NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 24. April 2024  

zurück  
Druckversion

Globales
Ziel deutscher Außenpolitik: die Zerstückelung Jugoslawiens
Bei den Serben im Kosovo - Teil II
Von Eckart Spoo

Das Gezeter von Düsseldorfer Kommunalpolitikern, verstärkt durch Tiraden in Medien wie dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, machte es dem Schriftsteller Peter Handke vor einem Jahr unmöglich, den Düsseldorfer Heinrich-Heine-Preis anzunehmen. Daraufhin ersannen Autoren der Berliner Zeitschrift „Ossietzky“, Künstler und Wissenschaftler spontan den Berliner Heinrich-Heine-Preis und sammelten - unterstützt auch von der NRhZ - bei mehr als 500 Spendern das stattliche Preisgeld von 50.000 Euro, wobei von vornherein klar war, daß Peter Handke das Geld nicht für sich behalten, sondern an die Menschen im „Elendstrichter“ des Kosovo weitergeben wollte. Auf seiner Osterreise nach Velika Hoca wurde Handke u.a. vom „Ossietzky“- Redakteur Eckart Spoo begleitet. Hier die Fortsetzung seines Reiseberichts aus NRhZ 94.


Peter Handke und der Bürgermeister von Velika Hoca
Peter Handke und der Bürgermeister von Velika Hoca
Foto: Gabriele Senft

II.

Die systematische Zerstückelung Jugoslawiens seit 1991 hatte zur Folge, daß viele Hunderttausende Menschen ihre Heimat verlassen mußten, in der ihre Familien seit Jahrhunderten ansässig waren. So erging es zum Beispiel den Serben, die, als Kroatien die Unabhängigkeit erhielt, aus der Krajina vertrieben wurden, einem Teil Kroatiens, der bis dahin überwiegend serbisch besiedelt war. Der Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina löste neue Flüchtlingsströme aus. 1999 begann dann während des Bombenkriegs der NATO die Vertreibung der Serben und Roma und anderer Bevölkerungsgruppen aus der zumeist von Albanern bewohnten serbischen Provinz Kosovo. Albanische Zivilisten fanden damals vor den Bomben Schutz in großen Lagern, die die NATO hinter den Grenzen Albaniens und Montenegros errichtet hatte. Derweil mußten andere Bevölkerungsgruppen nicht nur die allnächtlichen Bombardements erdulden, sondern auch den Terror der von NATO-Staaten ausgerüsteten und angeleiteten kosovo-albanischen Nationalisten. Dieser Terror ging weiter, als der Bombenkrieg beendet war und deutsche, britische, französische, US-amerikanische, auch russische, georgische, italienische, österreichische Truppen und die Vereinten Nationen die Verantwortung für Sicherheit und Ordnung in der Provinz übernahmen. Immer wieder wurden beispielsweise aus dem Mittelalter stammende, zum Weltkulturerbe gehörende serbisch-orthodoxe Kirchen und Klöster überfallen, in Brand gesteckt, zerstört. Viele Menschen wurden Opfer solcher Überfälle. Mehr als 200.000 Serben verließen Kosovo und zogen nach Zentralserbien, wenngleich sie dort nichts Besseres erwartete als eine klägliche Existenz in Flüchtlingslagern, denn das ganze Land war nach den NATO-Bombardements und nach jahrelangem Embargo verarmt.


Das zertörte Serbenviertel von Prizren
Das zertörte Serbenviertel von Prizren
Quelle: wikipedia


Um die noch verbliebenen Serben im Kosovo kümmerten sich ausländische Soldaten in der Weise, daß sie zum Beispiel in etlichen Orten um die Kirche, in der ein Pope als letzter Serbe ausharrte, dicke Stacheldrahtverhaue zogen und die Zufahrten mit Panzern verstellten. Ebenso wurden einzelne noch von Serben bewohnte Dörfer oder Stadtviertel abgesperrt. Die Bewohner erhielten militärische Begleitung, wenn sie die Enklaven verließen.

Eine solche Enklave wollten wir – der Schauspieler und aktive Gewerkschafter Rolf Becker, die Fotografin Gabriele Senft und ich – in der Stadt Prizren besichtigen, dem Hauptort der deutschen Besatzungszone im Kosovo. Rolf Becker wandte sich vorher an das deutsche Verteidigungsministerium in Berlin und ersuchte darum, uns den Zugang zu dieser Enklave zu ermöglichen. Die Antwort lautete: „In Prizren gibt es keine serbische Enklave mehr.“ Die Bewohner seien wegen albanischer Angriffe wegtransportiert und auf Bundeswehrgelände „sicher und gut untergebracht“ worden; inzwischen lebten sie in Flüchtlingslagern in Zentralserbien.

Wir fahren nach Prizren und treffen dort am Beginn der Straße, die in die frühere Enklave führt, zwei Bundeswehrsoldaten, die diese Auskunft bestätigen. Angeblich, sagt einer, lebe noch ein alter Serbe irgendwo in den Trümmern, aber er wisse das nicht genau, er habe ihn nie zu Gesicht bekommen...

Wir gehen die Straße hoch, schauen in einige Trümmergrundstücke hinein, sehen verkohlte Balken, herausgerissene Fenster, drinnen Reste von Möbeln, einen Frauenschuh, einen Kinderschuh. An den Straßen Schilder, die dort schon vor 2004 angebracht waren. „KFOR-Area“ steht darauf; wir befinden uns also auf einem Gelände, für das die internationale Streitmacht im Kosovo (Kosovo Force) besondere Verantwortung übernommen hat. Weiter steht auf den Schildern: „Betreten verboten. Vorsicht, Schußwaffengebrauch“ in vier Sprachen: deutsch, englisch, albanisch, serbisch. Als aber im März 2004 Albaner anrückten und die ersten Häuser in Brand steckten, hinderte die anwesende Bundeswehr sie nicht daran; sie sah ihre Hauptaufgabe darin, die Opfer des Überfalls abzutransportieren. Nicht alle überlebten den Pogrom. Damit war die ethnische Säuberung Prizrens abgeschlossen.

Oberhalb der Enklave, auf dem Vorplatz einer geschlossenen Kirche, hat die Bundeswehr 1999 einen Schießstand eingerichtet. Viele deutsche Politiker haben sich hier bis 2004 gemeinsam mit Soldaten fürs Fernsehen filmen lassen und jedesmal versichert, Deutschland und seine Streitkräfte garantierten die Sicherheit der Bewohner. Die Garantie taugte nicht viel.

Wozu sind die Soldaten jetzt noch an diesem Platz? Einer von ihnen sagt uns: „Wir sind quasi zur Dekoration hier. Manchmal fahren wir noch Patrouillen, aber das übernimmt mehr und mehr die hiesige Polizei.“ Denn in Prizren und Umgebung bis zur albanischen Grenze gebe es ja keine Serben mehr außer einigen wenigen, die, zum Beispiel durch Heirat, in die albanische Gesellschaft eingebettet seien.

An die Toten, die der Pogrom von 2004 forderte, erinnert nichts.

Über vielen Gebäuden und Denkmälern weht die albanische Nationalfahne: ein schwarzer Adler auf rotem Grund – als gehörte Kosovo zu Albanien. Und als wäre vollendet, was im Zweiten Weltkriegs unter italienischer und deutscher Besatzung die Kämpfer der albanischen „Liga von Prizren“ und der albanischen SS-Freiwilligendivision „Skanderbeg“ durch Massenmord an den serbischen Nachbarn angestrebt hatten: ein ethnisch gesäubertes Großalbanien, wozu übrigens auch Teile Makedoniens gehören sollten.


Eckart Spoo wird anlässlich der Reise mit Peter Handke in drei weiteren Beiträgen über die Lage im Kosovo berichten.



Online-Flyer Nr. 95  vom 16.05.2007

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE