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Aktueller Online-Flyer vom 18. April 2024  

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Lokales
Leverkusener BAYER-BIS- und Klinikum-Beschäftigte wehren sich:
"Wir sind kein Humankapital"
Von Manfred Demmer und Jan Pehrke

Der Leverkusener Multi will die BAYER INDUSTRY SERVICES (BIS) zerschlagen, sich dabei von wesentlichen Geschäftsteilen trennen und auf diese Weise 3.000 Arbeitsplätze innerhalb des Konzerns vernichten. Von der BIS soll wenig mehr als ein "BISSCHEN" übrig bleiben, denn auch die verbliebenen 3.500 BISler müssen sich auf  drastische Veränderungen einstellen. BAYER beabsichtigt, innerhalb der Abteilungen "Gesundheitsschutz", "Arbeitsschutz" und "Analytik" 600 Arbeitsplätze zu vernichten. GewerkschafterInnen befürchten zudem die Wiedereinführung der 40-Stunden-Woche und/oder Lohnkürzungen.. Die Beschäftigten treibt das zu Protestaktionen, deren Ausmaß in der jüngeren Geschichte des Pharmariesen ohne Beispiel ist.

"BAYER = SIEMENS"

Die Beschäftigten wollen das nicht hinnehmen. "Wir verlangen von der Geschäftsführung, dass die Pläne verschwinden und nach Lösungen unter einem gemeinsamen Dach gesucht wird", so der BIS-Betriebsratsvorsitzende Jörg Feldmann. Bereits wenige Stunden nach Bekanntgabe der Umstrukturierungsabsichten zogen Demonstranten vor die Konzernzentrale. "Wie hier mit Mitarbeitern umgegangen wird, die sich im wahrsten Sinne des Wortes das Kreuz kaputt geschuftet haben für den Konzern", erklärt der BIS-Schwerbehindertenvertreter Frank Weichold. Entsprechend eindeutig fielen die Losungen auf den Transparenten aus. "Wir sind kein Humankapital", "BAYER läuft - über Leichen" oder "BAYER = SIEMENS" lauteten sie.

Am Abend hielten die Belegschaftsangehörigen eine erste Mahnwache. Tags darauf fand eine Betriebsversammlung mit anschließender Demonstration von ca. 4.000 TeilnehmerInnen statt, und am 16. November gingen die BISler wieder auf die Straße. Sogar die sonst eher als soziale Friedensstifterin bekannte IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE schlägt diesmal unversöhnlichere Töne an. "Dass der Arbeitgeber harte Beschlüsse fasst und mit uns dann die sozialen Pflästerchen verhandelt", ist für den IG-BCE-Bezirksleiter Frank Löllgen diesmal nicht drin. Die Gewerkschaft fürchtet nämlich, dass BAYER mit der Zerschlagung der BIS einen Präzedenzfall schafft, und dass andere Chemie-Unternehmen mit integrierten Lösungen dem Beispiel folgen werden.

Montags vor dem BAYER-Tor 1

Montag, 20. November 2006, 16 Uhr, Tor 1 des BAYER-Werks an der Bundesstraße 8. Mehrere hundert Beschäftigte des BAYER-Chemieparks haben sich trotz eines Wetters hier wieder versammelt, bei dem man, wie der Volksmund sagt, "keinen Hund vor die Türe jagen würde". Sie alle treibt die Angst um, ein Opfer des Profitstrebens des Konzerns zu werden und dann in Hartz IV abzustürzen. Die Stimmung ist gut, kämpferisch.

Die Basisbetriebsräte, eine oppositionelle Gewerkschaftsgruppe, die die Montagaktionen vor knapp vier Wochen angestoßen haben, rufen zu einer Demonstration in die Innenstadt von Leverkusen auf. Hunderte lassen sich nass regnen, werden durchweicht - aber sie wollen nicht im Regen der Globalisierungsverlierer stehen bleiben. Hatten sich anfangs noch manche KollegInnen darauf verlassen, dass "die Gewerkschaft schon was macht", merken sie nun, dass sich auch immer mehr Gewerkschaftsfunktionäre an ihre Seite stellen. Heute sprechen Betriebsräte der IG BCE auf der Kundgebung und betonen ihre Solidarität mit den Forderungen.

"Konzernaufsplitterung stoppen!"

In der auf der Kundgebung verteilten "Pille" - Betriebszeitung der DKP für die Beschäftigten des BAYER-Chemieparks - heißt es: "Wenn wir jetzt nicht alle kämpfen, ist unsere soziale Existenz akut gefährdet. Um diese zu sichern, reichen die Forderungen der IG BCE nicht aus, so richtig und wichtig sie sind. Es geht nicht nur darum, bei BIS "Lösungen unter einem Dach", "Absicherung der Arbeitsplätze" und "Chemietarif" zu fordern. Auch um den nötigen Druck dagegen zu entwickeln, dass dem Arbeitgeber der erste Schritt gegen BIS nicht gelingt, dem dann weitere gegen andere Betriebsbereiche folgen sollen, müssen wir jetzt fordern, dass die Konzernaufsplitterung gestoppt wird und dass endlich eine Betriebsvereinbarung verabschiedet wird, die auf Dauer zur Sicherung der sozialen Existenzen aller Mitarbeiter führt. Es geht ans Eingemachte, Kolleginnen und Kollegen. So will es der Bayer-Vorstand auf seiner irrwitzigen Jagd nach dem Höchstprofit. Für die Leute bei BIS jetzt, für die anderen morgen, in drei Monaten oder im Jahr darauf. Deshalb geht BIS uns alle an."

Jeden Montag vor´s BAYER-Tor 1
Jeden Montag vor´s BAYER-Tor 1
Foto: Basisbetriebsräte



Auch Klinikum-Mitarbeiter wehren sichDass diese Einschätzung nicht falsch ist, belegt die Tatsache, dass in Leverkusen auch in anderen Bereichen Arbeitsplatzverlust oder Lohndumping drohen. Kolleginnen und Kollegen der technischen Abteilungen beim Klinikum der Stadt Leverkusen werden damit konfrontiert, dass man von ihnen einen Lohnverzicht von bis zu 40 Prozent zum Erhalt ihrer Arbeitsplätze fordert! Auch sie haben inzwischen zur Gegenwehr aufgerufen. Montag vor einer Woche fand auf Initiative der örtlichen Gewerkschaft ver.di eine Demonstration dieser Kollegen zum Tor 1 von BAYER statt, wo es zu einer gemeinsamen, kämpferischen Aktion kam. Vom Bezirksvorsitzenden von ver.di Rhein-Wupper, Wolfgang Zimmermann,  gab es dabei klare Worte "gegen die Politik von Kapital und Kabinett". Sie machten den Kollegen Mut.

Das wurde sichtbar, als sich nach einer "politischen Mittagspause" am Donnerstag, 16. November, viele in der IG BCE Organisierte an die Seite der Kilinikum-KollegInnen stellten und am gleichen Abend mit 400 Menschen den Konzernbossen deutlich machten, dass man noch aktiver werden kann. Auch viele Bürger waren dem Aufruf zur Podiumsdiskussion gefolgt. Mit gutem Grund - hatte sich doch Oberbürgermeister Ernst Küchler, der als SPD- Bundestagsabgeordneter mit Bundeskanzler Schröder den Sozialstaat zerschreddern half, öffentlich eindeutig auf die Seite der Arbeitsplatzvernichter geschlagen.

Leverkusens OB auf der Seite der Bosse

In einem am Montag verteilten Flugblatt der Kulturvereinigung Leverkusen e. V. heißt es. dazu: "Oberbürgermeister Ernst Küchler stellte sich demonstrativ an die Seite (und saß auch bildlich an der Seite) von BIS-Boss Schäfer. Auch vor dem Forum war der Sozialdemokrat nicht bereit, Positionen der kämpfenden Kolleginnen und Kollegen gegen das Konzerngebaren erkennen zu lassen. Stattdessen verteidigte er noch die Entscheidung der Stadt, den Arbeitsplatzvernichtern von TDM Friction locker ca. 100 Millionen Euro Gewerbesteuer zu erlassen. Zur gleichen Zeit segnete der Ausschuss für Soziales, Gesundheit und Senioren die radikale Kürzung der städtischen Zuschüsse für den sozialen Bereich ab.... Es wurde auch deutlich, dass in Zukunft noch mehr mit Kürzungen zu rechen ist. Begründet wurde dies mit der Feststellung, dass die Stadt das nicht mehr leisten könne."

Diese Parteinahme des OB für die Arbeitsplatzvernichter hat neben vielen Menschen auch eine Reihe von Organisationen dazu gebracht, sich in den Kampf der Betroffenen einzuklinken. Die Kreissynode der Evangelischen Kirche erinnerte die Konzerngewaltigen an die Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Stadtrat Fritz Kunkel, von der Wählergruppe LAUF machte deutlich, dass es im Rathaus auch andere Positionen als die des OB gibt. Auf der Podiumsdiskussion forderte ein Sozialdemokrat den "Ernst" auf, noch am gleichen Abend den "Kurt Beck anzurufen, und ihn aufzufordern, sofort die Gesundheitsreform zu stoppen". Auch der Leverkusener Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach kritisiert die Zerschlagungspläne der beiden BIS-Gesellschaftler BAYER und LANXESS.  Als "Monopolauftraggeber" hätten sie selber es in der Hand gehabt, dem Chemiepark-Betreiber durch faire Preise ein Auskommen zu sichern, statt nur ihre Profitinteressen zu verfolgen, meint der SPD-Gesundheitsexperte. "Politisch doppelzüngig, entlarvend und moralisch ein Armutszeugnis" nennt er das Verhalten der Manager. Sein Fazit lautet: "Der kurzfristige Gewinn ist das Ziel, das ist die ganze Geschichte".

Lieber im Regen demonstrieren als rausfliegen!
Lieber im Regen demonstrieren als rausfliegen!
Foto: Basisbetriebsräte



Solidarität aus Betrieben und Berufsschulen

Bei der Mahnwache vor dem Bayer-Tor 1 trafen in zwischen zahlreiche Grußadressen aus anderen Betrieben ein. Es gab ein Solidaritätsschreiben des DGB-Ortsverbandes Bergisch-Gladbach. Es sprachen Kollegen von BenQ aus Kamp-Linfort, IG BCE-Vertreter von Schering in Bergkamen, IG Metall-Jugendvertreter von Ford Köln ebenso wie Schülervertreter von Leverkusener Berufsschulen. Und bei den Flugblattaktionen in der Stadt erklären auch immer mehr Geschäftsinhaber und Angestellte, dass die von BAYER betriebene und von der Stadtspitze mitgetragene Politik auch ihre Existenzen bedrohe. 

Nach Abschluss dieser erfolgreichen Montags-Aktion versicherte ein älterer Kollege: "Lieber jetzt bei schlechtem Wetter kämpfen, als ewig schlecht leben! Nächste Woche auf ein Neues!" Dass der Kollege Recht hat, zeigt die bisher sichtbar gewordene Konzernstrategie:

Arbeitsplatzvernichtung durch Unternehmensberatung

Bei BAYER INDUSTRY SERVICES hatte bereits im Jahr 2003 ein 150 Millionen schweres Einsparprogramm begonnen, das 1.300 Arbeitsplätze kostete und Lohneinbußen zur Folge hatte. So erhielten die LogistikerInnen von CHEMION ein Entgelt, das um 20 Prozent unter dem Chemie-Tarif lag - Öffnungsklauseln machten es möglich. Aber dem Anschein nach hat die Belegschaft - wie IG-BCE-Bezirksleiter Frank Löllgen  meint - mit dem Lohnverzicht nicht ihre Arbeitsplätze gesichert, sondern nur die Braut geschmückt, damit sie so früh wie möglich von zuhause auszieht.

Die konkreten Vorschläge zur Zukunft von BIS hat die Unternehmensberatung BOSTON CONSULTING GROUP in ihrem Strategiepapier "BIS 2009" ausgearbeitet. Sie hat die Angebote der Service-Gesellschaften mit denen der Mitbewerber verglichen, erwartungsgemäß Preisunterschiede zu Ungunsten der BAYER-Sparte festgestellt und für das Abstoßen einzelner Sparten plädiert, was nach den Hochrechnungen der Consulter ab 2009 einen Rationalisierungsgewinn von 125 Millionen Euro erbringt. Den Job hätte der Vorstand eigentlich auch selber erledigen können, denn mit Zahlen kennt der sich aus. Aber die Manager bedienen sich immer gern auswärtiger Expertise. Die kommt nämlich mit der Autorität eines unabhängigen, objektiven Votums daher und eignet sich deshalb hervorragend als Argumentationshilfe. Dieser bedienten sich die BAYER-Chefs in einem Brief an die Belegschaft dann auch gleich ausgiebig. Die Untersuchung habe gezeigt, "dass wir nicht in allen Bereichen wettbewerbsfähig sind. Jetzt geht es darum, wie wir diese Wettbewerbsfähigkeit erreichen", heißt es darin.

Gewerkschaft: BIS-Umsatz zehn Prozent über Plan

Dabei war es nie Sinn und Zweck der BIS, mit Arbeitsfeldern wie dem Chemiepark-Management, handwerklichen Diensten, Umweltschutz, Entsorgung und Werkschutz Milliarden zu erwirtschaften - das schaffen nicht einmal die mit allen Wassern gewaschenen Leverkusener Profit-Profis. Im Gegenteil: Im Zuge der Umstrukturierung zu einer Holding hatte BAYER in der Service-Gesellschaft alles geparkt, was keinen Gewinn abwirft, um die anderen Unternehmensteile zu entlasten. Deshalb wirft der BIS-Betriebsrat Klaus Hebert-Okon den Unternehmensberatern auch vor, von falschen Voraussetzungen ausgegangen zu sein: "Manche Sparten können nicht wirtschaftlich arbeiten, also muss es auch in Zukunft Quersubventionierung geben". Dagegen vermisst die Gewerkschaft in dem Papier eine "Vorwärtsstrategie". Investitionen etwa kämen in dem Konzept gar nicht vor, moniert Frank Löllgen. Für das Defizit von 17 Millionen Euro macht die IG BCE vor allem Managementfehler verantwortlich und sieht Mittel und Wege für eine integrierte Lösung, zumal der BIS-Umsatz im laufenden Geschäftsjahr zehn Prozent über Plan liegt.

Manfred Demmer gehört zur Kulturvereinigung Leverkusen eV - www.kulturvereinigung.de
Jan Pehrke ist Mitarbeiter der Coordination gegen BAYER-Gefahren - www.cbgnetwork.com
Aktionsfotos und mehr: www.basisbetriebsräte.de


Online-Flyer Nr. 71  vom 21.11.2006



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