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Wirtschaft und Umwelt
Interview mit Jürgen Grässlin zu Strafanzeigen gegen Zetsche und andere Mercedes-Manager
„Das Jahr 2007 birgt Explosionskraft“
Von Peter Kleinert

Der Autor und Sprecher der Kritischen AktionärInnen DaimlerChrysler, Jürgen Grässlin, publizierte im November 2005 sein Buch „Das Daimler-Desaster“, auf dessen Erscheinen der Konzern vergeblich Einfluss zu nehmen suchte. Im Frühjahr 2006 erklomm das Werk Platz 1 der deutschen Wirtschaftsbestseller-Listen. In der Folge verklagten DaimlerChrysler und der Ex-Vorsitzende Jürgen Schrempp den Buchautor vor dem Landgericht Hamburg und der amtierende Vorsitzende Dieter Zetsche Grässlin vor dem Landgericht Berlin auf Unterlassung mehrerer konzernkritischer Aussagen. Am 19. Januar 2007 wird das Landgericht Hamburg seinen Entscheid verkünden. Im Fall Zetsche hat Grässlin jetzt die Strategie gewechselt und geht zum Frontalangriff über. (Siehe auch NRhZ 60, 62 und 67.)

NRhZ: Sie haben Strafanzeige gegen mehrere Mercedes-Manager, auch gegen den amtierenden Vorstandsvorsitzenden Dieter Zetsche, gestellt. Wann und in welchem Zusammenhang sollen sie Falschaussagen vor Gericht gemacht haben?

Grässlin: Über meinen Tübinger Rechtsanwalt Holger Rothbauer habe ich am 18. Dezember bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart Strafanzeige gegen den früheren Daimler-Vertriebsvorstand und heutigen Daimler-Chef Dr. Dieter Zetsche sowie vier weitere Konzernmitarbeiter und -Händler erstattet. Dabei handelt es sich um den früheren Mercedes-Vertriebschef Dr. Jürgen Fahr, den Mannheimer Mercedes-Gebietsleiter Achim Kowalski, den Leiter des Mercedes-Autohauses Heinrich Gramling in Mosbach und dessen Pkw-Verkaufsleiter Rainer Körner. Sie alle haben im Strafverfahren vor dem Landgericht Stuttgart als Zeugen gegen den Neudenauer Spediteur Gerhard Schweinle und dessen Mitarbeiter Kai-Uwe Teich ausgesagt. Zetsche durfte als Vorstandsmitglied nicht vereidigt werden und steht deshalb im Verdacht der uneidlichen Falschaussage. Die anderen vier haben ihre Aussagen beeidet und stehen deshalb im Verdacht des Meineids. Hinzu kommt mein Vorwurf des Betrugs und der Untreue gegen alle fünf.

Das sind schwerwiegende Vorhaltungen, die Sie da aussprechen. Um was ging es bei dem Gerichtsverfahren gegen die beiden Spediteure?

Schweinle und Teich wurde vorgeworfen, die DaimlerChrysler AG durch so genannte ‚Graumarktgeschäfte’ betrogen zu haben. Bei Graumarktgeschäften geht es darum, dass Autounternehmen großzügige Rabatte geben, um auf dem deutschen Markt schlecht verkäufliche Fahrzeuge über freie Händler – also jenseits der autorisierten Niederlassungen und Autohäuser – in den internationalen Markt zu pressen. In Deutschland ist diese Praxis rechtlich erlaubt, auf EU-Ebene sogar gewollt, da wir Kunden dann europaweit Fahrzeuge preisgünstig erwerben können. Alle Autokonzerne dürfen Graumarktgeschäfte tätigen, einzig DaimlerChrysler nicht.

Weshalb fällt DaimlerChrysler auf EU-Ebene bei Graumarktgeschäften eine Art Sonderrolle zu?

Jürgen Schrempp und der Buchautor, Maler und Lehrer Jürgen Grässlin
Jürgen Schrempp und der Buchautor, Maler und Lehrer Jürgen Grässlin
Foto: NRhZ-Archiv



Als einziger Autokonzern hat der Daimler-Konzern bei der EU eine Ausnahmeregelung für Graumarktgeschäfte erwirkt. Diese besagt, dass ausschließlich Mercedes-Niederlassungen und -Händler Mercedes-Fahrzeuge vertreiben dürfen, nicht aber freie Händler. Das so genannte ‚selektive Vertriebssystem’ nützt dem Unternehmen, verpflichtet es aber zugleich gegenüber der Europäischen Union, die vereinbarte Ausnahmeregelung auch definitiv einzuhalten. In Wirklichkeit haben Daimler-Benz und ab 1998 DaimlerChrysler die selbst gewünschte EU-Ausnahmeregelung umgangen und über Jahre hinweg in gewaltigem Umfang Graumarktgeschäfte betrieben.

Was bedeutet diese Sonderrolle der DaimlerChrysler AG für das Strafverfahren gegen Schweinle und Teich?

Die Graumarktgeschäfte wurden eigentlich nicht von den Spediteuren Gerhard Schweinle oder Kai-Uwe Teich, sondern vom Mercedes-Mann Uwe Brandenburg betrieben. Damit diese dubiose Daimler-Geschäftspraxis nicht offenkundig wurde, arbeitete Brandenburg direkt in der Zentrale der Schweinle-Gruppe unter dem Pseudonym ‚Herr Simon’. Dennoch hat DaimlerChrysler die beiden Spediteure wegen Graumarktgeschäften angeklagt – ein absurder Vorgang. Noch absurder aber ist die Tatsache, dass Schweinle und Teich vom Landgericht Stuttgart wegen des vermeintlichen Betrugs zu Lasten der DaimlerChrysler AG zu mehrjähriger Haft verurteilt wurden, nachdem die Herren Zetsche, Fahr, Kowalski, Gramling und Körner als Zeugen ausgesagt und Schweinle und Teich nicht entlastet bzw. sogar belastet hatten. Die beiden Spediteure mussten ihre Haft in der Justizvollzugsanstalt Stammheim absitzen. Erst nach zwei bzw. gut zweieinhalb Jahren wurden sie freigelassen, da der Bundesgerichtshof in Leipzig das Stuttgarter Urteil im Juni 2004 aufhob.

Dann hätten Sie doch gegen das Urteil des Landgerichts Berlin auf Unterlassung Ihrer Kritik an Zetsche und anderen Berufung einlegen und vor das Berliner Kammergericht ziehen können.

Das Problem meiner Aussage im ARD-Kulturmagazin „titel thesen temperamente“ war der von mir formulierte mögliche Kausalzusammenhang zwischen den Zeugenaussagen der fünf Daimler-Manager und -händler und der Verurteilung der damals Angeklagten Gerhard Schweinle und Kai-Uwe Teich durch das Landgericht Stuttgart. So verlangte das Berliner Landgericht den Beweis, dass die Aussagen der fünf Daimler-Zeugen die Vorsitzende Richterin Rieker-Müller zu ihrer damaligen Verurteilung von Schweinle und Teich beeinflusst hätten. Die nunmehr folgenden jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen hätten nicht nur unnötig Zeit, Kraft und Geld gekostet, sondern schlichtweg vom Kern des Problems abgelenkt. Die Schlüsselfrage lautet doch, ob die fünf Daimler-Zeugen vor Gericht die Wahrheit gesagt haben oder nicht. Meine Strafanzeigen und meine neuen brisanten Dokumente und Beweismittel eröffnen jetzt der Staatsanwaltschaft Stuttgart als zuständiger Ermittlungsbehörde die Möglichkeit, ihrem Auftrag nachzukommen. Im Übrigen kann ich zu einem späteren Zeitpunkt – beispielsweise nach erfolgreichem Verfahren gegen die fünf von mir Angezeigten – beantragen, das Verfahren in Berlin wieder aufzunehmen.

Gegen Dieter Zetsche und andere haben Sie Strafanzeige gestellt, nicht aber gegen Jürgen Schrempp. Warum nicht gegen den damaligen Vorstandsvorsitzenden?

Was nicht ist, kann noch werden. In der Ära Zetsche/Schrempp hat DaimlerChrysler mit Graumarktgeschäften EU-Recht gebrochen. Aus meiner Sicht lassen meine Dokumente und Beweismittel nur den Schluss zu, dass die seitens der Europäischen Union untersagten Graumarktgeschäfte bis ins Daimler-Topmanagement gewollt waren und aktiv betrieben wurden. So habe ich der Staatsanwaltschaft Stuttgart unter anderem die notariell beglaubigte Eidesstattliche Versicherung eines Informanten vorgelegt. Dementsprechend hatte Heinrich Gramling behauptet, ‚die Geschäfte mit dem Steuerbetrug’ seien ‚von Seiten der Daimler-Vorstände Mangold, Zetsche und Schrempp voll unterstützt und verantwortlich mitgetragen’ worden. Das Jahr 2007 birgt also Explosionskraft für alle offenbar in diesen Skandal verwickelten Mercedes-Mitarbeiter und -händler, allen voran für die Herren Zetsche und Schrempp.

Was aber, wenn die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen die Herren Fahr, Kowalski, Gramling und Körner ernsthaft betreibt, den amtierenden DaimlerChrysler-Vorsitzenden Zetsche jedoch verschont? Schließlich ist Zetsche Deutschlands mächtigster Manager.

Eine spannende Frage! Aufgrund verschiedener Rückmeldungen, habe ich in den vergangenen Tagen den Eindruck gewonnen, dass der Stuttgarter Staatsanwalt Dr. Maak derzeit ernsthaft gegen die vier Mercedes-Mitarbeiter und -Händler ermittelt. Zugleich könnte ich mir durchaus vorstellen, dass die DaimlerChrysler-Führung Interesse daran hat, dass hier Bauernopfer gebracht werden und Daimler-Boss Zetsche dafür von einem Ermittlungsverfahren mit all den Folgen verschont bleibt.

Stopp. Jetzt vermengen Sie zwei Ebenen: das Vorgehen einer staatlichen Ermittlungsbehörde und das eines Industrieunternehmens!

Keiner der Zeugen wurde vor dem Urteil vernommen
Foto: NRhZ-Archiv

Mehr noch, genau genommen spreche ich von drei Ebenen: der wirtschaftlichen in Form des Konzerns, der staatlichen in Form der Staatsanwaltschaft und der politischen in Form der hiesigen Landesregierung. Staatsanwaltschaften sind weisungsgebunden, das heißt, der baden-württembergische Justizminister Prof. Dr. Ulrich Goll kann veranlassen, dass die Ermittlungen gegen den Dieter Zetsche aufgenommen oder unterbunden werden.

Welchen Anlass sollte Baden-Württembergs Justizminister Goll haben, die Ermittlungen gegen Konzernchef Zetsche zu unterbinden?

Hoffentlich keine. Justizminister Goll ist Mitglied der FDP, die sich in Baden-Württemberg bekanntlich in einer Regierungskoalition mit den Christdemokraten befindet. Die innigen Kontakte zwischen dem CDU-Landesvater Günther Oettinger und dem DaimlerChrysler-Chef Zetsche sind weithin bekannt. Aber lassen Sie mich an dieser Stelle erst einmal die Hoffnung aussprechen, dass die Stuttgarter Staatsanwaltschaft ihrer Verpflichtung nachkommt und die Ermittlungen gegen alle fünf von mir Angezeigten aufnimmt.

Wenn nicht, wären Sie mit Ihren Bemühungen gescheitert, Licht ins Dunkel von Daimlers Graumarktgeschäften zu bringen?

Keinesfalls. Doch sollten die Verfahren gegen die vier untergeordneten Mercedes-Männer eröffnet und das gegen den Daimler-Boss Zetsche unterbleiben, dann läge auf der Hand, dass in Deutschland ein Zwei-Klassen-Recht gilt: eines für Normalbürger und eines für die Mächtigen der Republik. Doch die mir vorliegenden Unterlagen, die ich der Staatsanwaltschaft zugeleitet habe, besitzen meines Erachtens immense Beweiskraft. Die umfassenden Schriftstücke belegen per Vereinbarung und Faxdokument eine Vielzahl real erfolgter Graumarktgeschäfte in der Ära der Daimler-Vorstände Zetsche/Schrempp bezogen auf die Aktivitäten der Herren Fahr, Kowalski, Gramling und Körner. Herr Fahr hat bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass er in seiner damaligen Funktion als Mercedes-Vertriebschef die Herren Zetsche und Schrempp über Graumarktgeschäfte informiert hat.

Was passiert, wenn alle Stricke reißen und die Staatsanwaltschaft, ob gezwungen oder nicht, die Ermittlungen gerade gegen den Daimler-Vorsitzenden Zetsche verweigert?

Dieter Zetsche auf der Daimler-Hauptversammlung 2006
Dieter Zetsche auf der Daimler-Hauptversammlung 2006
Foto: NRhZ-Archiv



Diese Situation hatten wir im Frühjahr 2005 schon einmal. Damals hatte Schweinle Strafanzeige gegen Zetsche gestellt. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft verweigerte die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Daimler-Boss mit dem Verweis auf einen vermeintlich fehlenden Anfangsverdacht. Inzwischen aber ist die Sachlage eine ganz andere: Die meinerseits der Staatsanwaltschaft vorgelegten neuen internen Daimler-Dokumente sowie die notariell beglaubigte Eidesstattliche Versicherung legen meiner Ansicht nach eindeutige Schlüsse nahe. Sollte das von Ihnen aufgezeigte Worst-Case-Szenario dennoch zutreffen, dann werde ich auf allen drei Ebenen sämtliche notwendigen Schritte in die Wege leiten, um  Aufklärung zu erzwingen. Und da steht mir – bei sicherlich immensem öffentlichem Interesse – eine breite Palette juristischer und politischer Vorgehensweisen offen.

Weitere Informationen siehe www.juergengraesslin.com



Online-Flyer Nr. 76  vom 26.12.2006



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