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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Globales
Bundesregierung und Industrie bereiten sich auf US-Krieg gegen Iran vor
Irak als neuer „Energiepartner“
Von Hans Georg

Angesichts deutlicher US-Vorbereitungen auf einen weiteren Angriffskrieg im Mittleren Osten verlangen Berliner Außenpolitiker verstärkte Teilhabe an den Energieressourcen des Irak. Der Energiebedarf Deutschlands und der EU werde in den kommenden Jahren kontinuierlich steigen; daher müsse der kriegszerstörte und vor dem Zerfall stehende Golfstaat "bald wieder zu einem bedeutenden Ölproduzenten werden", fordert der Abgeordnete Eckart von Klaeden, Leiter der CDU/CSU-Arbeitsgruppe Außenpolitik im deutschen Parlament. Für den kommenden Juni bereitet das Bundeswirtschaftsministerium eine Deutsch-Irakische Wirtschaftskonferenz vor, bei der die Erdölbranche des Irak zu den Schwerpunktbereichen gehören wird.
Interessenkonflikte beherrschen weiterhin die Auseinandersetzungen mit Teheran. Während deutsche Unternehmen ihre milliardenschwere Iran-Expansion gegen massiven US-Druck zu halten suchen, trifft Washington im Persischen Golf Maßnahmen, die Voraussetzungen für Militärschläge gegen Teheran schaffen. Die Bundesregierung habe mit ihrem Einsatz für die Iran-Sanktionen der UNO "den US-Kriegstreibern einen wichtigen Dienst erwiesen", urteilt Iran-Experte Prof. Dr. Mohssen Massarrat im Gespräch mit german-foreign-policy. Trotz gegenläufiger Wirtschaftsinteressen rechnet Massarrat nicht mit ernsthaftem Widerstand Berlins, sollte die verbündete westliche Supermacht ihre Herrschaft über die Golfregion mit weiteren militärischen Mitteln durchzusetzen versuchen.

Wie Massarrat, Professor für Politikwissenschaft und Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Osnabrück, vermutet, will Washington mit gezielten Provokationen "die iranische Führung zu einer schwerwiegenden Kurzschlussreaktion treiben".[1] Die Kriegsvorbereitungen dauern an: Washington hat einen Admiral der US Navy mit Erfahrungen in der maritimen Kampfführung für seegestützte Luftangriffe zum Chef des US Central Command (Centcom) ernannt, entsendet eine neue Flugzeugträger-Kampfgruppe in die Golfregion und lässt dort auch Patriot-Abwehrraketen aufstellen. Die von US-Truppen in Arbil zuvor betriebene Entführung mehrerer iranischer Diplomaten soll Teheran herausfordern und zusammen mit weiteren rechtswidrigen Übergriffen Reaktionen hervorrufen, die Vorwände für Militärschläge bieten, sagt Massarrat. Dem Iran-Experten zufolge bieten die UN-Sanktionen, die der Sicherheitsrat im Dezember einstimmig beschlossen hat, eine Art Minimal-Legitimation für eskalierende Schritte Washingtons. Wie Massarrat in Erinnerung ruft, wären die Sanktionen ohne massive Bemühungen der Bundesregierung wohl nicht zustande gekommen.

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de


US-Druck auf deutsche Industrie und Banken

Massarrat rechnet nicht damit, dass Berlin gegen künftige Provokationen Washingtons einschreitet - trotz gegenläufiger deutscher Wirtschaftsinteressen. Erst vor wenigen Tagen musste die Commerzbank unter massivem US-Druck die Abwicklung von Dollar-Geschäften für Iran einstellen; dazu waren zuvor bereits andere Kreditinstitute gezwungen worden, darunter auch die Dresdner Bank. In Wirtschaftskreisen hält der Unmut über amerikanische Repressalien an, die insbesondere Firmen mit umfangreichem US-Geschäft treffen, sobald sie im Iran expandieren wollen, etwa DaimlerChrysler oder Siemens. Siemens soll vor dem Abschluss eines Lokomotiven-Liefervertrages mit Teheran stehen, der ein Volumen von 450 Millionen Euro hat, meidet aber jegliche öffentliche Stellungnahme. "Alles, was das US-Geschäft tangieren könnte, ist tödlich", äußern deutsche Firmenvertreter in der Fachpresse: "Deshalb redet in Teheran keiner über seine iranischen Aufträge".[2] Obwohl der US-Druck zu massiven Exporteinbußen führt - die Iran-Ausfuhren sanken in den ersten drei Quartalen 2006 um 14 Prozent -, hält Iran-Experte Massarrat ernsthaften Widerstand Berlins gegen mögliche Militärschläge nicht für wahrscheinlich: Ähnlich wie im Krieg gegen den Irak seien allenfalls "Lippenbekenntnisse" zu erwarten.[3]

Irak – Schlüsselregion für Energieressourcen

Angesichts einer möglichen Ausweitung der US-Kriegführung gegen Teheran verlangen deutsche Außenpolitiker nun stärkeren Zugriff auf die Energieressourcen des Irak. Die im Windschatten der US-Eskalation veröffentlichten Forderungen erklären das Krisengebiet zu einer "geopolitischen Schlüsselregion des 21. Jahrhunderts", in der "Langzeitinteressen Deutschlands und Europas" eine besondere "Sicherheits- und Energiepolitik" erfordern würden.[4] Wie der CDU-Abgeordnete Eckart von Klaeden, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsgruppe Außenpolitik, in einem Namensbeitrag für die FAZ schreibt, sollen die Erdöltransporte aus dem Irak nach Europa "weiter ausgebaut" werden; zudem müsse die "Nabucco-Pipeline", die Rohstoffe aus Quellen in Zentralasien und im Iran nach Europa leiten wird, stärker in die Planungen einbezogen werden. Insbesondere der Irak müsse "ein guter und stabiler Partner für Deutschland und Europa" werden - schließlich war er "einmal unser wichtigster Handelspartner in dieser Region". Klaedens Empfehlungen nutzen die gegenwärtige Schwächephase der US-Besatzungskräfte im Irak zu lauteren Rufen nach angemessener Teilhabe; gleichzeitig wird die Bindungswirkung der US-Kriege betont, der Berlin wegen seines Ölbedarfs letztlich nicht ausweichen könne ("Langzeitinteressen Deutschlands und Europas").

Außenstelle in Irakisch-Kurdistan geplant

Zur raschen Eingliederung des Irak in die deutsch-europäische Peripherie verlangt Klaeden entschlossene Maßnahmen. Eine deutsch-irakische Handelskammer müsse aufgebaut werden, zunächst im Exil in Amman (Jordanien) mit einer "Außenstelle in Arbil im ökonomisch florierenden Irakisch-Kurdistan".[5] Dort unterhalten die USA einen Militärstützpunkt, der auch im Falle eines Rückzugs aus den übrigen Teilen des Irak als Wagenburg dienen soll. Wie Klaeden schreibt, könne der deutsche Wirtschaftsstützpunkt in Arbil "viele in Deutschland ausgebildete Kurden, die in ihre Heimat zurückgekehrt sind", als Kontaktpersonen nutzen. Auch "Führungs- und Nachwuchskräfte" aus dem Irak, die in Deutschland aus- und fortgebildet worden seien, müssten "auf die mittelfristige Rückkehr in ihre Heimat" vorbereitet werden; auf diese Weise ließen sich "die traditionell engen deutsch-irakischen Wirtschaftsbeziehungen neu beleben". Klaeden verlangt schließlich die Errichtung deutscher Kulturinstitute, zunächst ebenfalls in den kurdischsprachigen Landesteilen. Dieser Idee widmet nicht nur das Auswärtige Amt (AA) seit längerem intensive Bemühungen. Als die angebliche AA-Mitarbeiterin Susanne Osthoff Ende 2005 einen solchen Kulturstützpunkt aufbauen sollte, war auch die deutsche Auslandsspionage (BND) mit von der Partie.[6] (Siehe auch NRhZ 22,26,27) Die nachrückende Eroberung des Irak durch deutsche Interessenten verläuft auf sämtlichen Ebenen.

Wachstumsmarkt Irak“ soll Verluste im Iran ausgleichen

Um die Eingliederung des Irak in die deutsch-europäische Peripherie voranzutreiben, kündigt die Nordafrika Mittelost Initiative der Deutschen Wirtschaft (NMI) für den 19. und 20. Juni die dritte Deutsch-Irakische Wirtschaftskonferenz an.[7] Auftraggeber ist das Bundeswirtschaftsministerium. Die Konferenz soll "den langfristigen Erfolg deutscher Unternehmen in diesem Land sichern", teilt die NMI mit: "Es ist zu erwarten, dass sich der Irak zum größten Wachstumsmarkt der Region entwickelt, wenn sich das politische Umfeld stabilisiert."[8] Zu den Schwerpunktthemen der Veranstaltung gehören auch die "Bereiche Öl und Gas". Sollte es gelingen, die deutschen Wirtschaftsbeziehungen mit Irak auf ihr früheres hohes Niveau zu heben, könnte das mögliche Verluste deutscher Firmen bei einem Überfall auf den Iran kompensieren, mutmaßen Kreise der deutschen Außenpolitik. Solche Szenarien überspielen die zu erwartenden Folgen eines Angriffs auf Teheran und tragen dazu bei, der Kriegsgefahr ohne Widerstand zu begegnen.
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[1] Interview mit Prof. Dr. Mohssen Massarrat; 15.01.2007
[2] USA drängen deutsche Firmen aus Iran; Handelsblatt 11.01.2007
[3] Interview mit Prof. Dr. Mohssen Massarrat; 15.01.2007
[4], [5] Der Irak braucht uns jetzt; Frankfurter Allgemeine Zeitung 13.01.2007
[6] s. dazu Rückzugsgebiet und Zum Verbleib ermutigt
[7] s. auch Erste Erfolge, Reformkurs, Tribale Elemente und Hass und Kriegsbereitschaft
[8] Vorankündigung: 3. Deutsch-Irakische Wirtschaftskonferenz vom 19. bis 20. Juni 2007 in Hamburg; Nordafrika Mittelost Initiative der Deutschen Wirtschaft 22.12.2006

Das vollständige Interview mit Prof. Dr. Mohssen Massarrat finden Sie auf
http://www.german-foreign-policy.com

Online-Flyer Nr. 79  vom 24.01.2007

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