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Aktueller Online-Flyer vom 18. April 2024  

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Wirtschaft und Umwelt
Schmutzige Geschäfte mit Hexachlorbenzol aus Australien
Müllschlucker BAYER
Von Jan Pehrke

Der Leverkusener Multi macht sogar mit Müll Geld und akquiriert giftige Abfälle aus der ganzen Welt für seine Rückstandsverbrennungsanlagen. Mit der Entsorgung von 4.500 Tonnen Hexachlorbenzol made in Australien will der Konzern jetzt einen Umsatz von drei Millionen Euro erzielen. Die Betreiber der Öfen in Herten und Brunsbüttel rechnen mit ähnlichen oder sogar noch größeren Erträgen. Aber gegen den Mülltourismus erhebt sich eine Woge des Protestes.
„Über 300 Firmen aus ganz Europa und Übersee haben im Jahr 2004 ihre Sonderabfälle bei den BIS-Umweltdiensten entsorgt“, wirbt BAYER INDUSTRY SERVICES (BIS) für seine Dienste. Dieses Klappern gehört zum Geschäft, denn ein solches ist die Beseitigung von Produktionsrückständen längst geworden. Hatte der Leverkusener Multi früher seine giftigen Hinterlassenschaften einfach in Deponien wie der Dhünnaue mit verheerenden Folgen für die Umwelt endgelagert, ging er erst Ende der 60er Jahre auf Druck der Öffentlichkeit zum Bau von Verbrennungsöfen über, welche das Müllaufkommen zwar reduzierten, dafür aber auch zu einem Anstieg der Emissionen in Luft und Wasser führten.

Von einem notwendigen Übel zu einem Geschäftszweig hat sich die Entsorgung jedoch erst Ende der 80er Jahre entwickelt. Einen zusätzlichen Schub bekam sie dann durch den Umbau BAYERs zu einer Holding, die alle Sparten in die Selbstständigkeit entließ und besonders die Dienstleistungsabteilungen mit der Notwendigkeit konfrontierte, externe Aufträge einzutreiben. Und wo der Kantinenbetrieb nun auch über BAYER hinaus einen Catering-Service anbietet, stieg die BIS ins globale Müllgeschäft ein. Auf 20 Prozent beläuft sich der Anteil fremder Produktionsrückstände mittlerweile. Ginge es nach dem Konzern, dürfte sich diese Quote jetzt noch erhöhen. Die Müllschlucker haben nämlich einen dicken Auftrag aus Australien an Land gezogen (siehe NRhZ 85 und 79). Die dort ansässige Chemie-Firma ORICA sitzt auf einer Hinterlassenschaft von 22.000 Tonnen hochgiftigen Hexachlorbenzols und will sie auf die Reise in die Bundesrepublik schicken. 4.500 Tonnen davon (plus 6.000 Tonnen Verpackung) haben BAYER-Öfen als Bestimmungsort, wodurch ein Umsatz von drei Millionen Euro winkt.

Zahlreiche Proteste

Zwei Jahre soll die Müll-Karawanserei auf Schiffen, Eisenbahnschienen und Straßen dauern. Dabei lauern auf der 16.000 Kilometer langen Strecke unzählige Gefahren. Besonders das Umladen der zu den weltweit giftigsten 12 Chemikalien gehörenden Substanz ist mit Risiken verbunden. Erreichen die Gifte schließlich doch allen Widrigkeiten zum Trotz wohlbehalten ihr Ziel, sorgt die Verbrennung für die Freisetzung zahlreicher gesundheitsschädlicher Stoffe. Aus diesen Gründen hat sich ein breiter Widerstand gegen das Vorhaben formiert. In Gang gebracht hat ihn die australische Umweltorganisation NATIONAL TOXICS NETWORK. Sie hatte im Dezember letzten Jahres die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN und die Initiative DAS BESSERE MÜLLKONZEPT über die bevorstehende Giftfracht in Kenntnis gesetzt. Diese Gruppen reichten die Information umgehend an andere Verbände wie z. B. den BUND FÜR UMWELT UND NATURSCHUTZ DEUTSCHLAND (BUND) weiter. Mit dem BUND schrieb die CBG dann einen Offenen Brief an den nordrhein-westfälischen Umweltminister Eckhart Uhlenberg und gab eine Presseerklärung heraus, die zahlreiche Medien aufgriffen.

So errang das Thema Publizität, und vor Ort in Leverkusen, Dormagen, Herten und Brunsbüttel regte sich erster Widerstand. In Herten wurde die Initiative „Pro Herten“ aktiv. Sie veranstaltete unter anderem eine Podiumsdiskussion zum Thema, die über 400 Menschen besuchten. In Brunsbüttel protestierten BürgerInnen bei einer Anhörung gegen die Anlandung der Altlast und führten eine Demonstration durch. Für den Grünen-Politiker Jürgen Ruge waren die 22.000 Tonnen Hexachlorbenzol made in Australien ein „erschütternder Entfernungsrekord“ auf dem Gebiet des Mülltourismus.

In Dormagen verteilten die Grünen und die Coordination gemeinsam Flugblätter und sammelten zahlreiche Unterschriften gegen die Giftmüll-Verbrennung. „Schon jetzt lebt man hier nicht gesund. Seit zwei Monaten riecht man etwas in der Stadt. Mein Sohn hat Asthma und Neurodermitis. Ich glaube nicht, dass wir von den Giftmüllabgasen nichts abbekommen“, sagte etwa eine Dormagenerin der Westdeutschen Zeitung. Die städtische „Agenda 21“-Gruppe sammelte Fragen besorgter AnwohnerInnen und übergab diese passenderweise am „Tag der Offenen Tür“, den BAYER kurzfristig am Tatort „Sondermüll-Verbrennungsanlage“ anberaumt hatte, um Gegen-Aufklärung zu betreiben. „Ist der Kontinent Australien nicht in der Lage, seinen eigenen Giftmüll zu entsorgen?“, „Welche absoluten Emissionen von Dioxin, HCB und anderen Giftstoffen werden durch die geplante HCB-Verbrennung entstehen?“, „Soll die ‚Wirtschaft‘ von BAYER mit solchen Aktivitäten angekurbelt werden?“ - das wollten die DormagenerInnen unter anderem von den Konzern-Verantwortlichen wissen.

Erste Erfolge – nur nicht in Dormagen

All dieses zeigte Wirkung. Die Anlieger-Städte Herten, Recklinghausen, Marl, Castrop-Rauxel und Leverkusen verabschiedeten Resolutionen gegen den Müll-Transport. Nur Dormagen mochte sich nicht anschließen, weil die Stadt im August 2004 der Kapazitätserweiterung der Anlage zugestimmt hatte und damit auch ihrer Bestimmung als Fernreise-Ziel von gefährlichen Chemikalien. „Würde der Rat jetzt protestieren, wäre das nicht sehr glaubwürdig“, so der Bürgermeister Heinz Hilgers, den erst JournalistInnen über die Entsorgungspläne BAYERs hatten informieren müssen.

Am 20. Februar setzte das schleswig-holsteinische Umweltministerium das Genehmigungsverfahren erst einmal aus. Es habe vergeblich auf Angaben aus Australien zum genauen Giftmix und zur Unmöglichkeit einer Entsorgung vor Ort gewartet, erklärte Ministeriumssprecher Christian Seyfert zur Begründung. Die für die nordrhein-westfälischen Müllöfen zuständige Bezirksregierung Münster hat noch keine Entscheidung gefällt, weil die australischen Behörden dem Giftmüll-Export bisher nicht offiziell zugestimmt haben.

NRW-Umweltminister duckt sich weg

„Um es deutlich zu sagen, wir sind gegen den Import von Sonderabfällen aus Australien, zumal der Transport derart gefährlicher Abfälle über riesige Entfernungen erhebliche Risiken birgt“, erklärte der nordrhein-westfälische Umweltminister Eckhart Uhlenberg im Landtag und plädierte für eine Abschaffung des Mülltourismus. Das hört sich in den offiziellen Verlautbarungen aus seinem Haus jedoch ganz anders an. In der Bilanz zur Ein- und Ausfuhr von Giftmüll brüstet sich das Ministerium noch mit der Attraktivität NRWs als Müll-Standort. „Dieses hohe Niveau des Imports gefährlicher Abfälle ist Ausdruck einer leistungsfähigen Entsorgungsinfrastruktur“, heißt es dort.

Uhlenberg
Umweltminister Uhlenberg (rechts) – stolzer Besitzer von zwei Seelen
Foto: www.bayer.de

Offensichtlich wohnen zwei Seelen in der Brust des CDU-Politikers, weshalb er sich wegduckt. Politisch sei er machtlos, sagte er mit Verweis auf die Abfallverbringungsverordnung der EU. Wenn das Hexachlorbenzol in Australien nicht fachgerecht werden könne, gebe es keine Handhabe gegen den Import, so Uhlenberg. Brüssel spielte den Ball jedoch umgehend zurück. „Die Entscheidung ist nicht durch EU-Recht gebunden, sondern liegt im Ermessen der Empfängerländer“, gab die Sprecherin des Brüsseler Umweltkommissars Stavros Dimas, Barbara Helfferich, zu Protokoll. Das brachte den CDU-Politiker, der in der Vergangenheit durchaus schon gegen Müll-Importe interveniert hatte, ganz schön in die Bedrouille, zumal auch die Baseler Konvention Handlungsspielräume eröffnet.

Das internationale Abkommen spricht jedem Land das Recht zu, die Annahme von Giftmüll zu verweigern und fordert dazu auf, den grenzüberschreitenden Müll-Handel auf ein Minimum zu begrenzen. Aber der Umweltminister wollte sich trotz alledem immer noch nicht aus der politischen Bewegungsstarre lösen und appellierte an Sigmar Gabriel, den Fall zu übernehmen. Die taz kommentierte daraufhin scharf: „Denn Uhlenberg kann die Giftverbrennung tatsächlich nicht verhindern, weil die schwarz-gelbe Landesregierung überhaupt kein Interesse daran hat, ein lukratives Auslandsgeschäft von BAYER zu torpedieren oder dem Beseitigungsstandort NRW zu schaden. Wer wirtschaftlich denkt, darf den Giftmülldeal nicht platzen lassen. Wer sich tatsächlich um die Gesundheit seiner Landsleute und die immensen Umweltrisiken auf dem langen Seeweg sorgt, der könnte das!“

BAYERs Müll-Ofen produzieren Giftstoffe

Darum sorgt sich auch BAYER herzlich wenig. „Das fällt erst in unsere Verantwortung, wenn die Transporte vor den Werkstoren stehen“, meint Pressesprecher Christian Zöller. Nur für seine Verbrennungsanlagen verbürgt der Konzern sich. „Wir befinden uns mit unserer Expertise an der Weltspitze“ behauptet das Unternehmen. Was zu bezweifeln ist, denn moderne Verfahren wie etwa die Kälte-Behandlung setzt BAYER nicht ein. Zöller aber verweist auf die große Erfahrung mit dem einst selbst hergestellten, seit 1981 nicht mehr als Pestizidwirkstoff zugelassenen Hexachlorbenzol. Aber in Luft auflösen lassen könnte selbst die beste Beseitigungstechnik die Substanz nicht. Nach Meinung des Düsseldorfer Mikrobiologie-Professors Harry Rosin bleiben auch bei solchen Prozessen „krebserregende Partikel“ übrig. So produziert die Rückstandsverbrennungsanlage nicht wenige gesundheitsgefährdende Rückstände: z. B. Dioxine, Furane, Kohlenmonoxid, Schwefeldioxid, Stickoxide, Salzsäure, Rauchgas, Filterrückstände, Schlacke, verschmutzte Abwässer und Feinstäube. Was davon nicht direkt in Wasser, Boden und Luft landet, findet seinen Weg zu Sondermülldeponien.

Wieviel Giftstoffe die Verbrennungsanlagen in Leverkusen-Bürrig und Dormagen ausstoßen, verrät BAYER INDUSTRY SERVICES nicht. Nur, dass die Werte für Stäube, Kohlenmonoxid, Schwefeldioxid, Hydrogenchlorid, Chlorwasserstoff, Stickoxide, Fluorkohlenwasserstoffe, Cadmium, Thalium, Quecksilber allgesamt im grünen Bereich liegen, sprich: die zulässigen Grenzwerte nicht überschreiten. Das ist auch keine allzu große Kunst, denn das Maß aller Dinge bei der Festlegung war nicht etwa die menschliche Gesundheit, sondern die technische Machbarkeit. Trotzdem schafften es die BAYER-Öfen bis in die 90er Jahre hinein oft, darüber hinauszuschießen, und mehr Dioxin und Stickstoff zu produzieren als erlaubt. Noch heute schrammen die BIS-Anlagen bisweilen nur knapp an einer Überschreitung vorbei, etwa bei Stickoxiden. Mit 160 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft befindet sich der Wert nach den neuesten Erhebungen nur knapp unter der noch zulässigen Marke von 200 mg/m3. Und allzu häufig gilt: Nichts Genaues weiß man nicht, da der Konzern die Emission solcher Stoffe wie Quecksilber, Cadmium, Thalium und Fluorkohlenwasserstoffe nicht regelmäßig messen muss.

Fünffache Krebsraten in Dormagen und Leverkusen

Die absoluten Emissionswerte musste die CBG beim Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Verbraucherschutz erfragen. Sie ergeben ein erschreckendes Bild. Parallel zu den florierenden Müll-Geschäften erhöhte sich in der Dormagener Anlage der Ausstoß von Schwefeldioxid von 24 kg im Jahr 2000 auf 4872 kg (2004). Die Emission von Stickstoffdioxid stieg gar von 58 kg auf über 67 Tonnen, die von Kohlenmonoxid von 7 kg auf 2201 kg. In Leverkusen nahmen die Werte von Stickstoffdioxid, Schwefeldioxid, Kohlenmonoxid und Staub jeweils um das Drei- bis Sechsfache zu, was mit dazu beiträgt, die Stadt zu einem gefährlichen Pflaster zu machen: Die Krebsrate am BAYER-Stammsitz und in Dormagen liegt um das fünffache über der in ländlichen Regionen.

Die Unfälle

Als ob es noch eines Beweises für die Gefährlichkeit der Müllschlucker bedurft hätte, brach just zum Höhepunkt der Proteste in der Hertener Anlage ein Feuer aus, woraufhin sie ihren Betrieb teilweise einstellen musste. Der letzte große Zwischenfall bei der BAYER-Rückstandsverbrennung ereignete sich im Oktober 2003. Ein Container, der Reste einer Basis-Chemikalie enthielt, erhitzte sich auf 120 Grad (Normaltemperatur: 70 Grad). Wegen der Explosionsgefahr sperrte die Feuerwehr das Gelände großflächig ab und unterbrach den Zug-Verkehr auf der Strecke Köln-Neuss. Dann öffnete sie den Container mit Spezial-Werkzeugen und füllte die gefährliche Substanz in einen Auffang-Behälter. Im August 1986 fiel im Krefelder Müllofen die Abgaswäsche aus, und eine gelbliche Rauchwolke trat aus. Vier Monate vorher gab es eine Explosion in der Leverkusener Abfallbeseitigungsanlage, die Nitrose freisetzte. Kilometerweit konnten die Menschen das Gas riechen. „Die menschliche Nase ist eben ein sehr empfindliches Organ“, kommentierte der damalige Werksleiter Rosahl trocken. Zu diesem Zeitpunkt stand die Anlage noch nicht einmal fünf Jahre wieder - ein großer Knall hatte sie im Juli 1980 größtenteils zerstört.

Das CBG-Engagement

Wegen dieser Anfälligkeit und der Schadstoff-Ausstöße protestierte die Coordination immer wieder gegen die bestehenden und geplanten Müllöfen von BAYER. Sie unterstützte in den achtziger Jahren die Brunsbütteler Antimüll-AktivistInnen, die der Konzern ausmanövrieren wollte, indem er das Gelände rund um das Baugebiet aufkaufte, um Prozesse von NachbarInnen zu verhindern. Im Januar 1988 reichte die CBG gemeinsam mit anderen Initiativen und den Grünen eine Einwendung gegen den Bau der Dormagener Rückstandsverbrennungsanlage ein. Die UmweltschützerInnen forderten darin eine Begrenzung der Emissionen von Salzsäure, Schwermetallen und anderen gefährlichen Stoffen, bemängelten die unzureichende Sicherung gegen Störfälle und kritisierten die anvisierte Entsorgungskapazität von 50.000 Tonnen im Jahr. „Zur Zeit werden aus Leverkusen, Krefeld und Dormagen zusammen nur etwa 20.000 Tonnen außerhalb der Werke verbrannt“, gab der Grünen-Politiker Harry Kunz zu bedenken und warnte schon damals vor Mülltourismus. Und im Jahr 1990 reiste ein CBGler sogar ins italienische Filago, um den Widerstand der AnwohnerInnen gegen eine BAYER-Dreckschleuder zu unterstützen.

Dieses Engagement schuf ein Bewusstsein für die Gefahren der aus den Schornsteinen kommenden Rückstände, was zu schärferen Umweltgesetzen führte, die BAYER & Co. zwangen, ihre Anlagen umzubauen. Aus freien Stücken hätte der Konzern niemals in neue Techniken investiert. Der Leverkusener Multi gibt das auch ganz offen zu. „Die Anforderungen der 17. BImSchV (Bundesimmissionsschutz-Verordnung, Anm. SWB) machten Mitte der 90er Jahre eine weitergehende Rauchgasreinigung notwendig“, heißt es beispielsweise in einer BIS-Broschüre. Gegen solche neuen Richtlinien sträubte sich der Konzern stets bis zuletzt. Er ging 1993 sogar so weit, gegen das Abfallgesetz zu klagen und Vorstandsvorsitzende wie Manfred Schneider warnten immer wieder vor „Überregulierungen“.

Abgeordnete unterstützen den Konzern

Auch jetzt bringt sich der Agro-Riese wieder in Stellung und versucht auf allen Ebenen Einfluss zu nehmen, um sich das schmutzige Geschäft nicht entgehen zu lassen. Er lud zu einem „Tag der Offenen Tür“ in Dormagen ein und wandte sich mit einem Flugblatt an die Bevölkerung. Auf landespolitischer Ebene setzt der Konzern auf seinen ehemaligen Laborleiter Karl Kress, inzwischen Altersteilzeitler. Er ist seit 2000 Landtagsabgeordneter der CDU und hat sich - wen wundert‘s - besonders der Umweltpolitik verschrieben. „Wenn es stimmt, dass es weltweit nur fünf vergleichbare Anlagen gibt, macht eine Entsorgung hier Sinn“, tönte Kress zur Überraschung seiner nicht über seinen beruflichen Werdegang informierten KollegInnen im Umweltausschuss. Im Leverkusener Stadtrat hingegen „legte sich niemand so sehr für BAYERs Know-how ins Zeug wie Klaus Naumann, FDP“, schrieb der Leverkusener Anzeiger. Er verstieg sich sogar darin, die Entsorgung zur „ethischen Aufgabe“ zu erheben. Es dürfte für Naumann wohl eher eine berufliche Aufgabe gewesen sein, denn der Chemiker arbeitete lange im Monheimer Pestizid-Zentrum von BAYER.

Karl Kress
BAYER-Abgeordneter Karl Kress
Foto: Landtag

Der Leiter des BAYER-Stabes „Politik und Umwelt“, Wolfgang Große Entrup, tut derweil in seinem Nebenjob als Chef der Umweltkommission beim CDU-Wirtschaftsrat alles, um Müllgeschäfte in großem Stil zu erleichtern. Das Zauberwort dafür heißt „Entbürokratisierung“. Eine solche für die EU-Abfallverbringungsverordnung einzuleiten, steht für 2007 ganz oben auf der Agenda der industriellen UmweltpolitikerInnen.

Darin wissen sie sich mit dem „Dialog Wirtschaft und Umwelt NRW“ einig, eine mit VertreterInnen von BAYER und anderen Unternehmen bestückte Institution (siehe SWB 3/06). Diese Quasi-Ausgründung der nordrhein-westfälischen Umweltpolitik tritt ebenfalls für Lockerungen auf dem Entsorgungssektor ein. Auf offiziellem, mit Landeswappen geschmückten Papier wandten sich die verstaatlichten Konzern-VertreterInnen an Brüssel: „Der „Dialog Wirtschaft und Umwelt NRW“ erwartet von der EU bei der künftigen Abfall-Strategie und von der Revision der Abfallrahmenrichtlinie, dass der Abfallbegriff auf bewegliche Sachen beschränkt bleibt“. Und die Bundesrepublik betreibt ebenfalls Sprachpolitik und möchte Müll nicht mehr Müll nennen, sondern „Nebenprodukt“ und Rückstandsverbrennungsanlagen wie die Dormagener „Wiederverwertungsanlagen“ - und mit den netteren Worten natürlich auch eine nettere Behandlung verbinden.

NRW Sondermüll-Importland Nr. 1

Auch für BAYER ist der giftige Abfall made in Australien nichts als eine Ware. „Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen und verdienen damit Geld“, so ein BIS-Sprecher. Und das schmutzige Geschäft floriert so gut, dass der Konzern im Jahr 2004 die Brennofen-Kapazität in Dormagen um 19.000 Tonnen auf 75.000 Tonnen erweitern musste. „Für den eigenen Bedarf war diese Kapazitätsausweitung nicht nötig", gestand der Öffentlichkeitsarbeiter. Die Anlagen von BAYER und anderen Firmen haben sich so zu „Müllstaubsaugern“ (Bärbel Höhn) entwickelt und NRW zum Sondermüll-Importland Nr. 1 gemacht. Von 90.000 Tonnen im Jahr 1997 auf 610.000 Tonnen 2005 stiegen die Zahlen; der „ganz normale“ Müll ist drei Millionen Tonnen schwer. Und wenn die Müllschlucker den Hals nicht vollkriegen können, besteht natürlich auch keine Notwendigkeit für die Industrie, sich auf eine Müllvermeidungsdiät zu setzen. Da ist es höchste Zeit, den Stecker rauszuziehen. Zumindest im Fall der 22.000 Tonnen Hexachlorbenzol stehen die Chancen für einen umgekehrten Düsenantrieb nicht allzu schlecht, zumal australische UmweltschützerInnen und Müllofen-Betreiber auf Entsorgungsmöglichkeiten down under verweisen.


Online-Flyer Nr. 88  vom 28.03.2007

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