NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 24. April 2024  

zurück  
Druckversion

Wirtschaft und Umwelt
Merkels Reise zu den Feudalherrschern im Mittleren Osten
Zugriff auf Rohstoffe
Von Hans Georg

Auf ihrer viertägigen Mittelost-Reise, die offiziell vor allem dem Frieden in Palästina dienen sollte, verhandelten die deutsche Kanzlerin und ihr Wirtschaftsminister über milliardenschwere Infrastrukturprojekte am Persischen Golf und über den Zugriff auf arabische Rohstoffvorkommen. Während Kriege und gewaltsame Auseinandersetzungen in mehreren Ländern der Region sowie ein eventueller Überfall auf den Iran im Mittelpunkt der Gespräche stehen, bemühten sich Angela Merkel und Michael Glos gleichzeitig um einen prominenten deutschen Anteil an der Neuerschließung der Arabischen Halbinsel.
Die dortigen Staaten gründen mit ihren Ressourcenerlösen neue Wirtschaftsmetropolen und verbinden ihre Rohstoff-, Industrie- und Dienstleistungszentren durch neue Verkehrsadern. Dabei entwickeln sie sich zum globalen Umschlagplatz für den Handel zwischen Europa, Afrika und den Boomregionen Ost- und Südasiens. Deutsche Firmen haben gute Chancen auf einen bedeutenden Anteil an den Investitionsaufträgen, die ein Volumen von bis zu einer Billion US-Dollar erreichen könnten, heißt es in Berlin. Dabei geht es auch um groß angelegte Projekte zur lückenlosen Kontrolle der Arbeitsbevölkerung in den arabischen Feudaldiktaturen. Den Projekten kommt wegen fehlender Datenschutz-Beschränkungen am Golf experimentelle Bedeutung für zukünftige Maßnahmen in Europa zu.

Mittelmäßig

Wie die Bundeskanzlerin mitteilte, wird sie sich gemeinsam mit Wirtschaftsminister Glos um den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen in die arabischen Länder bemühen, vor allem zu den Staaten am Persischen Golf. Auch in Ägypten, der ersten Reisestation, standen Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung auf dem Programm, doch kämpft Berlin hier vor allem gegen Einflusseinbußen. Die Importe des nordafrikanischen Landes, der traditionellen arabischen Vormacht, steigen weiterhin stark an, werden jedoch zunehmend aus den asiatischen Boomregionen bezogen. Deutschland hat inzwischen seine zweite Position in der Rangliste der Lieferländer Ägyptens - mit deutlichem Rückstand gegenüber den USA - verloren und ist hinter die Volksrepublik China zurückgefallen. Auch unter den Investoren nehmen deutsche Unternehmen nur eine mittlere Stellung ein. Größter deutscher Investor ist der Energiekonzern RWE Dea, der seit 1974 gemeinsam mit seinen Partnern mehr als drei Milliarden US-Dollar in den ägyptischen Erdöl- und Erdgassektor investiert hat. RWE komplettiert damit sein nordafrikanisches Expansionsgebiet (Algerien, Libyen), obwohl die ägyptischen Ressourcen als nicht besonders umfangreich gelten.

Neue Ansprüche

Um den Zugriff auf Rohstoffe geht es auch in Riad, der zweiten Reisestation der Bundeskanzlerin. Saudi-Arabien ist das einzige Land am Persischen Golf, aus dem Deutschland eine nennenswerte Menge Erdöl einführt.[1] Wie es heißt, haben die dortigen Feudalherrscher Interesse an einer engeren Öl-Kooperation mit Deutschland und ziehen die Einbeziehung deutscher Firmen in die Ressourcenexploration in Betracht. Ein Vorstandsmitglied des Energiekonzerns Wintershall gehört der Delegation an, die den deutschen Wirtschaftsminister auf die Arabische Halbinsel begleitet. Wintershall ist bereits seit 1969 in den Vereinigten Arabischen Emiraten tätig und beteiligt sich seit 1997 an Ressourcenprojekten in Qatar; die Firma könnte ihre bisherigen Aktivitäten nun zu einem Expansionsschwerpunkt am Persischen Golf ergänzen. Wie Angela Merkel mitteilt, erhebt die Bundesregierung jetzt Anspruch auf Energierohstoffe aus der Region, die bislang zu einem großen Teil nach Ostasien exportiert werden. Unter anderem mit dem Bezug von Flüssiggas aus den Golfstaaten soll die deutsche Energieabhängigkeit von Russland gemindert werden. Eon errichtet derzeit das erste deutsche Flüssiggas-Terminal in Wilhelmshaven, das in vier Jahren den Betrieb aufnehmen kann.

King Abdallah Economic City

Noch bessere Aussichten als im Ressourcensektor der Golfstaaten, den Berlin lange vernachlässigt hat, werden deutschen Firmen bei der Neuerschließung der Arabischen Halbinsel eingeräumt. Dort werden ganze Städte errichtet, um eigene Industriebranchen aufzubauen und die Abhängigkeit von den Rohstoffexporten zu verringern. Saudi-Arabien hat in Medina eine "Knowledge Economic City" gegründet; dort wird wissensbasierte Industrie angesiedelt und mit neuen Wohnsiedlungen und Geschäftsvierteln ergänzt - Investitionsvolumen: 5,5 Milliarden Euro. Etwas nördlich von Jiddah soll um einen neu entstehenden Handelshafen, nach Fertigstellung einer der zehn größten Häfen weltweit, auf 55 Millionen Quadratmetern ein gänzlich neues Wirtschaftszentrum entstehen: "King Abdallah Economic City" mit einer halben Million Arbeitsplätzen, Investitionsvolumen 22 Milliarden Euro. Man hoffe auf "lukrative Aufträge auch für deutsche Unternehmen", teilt die deutsche Botschaft in Riad mit.[2] Auch die Vereinigten Arabischen Emirate planen ähnliche Projekte. "Die Chancen für deutsche Unternehmen sind grundsätzlich hervorragend", heißt es bei der deutschen Botschaft in Abu Dhabi: "Angesichts vertrauensvoller bilateraler Beziehungen" setze sich "die politische Führung des Emirats in besonderem Maße für die Ansiedlung deutscher Unternehmen ein".[3] Die Vereinigten Arabischen Emirate unterhalten seit dem Jahr 2004 eine "strategische Partnerschaft" mit Deutschland.

Eisenbahnlinien

Besondere Aufmerksamkeit widmet Berlin der Verkehrsinfrastruktur, die die neu entstehenden "Wirtschaftsstädte" mit den alten Ressourcenzentren verbinden sowie die Arabische Halbinsel zum zentralen Umschlagplatz für den Handel zwischen Europa, Afrika und den Boomregionen Ost- und Südasiens ausbauen soll. Im Zentrum des deutschen Interesses stehen mehrere neue Eisenbahnverbindungen. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG, Hartmut Mehdorn, sowie ein Vorstandsmitglied von Siemens begleiten in diesen Tagen Glos zum zweiten Mal innerhalb von neun Monaten an den Persischen Golf.

Die Deutsche Bahn und Siemens gehören dem Saudi Binladin-Konsortium an, das gute Aussichten auf den Zuschlag für den Bau der "Saudi Landbridge" hat. Dabei handelt es sich - in der Nachfolge der 1902 begonnenen Baghdad-Bahn - um eine Eisenbahnlinie von Jiddah am Roten Meer über das zentral gelegene Riad in die petroindustriellen Zonen der saudischen Ostküste - die erste durchgehende Transportverbindung quer über die gesamte Arabische Halbinsel. Deutsche Unternehmen haben auch Interesse am Bau des "Mekka Medina Rail Link", der den Verkehrsknoten Jiddah mit den alten religiösen Zentren und der neu entstehenden "Knowledge Economic City" Medina verbindet. Die Vereinigten Arabischen Emirate planen ebenfalls eine Bahnverbindung quer durchs Land; sie werden beraten von einer Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn AG und von der bundeseigenen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ). Das Projekt ist Teil eines weiteren Konzepts, das die Schaffung einer durchgehenden Bahnverbindung entlang der Golfküste von Kuwait bis Oman vorsieht.

Geostrategie

Der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur auf der Arabischen Halbinsel zum interkontinentalen Drehkreuz verheißt nicht nur der Bahnbranche hohe Gewinne. In Dubai (Vereinigte Arabische Emirate) entsteht derzeit der weltgrößte Flughafen; die dort beheimatete Fluglinie Emirates ist der größte Kunde für den Airbus A380, sie hat 45 Maschinen bestellt. Vor allem aber hat die Flexibilisierung der arabischen Transportmöglichkeiten geostrategische Bedeutung. Sie eröffnet Alternativen zu den Meerengen bei Djibouti (Bab al Mandab) und am Eingang zum Persischen Golf (Straße von Hormuz). Damit weckt sie das besondere Einflussinteresse Berlins, das sich in immer stärkerem Maße der Sicherung der Transportwege für den globalen deutschen Handel widmet.

Paradies

Besondere Aufmerksamkeit schenken staatliche deutsche Stellen auch der Sicherheitsbranche in den Feudaldiktaturen am Golf. Wie das von der Münchener Staatsregierung finanzierte "Außenwirtschaftszentrum Bayern" mitteilt, unterstützt es die Expansion von Unternehmen der sogenannten Sicherheitstechnik unter anderem nach Saudi-Arabien. Dort gibt es, wie in den angrenzenden Ländern, "keinerlei juristische oder administrative Hindernisse beim Einsatz (...) von Überwachungs- und Sicherheitstechnologie", teilt die Bundesagentur für Außenwirtschaft (bfai) mit.[4] "Der Golfraum kann gewissermaßen als Paradies für staatliche Voyeure bezeichnet werden." Die Geschäftschancen gelten als gut. "Angefangen bei der Internetzensur über einen zentralen Server (...) über perfekte Abhörsysteme bis hin zur Abtastung der Iris am Flughafen Dubai (...) ist bereits umfassend in die Kontrollinfrastruktur investiert worden", berichtet die bfai über die Vereinigten Arabischen Emirate, den engsten Kooperationspartner Berlins am Golf.

Erfassen, kanalisieren, kontrollieren

Als größter Markt für sogenannte Sicherheitstechnik gilt jedoch Saudi-Arabien. Nach Auskunft der bfai stellt sich die Regierung in Riad, nicht anders als die übrigen Regierungen der Region, auf eine wachsende, meist immigrierte Arbeitsbevölkerung ein, die unter anderem in den neu entstehenden Wirtschaftsstädten konzentriert werden soll. Mit Repressionstechniken sollen mögliche Unruhen schon vorbeugend erstickt werden. "Es geht aus der Sicht der Obrigkeit in den Golfstaaten darum, erhebliche ausländische Bevölkerungsanteile zu erfassen, zu kanalisieren und auch zu kontrollieren", heißt es bei der bfai.[5] Auch "die eigene Bevölkerung" werde "aus politischen Gründen im Auge behalten".

Die Staaten der Arabischen Halbinsel können damit als Experimentierfelder für Technologien gelten, die in Europa gegenwärtig noch nicht zugelassen sind, aber von Sicherheitspolitikern aufmerksam zur Kenntnis genommen werden. Deutsche Unternehmen sind bereits gut im Geschäft. Siemens etwa hat im vergangenen Jahr die Polizeizentrale in Dubai mit Sicherheitstechnologie ausgerüstet. Firmen aus der Bundesrepublik waren Ende Januar auf der Repressions-Fachmesse Intersec Middle East in den Vereinigten Arabischen Emiraten stark vertreten. Auch der Organisator der Veranstaltung, die Messe Frankfurt, kam aus Deutschland. Unterstützt wurde die deutsche Präsenz direkt aus Berlin: vom Bundeswirtschaftsministerium.


[1] Saudi-Arabien belegte im Jahr 2004 unter den Öllieferanten der Bundesrepublik mit 3,8 Prozent Rang sechs - hinter Russland (33,7 Prozent), Norwegen (19,8 Prozent), Großbritannien (11,8 Prozent), Libyen (11,6 Prozent) und Kasachstan (6,8 Prozent).
[2] Bericht der Botschaft Riad vom 28.06.2006 zu neuen Infrastrukturprojekten in Saudi-Arabien
[3] Bericht der Botschaft Abu Dhabi vom 21.08.2006 zu Projekten im Infrastrukturbereich
[4], [5] Sicherheitstechnik am Golf gefragt; www.bfai.de 25.01.2007

Mehr unter www.german-foreign-policy.com


Online-Flyer Nr. 81  vom 07.02.2007

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE