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Kultur und Wissen
Nazigegner - Emigrant – Antifaschist - Literaturwissenschaftler
Hans Mayer zum 100sten
Von Ulrich Schneider

Viele kennen Professor Dr. Hans Mayer als marxistischen Literaturwissenschaftler. Nur wenigen ist bekannt, dass er der erste Landesvorsitzende der VVN Hessen war. Am 19. März 2007 hätte er seinen 100. Geburtstag – gleichzeitig mit dem 60. Jahrestag der Gründung der VVN-BdA. Schon in der Weimarer Zeit als Student in Köln, Bonn und Berlin engagierte er sich gegen den Vormarsch der rechten Kräfte.


Hans Mayer – nicht nur Literaturwissenschaftler
Hans Mayer – nicht nur Literaturwissenschaftler
Foto: VVN-Archiv


Als Mitstreiter der Gruppe „Der Rote Kämpfer“, dann der SAP und später der KPD-Opposition (KPO) um August Thalheimer erfuhr er mit der Machtübertragung an die Nazis als Marxist und Jude die unmittelbare Verfolgung. Zwar legte er noch seine zweite Staatsprüfung ab, floh jedoch unmittelbar danach im August 1933 nach Frankreich. Dort übernahm er kurzzeitig die Chefredaktion der Tageszeitung der KPO im Elsass, der „Neuen Welt“. Doch diese Tätigkeit währte nicht lange. Schon 1934 musste er Frankreich verlassen und ging in die französische Schweiz nach Genf.

Dieses Land wurde – mit Unterbrechungen – für die folgenden 11 Jahre sein politisches Exil. Für einige Monate ging Mayer 1938/39 nach Paris, kehrte jedoch nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf Polen in die Schweiz zurück, wo er als „feindlicher Ausländer“ interniert wurde. Als es nach Stalingrad für Exilsuchende in der Schweiz möglich wurde, politisch öffentlich aufzutreten, fand man Hans Mayer in der Bewegung „Freies Deutschland“. Seit Herbst 1943 erschien die gleichnamige Zeitschrift. In diesem Kreis wirkten Kommunisten, Mitglieder des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes (ISK), einige Sozialdemokraten und parteilose Antifaschisten. Hans Mayer war Mitglied in der neu geschaffenen Pressekommission und als Delegierter auf „Flüchtlingskonferenzen“.
Er war Mitbegründer einer kulturpolitisch orientierten Flüchtlingszeitschrift „Über die Grenzen – Von Flüchtlingen für Flüchtlinge“, die von November 1944 bis Dezember 1945 erschien. Die Zeitschrift versuchte die aktuelle literarische und kulturelle Entwicklung in Europa aufzunehmen und als Fundament für eine kulturelle Erneuerung Deutschlands nach dem Ende des NS-Regimes aufzustellen.

Ende Oktober 1945 kehrte Hans Mayer nach Frankfurt/Main zurück. Er schrieb, nun fordere man von ihm nach der Theorie die Praxis. In Frankfurt erwartete ihn Golo Mann, der als US-Offizier die Verantwortung für den Aufbau des amerikanischen Rundfunksenders „Radio Frankfurt“ hatte. Zuerst als Kulturredakteur stellte Hans Mayer gemeinsam mit Stefan Hermlin in kürzeren und längeren Beiträgen antifaschistische und humanistische Literatur vor. Später als politischer Chefredakteur kommentierte er den Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess und griff in die öffentliche Debatte über das Gedenken an die Opfer des Faschismus oder zur geistigen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit engagiert ein.

In Frankfurt erwarteten ihn aber nicht nur kulturpolitische Aufgaben, sondern auch seine Mitstreiter aus dem Exil, die ihn in den Aufbau einer politischen Organisation ehemaliger Verfolgter einbezogen. Im August 1946 wurde in Hanau das erste Programm einer „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN) beschlossen. Kernaufgabe war, „den Kampf gegen alle ideologischen Reste des Nazismus, des Militarismus und der Rassenlehre systematisch zu führen, um dadurch den Völkerfrieden zu sichern und jeden Versuch neuer faschistischer Betätigung zu unterbinden.“

Aufgrund alliierter Beschränkungen konnte jedoch erst Ende Februar 1947 in Gießen die hessische Landesvereinigung der VVN gegründet werden. Und Hans Mayer, der zu diesem Zeitpunkt bereits bei „Radio Frankfurt“ ausgeschieden war, ließ sich zum Vorsitzenden der hessischen VVN wählen. „Da gab es viel zu tun, oft zu protestieren, manches zu verhindern. Jener Respekt, den man den Opfern bisher gezollt hatte, schien verbraucht,“ beschrieb er seine politische Arbeit. Und er erlebte eine Reaktion im Umgang mit den Verbrechen des deutschen Faschismus, die bis heute Aktualität besitzt: „Sie rechneten lieber auf: deine Leiden und meine Leiden. Ich habe diese Buchführung stets verabscheut.“

Als gewählter Landesvorsitzender der hessischen VVN bekam er im März 1947 die Aufgabe, die erste Interzonale Länderkonferenz der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes in Frankfurt/ M., faktisch den Gründungskongress, zu eröffnen. Sein Credo damals: „Es führt nur ein einziger Weg zur internationalen Verständigung der Völker. Denn das ist entscheidend, dass sich die Kräfte der Resistance in Frankreich, der belgischen, der jugoslawischen, der tschechischen, der holländischen, der dänischen, der norwegischen Widerstandsbewegung zusammenfinden ... mit den deutschen Männern und Frauen, die gleich ihnen gefoltert wurden, die gleich ihnen das gestreifte Kleid getragen haben, die gleich ihnen in jedem Augenblick vor dem Tode standen. Wer hätte denn wirklich eine Möglichkeit gehabt, im Ausland als Sprecher Deutschlands gehört zu werden, wenn nicht diese Menschen ...?“

Hans Mayer war ein wortgewaltiger und gleichzeitig nachdenklicher Vertreter der VVN, der auch politischen Debatten nicht aus dem Weg ging, so beispielsweise in der Auseinandersetzung mit Martin Niemöller 1947. Bei aller inhaltlichen Differenz betonte Mayer in Auseinandersetzungen jedoch immer wieder die Gemeinsamkeit der Überzeugung aller Nazigegner.

Ende 1948 orientierte sich Hans Mayer beruflich und persönlich neu, er nahm einen Ruf als Literaturwissenschaftler an die Leipziger Universität an. Für damalige Verhältnisse nicht ungewöhnlich, behielt Hans Mayer längere Zeit seine westdeutschen Personaldokumente und einen zweiten Wohnsitz in Frankfurt/M., wo er noch bis Ende 1949 als Vorsitzender der Hessischen VVN wirkte.

Hans Mayer starb am 19. Mai 2001 in Tübingen. Noch 1999 war ihm, der nach verschiedenen Stationen am Ende seines wissenschaftlichen Weges in Tübingen angekommen war, von der dortigen Kreisvereinigung die Ehrenmitgliedschaft der VVN-BdA verliehen worden.


Dr. Ulrich Schneider ist Bundessprecher der VVN-BdA. Er hat zusammen mit Jens Rüggeberg im Auftrag der VVN-BdA Tübingen-Mössingen aus Anlass des 100. Geburtstages eine 48seitige Broschüre mit Texten über und unbekannten Texten von Hans Mayer als Antifaschist herausgegeben. Organisationspreis 3,50 € zuzüglich Porto (ab 10 Exemplaren 2,50 €). Sie ist zu beziehen über die Bundesgeschäftsstelle der VVN-BdA, Franz-Mehring-Platz 1,10243 Berlin oder über Ver.di Köln, Gesa Großstück, Hans Böckler-Platz 9, 50672 Köln.

Online-Flyer Nr. 87  vom 21.03.2007



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