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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Lokales
Engel - Steine - Wunderheilung - Körper- und Geistheilung - Meditation - Seminare
Esoterik-Messe Köln
Von Elmar Klevers

Nach Aussage des Veranstalters soll die Esoterik-Messe in Köln eine der größten in Deutschland sein. Sie findet zweimal jährlich in der Mülheimer Stadthalle, die letzte lief vom 6. bis 8.Oktober. Die Stadt Köln vermietet sie an alles was sich Messe nennt und keine Halle der KölnMesse braucht. Dazu gehören auch solche "Messen" mit Desinformationscharakter wie die Esoterik-Messe oder die schon unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde zweifelhafte Sex-Messe.
Ideologien

Die Grundbausteine, aus denen sich das ein- und vielfältige Geschehen einer Esoterik-Messe formt, heißen: Glauben an außerirdische Gottheiten und Mächte sowie deren erhofften Beistand im Leben der Gläubigen; magischer Schutz vor jeglicher Unbill des Lebens; die Hinführung zur ewigen Seligkeit und das Aufzeigen der Wege zur Wiedergeburt. Zu letzterem gehört auch das Erforschen der vergangenen Existenz vor dem Eintritt ins Menschenleben. Auch die Kontaktaufnahme mit Verstorbenen und Engelsbotschaften für den interessierten Gläubigen, Channeling mit außerirdischen, Wahrsagerei, Astrologie, Handlesen, Reiki, Elektroakupunktur, geistige Chirurgie und viele andere "Dienstleistungen" vermitteln den Besuchern ein ganzheitliches Versorgungspaket für alle Lebens- und Todesprobleme.

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Fotos: Rita Grünewald

Was sagt die Konkurrenz dazu?

Die vorgestellten Behandlungsweisen beinhalten aus den Großreligionen übernommene Bräuche, Vorbilder, äußere Zeichen, Heil- und Drohgebärden. Angezapft werden sowohl das Christentum, der Buddhismus wie der Schamanismus, aber alles versetzt bzw. vermischt mit Teilen von allen dreien und eigenen Hinzufügungen. Auch die Heilerinnen und Heiler wandeln auf strikt abgegrenzten eigenen Pfaden mit persönlichen Überhöhungen nach den Vorbildern der Großreligionsgründer.

Auffällig ruhig verhalten sich die Vertreter der genannten Großsekten gegenüber solchen Kopiermethoden und besonders gegen die Abwerbung von eigenen Mitgliedern, die enttäuscht sind und die von diesen mit ihren täglichen Schwierigkeiten allein gelassen werden.

Die katholische Kirche hat die Sektenbeauftragten abgeschafft und mischt sich auch nicht in die Entscheidungen von Eltern ein, wenn diese ihre Kinder in Walldorf-Schulen schicken. Man hält die Klein-Sekten für Marginalien, die im Prinzip ins Schema passen. Möglicherweise begnügt man sich damit, dass diese Menschen nicht vom Glauben abfallen und zum materialistischen Denken übergehen. Was sie und woran sie glauben, ist nicht wichtig; Hauptsache: sie glauben! - Ist das die Merz´sche "Deutsche Leitkultur"?

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Menschen und ihre Bedürfnisse

Die Besucher von Esoterikmessen sind wohl die motiviertesten Teile einer nach Millionen zählenden Anhängerschaft esoterischer Gedanken und die Kundschaft derartiger Angebote. Das Geschäft mit den Ängsten, den kleinen und großen Fluchten aus der Realität, brummt zwar nicht mehr so wie noch in den neunziger Jahren, aber dafür hat das Internet heute teilweise die direkten Verkaufsangebote der Messen und Läden ersetzt. Stabil bleibt jedenfalls der Trend zur Esoterik an sich und als Ausdruck von Kapitulation und Flucht. Der gegen die immer schlechter werdenden Verhältnisse scheinbar wehrlose "kleine" Mensch mit seinen Ängsten, Ohnmachtsgefühlen, Geborgenheitssehnsüchten und Glückswünschen kapituliert vor der Unbill der realen Welt und flüchtet sich ins Irrationale, in Glauben an die rettenden Mächte der Esoterik. Viele Anhänger esoterischer Ideen, okkulter Praktiken und absonderlicher Sekten entfremden sich vollkommen von der Wirklichkeit und ihrem sozialen Umfeld; die Erlösungs- und Heilhoffnungen verlangen nach immer mehr Esostoff, je unerfüllbarer sie sich erweisen.

Dafür wird aber um so tiefer in den Geldbeutel gegriffen. Ab und an merkt ein Kunde oder eine Kundin des obskurantischen Basars schon mal, dass alle ritualen Handlungen, das Lesen der jeweils besten Gurubücher, das Abhören aller "Heils"-Cassetten, das Ansehen aller "wichtigen" Filme und DVD´s, die Investition tausender Euros für Hypnosesitzungen, Geburts-Rückführungen, mediale Telefonate mit dem Jenseits und Reinkarnationsvisionen in Trance nichts an Heilung und sonstigen Erfüllungen gebracht haben. Doch bei solcher Einsicht ist es für eine medizinische Heilung meistens schon zu spät. Wie für jene studierte Frau mit Aversion gegen die "Schulmedizin", die ihr Unwohlsein jahrelang mit Bachblütentropfen und ähnlichen Wundertinkturen bekämpfte, bis sich bei ihr ein unheilbarer Nierenkrebs herausstellte.

Angebote zum Verderben

Solche Gedanken beschäftigten mich - ohne überheblich, sondern eher mitleidig zu sein - beim Gedränge durch die engen Gänge dieser esoterischen Verkaufsmesse und den Referatsangeboten im stündlichen Wechsel. An verschiedenen Ständen wühlte ich mich durch "heilige" Bücher des Buddhismus, des Schamanismus und vor allem aber durch Bücher und Broschüren der vielen selbsternannten Heiler, Gelehrten und Gurus. Vor allem die Wunderheilerinnen und Wunderheiler mit ihren Angeboten für alle Alters- und Zielgruppen schlugen mich in ihren Bann. Während die Angebote Konjunktur hatten, fragte ich mich, wenn ich die Bilder dieser "Wunderpersonen" auf den Faltblättern sah und nach der Person am Stand suchte, ob es die Vorfahren der abgebildeten Personen waren, die mir dort Auskunft gaben. Durchweg versprechen die Bücher, Broschüren und die Heiler selbst Heilung, Hilfe in allen Lebenslagen, Liebe, Frieden, Glück und Erlösung - natürlich mit überirdischer Garantie, aber gegen irdisch-klingende Münze.

Besondere Attraktivität übten die Stände mit Heil- und Edelsteinen auf die Besucher aus. Lange Verkaufsgespräche kreisten um die vermeintliche spirituelle Bedeutung und Wirkung der jeweiligen Steine und darüber, den richtigen Stein für die Käuferin oder den Käufer zu finden.

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Arbeitsplätze schaffen

Eine außerordentliche Anziehungskraft übten die Angebote zur "Weiterbildung" in diversen "übersinnlichen" Pseudo-Wissenschaften auf die meist jungen Interessentinnen und Interessenten aus. Massenarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit der jungen Menschen sind ausschlaggebend dafür. Es boomten Seminarangebote, auch solche mit "Abschlüssen". So etwa für "Ganzheitliche Heilweisen", für Kartenlegen der verschiedenen Systeme, für Pendeln, Reiki, Strömen, Tarot, Steinheilkunde u.a.. Die Kursgebühren für diese Seminare und Ausbildungen waren unterschiedlich, reichten aber in der Spitze bis zu vierstelligen Beträgen. 

In Zeiten der Gesundheits-"Privatisierung" einerseits, eines wachsenden Misstrauens gegen die sogenannte Schulmedizin andererseits, mögen Geistheilung und "Geistige Chirurgie" noch eine beträchtliche Marktchance bieten  -  für Scharlatane, versteht sich; die Heilungschancen für die leidende Kundschaft dürften hingegen im wahrsten Sinne in den Sternen stehen. Ein paar Schlaglichter auf weitere "Bildungsangebote" möchte ich nicht unerwähnt lassen: Reinkarnationstherapie, Familien- und System-Aufstellung nach Hellinger, anthroposophische Pflanzenaufstellung, Engel-Workshops, Auflösung von körperlichen, seelischen und "karmischen" Blockaden, Astrologie und Geisterkunde. Das reichhaltige Angebot mit Kursen für natürliche Landwirtschaft nach anthroposophischen Richtlinien, Tibetheilkunde, vorgeburtliches und Geburtstrauma, germanische Runenkunde undundund. 

Weitere Entwicklungen

Derlei "Lehrpläne" werden als ausgesprochen geeignet zum Beispiel für "Vorbereitung auf ein Berufsleben" von sonst arbeitslosen jungen Frauen und Männern angeboten, womit wir wieder beim Geschäft mit der Dummheit der Anderen sind. Vielleicht sind ja jährliche Weiterbildungen nötig, was dann wiederum das Geld in den Kassen der Kursanbieter klingeln lässt. Für die Erstausbildung muss der Auszubildende einen vierstelligen Betrag aufbringen. Ob er dann damit Geld verdienen kann, ist mehr als fraglich.

Weit mehr als zwei bis vier Wochenendschulungen bedarf es schon, wenn man etwa Heilpraktiker werden will. Die Heilpraktiker-Ausbildung kann man im Heimstudium oder zum Beispiel an der Heilpraktiker-Akademie in Berlin durchführen und ein Abschlussdiplom erwerben. Das allerdings bedeutet außerhalb der privatwirtschaftlichen Heilerszene gar nichts; denn mit einer staatlich anerkannten Qualifikation haben derlei "Heilerausbildungen" nicht das Geringste zu tun.

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Die auch?

Auch die unter den Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen seit vielen Jahren leidenden Kurbäder bieten nunmehr, zwecks Erschließung einer auch privat zahlungsfähigen Kundenklientel, zunehmend fragwürdige und zum Teil esoterische Heil- und Kurbehandlungen an. Ein umfangreicher Katalog lag von einem Anbieter vor, der sich höchst erfolgreich im traditionsreichen Bad Meinberg etabliert hat. Von medizinisch seriösen Heil- und Kurverfahren zum esoterischen Wellness-Kommerz. Das sind die Folgen einer verfehlten Sozial- und Gesundheitspolitik. Esoterik ersetzt den Verstand; Heilmagie verdrängt wirksame Medizin!

Genug!

Natürlich durften auch die Bachblütler und die Schutz-Engel-Verkäufer nicht fehlen. Den Namen meines persönlichen Schutz-Engels hätte ich für "nur" zehn Euro erfahren können. Dafür hätte ich eine Urkunde mit "Edeltopas" nebst engelsgleichen Antworten auf von mir gar nicht gestellte Fragen erhalten. Ich hab´s gelassen.

Unter den Klängen von Schamanen-Trommeln und Tibethörnern drängte ich mich schließlich aus dem Verschiebebahnhof der Seelen, der Gefühle und des Glaubens dem Ausgang zu, froh darüber, dem Geruchsteppich aus Räucherstäbchen und Duftölen verschiedenster Parfümierung zu entkommen und außerhalb des Gebäudes wieder kostenfrei frische Luft atmen zu können.




Online-Flyer Nr. 67  vom 24.10.2006

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