NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

zurück  
Druckversion

Lokales
Verfassungsschützer demonstrieren gegen Umzug von Köln nach Berlin
Geheimdienstler als Rheinseparatisten
Von Hans-Detlev v. Kirchbach

"BFV bleibt in Köln und "Solidarität mit dem Verfassungsschutz".  Parolen auf einer Demo und  Kundgebung von - man mag's kaum glauben - VerfassungsschutzbeamtInnen am 1. Dezember vor dem Kölner Rathaus, die zeigen, daß  die notorischen Ausspäher und professionellen Verdächtiger sozialer Protestbewegungen von ihrer "Klientel" gelernt haben - zumindest von der Sprachform her.

"Der Kampf geht weiter!", rief denn auch der Kundgebungsleiter aus, ein Herr Jacobi, der  als "Personalratsvorsitzender" im Bundesamt für Verfassungsschutz vorgestellt wurde. Da fehlt an sich nur noch die  Straßenblockade oder die Besetzung der "Verfassungsschutz"-Zentrale durch die hauptamtlichen Inkriminatoren jeglicher  unbotmäßiger Bürgeraktivität, deren Verdammung Umtriebe wie Sitzblockaden und Hausbesetzungen seit Jahrzehnten regelmäßig  verfielen.

Was in der Weltsicht eines wackeren Verfassungsschützers eigentlich eine Störung der bestehenden Ordnung darstellt, die auf ewig registriert und nie verziehen, dem Normalverbraucher nach Jahrzehnten noch als "belastende Erkenntnis" präsentiert wird, tun die beamteten Volksbeobachter nun selber: Sie gehen auf die Straße, sie  demonstrieren, protestieren und pfeifen wütend, sobald der Name des Bundesinnenministers Schäuble oder seines Staatssekretärs, des Ex-BND-Präsidenten  Hanning fällt. Einige von ihnen zeigten sich sogar nach Autonomenart vermummt, was bei anderen Demos sogleich die Polizei auf den Plan gerufen hätte, hier aber als natürliches Staatsschützer-Privileg durchging. Geraten die Stützpfeiler der Inneren Sicherheit ins Wanken, von einer Seite her, die wir als vorverdächtige  Normalbürger und gewöhnlicher Demonstrationspöbel nie für möglich gehalten hätten?

OB Schramma: Stolz auf Bundeswehr und Verfassungsschutz unterm Dom
OB Schramma: Stolz auf Bundeswehr und Verfassungsschutz unterm Dom
Foto: H.D.v.Kirchbach



Zwergenaufstand oder: Aufruhr der Staatsschützer

Vielleicht, denn es geht um das einzige Anliegen, für das ein ordentlicher deutscher Beamter überhaupt auf die Barrikaden gehen, womöglich sogar seinem Dienstherrn die Loyalität aufkündigen würde: die unanfechtbare Bequemlichkeit der eigenen  Beamtenexistenz. Die aber sehen die Kölner Verfassungsschützer ausgerechnet durch Bundesinnenminister Schäuble in seiner  abgehobenen Leichtfertigkeit und unter "Bruch ausdrücklicher Zusagen" frevlerisch angegriffen. Ein Handschlag auf einem Viehmarkt sei mehr wert als ausdrückliche Zusagen des Bundesinnenministers, zürnte Herr Jacobi unterm Jubel seiner  KollegInnen. Die sind in der Tat stinksauer. Aus - in ihrer Sicht - gutem Grund: Beginnend mit ca. 250 "Experten" der "Abteilung VI", welche für den so genannten "Islamismus" zuständig ist, sollen in nächster Zeit die wohlbestallten Beamten des Inlandsgeheimdienstes ihr von uns allen nicht nur durch Dienstgehälter, sondern durch Dauerbespitzelung der Gesellschaft teuer bezahltes öffentliches Dienst-Sitzfleisch aus ihren komfortabel gepolsterten Chorweiler Amtsstubensesseln erheben. Denn im Sinne eines preußisch-autoritären, machtgeballten Zentralismus, wie ihn schon Schily geradezu fanatisch vertrat und Schäuble zu allem entschlossen nunmehr durchsetzt, sollen unsere Oberausspäher aus dem anheimelnden Karnevalsdorf am  Rhein an die weit weniger idyllische Spree, in die eher unbehagliche Machtkapitale Berlin umziehen. Dort will Schäuble mit  langfristiger Konzentration und  Vernetzung aller staatlicher Observations- und Repressionsmacht, insbesondere der   Verschmelzung von Geheimdienst- und Polizeibehörden, das Projekt vollenden, von dem schon der ehemalige VS-Boß und Berliner CDU-Innensenator Ekkehart Werthebach tagträumte: das zentrale, keiner Machtbegrenzung mehr unterworfene  Bundessicherheitsamt. So jedenfalls benannte Werthebach sein ideelles Lieblingskind. Mag sein, daß Schäuble diesem Homunculus einer totalen Sicherheitsideologie vorerst noch einen leichter verdaulichen Tarnnamen geben wird, wie etwa "neue Sicherheitsarchitektur", "Synergiestruktur der Inneren Sicherheit" und ähnliche Ungetüme aus dem Politschwatzkasten. Mag auch sein, daß die Einzelbehörden als solche zunächst durchaus noch formal eigenständig bleiben, daß das Bundeskriminalamt also ebenso wie die 17 Bundes- und Landesämter für so genannten Verfassungsschutz ihre Namen ebenso  behalten wie - besonders wichtig für mindestens 17 Spitzenbeamte - ihre "Präsidenten".

Lale Akgün: Beobachtungsobjekte hier und nicht in Berlin
Lale Akgün: Beobachtungsobjekte hier und nicht in Berlin
Foto: H.D.v.Kirchbach



Eigenheim-Mentalität wider Staatsarchitektur?

Doch in engster, von keinerlei Daten- und Persönlichkeitsschutz mehr ausgebremster, Verflechtung werden und sollen die expandierenden Agenturen der so genannten  Inneren Sicherheit de facto einen einzigen funktionalen Organismus der Überwachung, Kontrolle, Verdächtigung der gesamten Bevölkerung bilden. Letztendliches Ziel ist, jede normwidrige Handlung, jede abweichende Strömung zu erkennen, zu benennen, zu beseitigen. Die so genannten Verfassungsschützer  m ü s s e n  also nach Berlin, auch in Zeiten virtueller  Kommunikation, um diese "neue Sicherheitsarchitektur" auch topographisch und physisch zu repräsentieren.

Wie kleinformatig sind dagegen doch manche Árgumente der protestierenden Verfassungsschützer, wie etwa: Man sei in Köln "heimisch" geworden, habe sich "Eigentum" und "Lebensmittelpunkte" aufgebaut. Mal abgesehen davon, daß die  Verfassungsschützer auf die "Lebensplanungen" ihrer Observations- und Denunziationsopfer bislang auch noch nie Rücksicht  genommen haben - Stichwort: Regelanfrage und Berufsverbote - verkennen solche kleinbürgerlichen Jammereien doch die Größe der historischen Aufgabe, die gerade Staatsschützern eigentlich einleuchten müßte.

Otto Schily: Alles tatkräftig für Nachfolger Schäuble vorbereitet
Otto Schily: Alles tatkräftig für Nachfolger Schäuble vorbereitet
Foto: NRhZ-Archiv


Letztlich ist es nämlich ein fast religiöses Unterfangen, dem sich Schäuble, Schily vollendend, beherzt zuwendet: Der zentral grenzenlos ermächtigte totale Sicherheitsstaat. Der, selbst hinter einem Schleier der Geheimhaltung verborgen, alles sehen, alles hören, alles registrieren, alles im Zweifel sogleich sanktionieren soll, was der Plebs so tut und treibt. Insofern gehen die Warnungen vor einem "Zentralstaat" auf der Kundgebung der rheinseparatistischen Verfassungsschützer genau in die richtige Richtung und trotzdem fehl. Denn die "neue" Sicherheits- und Staatsarchitektur kann gar nicht anders als zentralistisch sein.
 
Da  aber kann es einfach nicht hingehen, daß einzelne Mittel- und Oberbeamte einer ausschlaggebenden Überwachungsbehörde, die doch als einer der Stützpfeiler dieses gigantischen Sicherheitsgebäudes fungieren soll, aus privatistischer Kurzsichtigkeit und beamtentypischer Bequemlichkeit lieber in der Hauptstadt von Schunkeln und Frohsinn verbleiben wollen, statt wie ein Mann militärisch geordnet in die Metropole des neu aufgelegten deutschen Macht- und Ordnungsstaates abzumarschieren. 

Im Zusammenhang mit der säkularen, ja transzendenten Bedeutung eben dieser gerade in Deutschland anscheinend unheilbar zeitlosen autoritären Staatsidee weisen solche Anwandlungen von Familiensinn und Ortsverbundenheit, von Brauchtumsliebe,  Bierseligkeit und FC-Fanatismus Züge einer nachgerade unverantwortlich menschlichen Normalität auf - und das ausgerechnet bei  Geheimdienstlern. Vor dem Hintergrund des "höheren Auftrages"  schrumpfen freilich selbst die fest beamteten Führungsagenten jener  geheimen Armee von inoffiziellen MitarbeiterInnen des Verfassungsschutzes, die  uns auf Honorarbasis bis ins Privatleben hinein ausspähen, auf die Dimension kleiner  Machtgehilfen. Die überschätzen vielleicht ihren Status, nur weil ihre Behörde aus eigener Machtvollkommenheit die politischen Aktivitäten der unverständigen Untertanen staatsverbindlich als verfassungsfeindlich abstempeln darf, wann immer das höheren Orts gewünscht wird. Oder weil Schäuble noch nach der Fußball-WM den Beitrag des Verfassungsschutzes zur Sicherheit dieses überwachungsstaatlichen Zentralevents geradezu hymnisch belobigte. Nun aber können die umzugsunwilligen VS-Bediensteten auf den Elitaristen Schäuble eigentlich nur als uneinsichtige Untergebene wirken, denen der Kopf zurechtgesetzt gehört.

Beobachtungsobjekt oder Objektbeobachter?
Beobachtungsobjekt oder Objektbeobachter?
Foto: H.D.v.Kirchbach


Noch funktioniert der autoritäre Schily- und Schäuble-Staat allerdings nicht ganz so  reibungslos, wie ihn sich seine Schöpfer wohl wünschen. Und so war eben eine der bizarrsten Demonstrationen der gesamten  deutschen Demonstrationsgeschichte nicht vermeidbar: der öffentliche Auftritt einiger Hundertschaften von Verfassungs-"SchützerInnen" in der Rolle von Spontis, die dem Staat oder doch zumindest ihrem Minister den bösen Finger zeigten. Dabei wollen Vater Staats teuere Kostgänger und treueste Wasserträger nur nicht aus ihrem Kölner Laufstall vertrieben werden, fort ins eisige, machtstaatlich erwachsene Berlin.

Volks(vertreter)bewegung für den Verfassungsschutz

Dafür können die verfassungsschützerischen Liebhaber der Rheinprovinz auf den  Schutz rheinischer Provinzpolitiker rechnen, allen voran der Kölner OB Schramma und die örtliche SPD-Bundestagsabgeordnete  Lale Akgün. OB Schramma weiß ja ohnehin, was angeblich alle Kölner wollen. Schon beim letztjährigen Rekrutengelöbnis unter dem Dom etwa hatte er, der Protestkulisse zum Trotz, alle Kölnerinnen und Kölner hochgerührt als LiebhaberInnen des Militärs ausgemacht.

Gleichermaßen begeistert sind die Kölner BürgerInnen vom Verfassungsschutz, das jedenfalls behauptete Schramma in seinem gut aufgelegten Büttenbeitrag vor den VerfassungsschützerInnen. "Wir alle vertrauen darauf, daß hier hervorragende Arbeit geleistet wird zum Schutz unserer Inneren Sicherheit", verkündete er. "Hervorragende Arbeit", wie sie das Bundesamt ja unter anderem mit dem NPD-V-Mann-Skandal "geleistet" hat, aufgrund dessen das Bundesverfassungsgericht den NPD-Verbotsprozeß einstellen mußte. Derlei ficht den Obermeister aller Kölner Bürger allerdings nicht an. Ihm zufolge wünschen sich eine Million KölnerInnen nichts sehnlicher, als daß der Verfassungsschutz in Kölle bleibt. Denn, so der kölsche Volkstribun zum fast schon tränenfeuchten Abschluß seiner Rede: "Mer all sinn Kölle."  Begeisterter Applaus der VerfassungsschützerInnen, die allerdings im wesentlichen unter sich blieben; die in Anspruch genommenen Kölner BürgerInnen verirrten sich nicht auf diese Kundgebung.

Nicht vermummt - aber keine Ahnung von Kennedy
Nicht vermummt - aber keine Ahnung von Kennedy
Foto: H.D.v.Kirchbach


Freilich ließ sich die SPD-Volksvertreterin  Lale Akgün in ihrer Zuneigung für die Volksüberwachungsbehörde von der Begeisterung des CDU-OB Schramma für das  Bürgeraushorchamt nicht übertreffen. Als "Islam-Beauftragte" der SPD-Bundestagsfraktion machte sie den Hauptfeind im "Islamismus" aus - das "Operationsgebiet" für diese Feindlage aber sei eben nicht im Osten und Berlin, sondern hier im Westen. Hier konzentrierten sich für die "hervorragenden Experten" des VS die "Beobachtungsobjekte". Mit welchem Unwort aus der Schreckenskammer von Polit- und Bürokratensprache natürlich Menschen gemeint sind, nämlich solche, die von  rasterfahndendem staatsschützerischem Vorverdacht mit dem Etikett potentieller Terrorismusneigung behaftet werden. Wofür genügt, daß sie aus suspekten orientalischen Weltgegenden stammen und daher ihren "Gott" mutmaßlich anders buchstabieren als Joachim Kardinal  Meisner oder Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen. Wie etwa jener harmlose Ingenieursstudent aus einem verdächtigen Herkunftsland, der kürzlich die nachträgliche Mitteilung erhielt, er sei, weil erstens Afghane und zweitens Student, in die Rasterfahndung nach islamistischen "Schläfern" einbezogen worden.
 
Das ist ja das Schöne an den Doktrinen zur Bekämpfung des Bösen, wie sie gerade in der Abteilung sechs des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit entwickelt worden sind: Verdächtig sind gerade die Unauffälligen, die immer so harmlos tun. Die nicht einmal demonstrieren und den Bundesinnenminister abwatschen wie die aufgebrachten VerfassungsschützerInnen vor dem Kölner Rathaus. Ob es über diese DemonstrantInnen inzwischen auch schon eine Akte beim Verfassungsschutz gibt? -

Sag zum Abschied leise Servus

Noch wichtiger aber scheint die Frage: Was aber sollen wir Kölner BürgerInnen dazu meinen, wenn wir uns von unserem OB nicht einfach widerspruchslos in den Fanclub  des Verfassungsschutzes eingemeinden lassen wollen? Zum einen möchte man den Protest der Verfassungsschützer gerne unterstützen, nicht, weil sie peinlich sentimental ihre Liebe zu Karneval und FC in einem via Internet verbreiteten Video  bekunden - von dem sich aber Herr Jacobi distanzierte, da er "uns nicht von interessierter Seite als Karnevalsveranstaltung lächerlich gemacht" sehen wollte. Einerseits die vollmundigen Bekenntnisse zu Köln ("Das Bundesamt gehört zu Köln wie der Dom", so Jacobi), andererseits aber die plötzliche Distanzierung  vom Karneval - das geht irgendwie nicht zusammen.   

Allerdings geht die ganze Heimattümelei aber auch zumindest dem Kommentator als prinzipiell heimatlosem Kölner Zweck-Immi völlig dort vorbei, worauf die besoldeten Damen und Herren in ihrer Chorweiler Behörde ansonsten sitzen. Sympathisch könnte der Protest der kölnanhänglichen Verfassungsschützer jenseits jeglichen Lokalpatriotismus vielmehr aus einem ganz  anderen Grund erscheinen: weil sie, ausgerechnet sie, mit ihrer fast kindlichen Trotzhaltung zumindest ein kleines Sandkorn in Schäubles autoritär-staatliches Getriebe werfen.

Andererseits  könnte man auch eine gewisse  Erleichterung darüber empfinden, daß Köln demnächst eine Zentralinstitution des totalen Überwachungsstaates und etwa 1.000  Schnüffel- und Spitzelprofis weniger beheimaten wird. Und das mag sogar die 100 Millionen Euro wert sein, die nach Meinung der protestierenden VS-Beamten ein Umzug ihrer Behörde nach Berlin kosten würde.

Online-Flyer Nr. 73  vom 05.12.2006

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE