!“, auch um der medialen Verdummung entgegen zu wirken, möchte man hinzufügen.

    „Geiz ist geil und Hass ist krass.
    Gier ist cool und Neid macht Spaß

    Alt ist arm und arm ist Flop.
    Krank ist ex und ex ist hopp.

    Stark macht hart!
    Hart macht reich!

    Macht macht smart!
    Ohnmacht macht weich!

    Dreist kommt gut.
    Und link ist schlau.
    Frech macht frisch
    Und Kampf ist schlau...“


Wilfried Schmickler: Nicht mitternachts aber trotzdem mit spitze Spitzen
Foto: Hans-Dieter Hey

Dieses Stakkato aus erdachten und leider authentischen Werbesprüchen warf Wilfried Schmickler den Teilnehmern der Kundgebung um die Ohren. Der bundesweit bekannte Kabarettist kritisierte so sehr treffend die vorgebliche Philosophie einer Gesellschaft, die sich längst schon selbst ausverkauft hat.

Gemeinsamer Kampf ist noch schlauer...


Zugegeben, Schmicklers Kritik erscheint auf den ersten Blick nicht sehr differenziert, aber vielleicht trifft sie gerade deshalb den Punkt, an dem die Fäden zusammenlaufen. Denn – wie auf der Kundgebung am Dom klar wurde – die wirtschaftliche Globalisierung, Sozialraub und „prekäre“ Beschäftigungsverhältnisse in ganz Europa, Flüchtlingsströme aus dem Süden des Planeten, die in europäischen Zäunen verbluten, und die neue atomare und polizeiliche Weltordnung von George W. Bush und Konsorten stehen sehr wohl miteinander in Zusammenhang. Sie sind verflochten, in Köln sagt man „verklüngelt“. Und – ein Grundtenor auf der Kundgebung – es ist höchste Zeit, dass sich die Gegner dieser Entwicklung auch zusammentun:

„Wir müssen lernen, dass die unterschiedlichen Aktions- und Ausdrucksformen, die es gibt, uns nicht trennen dürfen... Bevor wir uns darüber streiten, sollten wir lieber für das gemeinsame Ziel weiter kämpfen... Darum ist es wichtig, hier und heute nicht nur für die Anhebung der Mietobergrenzen für Arbeitslosengeld-II-Empfänger oder für die Abschaffung der 1-Euro-Zwangsarbeit zu streiten. Nein, wir streiten auch für europäische und globale Forderungen nach gleichen sozialen Mindeststandards für alle Menschen überall! Solange es irgendwo auf der Welt Kinderarbeit oder Sklaven gibt, wird man uns hier vorwerfen, dass wir zu teuer seien! Solange es keine sozialen Mindeststandards auf der Welt gibt, wird man versuchen, uns gegeneinander auszuspielen – in Konkurrenz...“, sagte Heinz-Peter Fischer von „Kölner Erwerbslose in Aktion“.

Und wie im Anschluss daran fügte die Sprecherin von „kein mensch ist illegal“ hinzu: „Diese Konkurrenz ist Bestandteil der globalisierten kapitalistischen Wirtschaft: Ausbeutung und Prekarisierung von Menschen sind wie die Maximierung von Gewinnen Teil EINES Systems. Und an diesem System sind nicht nur die WTO, der internationale Währungsfond und die Weltbank beteiligt, daran sind auch maßgeblich die G8-Staaten beteiligt, deren Vertreter sich in diesem Jahr in Heiligendamm treffen!“


Mamonpriester am Dom
Foto: Christine Schmidt


Neue Formen des Protests


„WTO und Weltwirtschaft“ ist ein trockener Name für den Kölner Arbeitskreis von attac, aber die Darbietung der Gruppe war ganz und gar nicht so: Sarkastisch-spritzig stellten die Globalisierungskritiker in einer kleinen Straßentheateraufführung die „Großen Acht“ Wirtschaftsnationen dar, die, angeführt von einem Hohenpriester des Mammons, neben dem Klima und dem afrikanischen Kontinent gleich auch die Demokratie auf dem Altar des Neoliberalismus opferten: „Für die Freiheit der Märkte!“, riefen die Mammongläubigen im Chor.

Als lebendes Friedenssymbol und stellvertretend für jeden Atomsprengkopf, der auf US-amerikanischen Basen in Deutschland lagert, hielten die Teilnehmer zum Schluss der Kundgebung 150 orange Plakate mit der Unterschrift „Stop G8“ und „No Bombs“ hoch. „Europe for Peace“, eine europaweite Initiative der Humanistischen Bewegung zum Bann sämtlicher Atomwaffen und dem Abzug der völkerrechtswidrigen Besatzungstruppen und Militärbasen, hatte unlängst in Prag für Furore gesorgt: Zeitgleich mit der Kundgebung in Köln protestierten rund 4000 Menschen gegen die Errichtung des geplanten US-amerikanischen nuklearen „Abwehrsystems“ in der Tschechischen Republik. Das angeblich gegen die Gefahr einer iranischen Atombombe gerichtete Abwehrschild hatte für erhebliche Irritationen in Russland gesorgt.


Das fünfte menschliche Friedenszeichen in Köln
Foto: Reiner Willy


„Stell dir vor, dass der Mensch eines Tages nicht mehr an die Gewalt glaubt…den anderen nicht mehr seinen Glauben aufzwingt und seine Mitmenschen nicht mehr ausbeuten wird… Stell dir vor, dass der Mensch eines Tages erkennt, dass jeder Mensch wichtig ist und kein Mensch wichtiger als ein anderer ist, dass keine Nation wichtiger als eine andere ist … Und wenn das passiert, wird es auch dank uns möglich sein, uns, die heute hier stehen, und dank aller anderen, die sich nicht vor der Gewalt und vor den Mächtigen in der Geschichte gebeugt haben…“, sagte Karin Geissler – sicherlich nicht nur – für die Kölner Humanisten.

Weitere Fotos in der Galerie der aktuellen Ausgabe



Online-Flyer Nr. 97  vom 30.05.2007



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