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Arbeit und Soziales
Runder Tisch: Gedanken zum Kölner Integrationskonzept
"Herrschaft nicht außer acht lassen"
von Klaus Jünschke

In der Süddeutschen Zeitung vom 21./22. Oktober 2006 konnte man unter der Überschrift "Auf dem Weg in eine inhumane Gesellschaft. Die Abstiegsangst hat die Mittelschicht gepackt - mit gefährlichen Folgen für das soziale Klima" einen Beitrag von Wilhelm Heitmeyer und Sandra Hüpping lesen. Die beiden Sozialwissenschaftler stellten aktuelle Ergebnisse aus ihrer Bielefelder Langzeitstudie vor. Seit Jahren beobachten sie eine Zunahme von Ausgrenzungserfahrungen in der bundesdeutschen Gesellschaft und warnen vor negativen Folgen für das soziale Klima und den "schlimmen Konsequenzen für sozial schwache Gruppen, Ausländer und Obdachlose."

Einige ihrer Forschungsergebnisse: "Waren bereits im Jahre 2002 etwa 77 Prozent der Befragten der Ansicht, dass immer mehr Menschen an den Rand gedrängt werden, hat sich die Zahl de Zustimmenden für das Jahr 2005 nochmals auf 86 Prozent erhöht. Nur rund 17 Prozent der Befragten waren der Ansicht, dass es in dieser Gesellschaft noch einen großen Zusammenhalt gäbe."

Diese Daten stehen nicht nur für eine zunehmenden Vertrauensverlust in das politische System, "selbst im sozialen Nahbereich fühlen sich die Menschen weniger aufgehoben. So vertreten seit 2002 konstant etwa 40 Prozent die Ansicht, dass es immer schwieriger werde,, echte Freunde zu finden."

Neu an dieser Entwicklung ist nicht, dass es Angst, Unsicherheit, Machtlosigkeit und Orientierungslosigkeit gibt, sondern dass nicht nur mehr als die Hälfte der Erwerbstätigen in unteren sozialen Lagen, sondern inzwischen auch "40 Prozent der Befragten in mittleren Soziallagen und sogar ein Viertel in gehobener Position äußern, große oder sehr große Angst vor Arbeitslosigkeit" zu haben. Und damit nicht genug: "Die Frage nach den politischen Teilhabechancen offenbart ein noch düstereres Bild: Knapp 78 Prozent der Personen aus der unteren sozialen Lage und mehr als 63 Prozent der Personen aus den mittleren Soziallagen halten sich für politisch einflusslos. Aus der gehobenen Lage äußern 45 Prozent diese Ansicht".

Bleiberecht-Demo des Rom e.V. in Köln
Bleiberecht-Demo des Rom e.V. in Köln
Foto: NRhZ-Archiv


Die beiden Autoren beziehen die Ergebnisse ihrer Arbeit auf die aktuelle Debatte um die "Unterschicht", an der sie kritisieren, dass sie die sozialen Verschiebungen in der Gesellschaft und ihre Ursachen nicht angemessen berücksichtigen: "Sie müsste sich vielmehr darauf konzentrieren, dass ein globalisierter und härter gewordener Kapitalismus keine soziale Ingeration erzeugt und nationalstaatliche Politik offensichtlich einen Kontrollverlust hinnehmen muss, also entweder nicht bereit oder nicht in der Lage ist, dagegen zu steuern."
Für die Sozialforscher sind die Wahlerfolge der NPD nur ein Symptom einer weiter reichenden Tendenz zu einer inhumanen Gesellschaft: "Diese zeigt sich im Umgang mit schwachen Gruppen und drückt sich beispielsweise in Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus oder der Abwertung von Obdachlosen aus. 

Ihr Fazit: "Es geht also um mehr als um materielle Versorgung. Die Integrationsfähigkeit der Gesellschaft steht für Teile der Mehrheit wie für Minderheiten auf dem Spiel und damit auch die Akzeptanz demokratischer Prinzipien."

Die Schwäche der Analyse beider Sozialwissenschaftler besteht darin, dass sie nicht betonen, dass Integration nicht ohne Segregation gedacht werden kann. Weil es Segregation in der Weltgesellschaft gibt, gibt es Migration, gibt es Flucht- und Wanderungsursachen. Weil es Segregation in jedem einzelnen Land gibt, in jeder Stadt, gibt es Phänomene wie Rassismus, Antisemitismus, Rechtsextremismus und Abwertung von Obdachlosen und anderen Armen.

Die Wissenschaftler sehen, dass es untere, mittlere und obere Lagen gibt, und sie sprechen vom Kapitalismus, aber sie lassen Herrschaft außer acht und lassen Integration im quasi herrschaftsfreien Raum stattfinden. Detlev Ipsen 1983: "Integrationspolitik ist Teil und Form politischer Herrschaft  und muss in diesem Zusammenhang auf ihre Funktion für die Objekte der Integration - die ausländischen Arbeiter - hinterfragt werden." Ein einseitig positiver Gebrauch von Integration ist folglich nicht haltbar. (vgl Hansen 1991, S.13f.)

Auch in den Medien 'Phänomene wie Rassismus'
Auch in den Medien 'Phänomene wie Rassismus'
Foto: NRhZ-Archiv


Dennoch ist gleichzeitig nicht zu übersehen, dass sich Menschen aus anderen Ländern und Menschen in den "unteren Lagen" bemühen dazuzugehören, also integriert zu werden. Als ich Ende der 1980er Jahre die polnische Schriftstellerin Hanna Krall auf der Frankfurter Buchmesse kennen gelernt habe und ihr was vom Kapitalismus in Deutschland erzählen wollte, hat sie lachend eingeworfen: "Wir wollen schon sehr lange mal so ausgebeutet werden, wie ihr". Anfang Oktober war in einem Prozess vor dem Kölner Landgericht deutlich geworden, dass ein Jugendlicher aus Sierra Leone ein schweres Verbrechen begangen hat, um nicht abgeschoben zu werden.


Literatur

Hansen, Georg (1991): Zum Spannungsverhältnis von Integration  und Segregation.
Hagen

Heitmeyer, Wilhelm / Hüpping, Sandra (2006): Auf dem Weg in eine inhumane Gesellschaft. Die Abstiegsangst hat die Mittelschicht gepackt - mit gefährlichen Folgen für das soziale Klima. In: süddeutsche Zeitung vom 21./22. Oktober 2006,  S. 13

Ipsen, Detlev (1983): Was heißt eigentlich "Integration ausländischer Familien"? In: Cinhan, Arin (Hrsg.): Ausländer im Wohnbereich. Berlin


Klaus Jünschke


Klaus Jünschke hat diesen Beitrag am 23. Oktober in der Veranstaltung des "Kölner Runder Tisch für Integration" zur Diskussion gestellt.

Sie auch: Kölner Appell gegen Rassismus






Online-Flyer Nr. 68  vom 31.10.2006



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