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Aktueller Online-Flyer vom 18. April 2024  

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Lokales
Impressionen vom Kölner Bundeswehr-Gelöbnis
Mit dem Kreuz ans Schwert.
Von Hans-Detlev von Kirchbach

Es sollte wohl ein erhebender, fast heiliger Moment werden, wäre es nach den Initiatoren des öffentlichen Jubiläums-Gelöbnisses zum 50. Jahrestag der Bundeswehr vor dem Kölner Dom gegangen. Im Dom selbst, bei einem "ökumenischen" Gottesdienst, im feierlich beschworenen Schulterschluss zwischen Priesterornat und Soldatenrock, war die weltliche und göttliche Ordnung noch intakt. Herrschte doch im Meisnerschen Militärtempel die traditionell "intensive Verbundenheit der Bundeswehr mit der Kirche", wie auf der offiziellen Internetseite der Luftwaffe verkündet wird.

Mit solcher Harmonie war vor den Toren der Kathedrale allerdings Schluss. Nicht nur, dass bereits seit 6 Uhr früh Friedensaktivisten mit Tischen und Transparenten vor dem abgesperrten Areal des Roncalliplatzes standen, in dem für einen Tag die Bundeswehr das exklusive "Hausrecht" ausübte. High noon, zur Mittagsstunde, kam's noch schlimmer: Kaum wurde die Gelöbnisformel vorgesprochen und von den angetretenen Rekruten unisono wiederholt, erhob sich ein Choral von Alarmtröten, Trillerpfeifen und Buhrufen. Von der Gelöbnis-Zusage der Soldaten, "Recht und Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen", schien zumindest ein Teil des "deutschen Volkes" wenig angetan zu sein. Der lautstarke Protest ließ auch beim anschließenden Absingen des so genannten "Deutschlandliedes" nicht nach. Das störte den weihevollen Höhepunkt der Gelöbniszeremonie doch erheblich, und so hätten einige der angereisten Verwandten und Freunde der vereidigten Rekruten am liebsten mit "Schlagstock" oder "MP" die Störenfriede bzw. Militärstörer zum Schweigen gebracht. Man erinnert sich: Die Bundeswehr ist bekanntlich die "größte Friedensbewegung" im Lande.

Transparent am Dom empört Wehrfreunde

Die Empörung der Wehrfreunde steigerte sich noch erheblich, als von einer Dom-Balustrade herab ein Transparent, unterstützt von Zwischenrufen, einen "alternativen" Gelöbnistext vorschlug, der im Versprechen gipfelte: "Wir geloben zu morden, zu rauben und zu vergewaltigen." Dieser freilich recht weitgehenden, wenn auch mit Teilen der deutschen Militärgeschichte durchaus übereinstimmenden, Umdeutung des militärischen Schwurs vermochte die Bundeswehr ersichtlich nichts abzugewinnen. Und so entfernten die allgegenwärtigen "Feldjäger", abgekürzt "MP", die "alternative Gelöbnisformel" in der Nachfolge von Tucholskys "Soldaten sind Mörder", unterm Beifall der Wehrfraktion. Fotografen, die versuchten, das Transparent aufzunehmen, wurden des Platzes verwiesen.

Wir geloben
Alternative Gelöbnisformel am Dom - Foto: Markus Gross


Auch diese Ordnungsmaßnahmen halfen nur wenig - eine endlose Schallglocke von Lärm und Gegenlärm ließ keine ungetrübte Weihe aufkommen. Der so schön ausgedachte Inszenierungszweck, gerade im Schatten der Kathedrale, durch demonstrative Bekräftigung des bekanntlich so überaus segensreichen Bündnisses von Kreuz und Schwert, Militär und Kriegsvorbereitung wieder mehrheitsfähig zu machen, erfüllte sich für Drehbuch und Regie des militärischen Weihefestspiels denn auch nur unvollständig. Überhaupt schien die Grenze zur kölschen Militärklamotte gelegentlich mehr als nur gestreift. Den distanzierten Beobachter mochte der Kölner Oberbürgermeister Schramma an Willy Millowitsch erinnern, wie er da unter zunehmend sengender Sonne im Bratenrock Gleichschritt mit den paradierenden Chefmilitärs suchte. Und das gekünstelte Aufderstellemarschieren und Meldungmachen, das Platzparadieren in Kolonnen und genau formatierten Schlangenlinien, das gravitätische Gehabe der versammelten Prominenz verdeutlichte wieder einmal, wie nahe "Erhabenheit" und Lächerlichkeit, Schrecken und Groteske waffenstarrender Macht beieinander liegen: Staatstheater als Mummenschanz.

"Udo de Cologne" und sein lebender Lachsack

Das dürfte der stadtbekannte Kölner Kabarettist "Udo de Cologne" wohl ähnlich sehen, der in seiner Phantasieuniform aufmarschierte und unablässig "Ruhm und Ehre dem deutschen Militär" skandierte, dabei wohl mit bedingtem Vorsatz auf die Neonazi-Parole "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" anspielend. Sein karikierender "Paradeschritt" unterschied sich kaum vom zeremoniellen Fürbaßschreiten der "richtigen" Militärs und ihrer zivilen Anhängsel auf dem abgesperrten Roncalliplatz - akute Verwechslungsgefahr! Und mit einem ganz besonderen lebenden "Spaßgerät" machte "Udo de Cologne" dem hoheitlichen "Ernst der Stunde" endgültig den Garaus: Ein wandelnder "Lachsack" - in dem natürlich ein Kleindarsteller-Kollege steckte. Immer wenn "Udo de Cologne" den "Lachsack" leicht antippte, gab der lebende Scherzartikel sein Bestes, weit perfekter als die mechanischen "Kollegen", weithin hörbar über das gesamte, abgesperrte und streng kontrollierte Gelände.

Das impertinente Gelächter, gegen das alle Absperrung machtlos blieb, unterminierte die offizielle Dramaturgie noch wirkungsvoller als alle ernsthafte Gegendemonstration, als Parolen, Trillerpfeifen und Transparente. Nichts ist schlechter verträglich für Macht, als zur Kenntlichkeit karikiert - und verlacht zu werden. Ein empfindlicher Punkt, den später, beim abschließenden "Zapfenstreich", auch die lautstark skandierten Gegenchöre mit der These trafen: "Ihr seid doch nur ein Karnevalsverein."

Luftwaffen-Internetseite unterschlägt Proteste

Auf ihrer Internetseite erwähnt die Luftwaffe die Proteste freilich mit keinem Wort. Vielmehr ergeht sie sich in Begeisterung über die so "gut aufgestellte" Truppe. Und auch auf der WDR-Seite wdr.de herrscht das Bestreben vor, die Gegenaktionen vorwiegend mit Begriffen wie "Störung" und "Zwischenfall" abzutun. So auch die Dreistigkeit von Mitgliedern der im Rat vertretenen PDS/Linkspartei, direkt auf der Ehrentribüne zum Ärger der sonstigen Honoratioren die Regenbogenfahne mit Friedensbotschaft hochzurecken. "Stolz" seien die vor den Absperrungen als Jubelmenge zusammengeströmten Angehörigen und Freunde der 280 vereidigten Luftwaffenrekruten gewesen, vermerkt "wdr.de" und zitiert eine Großmutter: "Der Jung sieht gut aus in Uniform." Eine Anekdote, die den Stimmungspegel unter den Zaungästen mehrheitlich durchaus treffend beschreibt, insbesondere unter den Omas, Müttern, Ehefrauen und Freundinnen der Wehrverpflichteten.

Feldjäger auf dem Museum
Feldjäger sogar auf dem Museum - Foto: Markus Gross


Illusionär wäre zumindest in diesem Kreis die bei PazifistInnen gelegentlich verbreitete Vorstellung gewesen, Frauen dazu bewegen zu können, ihre Männer, Söhne und Geliebten von Militärdienst und Kriegseinsatz abzuhalten. Freilich kam keiner und keinem der "stolzen" Omas, Opas, Mütter und Väter die Frage in den Sinn, wie der "Jung" denn wohl noch aussehen würde, käme er einmal im Zinksarg vom Hindukusch oder sonst woher zurück, wo es laut Bundeswehr-Minister Struck "Vaterland" und "Freiheit", und natürlich die "deutschen Interessen", angeblich zu verteidigen gilt. Würde dann die "stolze Freude" so mancher Angehöriger wieder einmal, wie vor gerade etwas über 60 Jahren, der "stolzen Trauer" weichen müssen?

Insider-Veranstaltung mit Familienanschluss

Doch sollte man sich durch die ungetrübte Militärbegeisterung der Gelöbnis-Applaudanten und die Minderheitensituation der "Friedensaktivisten" nicht irreführen lassen. Es waren vielleicht 600, 700 Menschen, die sich hinter den Absperrungen zur Akklamation des Staatsschauspiels versammelt hatten - überwiegend ein reines "Familientreffen". Mag sein, dass sich die Bundeswehr wirklich, wie Elke Steven vom "Komitee für Grundrechte und Demokratie" meinte, von solch öffentlichem "Brimborium" einen "PR-Effekt" für die "Truppe" und öffentliche Zustimmung für weltweite, offensive Interventionseinsätze erhofft. Doch hat die Veranstaltung jedenfalls vor Ort einfach zu wenig Publikum erreicht, um dieser Zielsetzung erheblich näher zu kommen.

Trotz "Kaiserwetter" war es eben nicht wie zu "Kaisers Zeiten", als die "schimmernde Wehr" noch unangefochten und unterm Hurra der Menge durch die Städte ziehen konnte und Hunderttausende zu Beginn des 1. Weltkrieges 1914 wie im Rausch jubelnd zu den Waffen eilten. Es war einfach eine abgesperrte Insider-Veranstaltung mit Familienanschluss. Dem Rest der potentiellen Interessenten konnten schon Polizeiaufmarsch und Absperrung die Lust zum Zuschauen eher verleiden. Eine aufschlussreiche Demonstration wurde hier übrigens vorgeführt, wie schnell "öffentlicher Raum" unter weitgehender Aufhebung von Grundrechten zu "Sonderareal" umgewidmet und unter Ausnahmerecht gestellt werden kann.

Medienecho eher zurückhaltend

Den eigentlichen "PR-Effekt" versprach man sich denn auch über den Veranstaltungsort hinaus offenbar von der Medienpräsenz. Doch trotz Ausbleibens wirklich kritischer Stimme in der Kölner Journaille gestaltete sich das Medienecho eher zurückhaltend. Nein, es gibt zwar derzeit keine Anzeichen eines breiteren antimilitaristischen Widerstandes in Deutschland oder einer Blüte der Friedensbewegung - zu weit weg erscheint der "Hindukusch", und Ängste um den Arbeitsplatz, die Drohung des sozialen Abstiegs, liegen für die Mehrheit der Bevölkerung weit näher als Angst vor Krieg und Bedrohung durch Waffen. Aber es ist auch keine Mehrheitsbasis für eine postmoderne Neuauflage des deutschen Militarismus erkennbar. Und anders als die Militärplaner es wohl gerne hätten, zeigen Umfragen der letzten Jahre nur eine mehrheitlich höchst geringe Bereitschaft, eigene Opfer für weltweite Militäreinsätze zu erbringen. Die Stimmung könnte also von der aktuellen Gleichgültigkeit noch in Gegnerschaft umschlagen, sobald die Furie des Krieges den Leuten direkt auf die Haut rückt - und sei es in Gestalt eines Angehörigen, der irgendwo im Einsatz umgekommen ist.

Und so bemühten sich die Offiziellen, von OB Schramma bis Luftwaffeninspekteur Stieglitz, auch nach Kräften, Begriffe wie "Auslandseinsatz", "Kriegsführungsfähigkeit", "atomarer Ersteinsatz" oder "Rohstoffsicherung", die ansonsten zum Grundbestand militärischer Fachartikel, Regierungserlasse oder Beraterpapiere gehören, nicht ans Ohr der Applausmenge und in die Mikrophone der Radio- und Fernsehteams gelangen zu lassen. Stattdessen hob Schramma lieber die Rolle der Bundeswehr als Arbeitgeber oder als Nothelfer gegen Hochwasserfluten des entfesselten Rhein hervor. Und auch Generalleutnant Klaus-Peter Stieglitz betonte die "Friedensmission" der Bundeswehr, so als wäre die Armee eine Art Caritas mit Spielzeuggewehren. "Herzlichen Glückwunsch - 50 Jahre Frieden!", so verkündete ein Spruchband die Wehrphilosophie des "ewigen Friedens" mit ziemlich vielen Waffen. Eine gewisse Geschichtsklitterung zwar, angesichts beispielsweise des von Deutschland mindestens mit betriebenen Angriffskrieges gegen die Bundesrepublik Jugoslawien. Den Festreden zufolge aber hätten die Rekruten und Offiziere ihre Waffen eigentlich samt und sonders wegwerfen können, um sich nur noch wie "Bausoldaten" mit Schaufeln dem Bau von Brücken und dem Wegräumen von Schlamm und Schlick zu widmen.

Und schließlich gab es vorm Rathaus noch ein Platzkonzert, unter anderem mit Melodien aus Bernsteins West Side Story statt mit teutscher Marschmusik, und eine gut geladene Erbsenkanone verhalf sogar uneingeladenen Zivilisten zu guter Verdauung.

Bundeswehr auf Hotelbalkon
Bundeswehr bewacht ihr "Hausrecht" - Foto: Markus Gross


Dennoch fragt man sich, ob erwachsene Menschen ernsthaft so wirklichkeitsfremd sein können, um die feierlich verharmlosende Militär-PR für bare Münze zu nehmen. Wie unvorbereitet würde wohl im schlimmsten Fall die in allen Reden unausgesprochene Wahrheit über den tödlichen Zweck allen Militärs die Familien der Rekruten treffen, die doch so stolz auf den "Jungen" in seiner "tollen Uniform" waren? Vielleicht kam dieser Wahrheit, wie im Sprichwort, auch an diesem denkwürdigen Tag ein "Kindermund" absichtslos am nächsten. Ein kleiner Junge, der wahrscheinlich frühestens 2018 "eingezogen" wird, saß bei seinem Vater auf der Schulter und fragte ihn mit Blick auf die Soldaten: "Schießen die jetzt?" - Und der Vater, leicht irritiert: "Nein, das ist doch Luftwaffe, die schießen nicht." Stimmt wohl - Luftwaffe bombardiert nur, wie zuletzt 1999 im NATO-Blitzkrieg gegen Jugoslawien. Dann fragte der Junge, angesichts der in zunehmend sengender Sonne stehend ausharrenden Rekruten: "Fallen die jetzt alle um?" - "Nein, nein", versicherte der Vater beruhigend, "jetzt noch nicht." Alles eine Frage der Zeit. "Fallen" - so meinte jedenfalls der k.u.k. österreichische Heereschef Conrad von Hötzendorf im 1. Weltkrieg, Karl Kraus zufolge, "Fallen, dafür ist der Soldat da."

Online-Flyer Nr. 10  vom 21.09.2005



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